Unterwegs: Motorradfahren und Wandern in den Dolomiten

Unterwegs: Dolomiten Motorradfahren und Wandern in den Dolomiten

Bizarre Berge, begeisternde Pässe und Spuren kriegerischer Geschichte, die sich auf abenteuerlichen Pfaden hautnah verfolgen lassen: Die Dolomiten sind ein ideales Motorrad- und Wander-Revier.

Motorradfahren und Wandern in den Dolomiten Eisenschink
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Die Tachonadel pendelt zwischen 30 und 90 km/h, hinter einer engen Links rücken die Bergfichten auseinander, geben den Blick auf eine grandiose Landschaft frei: die Dolomiten - 2009 zum UNESCO-Welterbe gekürt. Dumpf wummernd wedelt die F 800 durch die letzten Kurven des Kreuzbergpasses, die Fahrerin rekapituliert die soeben zurückgelegte Strecke: Eisack- und Grödnertal, zweieinhalbmal die Sella-Ronda, dann über die Pässe Falzarego und Tre Croci zum Kreuzbergpass. Sie fährt die Strecke nicht zum ersten Mal, doch die Dolomitenpässe bleiben auch nach häufiger Wiederholung einfach grandios.

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Kurze Pause in Innichen und ab durch die Pforten von "Dolomythos" - einer Ausstellung über die Dolomiten. Thema Nummer eins: der Erste Weltkrieg, der in den Dolomiten eine ganz eigene Dynamik entwickelte. Man wird großformatig mit dem Grauen konfrontiert: Hinrichtungen, abgerissene Gliedmaßen, Leichenteile. "Die kolorierten Fotos sollen schockieren", erklärt Dolomytos-Initiator Michael Wachtler. Der Buchautor und Entdecker beschäftigt sich seit Jahren mit dem Krieg, der zwischen 1915 und 1918 in den italienischen Alpen stattgefunden hat.

Von seinen Touren in die Dolomiten hat er Dinge mitgebracht, die der Berg erst Jahre nach dem Krieg freigegeben hat: Konservendosen, Munition, verrostete Gewehre. Sogar den Schuh eines Soldaten hat er aus einem Stollen gezogen. Das Skelett, so Michael Wachtler, lag noch dabei.

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Zwischen den Pässen (hier auf dem Weg zum Giau) lockt der Kontrast zwischen grüner Idylle und krassen Felsformationen.

Heute toben in den Dolomiten Bergsteiger, Motorradfahrer, Radfahrer, Gleitschirmflieger oder Wanderer. Kaum zu glauben, dass hier vor nicht einmal hundert Jahren ein grausiger Krieg herrschte. Die BMW hilft zurück in die Gegenwart. Versägt im Pustertal ein paar Wohnmobile und schwenkt bei Toblach ins Höhlensteintal. Dann der Misurina See und die Auffahrt zu den Drei Zinnen. Auf dem Rückweg parkt die Pilotin ihr Moped und lässt sich nun selbst fahren: mit dem Geländewagen-Shuttle zum Monte Piana. Schon die Anfahrt über das alte Militärsträßchen und die grandiose Aussicht ist den Ausflug wert. Oben dann, auf 2325 Metern, kommt wieder der Krieg: Ex-Stellungen, -Stollen und -Unterkünfte, die man auf einem Rundweg ablaufen kann. Wilde Blumen und Kräuter wuchern aus den Schützengräben, in denen sich Österreicher und Italiener im Dolomitenkrieg gegenüberlagen.

Zweieinhalb Stunden wandern - zehn Stunden Motorrad fahren. Nach dem ersten Gang in die Berge verschlingt die BMW sämtliche Passstraßen zwischen Cortina d'Ampezzo und Bozen. Grödner Joch, Panider Sattel, Nigersattel, Karerpass - ein Genuss. Vor hundert Jahren wurde die Große Dolomitenstraße zwischen Bozen und Cortina d'Ampezzo eröffnet. Die Route - eine Idee des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins - sollte Touristen die Bergwelt der Dolomiten mittels einer durchgängig befahrbaren Straße leichter zugänglich machen. Doch der aufkeimende Bergtourismus fiel dem Gebirgskrieg 1915 bis 1918 zum Opfer. Passstraßen wurden zwecks Front-Nachschub zu Militärstraßen umfunktioniert.

Die 2105 Meter hohe Passhöhe bildet den letzten Abschnitt der Großen Dolomitenstraße, die man 1909 unter größten Anstrengungen aus dem Fels gemeißelt hat. Das Ziel ist beliebt: Die "Hondarabauken" vom Niederrhein waren hier, der Vespa-Club Graz und die Fans vom BVB - "Wir sind Borussia" steht auf dem Passhöhenschild. Im Souvenirladen "Bazar" türmen sich Tirolerbärchen in Lederhosen, Stocknägel "Dolomiti" und Murmeltiersocken "Alpenglühen". Neben einem Rudel Wichtelmännchen aus Keramik liegen zwei ausrangierte Granaten. Da hilft nur noch der Fernblick zum 2835 Meter hohen Lagazuoi, der damals wegen des mit äußerster Härte geführten Minenkrieges in den Fokus der Aufmerksamkeit geriet.

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Unbedingt hin: Cibiana ist ein hübsches Örtchen mit engsten Gassen und viel Kunst.

Aktuell liegen Passstraßen im Fokus. Falzarego, Valparola, die Verlockung, heftig am Gasgriff zu drehen, ist extrem. Der Wahnsinn sind die Kehren des Valparolapasses, dann kommt nach La Villa und Corvara der Campolongo-Pass. Hinter dem Colle Santa Lucia folgen die 29 exquisiten Schleifen zum Passo di Giau.

29 Tornanti (Kehren) hier, 33 Tornanti dort. Zurück am Falzarego-Pass leidet die Pilotin an akutem Schwindel und tauscht den Motorradhelm gegen einen ducatiroten Berghelm mit Stirnlampe. Seil und Karabiner? Braucht man nicht. Per Seilbahn geht es auf den Lagazuoi, die Tofana, die Cinque Torri, ja fast sämtliche Dolomitengipfel erscheinen im Panoramafenster. Dann aussteigen und dem "Kaiserjägersteig" zu den ehemaligen österreichischen Stellungen folgen. Alpendohlen kreischen. Ringsum nackter Fels, der sich im Minutentakt in dichte Wolkenfetzen hüllt. In der Ferne ertönen dumpfe Schläge. Gewitter? Hat man nicht gelesen, dass im Ersten Weltkrieg hier mehr Menschen durch Gewitter, Lawinen, Steinschlag, große Kälte und sonstige Naturgewalten starben als durch feindliche Waffen?

Der Pfad schraubt sich mal mehr, mal weniger ausgesetzt am Felshang entlang. Drahtseile überbrücken abschüssige Stellen. Sonne wechselt mit Regen. Also Flucht in eine Ex-Stellung der Kaiserjäger, die man in Massen in die Felsflanken des Lagazuoi gehämmert hat. An manchen Stellen war der Gegner gerade mal 30 Meter entfernt. Doch die einzige Möglichkeit, ihn aus seinen in den Felsen klebenden Adlerhorsten zu vertreiben, lag darin, Tunnels aus dem Stein zu hämmern, sie mit Sprengstoff zu füllen und in die Luft zu jagen.

So wurde ein Teil des Berggipfels abgesprengt, der in Form von Geröll noch heute die Umgebung des Falzarego-Passes ziert. Wer in die rabenschwarzen Höhlen und Gänge hineinleuchtet, entdeckt Stollen und ehemalige Schlafräume. Dann eine zwischen den Felswänden gespannte Hängebrücke mit Indiana-Jones-Ambiente, irgendwann geht es nur noch mit Karabinerhaken weiter. Zeit zum Umdrehen.

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Zirbelkiefern zu Füßen des Lagazuoi. Hier unbedingt mal kurz wandern gehen.

Zurück am Falzarego-Pass, wird die Gegend nach weiteren spannenden "Bike and hike"-Spots abgekämmt. Kurze Zeit später bezwingt die F 800 Passo di Giau, Passo Staulanza und den Cibiana bis zur Passhöhe. Dann wieder mit einem Geländewagen-Shuttle über ein schwindelerregendes altes Militärsträßchen zum Monte Rite. An den Hängen des Zweitausenders grasen gut vier Dutzend Yaks, die Reinhold Messner von seinen Himalaya-Expeditionen mitgebracht hat. Am Gipfel hat der Extrem-Bergsteiger ein Fort aus dem Ersten Weltkrieg zum "Museum über den Wolken" umfunktioniert. Durch vollverglaste Ex-Gefechtskuppeln sieht man erneut sämtliche Dolomitengipfel und die Passstraßen der Umgebung aus der Vogelperspektive.

Ein Besuch des auf der Passhöhe gelegenen "Parco Aventura - Adrenalin Park" ist gar nicht nötig, hält doch die ausgewaschene Fahrbahn des Cibiana genügend Adrenalin-Kicks bereit. Mitunter wirken die Kuhlen im Straßenbelag wie kleine Sprungschanzen. Dann auf superschmaler, holpriger Fahrbahn über den Duran-Pass. Zwei Ecken weiter wartet die Auffahrt zum Passo Rolle mit perfektem Belag und einer schier unglaublichen Folge von Rechts-Links-Kombinationen. Kein Wunder, dass plötzlich wieder Myriaden von Bikern auftauchen. Passo di Valles, Passo di Fedaia - Pass-Highlight folgt Pass-Highlight, bis am Pellegrino-Pass der "Sentiero della Pace", der "Friedenspfad", einen Stop nötig macht.

Die verschnörkelte Route folgt der Frontlinie des Ersten Weltkrieges. Hier am Pellegrino-Pass quert sie die Straße und windet sich mit Blick auf die vergletscherte Marmolada zur Monzoni- und Costabella-Gruppe empor. Einst wurden in der Umgebung des Pellegrino-Passes blutige Schlachten geschlagen. Heute führen Wanderpfade und Skipisten von einer Ex-Frontlinie zur anderen, Österreicher und Italiener streiten sich höchstens noch um das letzte Stück Apfelstrudel in der nahegelegenen "Bergvagabunden-Hütte". Eine Herde Supersportler rauscht vorbei, es zuckt in den Fingern. Jetzt hinterherfahren. Doch dann parkt die Fahrerin ihr Motorrad und schwebt mit dem Sessellift einmal mehr zum Wanderpfad entlang der Ex-Stellungen am Costabella-Massiv empor. Mal wieder die Knochen bewegen, Höhenluft schnuppern und erkennen, dass Kriegsgräuel untrennbar zur Dolomitengeschichte gehören. Warum das verschweigen? Die tollen Pässe können warten.

Infos

Zeichnung: Archiv
Dolomiten-Tour: Reisedauer: vier bis fünf Tage - Gefahrene Strecke: 950 Kilometer - Hauptstadt: Rom - Fläche: 301338 km2 - Unabhängigkeit: 1861 - Währung: Euro - Einwohnerzahl: 60275846

Bike-&-Hike-Tour auf den Spuren des Dolomitenkrieges 1915-1917 - auf den Pässen und Gipfeln der Zwei- und Dreitausender gibt es Vieles zu entdecken.

Sehenswert:
Restaurierte Stellungen (Stollen, Felstunnels, Schützengräben) des Dolomitenkrieges befinden sich auf dem mit der Seilbahn ab Falzarego-Pass erreichbaren Lagazuoi. Für die Steige (Kaiserjägersteig, Bergjägersteig) ist Schwindelfreiheit erforderlich. Infos unter www.dolomiti.org/lagazuoi und www.grandeguerra.dolomiti.org. „Dolomythos” in Innichen beherbergt neben Infos zu Flora, Fauna und Geologie der Dolomiten eine Fotoausstellung über den Dolomitenkrieg, Telefon 0039-0474-913462, www.dolomythos.com. Das Freilichtmuseum auf dem Monte Piana zeigt ehemalige Stellungen des Dolomitenkrieges. Erreichbar mit dem Shuttle, Telefon 0039-0435-39034 oder 0039-338-5282447 (mobil), www.montepiana.com. Reinhold Messner hat in einem Fort aus dem Ersten Weltkrieg eine Kunstgalerie eingerichtet. Schon die Aussicht vom „Museum in den Wolken” auf dem Monte Rite ist einen Besuch wert. Anfahrt mit dem Shuttle ab Cibiana-Pass. Tel.: 0039-0435-890996, www.messner-mountain-museum.it Das Freilichtmuseum über den Dolomitenkrieg auf den Kämmen der Costabella- und Monzoni-Gruppe ist mit dem Sessellift Costabella ab San-Pellegrino-Pass zu erreichen. Schwindelfreiheit erforderlich, Bergausrüstung empfehlenswert. Infos erteilt das Fremdenverkehrsbüro Val di Fassa, Telefon 0039-0462-609500, www.fassa.com

Literatur/Karten:
Hintergrundinfos zum Thema Dolomitenkrieg finden sich in dem Buch „Dolomiten, Krieg in den Bergen” von Michael Wachtler, Athesia-Verlag, 21,90 Euro. Lesenswert ist auch „Die Front in Fels und Eis” von Gunther Lange, Athesia-Verlag, 21,90 Euro. Für Wanderer: „Auf alten Kriegspfaden durch die Dolomiten: 35 spektakuläre Wanderungen auf historischen Militärpfaden” von Eugen Hüsler, Bruckmann-Verlag, 19,95 Euro. Die Kompass-Wanderkarten Nummer 973 „Fronte Dolomitico 1915–1917” und Nummer 678 „Friedensweg / Sentiero della Pace” sind nur noch im Antiquariat und in Kriegsmuseen sowie Souvenirläden vor Ort erhältlich. Für die Straße eignet sich die Generalkarte Pocket „Südtirol, Dolomiten, Trentino” im Maßstab 1:200000 für 4,95 Euro.

Übernachtungstipp:
Der Buchautor Michael Wachtler („Dolomiten, Krieg in den Bergen“) vermietet Ein-, Zwei- und Drei-Zimmer-Appartments im günstig gelegenen Innichen und kennt Hintergründe zum Dolomitenkrieg, P.-P.-Rainerstr. 11, Telefon 0039-0474-913462, www.wachtler.com

Übernachten:
am Cibiana-Pass: Albergo Remauro, Via Pianezze 16, 32040 Cibiana di Cadore, Telefon 0039-0435-74004. Komfortabel: Parkhotel Bellevue in Toblach, Telefon 0039-0474-972101, www.parkhotel-bellevue.com. Schöne Aussicht: Hotel Bellavista in Pecol di Canazei, Telefon 0039-0462-601165, www.bellavistahotel.it. Etwas außerhalb von Cortina d’Ampezzo: Hotel Al Larin, Telefon 0039-0436-861341, www.dolomiti.org/ita/cortina/co/alberghi/larin.

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