Gemächlich stampft die Antonia Nezdanova durch die See. Japan ist längst am Horizont verschwunden, und wir stehen an Deck, starren gebannt in Richtung Westen, in Richtung Sibirien. Dahinter liegt Europa – uns wird langsam klar, dass es nun also wieder nach Hause geht. Nach fast fünf Jahren, die unsere Weltreise schon andauert.Die Zeit in Japan war interessant. Aber auch anstrengend. Diese Kultur, die so viele Dinge produziert, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind, ist uns auch nach mehreren Wochen sehr fremd geblieben. Auf der Fahrt zum Hafen von Fushiki spürten wir bereits, dass wir schon wieder in eine für uns neue Welt aufbrechen: Handgemalte Verkehrszeichen in kyrillischer Schrift weisen dort den vielen russischen Händlern den Weg, die vorzugsweise gebrauchte japanische Kleinwagen exportieren. Das Verladen von Fahrzeugen ist zum Glück also kein Problem – unser Gespann hievten die Hafenarbeiter mit einem großen Kran an einem Haken hängend einfach an Bord, wo uns sofort der Kapitän begrüßte. Laut und herzlich. Ein großer Mann, blond, mit blauen Augen und einer kräftigen, sehr tiefen Stimme. Wie zerbrechlich und schüchtern wirken dagegen unsere japanischen Freunde, die uns zum Schiff begleitet haben.Wir überprüfen ein weiteres Mal die Leinen, mit denen das Gespann an Deck fixiert wurde. Unsere Yamaha sieht noch immer gut aus. Fast scheint es, als würde sie lächeln, so, als könne sie es kaum erwarten, weitere Pisten und Wege unter ihre drei Räder zu nehmen. Uns geht es jedenfalls so. Bisher haben wir etwa 210000 Kilometer zurückgelegt – und eigentlich könnte es mindestens noch mal soweit sein.Zu unserer großen Überraschung sind wir nicht die einzigen Motorradfahrer an Bord. Wir treffen Patrick und Lorenz aus Österreich, die sich ein Jahr Zeit genommen haben, um auf ihren BMW durch Südost- und Zentralasien zu reisen. Beim Abendessen und recht viel Wodka entsteht der Plan, gemeinsam durch Sibirien zu fahren. Es tut gut, in diesem Teil der Welt andere Motorradreisende zu treffen.Wladiwostok. Noch während das Schiff vor der tristen Stadtkulisse im Hafen anlegt, entdecke ich auf dem Kai zwei Burschen in schwarzer Lederkleidung. Unser Empfangskomitee, wie sich nach der strengen Zollkontrolle herausstellt: Sergej und Dima von den »Iron Tiger«, einem Motorradclub, zu dem wir vorher schon Kontakt hatten. Nach langem Suchen erfahren wir, dass das Gespann und die beiden BMW ausgeladen und in einem abgeschlossenen Lagerhaus geparkt wurden, da heute kein Zuständiger mehr für eine Einfuhr da sei. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Zum Glück dürfen wir schnell noch Schlafsäcke, Isomatten und die Campingküche von den Motorrädern holen, denn für die nächsten Nächte richten wir es uns im Clubhaus der Iron Tigers ein.Tags darauf wollen wir die Motorräder aus dem Gewahrsam des Zolls befreien. Unsere russischen Freunde möchten helfen, aber so wie es scheint, sorgen sie durch ihr bestimmtes Auftreten und einen rüden Ton nur für größere Schwierigkeiten. Wir probieren es einen Tag später schließlich allein, stellen uns hilflos: »Ni pa ni mai pa Ruski« (Wir verstehen kein Russisch) – und haben prompt Erfolg! Nach einer Stunde können wir unsere Motorräder in Empfang nehmen. Dima und Sergej staunen ungläubig; als sie vor einiger Zeit zwei Japanern halfen, dauerte die Zollprozedur eine Woche, erzählen sie uns.Endlich können wir aufbrechen! Vor uns liegt Sibirien, dieses unendlich weite Land - eine einzige grüne Hügellandschaft, die uns sofort gefangen nimmt. Die Orte, an denen abends die Zelte aufbauen, gehören zu den schönsten unserer Reise. Den größten Eindruck hinterlassen allerdings die Begegnungen mit den Menschen, deren Gastfreundschaft unglaublich spontan und herzlich ist. Obwohl – viele Dörfer sehen wir nicht. Oft sind es nur eine Handvoll Häuser und Hütten aus Holz, deren Bewohner zumeist von dem leben, was Garten, Stall und Wald hergeben. Bargeld ist in diesem Teil der Welt rar – dafür funktioniert der Tauschhandel hervorragend: Fleisch gegen Benzin, Gemüse gegen Kohle. Die härteste Währung jedoch heißt Wodka. Damit bekommt man jedes Ersatzteil – und damit werden Gäste begrüßt: sobald wir irgendwo halten, machen randvoll gefüllte Gläser die Runde, werden wir sofort zum Essen, zum Übernachten und – was uns am besten gefällt – zu einem Gang in die Sauna eingeladen: Eine »Banya« findet sich hier wie in Finnland hinter fast jedem Haus. Leider sind die Nächte bei unseren vielen Gastgebern lang und laut. Nach einem harten Fahrtag zieht es uns daher nach einiger Zeit eher zum Campen in die Abgeschiedenheit der Wälder.Langsam, aber sicher entwickelt sich der Straßenzustand zu einem Problem. Die wenigen Wege, die es in Sibirien gibt, sind oft nur im Winter passierbar, wenn der Boden gefroren ist. Im Sommer verwandeln regelmäßig heftige Regenfälle weite Teile des Landes in eine einzige Schlammwüste. Auf den unasphaltierten Straßen geht dann lange Zeit nichts mehr. In Shimanovsk erfahren wir, dass es zurzeit nur eine einzige Verbindung in Richtung Baikalsee gibt: die Transsibirische Eisenbahn.Zu unserem Glück steht ein Zug abfahrbereit im Bahnhof – beladen mit unzähligen Pkw, deren Insassen während der nächsten drei Tage, die der Zug für die etwa 1200 Kilometer weite Strecke bis Cita braucht, ihre Fahrzeuge nur an einigen wenigen Haltestellen verlassen dürfen. Die Aussicht, diese Fahrt Tag und Nacht im Sattel der Motorräder zu verbringen, dämpft unsere Stimmung gewaltig.Obwohl fast 80 weitere Autos zum Teil schon seit einer Woche auf eine Mitfahrgelegenheit warten, lässt man unserer kleinen Gruppe den Vortritt. Ruckzuck sind das Gespann und eine BMW in einem Wagon verladen. Für die zweite BMW ist tatsächlich kein Platz mehr vorhanden. Die Arbeiter drängen inzwischen zur Abfahrt und schlagen vor, den Boxer auf der Seite liegend unter einen Lkw zu schieben. Oder auf meinem Gespann abzustellen... Wir nehmen die Sache nun lieber selber in die Hand, rangieren im engen Wagen so lange Zentimeter für Zentimeter hin und her, bis die BMW von Patrick gerade eben noch hineinpasst. Per Zufall finden wir sogar noch Platz in einem Abteil. Mehr Glück kann man nicht haben.Von Cita ist es für sibirische Verhältnisse praktisch nur noch ein Katzensprung bis an das Ufer des Baikalsees, dem größten Süßwasserreservoir der Erde. Wir sind sprachlos ob der Schönheit dieses dunklen, von Bergen eingerahmten Sees, verbringen viele Tage in seiner Nähe, zelten direkt am Wasser und fühlen uns an unsere Zeit in Alaska erinnert. Inzwischen denken wir auch an Europa, an unser Zuhause. Wie wird es dort nach fünf Jahren sein? Ob wir es dort überhaupt noch aushalten? Keine Ahnung. Auf jeden Fall werden wir so bald wie möglich wieder nach Sibirien kommen – im Winter, wenn die Flüsse und der Baikalsee zugefroren sind.Weiter Richtung Westen. Vorbei an dem Industriemoloch Irkutsk, dann über Krasnojarsk nach Novosibirsk, schließlich Omsk und Irbit, wo die Ural-Motorräder hergestellt werden. Wir legen einige tausend Kilometer zurück, reisen überraschend problemlos durch Gebiete und Städte, an deren Besuch auf eigene Faust und mit eigenem Fahrzeug noch bis vor wenigen Jahren nicht einmal zu denken war. Nur die zahlreichen Polizeikontrollen nerven. Natürlich sollen wir jedes Mal für irgendein Vergehen bezahlen. Wir haben sogar das Gefühl, dass man uns irgendwie auf der Spur ist – fast scheint es, als würden wir vor jeder Stadt empfangen. Unser Kommen wird bestimmt jedes Mal per Funk oder Telefon angekündigt. Gleichermaßen scheint es sich bereits herumgesprochen zu haben, dass bei uns einfach nichts zu holen ist. Unsere Reisekasse ist nach fünf Jahren praktisch leer. Zum Glück ist es bis in unsere Heimatstadt Rotterdam nicht mehr weit.
Infos
Reisen in den Staaten der GUS sind noch immer nicht ganz unproblematisch: Neben der unruhigen politischen Lage bergen die großen Entfernungen im nahezu unerschlossenen Sibirien und im Sommer die nach Regenfällen teilweise unpassierbaren Straßen bestimmte Risiken. Die Gastfreundschaft ist dagegen grenzenlos.
Anreise:Wer von Europa aus nach Sibirien fahren will, kann entweder über den weiten Landweg anreisen oder sein Motorrad per Eisenbahn zum Beispiel nach Nowosibirsk transportieren lassen. Die Stuttgarter Spedition Militzer & Münch hat sich auf Transporte in die GUS sowie in die Nachbarstaaten spezialisiert und hilft vor Ort mit den Formalitäten. Infos unter Telefon 0711/136880. Per Luftfracht lassen sich Motorräder an praktisch jeden Ort transportieren. Ein guter Ansprechpartner ist die Münchner Spedition Hellmann, Telefon 089/97594765 (Herr Siegl).Dokumente:Die Visabestimmungen ändern sich leider ständig. Aktuelle Infos gibt es bei der russischen Botschaft, Telefon 030/2291129. Um letztlich ein Visum zu erhalten, muss der Botschaft neben dem Pass und drei Lichtbildern eine Hotelreservierung oder eine Einladung aus Russland vorgelegt werden. Hilfe bei der Visabeschaffung bietet beispielsweise der Berliner Reiseveranstalter Lernidee Erlebnisreisen an, Telefon 030/786000; www.lernidee.de. Literatur: Wer eine Reise durch Russland plant, kommt kaum um die englisch sprachige Ausgabe »Russia, Ukraine & Belarus« von Lonely Planet (www.loneleyplanet.com) herum. Das Buch kostet 27,95 Euro und liefert zuverlässige Infos über fast jeden Winkel des Landes. Als Übersichtskarte empfiehlt sich die »GUS«-Karte von Marco Polo im Maßstab von 1:2000000. Wer es detaillierter mag, sollte sich die Karten des russischen Militärs anschauen, die es in den Maßstäben ab 1:100000 gibt. Ab 15,95 Euro pro Blatt erhältlich beim Expeditionsausrüsten Därr in München, Telefon 089/282032; www.daerr.deVersorgung:Je weiter man in Richtung Sibirien gelangt, desto dünner wird die Infrastruktur des riesigen Landes. Benzin für eine Reichweite von etwa 600 bis 700 Kilometern an Bord zu haben ist ebenso ratsam wie Lebensmittel- und Trinkwasservorräte für eine Tage. Trifft man in den Weiten des Landes jedoch auf Menschen, lässt sich vieles organisieren. Neben dem Rubel ist der US-Dollar (nur kleine Scheine) die wichtigste Währung in Russland. Eine Flasche Wodka hilft auch schon mal weiter.Das Projekt:Als Rob, 48, und Dafne de Jong, 35, 1996 von ihrer Heimatstadt Rotterdam zu ihrer »Ride on World Tour« aufbrachen, wussten sie nicht, dass sie insgesamt fünf Jahre unterwegs sein würden – sie hatten ganz einfach die Entfernungen unterschätzt. Die anfangs geplante Route war schon nach wenigen Monaten Makulatur. Einmal unterwegs, wurden ständig neue Reisepläne erdacht und Ziele ausgemacht. Politische Unruhen oder neue Bekanntschaften waren ebenfalls mehr als einmal Anlass, die Route zu ändern. Schnell war den beiden klar, dass ihnen diese »spontane« Art des Reisens ohnehin besser gefällt – sie haben sich so frei wie nie zuvor in ihrem Leben gefühlt. Am Ende ihrer Weltumrundung haben die beiden Abenteurer 63 Länder auf fünf Kontinenten durchquert. Finanziert wurde dieses Unternehmen durch diverse Jobs sowie den Verkauf von Reisegeschichten an Motorradzeitschriften in aller Welt.Im Verlauf ihrer Marathon-Tour haben Rob und Dafne in fast allen Ländern zahlreiche Kinderheime besucht, um neben ihrem Reisevorhaben ein weiteres Projekt zu verwirklichen: Kinder malen die Welt aus ihren Augen – für andere Kinder. So haben unzählige Bilder im Beiwagen die Welt umrundet, um – nach den Wünschen von Rob und Dafne – ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Jetzt planen die beiden Gespann-Fans ein Buch und eine Ausstellung über ihre Reise. Eine Diaschau ist bereits fertig gestellt. Weitere Infos unter: www.rideonwt@yahoo.com.Zeitaufwand: vier MonateGefahrene Strecke: 12000 Kilometer