Unterwegs: Hautes Alpes/Piemont - italienisch-französisches Grenzgebiet

Unterwegs: Hautes Alpes/Piemont (mit GPS-Route) Offroad Ausflug ins italienisch-französische Grenzgebiet

Kleine Motorräder, hohe Berge: Beim Offroad-Ausflug ins italienisch-französische Grenzgebiet kommen 250er Enduros ganz groß raus. Eine ganz spezielle Reise in drei Akten.

Offroad Ausflug ins italienisch-französische Grenzgebiet Schlüter

Das ist überirdisch!" Ronny lässt beeindruckt den Blick wandern. 3050 Meter über dem Meer, angekommen am höchsten Punkt unserer Tour, dominieren gewaltige Felsformationen rund um das kleine Hochplateau. Dass wir mit einem Bein im Sarkozy-Staat und mit dem anderen auf Berlusconis Bühne stehen, dass die italienische Schotterpiste nach einem französischen Ingenieur benannt ist, all das ist in diesem Moment ebenso Nebensache wie die beiden 250er Enduros, mit denen wir gerade den Colle Sommeiller bezwungen haben.

Die Ouvertüre: Viertel vor

"Kann man mit ner 250er überhaupt ernsthaft reisen?" Sichtlich amüsiert mustert der BMW-Fahrer an der Autobahntankstelle Hegau die nicht nur im Vergleich zu seiner mit Alu-Koffern behängten R 1200 GS Adventure zierliche Yamaha WR 250 R. Ich könnte von entspanntem Cruisen auf der rechten Spur bei Tempo 120 erzählen, könnte erwähnen, dass nach 100 Kilometern Fahrt nur dreieinhalb Liter Sprit die Einspritzdüsen passiert haben, könnte hinzufügen, dass die schmale Sitzbank auch nach acht Stunden Fahrt keine Falten in den (mit einer Radlerhose zusätzlich gepolsterten) Allerwertesten schneidet oder dass Rucksack und Rolle genügend Platz für das (notwendige) Gepäck bieten. Stattdessen setze ich das an die 250er angepasste zweitägige Vorspiel fort: In Lanslebourg treffe ich zur gleichen Zeit wie Ronny ein, der seine Kawasaki KLX 250 in den Transporter verfrachtet, den direkten Weg genommen und die 728 Kilometer aus dem Badischen ins Maurienne-Tal in sieben Stunden hinter sich gebracht hat.

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Der erste Akt: Schotter für Anfänger
Mit Café au lait und Schoko-Croissants im Magen starten wir die Kawa und die Yamaha an einem kühlen Sonntagmorgen. Anfahrt und Alltag sind schon auf den ersten Kilometern Richtung Lac de Mont Cenis vergessen. Kurve für Kurve wächst das Zutrauen in die Haftfähigkeit der Stollenprofile, und mit jeder Serpentine schießen wir uns besser auf das ultrascharfe Handling der beiden motorisierten Mountainbikes ein. Große Bögen? Nix da, wir peilen auf direktem Weg die Kurveninnenseite an, drücken die Enduros rein und geben gleich wieder Vollgas: die pure Leichtigkeit des Seins auf zwei Rädern.

Warm wird uns spätestens auf dem Weg zum 2167 Meter hohen Colle delle Finestre. Kurze Geraden, enge Haarnadelkurven und 50 Prozent Schotteranteil sorgen für Hochstimmung. Bella Italia: Mit behördlichem Segen darf (trotz einiger Streckensperrungen) auf vielen Offroad-Pisten noch Gas gegeben werden. Wie auch auf der "Strada dellAssietta", für die sogar eine eigene Website wirbt. Mit Erfolg, denn auf den über 40 Kilometern zwischen dem Colle delle Finestre und Sestriere begegnen uns Wanderer, Mountainbiker und ein versprengter Rennradfahrer, stauben uns XTs, Africa Twins, GS, Quads, aber auch versprengte Kleinwagen ein.

Schwere Baumaschinen zeugen davon, dass die ehemalige Militärstraße in einem passablen Zustand gehalten wird. Sie reiht die 2000er Gipfel wie Zacken eines Kamms aneinander: Colle und Testa dell'Assietta, Colle di Lauson, Colle Blegier, Monte Genevris, Colle Costa Plana, Colle Bourget, Colle Basset und Colle di Sestriere. Wovon auch ungeübte Assietta-Ausflügler profitieren, zumindest solange kein Regen fällt und der Untergrund nicht die Konsistenz von Schmierseife annimmt.

Schlüter
Assietta-Kammstraße.

Der zweite Akt: Talfahrt und Tunnelblick
An dem kleinen, unscheinbaren Schild in La Condamine de Chatelard bin ich jahrelang achtlos vorbeigerauscht: Tunnel du Parpaillon. In diesem Moment nur ein Wegweiser, Stunden später ein Erlebnis, für immer verknüpft mit Erinnerungen in 3D. Wenige Kilometer Asphalt, eine holprige Passage durch ein Waldstück, und der Vorhang hebt sich zum zweiten Offroad-Akt.

Grandios die vor uns liegende Bühne: Links und rechts ragen Bergmassive empor, besetzt mit nach Wasser dürstenden braunen Grasnarben und kahlen, grauen Kämmen unter einem beständig blauen Himmel. Wir sind die einzigen Motorradfahrer, die sich auf dem staubigen Schotterweg auf 2632 Meter Höhe schrauben. Die imposante Inszenierung des Natur-Bühnenbilds, die Einsamkeit, der unbekannte Pass und dazu die Unbeschwertheit, mit der die 250er selbst durch losen Schotter und zu feinem Staub zermahlenes Gestein pflügen, machen jeden Meter zu einem Erlebnis. Inklusive des 500 Meter langen, stockdunklen Tunnels mit seinem Parkett aus aneinandergereihten Pfützen. Auf der anderen Seite nehmen nur ein paar weidende Kühe von uns Notiz. Im Gegensatz zum stillen Parpaillon wirkt die Assietta im Rückblick wie ein lebhafter italienischer Marktplatz.

Den 25 Kilometer entfernten Einstieg zum Lac de Leuzet findet nur, wer ihn mit Absicht sucht und beispielsweise im "Denzel, der Bibel für Alpentourer, geblättert hat. Geboten werden 16 Kilometer Faszination, die komplette Palette von engen Asphaltkehren, Wald- und Wiesenwegen, peppigen Steilstücken und kleinerem wie größerem Gestein sowie als Zugabe ein kleiner Bergsee, den die letzten Strahlen der untergehenden Sonne streicheln.

Der dritte Akt: Ganz hoch hinaus
Der letzte Tag beginnt mit einem Tipp: Cedric, der sympathische Eigner der Herberge "Gîte le Passe Montagne" in Chantemerle, erzählt uns von der Möglichkeit, vom nahen Col de Granon aus Nevache auf Schotterpisten anzusteuern. Ein verführerischer Gedanke, dessen Schönheitsfehler uns erst oben am Col offenbart wird: Die vom großen Wanderparkplatz startende Militärstraße ist mit einem unübersehbaren Verbotsschild verunziert. Ein vorbeischlendernder Soldat lächelt verschmitzt, als er uns ein "Ihr dürft euch nur nicht erwischen lassen" mit auf den Weg gibt. Also prötteln wir im zweiten Gang mit aller gebotenen Zurückhaltung an der Bergflanke entlang, verpassen prompt den Abzweig und geraten auf einen Wanderweg der Marke Maultierpfad. "Non, non, impossible, hier gehts für euch nicht weiter", bedeutet uns ein französisches Paar, das uns entgegenkommt. Statt der erwarteten Predigt ernten wir freundliche Hilfsbereitschaft. Bereitwillig wird uns mithilfe einer Wanderkarte der Weg nach Granon gewiesen. "Mais oui, den können Sie nehmen, den fährt unser Sohn mit dem Mountainbike auch.

"Unterhalb des Col de lEchelle passieren wir die Grenze nach Italien und folgen in Bardonecchia den Wegweisern Richtung Rochemolles. Der Adrenalinspiegel steigt, vor uns liegen 23 Kilometer, davon zwei Drittel unbefestigt, 2000 Höhenmeter und ein 3050 Meter hohes Fahrtziel. Doch Zahlen können die Dimension des Colle Sommeiller nicht im Entferntesten wiedergeben. Er ist ein nicht enden wollender Endorphin-Trip ins Hochgebirge, der den Höhepunkt wieder und wieder hinausschiebt. Immer dann, wenn man sich schon am Ziel wähnt, hält die mausgraue Buckelpiste noch eine Zugabe bereit. Hochtal folgt auf Hochtal, Kehre auf Kehre, Wände türmen sich auf, von denen Wasserfontänen in die Tiefe fallen, während die Stollenreifen in den pulvrigen Serpentinen oberhalb der Refugia Scarfiotti mächtige Staubfontänen aufwirbeln. Die Luft wird spürbar dünner, doch mit dem sinkenden Sauerstoffgehalt steigt der Spaß am Gipfelsturm nur noch mehr. Der Colle Sommeiller ist der Höhepunkt des dreitägigen Grenzverkehrs und der Ritterschlag für die kleinen Enduros, die uns nie überfordert und deshalb durchgehend Freude gemacht haben. Und an eine Zeit erinnerten, als der graue Lappen noch fest wie ein frisch gestärkter Hemdkragen in der Belstaff-Jacke steckte und die Bedeutung von Hubraum und Leistung im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Leidenschaft stand.

Epilog
Als wir den Parkplatz am Sommeiller verlassen, stellt ein schweißüberströmter GS-Pilot seine BMW auf den Seitenständer und atmet schwer. Ich verbeiße mir die Frage, ob man mit der dicken Deutschen wirklich ernsthaft Enduro fahren kann.

Übersicht: Europa-Reisen des MOTORRAD action teams

Archiv
Die Route: Reisedauer: 3 Tage, gefahrene Strecke: 600 Kilometer.

Sehenswert:
Die Region zwischen dem Maurienne-Tal im Norden und dem Mercantour-Nationalpark im Süden ist eines der bekanntesten Kurvenmekkas für Alpentourer. Nicht umsonst finden sich Pässe wie Col de l'Iséran, Col du Galibier, Col du Lautaret oder Col d'Izoard regelmäßig in den Etappenplänen der Tour de France wieder. Die deutlich langsamere und zugleich stillere Alternative, in die Hochgebirgswelt zwischen Hochdauphine und Hochprovence einzutauchen, sind viele immer noch legal befahrbare Schotterpisten, zumeist ehemalige Militärstraßen. Eine der empfindlichen Natur angepasste Fahrweise versteht sich von selbst, schon um weiteren Sperrungen keine Argumente zu liefern. Bei trockenen Bedingungen lassen sich die vorgestellten Strecken auch mit schwereren Enduros stressfrei bewältigen, bei Nässe allerdings ist Vorsicht geboten.

Motorräder:
Wenn auch lange Autobahnetappen nicht die Stärke der Kawasaki KLX 250 und der Yamaha WR 250 R darstellen, so entpuppen sich beide in den Alpen als absolute Funbikes, vor allem offroad. Am Lenker der Leichtgewichte lassen sich selbst schwierigere Passagen gut meistern. 200 Kilometer Reichweite genügen vollauf, das Gepäck sollte man allerdings so weit wie möglich reduzieren. Wir haben gute Erfahrung mit dem robusten 32-Liter-Rucksack "Totenkopf" (79,95 Euro) und der 50-Liter-Trekkingrolle (29,95 Euro) von Louis gemacht.

Übernachten:
Als Ausgangspunkt bietet sich das Hotel La Clé des Champs in Lanslebourg an, Telefon 00 33/4/79 05 94 10, www.hotel-lacledeschamps.com. Wer mit dem Auto/Transporter anreist, kann sein Fahrzeug hier problemlos parken. Fünf Minuten Fußweg vom Zentrum von Guillestre findet sich das Hotel Les Barnières , Telefon 00 33/4/92 45 05 07, www.hotel-lesbarnieres.com. Eine einfache, aber charmante Herberge ist die von einer jungen Familie geführte Gîte le Passe Montagne, Telefon 00 33/4/92 24 06 66, www.gite-lepassemontagne.com in Serre-Chevalier, unweit von Briançon. Hier ist auch in der Nebensaison eine Zimmerreservierung ratsam.

Adressen/Karten
:
Ausgangspunkt für die Planung von Alpentouren, egal ob auf asphaltierten oder unbefestigten Wegen, ist die 624-Seiten-Bibel "Großer Alpenstraßenführer" von Harald Denzel, der inzwischen in der 24. Auflage vorliegt. Im Internet gibt es unter http://alpenrouten.de Informationen zu 1601 Alpenpässen, anfahrbaren Gipfeln, Hochpunkten und Hochtälern, inklusive GPS-Daten und aktuellen Kommentaren. Welche Pisten in der Umgebung von Bardonecchia befahrbar sind, erfährt man unter www.bardonecchia.it (News/Z(ona)T(urista)L(ibero) Montana). Der Colle Sommeiller etwa ist vom 1. Juli bis 31. August von Freitag bis Sonntag zwischen 9.00 und 17.00 Uhr gesperrt. Zur Strada dell'Assietta gibt es eine eigene Website: www.stradadellassietta.it. Die beliebte Kammstraße unterliegt im Juli und August ebenfalls zeitweiligen Sperrungen, und zwar mittwochs und samstags von 9.00 bis 17.00 Uhr. Karten: Michelin 333 Isère, Savoie und 334 Alpes-de-Haute-Provence, Hautes Alpes, beide im Maßstab 1:150 000. Karte: Claudia Werel/MAIRDUMONT

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