Einsame Momente wie auf den Kalkterassen von Pamukkale waren für Josef »Jussuf« Seitz die Ausnahme. In der Türkei ist der Fremde ein gerngesehener Gast - und oft Mittelpunkt des Geschehens.
Einsame Momente wie auf den Kalkterassen von Pamukkale waren für Josef »Jussuf« Seitz die Ausnahme. In der Türkei ist der Fremde ein gerngesehener Gast - und oft Mittelpunkt des Geschehens.
Nur ein ein paar Steine. Mehr ist nicht zu sehen. Je länger ich über die Trümmerstätte spaziere, desto größer meine Enttäuschung. Das sollen die Überreste des legendären Troja sein? Seit ich als Junge die Geschichten über den sächsischen Pfarrerssohn Heinrich Schliemann gelesen hatte, der aufgrund der Angaben in den überlieferten Heldensagen tatsächlich das alte Troja entdeckte, ist für mich die Legende über das trojanische Pferd der Inbegriff aller Geheimnisse geworden. Und seit vor wenigen Monaten die hier bei den Ausgrabungenen gefundenen Goldschätze, nachdem sie Jahrzehntelang verschollen waren, in Moskau wieder auftauchten, lief mir ein Schauder über den Rücken. Die alte Neugier war wieder geweckt, und damit lag mein Reiseziel fest: die Türkei. Nun allerdings verblassen mit jedem Schritt meine - romantischen - Vorstellungen. Kaum etwas ist übriggeblieben vom einstigen Glanz der sieben Städte, die hier im Laufe der Jahrtausende aufeinander gebaut wurden.Auf einsamen Nebenstrecken, die von Troja aus allesamt in Richtung Süden führen, versuche ich dem lebhaften Fernverkehr auf der Hauptstraße auszuweichen. Ab und an kleine staubige Dörfer, in denen die Zeit irgendwann stehengeblieben zu sein scheint. Nur ein paar einfache Häuser, scheinbar wahllos um Moscheen gruppiert, deren Minarette wie bunte Raketen in den blauen Himmel ragen. Vor Assos gehen die weiten Felder, durch die sich bislang die Straße zog, langsam in eine steinige Hügellandschaft über, wandeln sich zum unwirtlichen Felsenacker, der nur noch genügsamen Schafen als Weidegrund dient. Schließlich windet sich der Weg nach Bergama hinauf durch mächtige Kiefernwälder, in denen graue Findlinge über die Hänge verstreut liegen, schlingt sich dann als kurvenreiches Asphaltband von Bergkuppe zu Bergkuppe.Längst ist es dunkel, als ich bei den antiken Ruinen von Ephesus ankomme, und die Anlagen sind geschlossen. Lediglich ein paar Souvenier- und Teppichhändler braten auf dem Parkplatz vor ihren Geschäften ihre Abendmahlzeit auf einem kleinen Grill. Einer von ihnen spricht Deutsch und lädt mich spontan zum Essen ein. Ein weiteres Stück Fleisch landet auf den Grill, schließlich auf meinem Teller - und das, obwohl ich pappsatt bin. Nach einer Weile gesellt sich ein Taxifahrer zu unserer Gruppe, der einen Freund hat, der eine Pension besitzt. Ein paar Minuten später lotst er mich mit atemberaubendem Tempo in stockdunkler Nacht zu der kleinen Herberge. Wie selbstverständlich bleibt der Taxameter abgeschaltet. Es sei ihm eine große Ehre, einem deutschen Gast helfen zu können.Am nächsten Morgen spaziere ich durch die antiken Überreste von Ephesos, einst eine der reichsten Städte der griechisch-kleinasiatischen Welt und heute das größte und wohl auch interessanteste Ruinenfeld an der Westküste. Zeitweise haben hier über eine Viertelmillion Menschen gelebt, und von der obersten Sitzreihe des gigantischen Theaters, das über 24000 Zuschauern Platz bot, kann ich über die sichtbaren Ausmaße dieser Anlage nur staunen, obwohl nur ungefähr zehn Prozent der eigentlichen Stadt bis heute freigelegt wurden. Eine 530 Meter lange Mamorstraße, die Arkadia, führt zum alten Hafen. Nach links zweigt die Kureten-Straße ab, an der neben verschiedenen Überresten von Tempeln auch das mächtige, rekonstruierte Portal der weltberühmten Celsus-Bibliothek steht, die eigentliche Attraktion von Ephesus. Seit Beginn des zweiten Jahrhunderts wurden hier zahlreiche, bedeutende Schriften gesammelt. So beeindruckend die ganze Szenerie auch ist, nach einiger Zeit wird´s mir zu laut. Hektisch pulsiert ein nicht endender Touristenstrom zwischen den Säulen, Statuen und Trümmern. Führer schreien in allen Sprachen ihre Erklärungen in den Wind, und in den Motorradklamotten wird es gegen Mittag außerdem zu heiß für antikes Interesse. Zeit, daß wieder ein kühlendes Lüftchen durchs Visier weht.Hinter Bodrum, einer touristisch orientierten Kleinstadt aus lauter weißgetünchten, würfelförmigen Häusern, führt eine kaum befahrene, kleine Straße über Karaova weiter nach Ören, wo plötzlich die Asphaltdecke endet. Fernab von aller Hektik windet sich die Piste durch eine herbe Berglandschaft, die später ins azurblaue Meer abtaucht. In den vielen Dörfern, die ich passiere, sind Kinder wie kleine Paschas in leuchtend farbige Tücher gekleidet. Bei einer Rast in einem Teehaus erfahre ich, daß heute der Tag der nationalen Einheit gefeiert wird, der gleichzeitig auch der Tag der Kinder ist, die in ihren bunten Kleidern an Paraden teilnehmen oder in den Schulen für ihre Mitschüler Theaterstücke aufführen.Ich habe Glück, daß ein großer Reisebus vor mir herfährt, als ich die Pensionen und Hotels von Pamukkale passiere. So entdecken mich die vielen aufdringlichen Schlepper erst, als es für sie zu spät ist, mich anzuhalten und mir irgendein Zimmer aufzuschwatzen. Jetzt in der Nebensaison stürzen sich die Burschen wie die Geier auf jeden potentiellen Gast. Aus und vorbei ist´s mit der Ruhe. Dafür habe ich die weißen Kalkterrassen fast für mich alleine. Kaskadenartig fließt heißes Quellwasser über die einzelnen Felsenstufen, die von den glänzenden Kalkablagerungen in ein märchhaft anmutendes Gebilde verzaubert wurden. An einigen Stellen sind natürliche Badebecken entstanden - prima für ein heißes Fußbad. Inzwischen verbrauchen heute aber die vielen Hotels in der Umgebung das meiste Wasser aus den Quellen, was dazu führte, daß der Schmutz von den Schuhen der Touristen nicht mehr weggespült werden konnte. Langsam, aber sicher legte sich an einigen Stellen ein grauer Schleier über den schneeweißen Kalk - bis die Behörden durchsetzten, daß der Kalk nur noch barfuß betreten werden darf.Obwohl die Strecke von Denizli über Yesilovo durch eine interessante Berglandschaft führt, ist die Streckenführung selbst ziemlich langweilig. Nach Tefeni habe ich genug von der fast nur geradeaus verlaufenden Straße. Ich biege an einem handgemalten Hinweisschild auf eine Bergpiste ab, die zum Sögüt-See führen soll. Aber schon nach fünf Kilometern teilt sich die Strecke ohne Wegweiser gleich dreifach. Der erste Versuch auf der linken Abzweigung endet vor einigen Häusern aus grauen Felssteinen. Das Motorrad ist sofort von vielen Bauern umringt, und ich werde wie ein alter Freund mit Handschlag begrüßt. Überraschenderweise spricht sogar hier im tiefsten Hinterland jemand ein paar Brocken Deutsch. Ich erkundige mich nach dem Weg nach Antalya, und auf einmal flutet eine vielstimmige Erklärungswelle über mich hinweg. Zwar habe ich offensichtlich nicht alles verstanden, doch die Strecke, die über rotbraunes Land und später über eine weite Hochebene führt, auch wenn sie sich als größerer Umweg erweist. Erst am späten Nachmittag erreiche ich Antalya. In den schmutzigen Häuserschluchten kommt bei mir allerdings keinerlei mediterrane Stimmung auf, und so bleibt die Stadt, die oft als der Urlaubsort schlechthin gepriesen wird, für mich nur eine Durchgangsstation. Anstatt in einem Zimmer in Antalya verbringe ich die Nacht am Strand bei Manavgat. Im Schlafsack auf den Brettern einer zerfallenen Strandhütte lasse ich mich vom Meeresrauschen in den Schlaf lullen.Ganz anders Alanya. Unterhalb der Burg, die auf einem Felskegel sitzend die Küstenlinie unterbricht, breitet sich ein kilometerlanger Strandbogen aus, dahinter das tiefblaue Meer. Eine strahlendweiße Yacht zieht eine milchige Spur durchs Wasser, und hinter der Stadt steigen fast ansatzlos die Berge an. Mit ein wenig Phantasie eine Mischung aus Österreich, Rimini und Karibik. Nicht einmal die Hotelreihen am Strand stören.Ab Alanya bleiben auch für Motorradreisende keine Wünsche mehr offen. Über 250 Kilometer weit tänzelt die Straße kurvenreich an der steilen Küste entlang bis nach Silifke, von wo aus ich einer Bergstrecke hinauf nach Mut folge. Sie führt am Göksu-Fluß entlang, in dem der alte Barbarossa im Jahr 1190 wenig heldenhaft ersoffen sein soll. Nach und nach wird die Landschaft immer wüstenhafter, immer karger. In der heißen, trockenen Luft flimmern die Umrisse aschgrauer Tafelberge. In der Ferne erkenne ich ein paar kleine Bergdörfer, deren Häuser aus grauem Lehm sich kaum vom felsigen Hintergrund unterscheiden. Nach einer Weile erreiche ich den kleinen Ort Haciahmetli. Der einzige Farbtupfer in der Umgebung ist ein rotweiß-kariertes Minarett, das wie ein erhobener Zeigefinger in den Himmel sticht. Sofort versammeln sich ein paar Neugierige um mein Motorrad, darunter auch einige Frauen, die mit einem einfachen Holzkreuz, das sich an einem kurzen Stab dreht, dicke Fäden aus Ziegenhaar spinnen. Obwohl ich mich mit den Einheimischen nicht verständigen kann, werde ich nach ein paar Minuten freundlich zum Tee in eine kleine Wohnung eingeladen. Die Einrichtung besteht nur aus einem alten Blechofen, drumherum liegen dicke Kissen, auf denen ich mitsamt der ganzen Familie Platz nehme. Mit Hilfe eines Wörterbuches versuche ich wenigstens ein paar Brocken zu sprechen, was allen sichtlich Freude bereitet. Zum Abschied wollen meine Gastgeber mir ein paar Kilo Äpfel mit auf den Weg geben - weil ich versprochen habe, ein Foto zu schicken. Sie sind richtig enttäuscht, als ich ablehnen muß, weil ich für die große Kiste auf dem Motorrad einfach keinen Platz mehr habe.Abends erreiche ich wieder die Küste, aber schon am früh am nächsten Morgen lenke ich die Honda bei Erdemli schon wieder in die Berge. Laut Karte eine interessante Piste, die mich allerdings nach einer holprigen Berg- und-Tal-Fahrt unerwartet wieder zurück zum Ausgangspunkt an der Küste führt. Ich starte einen neuen Versuch. Nach einer eher langweiligen Anfahrt bis nach Güselok verändert sich die Landschaft schlagartig, wird zu einem grauen Felsenmeer, in dem ein paar Bäume wie skurrile Gebilde aus dem blanken Gestein ragen. Es geht durch einen kalten Bergbach und dann in weiten Bögen immer weiter in die Berge hinauf. Ich versuche mir die vielen unbeschilderten Abzweigungen einzuprägen, weil ich nicht weiß, ob der Weg, den ich gerade eingeschlagen habe, irgendwo endet und ich gezwungen bin umzukehren. Nach rund 30 Kilometern bin ich mir dann ziemlich sicher, daß diese Piste bestimmt nicht der Weg nach Arslanköy. Plötzlich höre ich aus dem Tal das Knattern eines Motorrads. Und tatsächlich kommen zwei Türken auf einer uralten russischen Isch den Berg hochgefahren. Als sie mich entdecken, staunen sie, als wäre ich Mohammed persönlich. Trotz der schwierigen Verständigung können sie mir den richtigen Abzweig nach Arslanköy erklären. Doch meine Freude hält nur zwei Kilometer an, dann ist endgültig Schluß. Ein Graben, zwei Meter breit und genauso tief, verläuft quer über den Weg. Starke Regenfälle haben die Straße einfach weggerissen. Mit der Honda ist hier kein Durchkommen mehr. Ich kehre um und versuche mich an jeder Gabelung daran zu erinnern, aus welcher Richtung ich auf meiner Hinfahrt gekommen bin. In der Gegenrichtung sieht alles ganz anders aus. Doch irgendwann entdecke ich fast per Zufall die Schnellstraße, die nach Antakya führt.In der lebhaften Stadt kurz vor der syrischen Grenze herrscht Festtagsstimmung. Fast jede Familie, wird mir in einem Teehaus erklärt, würde heute als Opfergabe ein Tier schlachten. Schon unterwegs sind mir viele Lastwagen aufgefallen, die auf ihren Ladeflächen Hunderte von Ziegen und Schafen in die Stadt transportieren. Die Züchter, die ich auf dem großen Markt der Stadt beobachte, machen heute das Geschäft des Jahres. Fast vor jedem Haus hängt ein Schlachtvieh, mal an einem Baum, mal an einem Dreifuß und einmal sogar am Dach eines Buswartehäuschens. Als ich anhalte um ein Foto zu machen, werde sofort zum Essen eingeladen. Ruckzuck breiten meine neuen Gastgeber gebratenes Fleisch, Salat, Joghurt und Kuchen vor mir aus. Etwas abzulehnen könnte beleidigend sein, dabei hatte ich gerade erst gefrühstückt. Manchmal kann Gastfreundschaft anstrengend sein.
Anreise: Die Anfahrt auf dem Landweg über Österreich, Ungarn, Rumänien, und Bulgarien mißt von München bis zur türkischen Grenze zirka 1950 Kilometer und dauert etwa drei Tage. Für Rumänien und Bulgarien ist jeweils ein Transitvisum erforderlich, das über die jeweiligen Botschaften angefordert werden kann oder relativ unbürokratisch an den Grenzen ausgestellt wird. Die Visa-Gebühren betragen für Rumänien 35 Mark, für Bulgarien 51 Mark. Je nach Übernachtungskosten ist diese Anfahrtsvariante nur unwesentlich billiger als die zweieinhalb tägige Fährüberfahrt von Venedig nach Izmir. Das Ticket kostet mit Bett und Vollpension pro Person inklusive Motorrad bei Turkish Maritime Lines rund 665 Mark. Infos bei allen ADAC-Geschäftsstellen.Reisezeit: Die beste Reisezeit für den südlichen und östlichen Mittelmeerraum der Türkei ist für Motorradfahrer von Mitte April bis Mitte Mai. Ab Mitte September bis Ende Oktober sind die Temperaturen ebenfalls wieder anngenehm. In den Sommermonaten kann die Quecksilbersäule auf über 40 Grad steigen.Übernachten: Entlang der Küste und in der Nähe der antiken Stätten gibt es Pensionen, Motels und Hotels in großer Auswahl. In Pensionen beginnt während der Nebensaison der Zimmerpreis bei zehn Mark, in Motels bei 15 Mark. Hotelzimmer sind ab 20 Mark zu kriegen. In der Hauptsaison sind jeweils zehn bis 20 Mark zuzurechnen. Der Preis läßt selten auf die Zimmerqualität schließen. Also vorher anschauen. Wer eine türkische Wohnung kennenlernen möchte, kann sich ein Zimmer in der Varol-Pansyon in Tevfikye bei Troja nehmen. Der freundliche Besitzer, der sehr gut Deutsch spricht, vermietet dort drei Privatzimmer inklusive Frühstück für acht bis zehn Mark pro Person. Der Tip: das Hotel Ada bei Alanya mit toller Aussicht auf das Meer. Weitere Auskünfte bei der Informationsabteilung des Türkischen Generalkonsulats, Telefon 069/233081.Literatur: Gute Infos und interessante Geschichten über Land und Leute stehen in der Merian-Ausgabe »Türkei« aus dem Hoffmann und Campe Verlag für 14,80 Mark. Randvoll mit Tips ist das »Türkei Handbuch« von Reise Know-How für 32,80 Mark. Als Landkarte eignet sich die RV-Karte »Türkei« im Maßstab 1:800000.Zeitaufwand zwei WochenGefahrene Strecke zirka 2500 Kilometer