Unterwegs in der Sahara
Dreck, Sand und Steine

Eine Gruppe Moped-Kumpels aus dem Ruhrpott. Die meisten Mitte 40. Bunte Biografien, manches erreicht, aber soll das jetzt bis zur Rente so weitergehen? Einmal noch wollten sie den totalen Motorrad-Kick. Kein Gepäck, nur Adrenalin.

Dreck, Sand und Steine
Foto: Biebricher

Einmal noch das volle Programm: Dreck, Sand, Steine, Wüste im Rallyetempo. Auf leichten 450er-Sportenduros ohne Gepäck über verschwiegene Pisten im marokkanischen Hinterland heizen. Fahren, wo keine beladene Reiseenduro je hinkommt. Ein letztes Mal noch volles Risiko, bevor die Knochen nicht mehr mitmachen, die Kondition wegbricht, die Frauen hysterisch werden, der Ruhestand droht. "Jungs, das macht man einmal im Leben, der beste Kick, den ich je auf dem Moped hatte, ihr MÜSST mitkommen." Ein Jahr warb Olli für den Trip. Irgendwann hatte er uns soweit. All seine Kumpels, die früher immer einmal im Jahr zusammen auf Motorradtour gingen. "Das werdet ihr nie vergessen, wir fahren Routen, da glaubt ihr auf einem fremden Planeten zu sein."

Wir treffen uns in Marrakesch. Jan, der Schiffe ausrüstet, Essi, der Augenarzt, Nelle, der Entwicklungshelfer, Robert, Businessmann, und Max, der Marketing für dessen Firma macht. Nur Initiator Olli ist nicht gekommen. Rückzug in letzter Minute, ernstes Herzproblem, Operation. Tragisch, aber nicht zu ändern. Er ermutigt uns, die Tour durchzuziehen, will jeden Tag Nachricht.

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Dreck, Sand und Steine
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Marrakesch: Der Zauber von "Tausend und einer Nacht", wir verirren uns in den Souks, saugen den marokkanischen Alltag auf, geben uns kulinarischen Genüssen hin. Ein Bus bringt uns über den höchsten At-laspass nach Ouarzazate. Hier warten John Griffith, genannt Johnny Maroc, und seine Partnerin Su Downham mit den KTM 450 EXC. Su hat die Rallye Dakar gefahren, Johnny ist ein Freund von Cyril Despres, sein Sohn war dessen "Wasserträger". "Ist rechtzeitig abgesprungen", sagt Johnny, denn alle anderen "Wasserträger" des berühmten Rallyefahrers und Dakar-Siegers sind entweder tot oder sitzen im Rollstuhl.

Gleich hinter den Toren der Stadt zweigt eine Steinpiste nach Westen ab. Die KTM rollen auf nagelneuen Mitas-Grobstollern. Reifen, denen wir in kürzester Zeit allerhöchsten Respekt zollen. Gierig beißen die Stollen in den Dreck, Johnny gibt ein furioses Tempo vor. Steinige Wege, Sandpassagen, Auswaschungen, Lehm, totale Einsamkeit. Mitten in einer atemberaubenden Steinwüste rasten wir. Schweiß fließt über staubverkrustete Gesichter, Hitze flimmert, Berberkinder wachsen aus dem Boden. Jan rast davon, Durchfall. Su kommt mit dem extrem geländegängigen Land Rover Pickup. Transportiert unser Gepäck, Ersatzteile, Sprit, Wasser, Lebensmittel eine  medizinische Notfallausrüstung und Houssein, einen Berber, den Johnny zum Mechaniker ausgebildet hat. Dafür wurde extra ein KTM-Mann aus Mattighofen hinzugezogen. Houssein ist stolz, die Maschinen sind seine Kinder, er kennt ihre individuellen Eigenheiten und hätschelt sie bei jedem Stopp. Su zaubert einen Lunch auf die Motorhaube, die Berberfamilien bekommen ihren Anteil.

Biebricher
"Stairway to Heaven", eine riesige Treppe zum Himmel mitten in der Wüste.

Weiter geht es, Staub und Steine fliegen. Wir driften Richtung Südosten. Seit heute Morgen gehören zwei neue Fahrer zu unserer Gruppe, beide heißen Dan: Dan eins kommt aus den USA, Dan zwei aus England. Plötzlich eine Staubwolke, ein Motorrad wirbelt durch die Luft, ein Körper hinterher, dann liegt Dan zwei am Boden. Jan war hinter ihm. Dans KTM hatte sich plötzlich quergestellt, bei hohem Tempo. Highsider und mehrfacher Überschlag. Kann passieren, in diesem Geläuf, wo die Mopeds mehr fliegen als mit den Rädern am Boden bleiben. Dans Schulter ist de-formiert, ein Knochen steht raus. Su, die mit dem Landy schnell am Unfallort ist, zeigt im Team mit Johnny höchste Ersthelferkom-petenz. Wir legen den Verletzten auf die Vakuum-Matratze und heben ihn auf die Ladefläche des Land Rovers. Vorsichtig wird er nach Agdz manövriert, von dort nach Ouarzazate gebracht und ausgeflogen.

Die verbliebenen Kämpfer gelangen in eine Palmenoase und passieren verfallene Kasbahs auf schmalen Eselspfaden. Am Ende eine hinreißend intakte, familiäre Unterkunft, die Kasbah Azul. Da dürfen wir eintauchen in einen Swimmingpool und exotische Speisen genießen. Welche Erholung nach einem Tag, der ausschließlich in den Rasten stehend verbracht wurde.

Als die Sonne aufgeht, folgen wir dem sagenumwobenen Draa-Tal. Schmale, gewundene Pfade, Kasbah-Ruinen, unzählige redefreudige Berberfamilien. Hier ereilt es den anderen Dan: Er verbremst sich, stürzt schwer in große Steine, wird versorgt, muss sich aber leider ebenfalls verabschieden. Zurück bleibt die Freundestruppe, die sich seit Jugendtagen aus dem Ruhrgebiet kennt. Doch diese Tour ist anders als unsere früheren "Luschen-touren", wie Olli sie nennt, seit er mit Johnny Maroc fuhr.

Der hält jetzt nordwärts, eine schmale Piste führt steil bergan durch den Jebel Saghro, dem landschaftlich spektakulärsten Gebirgszug ganz Marokkos. Überirdische Felsformationen, doch alle Sinnen gelten der Piste. Nur ja nicht in die tiefen Auswaschungen geraten, das wäre das Aus. Es ist unbeschreiblich, was diese Motorräder aushalten. Steinkollisionen, Sprünge, Stürze. Die Fahrwerke souverän und stabil, die Mitas-Reifen mit enormem Grip auf Teer, Steinen, im Schlamm und im Sand. Der sechs Millimeter dicke Schlauch und die Excel-Felgen widerstehen Schlägen, die andere Motorräder zertrümmern würden.

Biebricher
Fast alle Kumpels vereint: Jan, Robert, Nelle, Bibi, Essi, Max (v.l.n.r.). Leider fehlt Olli.

Wir verlassen den hohen Atlas Richtung Süden, stauben durch seine Ausläufer, fliegen auf Kuppen zu, heben ab. Dahinter knickt die Piste um 90 Grad, geradeaus Schluchten mit tiefem Geröll. Probleme, die es zu lösen gilt, Instinkte, die geschärft werden müssen, Hecks die im Powerslide nur Zentimeter an scharfen Felskanten vorbeiwischen. Manchmal hilft nur Vollgas und ein Angstwheelie, um vor dem Vorderrad auftauchende Hindernisse zu meistern. Wir fetzen durch das "Tal der Rosen", ich habe langsam die Schnauze voll.

Im fruchtbaren Dades-Tal gelangen wir zu einer Herberge, die Körper und Geist alle erdenklichen Annehmlichkeiten bietet. Johnny, der früher Industrietaucher und schon mal 28 Tage in einer Dekompressionskammer war, fragt wie wir uns fühlen. Als ob wir zehn Stunden Presslufthämmer festgehalten hätten. Ich werde sauer: Wie kann man durch all diese herrlichen Landschaften rasen und davon kaum etwas wahrnehmen, weil man sich so auf das Fahren konzentrieren muss? Er weiß um das Problem, bietet an, dass die Betulicheren nach GPS fahren und man sich einfach am Abend trifft. Langsamer als der Land Rover sollte man aber nicht sein.

Jan, Nelle, Max und Essi sind im Rallye-Fieber, wollen dranbleiben an Johnny. Ich fasse es nicht: Warum können diese alten Säcke auf einmal so gnadenlos gut Enduro fahren? Haben die heimlich trainiert? Ist das alles noch Können von früher? Robert und ich nehmen etwas Tempo raus, rumpeln durch dramatische Felsformationen und erreichen dann den Rand des großen Erg Occidental. In einem kleinen Wüstenkaff tanken wir an einer Lehmhütte aus Flaschen, treffen unsere Kumpels, die nach einer langen Pause schon wieder frisch und heiß auf den Aufbruch sind. Die Marokkaner haben Diesel in unseren Sprit gemischt. Johnny sagt, die Motoren halten das aus und bollert rußend über Sandpisten und trockene Flussbetten durch das riesige Bett des ausgetrockneten Lac Maider.

Unendliche, unfassbare Einsamkeit, die Staubfahnen der Kumpels am Horizont, ein einsamer Damenschuh mitten in der Wüste, Kamelskelette. Dann kommen sechs Kilometer durch hinterhältigen "Fesh-fesh". Hier fahren sich alle fest, stürzen, auch Johnny. Wir fressen diesen völlig unberechenbaren, feinen Sand. Die Passage ist die Hölle, aber nicht das Ende, denn es geht noch über Steinpisten und Sandverwehungen. Ein Berberzelt am Rand der Dünen ist das Nachtlager mitten im Nirgendwo.

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Endurospass bei Agdz.

Der Sahara-Sternenhimmel: Überirdisch, man wird ins All gesaugt und kann sich nicht satt sehen. Sternschnuppen und Dauergänsehaut, bis um vier die Mondsichel über das Berberzelt kriecht. Um fünf kommen die Fliegen, krabbeln in Nase und Ohren. Dagegen hilft nur raus in die Dünen fahren, wo Johnny uns die nötigen Tricks lehrt. Die braucht man vor allem am Erg Chebbi, hier wandert Marokkos höchste Düne. Der Weg dorthin ist weit. Endlose Wüste, dann eine Landschaft voller Akazienbäume, wie in Ostafrika. Immer wieder steinige Flussbetten, urplötzlich steht die KTM quer oder wird in Schräglage katapultiert, was mich nicht mehr länger schockieren kann. Langsam macht dieses Theater, Tagesgeschäft für Rallyefahrer, echt Spaß.

Die 124-Meter-Düne ist eine Herausforderung. Alle schaffen es und sind sich einig: Dünenfahren ist der Gipfel motorradfahrerischen Glücks. Wir surfen an den scharfen Windkanten entlang, Sandfontänen an den Hinterrädern, Endorphinfontänen im Körper. Müssen aber noch weiter nach Erfoud, durch die steinige „Hamada“-Wüste. Sandpassagen tauchen auf, mindern das Tempo nur unwesentlich. Märchenhotel in Erfoud, dann wieder endlose Weite, die Atlas-Ausläufer am Horizont. Plötzlich im Nichts ein Gebäude wie eine halbe Pyramide, die „Stairway to Heaven“, gebaut vom exzentrischen deutschen Künstler und Architekten Hansjörg Voth.

Ein paar Kilometer weiter wächst aus der Wüste das noch viel beeindruckendere Mega-Monument „Orions Stars“ vom selben Urheber, es erinnert an einen Palast auf einem fremden Planeten. Die ganze Landschaft wirkt wie ein fremder Planet. Das gilt auch für die Todra-Schlucht. Jedes Jahr wird die Straße von Hochwasser zerstört. Der Fluss führt auch jetzt noch Wasser, die KTM pflügen durch wie Jetskis.

Exklusiv in Johnnys GPS sind die Trails, die uns zurück über den Jebel Saghro führen. Eine Landschaft, zu genial, um sie zu beschreiben. Dann rein in den Atlas auf ein Hochplateau. Schön langsam durch mittelalterliche Berberdörfer. Die Kinder wollen mit, betteln um Stifte und Bonbons, wir kommen langsam, aber sicher in eine Art rauschhaften Genuss. Olli hatte Recht. Dies ist die grandioseste Tour, die wir Ruhrpottpenner je gemacht haben. Nicht nur der Körper ist ultimativ durchgerüttelt, auch die Seele ist für immer erschüttert.

Infos

Biebricher
Marokko - Hauptstadt: Rabat - Fläche: 446550 km2 - Gründung: Unabhängig 1956 - Währung: Dirham - Einwohnerzahl: 3200000 - Die Reisedauer: 7 Tage - Gefahrene Strecke: 1600 Kilometer.

Veranstalter:
Die Firma Moto Aventures wurde 1995 in Andorra gegründet und veranstaltet seitdem Offroad-Motorradtouren. Sie wird geleitet von John Griffiths, einem in Tansania geborenen und in Marokko lebenden Briten, und Su Downham, die aus Andorra stammt. Die ehemalige Dakar-Finisherin ist die Seele des Unternehmens. Der Wüstenoffroadern unter dem Namen Johnny Maroc bekannte Chef ist ein hervorragender Guide, der fünf Sprachen, aber kaum Deutsch spricht. Interessenten sollten daher Englisch verstehen. Moto Aventures bieten Offroad-Trips in Andorra, Marokko und Südafrika an, wo sie mit dem Schauspieler und Motorradfahrer Charley Boorman (Long Way Down) kooperieren. Die Firma unterhält eine Zweigstelle in Ouar zazate. Dort kümmert sich eine Crew um das Wohlergehen von Kunden und KTMs. John Griffiths hat seine Offroad-Routen in jahrelanger Arbeit ausgekundschaftet und hält sie für exklusiv. Seine Streckenkenntnisse und Offroad-Fahrtechniken sind extrem ausgeprägt.

Sicherheit:
Moto Aventures steht für eine professionelle Notfallversorgung. Die medizinische Ausrüstung des Begleitfahrzeugs erfüllt höchste Ansprüche. Selbst ein Defibrillator ist an Bord. John und Su sind ausgebildete Rettungssanitäter. Das extrem geländegängige Begleitfahrzeug ist auch in unwegsamstem Gelände spätestens nach zehn Minuten bei der Motorradgruppe. John steht in ständigem Funkkontakt mit Su im Begleitfahrzeug, das neben dem Land Rover 130 Pickup auch ein Toyota Landcruiser oder ein Mercedes Unimog sein kann. Alle Fahrzeuge sind speziell präpariert, führen Mechaniker, Ersatzteile, Getränke, Gepäck und ein halbes Hospital mit. Wir konnten uns vom hocheffizenten und professionellen Einsatz überzeugen. Jeder Tourteilnehmer erhält ein GPS-Gerät, auf dem die gefahrenen Routen gespeichert sind. Damit navigiert man in Extremfällen leicht zur Gruppe oder zum Tagesziel.

Übernachten:
Moto Aventures-Touren sind nicht billig, bieten aber im Gegenzug überdurchschnittliche Sicherheit und die besten Unterkünfte in den jeweiligen Reiseregionen. Im Falle der „Mountain and Desert-Tour“, die der Autor mitmachte, waren das traumhafte Hotels im Stile von Kasbahs (arabische Zitadellen) mit luxuriösen Zimmern, Klimaanlage, großen Pools und hervorragender Küche.

Motorräder:
Moto Aventures schwört auf KTM 450 EXC. Die Firma hat 19 Maschinen im Einsatz, die mit viel Aufwand technisch und optisch über eine Dauer von etwa drei Jahren auf Neuzustand-Niveau gehalten werden. Andere Fabrikate haben Tempo und Belastung nicht in gleichem Maße ausgehalten.

Adresse:
Alle Infos über die unterschiedlichen Touren, Termine und Preise unter www.motoaventures.com. Alle Marokko-Touren sind in 2011 aufgrund des 15. Jubiläums um 15 Prozent reduziert.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023