Machen wir uns nichts vor: Wir lieben es, zu planen. Eine Reise planen, wie aufregend! Selbst Leute, die das Planen nicht sonderlich schätzen, tun es. Zu denen gehöre ich. Deshalb sind meine Reisevorbereitungen zügig abgeschlossen. Rund ums Mittelmeer? Das wären rund 22000 Kilometer. Hinzu kommt die Fährpassage nach Marokko. Zwei Visa lasse ich noch in meinen Pass stempeln und damit ist es genug der Planung und Vorbereitung. Der Rest wird sich in den kommenden Monaten finden.
Die Provence, die Verdonschlucht und das Pyrenäenvorland reichen schon für mehrere Jahresurlaube. Diesmal sind sie die Aufwärmphase für meinen wintermürben Körper und die voll beladene HP2. Wann immer es geht, zweige ich auf Schotter und Sand ab, damit mich die Pisten Nordafrikas nicht so überraschen, wie vor ein paar Tagen die Böen des Mistrals. Gerade war ich von Marseille auf die Küstenstraße eingebogen, da wollte mir ein ungestümer Windstoß den Lenker aus den Händen schlagen. Die BMW torkelte kurz wie ein dreipromilliger Clochard über die gesamte Fahrbahnbreite, bevor ich wieder Herr des Fuhrwerks und meines Adrenalinpegels war.
Aber dann Spanien! Weil die Costas über weite Strecken zugebaut sind, weiche ich ins Hinterland aus. Kein Fehler, denn die Sierras machen Schräglagenjunkies high und Reifenhändler reicher. Jammerschade, dass die Gummidealer Südspaniens kaum grobe Pneus anbieten. So rollt die Enduro mit schnöden Straßenreifen auf die Fähre nach Marokko. Ein Missstand, den ich im sandigen Süden nur kurz bereue. Das Land am Atlas hat so viel zu bieten, dass ich die Sandkastenspiele getrost vertagen kann.
Kurz darauf muss ich meine knappe Reiseplanung revidieren: Algerien wird mein abgelaufenes Visum nicht erneuern und fällt damit als Etappenland in Richtung Osten aus. Zudem ist die Fährpassage zurück nach Spanien schon eine mehr, als es die natürlichen Gegebenheiten erzwingen. Am Ende der Reise werde ich 22 weitere Überfahrten zu Inseln und zur Umschiffung von Israel verbuchen. Ich tröste mich mit der Erkenntnis: Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.
Das Schiff, das mich nach Tunesien bringen soll, heißt Fantastic. Erfahrene Fährnutzer wissen, dass man die Qualität eines Schiffes nach den Toiletten beurteilt. Die meisten sind so schlimm, dass man sich nur erleichtert, wenn der Gang in die Fliesenabteilung unvermeidlich wird. Aufs Äußerste gefasst, öffne ich die Tür.
Sind wir mal ehrlich: Jeder hat schon eine erkleckliche Anzahl von WCs besucht. Aber hinter dieser Tür, die ich sofort wieder schließe, verbirgt sich eine neue Dimension. Ich wäge kurz ab zwischen Not und Scheu und trete ein. Der Typ ist vielleicht siebzig und steht vor dem mittleren Waschbecken. Seine Hose hängt in den Kniekehlen. In aller Seelenruhe besprenkelt er sein Genital mit Wasser, murmelt gebetsartig vor sich hin. Eine unbekannte Religion? Geschlechtskrankheit? Oder will er nur nicht von Mutti nach Monaten der Abwesenheit mangels Reinlichkeit aus dem Bett geworfen werden? Geschlechtskrankheiten heilt man nicht mit Wasser, und Mutti sollte nach Monaten unfreiwilliger Abstinenz nicht so pingelig sein. Bleibt also nur die Religion. Die Bruderschaft eines geheimen Phallusordens. Offenbar mangelt es an Mitgliedern, denn der Bruder ruft mir ein aufmunterndes "Monsieur, Monsieur!" hinterher, als ich etwas hastig die Entsorgungseinrichtung verlasse.
Elektrikproblem

Eine knochige Piste über den Djebel Biada verbindet das fruchtbare Nordtunesien mit den Salzseen und der Sandwüste im Süden. Ausgewaschene Rinnen und Trialpassagen halten das Tempo moderat. Und plötzlich geht die Geschwindigkeit sogar auf Null. Der Motor verstummt, vor der nächsten Steigung ist Feierabend. Der Anlasser sagt keinen Mucks. Bitte kein Elektrikproblem!
Es ist ein Quasi-Elektrikproblem: Das Gehäuse des Seitenständerschalters wurde von einem Stein demoliert, die drei Kabel, die hineinführen, sind ihres Kontakts beraubt. Na, die kann man ja provisorisch wieder zusammendrillen. Nur, welche Kabel gehören zusammen? Ich schwitze wie Bruce Willis in Armageddon bei dem Gedanken, die falschen Drähte zusammenzuklemmen. Kabelbrand aus Dusseligkeit! Die ganze HP samt Gepäck auf einer gottverlassenen tunesischen Piste abgefackelt! Das wäre eine Geschichte, mit der ich an den Lagerfeuern zwischen Köln und Kapstadt auftreten könnte. Aber Allah, Gott oder in wessen Zuständigkeitsbereich ich mich auch immer befinden mag, hat ein Einsehen. Eine Stunde später pappt ein Klumpen Gewebeband alle drei Drähte für den Rest der Fahrt zusammen.
Apropos Elektrik: Würden Sie Ghaddafi ein Atomkraftwerk - natürlich nur zur friedlichen Nutzung - überlassen? Frankreichs Präsident lässt für seinen neuen libyschen Freund eins springen. Ich weiß nicht, wie intensiv Nicolas Sarkozy Libyen kennt. Aber nach meinen ersten zwei Tagen im Wüstenstaat bin ich überzeugt, dass vor einer friedlichen Nutzung der Atomkraft zunächst die friedliche Nutzung des Straßenverkehrs durchgesetzt werden sollte. Als motorisierte Friedenstaube musste ich heute ordentlich Federn lassen und kann nur sagen: Nicolas, geh noch mal in Dich!
Über Ägypten kann man viel schreiben. Dass die Pyramiden jetzt eingezäunt sind, nachdem sie 4995 Jahre einfach so herumstanden. Oder, dass die Gastlichkeit am Nil genauso groß ist wie das Land und dass Kairo immer noch nicht an den eigenen Abgasen erstickt ist. Als eindrucksvollstes Ägyptenerlebnis kommt aber etwas ganz anderes auf mich zu. Und wie so oft, kommt es unverhofft und ungeplant.
300 Kilometer südlich der Mittelmeerküste blüht in der Wüste die Oase Siwa. Weil die Tageshitze fast Löcher in den Helm sengt, fahre ich durch die Nacht dorthin. Irgendwo zwischen der Oase und dem Meer mache ich eine kurze Pause. Mit dem Erlöschen des Abblendlichts wird es dunkel wie in einem Maulwurfstunnel. Aber dann kommt das Licht zurück. Eine Armada aus Sternen tapeziert den Himmel, und die gigantische Milchstraße berührt den Horizont. Der Blick aus dem Space Shuttle kann nicht besser sein.
Eine Woche später bugsiere ich die BMW auf die ausgebuchte Fähre nach Aqaba in Jordanien. Viele Ägypter nutzen den gerade angebrochenen Fastenmonat Ramadan zur Pilgerreise nach Mekka. An Bord herrscht gnadenloses Gedränge. Um mich abzulenken, fotografiere ich den Sonnenuntergang. "Excuse me, können sie ein Bild von mir machen?" Ola ist 20 Jahre alt. Ihre Haare hat sie säuberlich unter einem schwarzen Kopftuch geordnet. Ihre Mutter trägt zusätzlich einen Schleier vor dem Gesicht. Auch sie möchte fotografiert werden. Die braunen Augen sind von Wimperntusche und kleinen Fältchen umrahmt. "Ich kann den Schleier auch abnehmen." Ihr Lachen ist trotz des Schleiers zu sehen. Ich schlage vor, das Bild so zu machen, wie sie es möchte. "Gut, dann mit Schleier." Gerade sind wir fertig, als sich ein Mann aus der Menge der Pilger löst und aufgebracht auf die beiden Frauen einredet. Das gibt Ärger.
Trotz meines geringen arabischen Wortschatzes verstehe ich, dass der Mann im weißen Burnus wettert, es gehöre sich nicht für eine Frau, mit fremden Männern zu sprechen. Um den beiden Damen Unannehmlichkeiten zu ersparen, will ich mich verabschieden. "Nein, nein", unterbricht Ola. Mit einer verächtlichen Geste zum selbst-ernannten Sittenwächter meint sie: "Der hat uns nichts zu sagen." Ich bewundere das Selbstbewusstsein der beiden Frauen. Olas Mutter schließt für einen Moment die Augen. "Wenn wir uns alles gefallen lassen, wird sich nie etwas ändern."
Offroad-Etappen und Stadtgetümmel

Jordaniens Offroad-Etappen bringen mich an den Rand meiner Leistungsfähigkeit. Im Tiefsand des legendären Wadi Rum müht sich zwar wieder ein grobstolliger Hinterradreifen, aber der Pilot ist durch den Ramadan geschwächt, und der entschlossene Zug am Kabel fehlt. Nach dem dritten Mal Einsanden geht mir der Schweiß aus. Eine Tagesetappe später parkt die Enduro am Berg Nebo, von wo Moses das gelobte Land sah. Ich sehe, was er sah: das Tote Meer, die Wüste Negev und den dürren Streifen, der sich erst viele Kilometer später als das Grün des Jordantals erweist.
Wenn wir Religion mal kurz Religion sein lassen, kann ich mir einen Gedanken nicht verkneifen. Wäre einem auserwählten Volk nicht ein heimeligeres Stück Land angemessen gewesen als dieses Stück Wüste mit einem mausetoten See? Bayern, die Schweiz oder Südtirol vielleicht. Was hätte das nicht alles für Vorteile gehabt! Weihnachten müssten wir nicht mehr nur so tun, als ob das Jesukindlein in den verschneiten Alpen zur Welt gekommen sei. Den Palästinensern hätte niemand Land wegnehmen müssen, und die terroristische Hisbollah wäre nicht mehr als ein Wohlfahrtsverein. Aber so ist es anders. Jedes Mal zuckt die Weltgemeinschaft zusammen, wenn die Wirrköpfe des Nahen Ostens wieder Kain und Abel spielen.





Ausgerechnet Beirut, Hauptsitz der Hisbollah, gerät zur größten Überraschung meiner Reise. Das Stadtzentrum unterscheidet sich keinen Deut von einer europäischen Großstadt am Mittelmeer. Für den Gegensatz sorgt allerdings die schiere Menge an Ferraris und anderen Nobelschlitten. Da kann nur noch Monaco an der französischen Riviera mithalten. In Beirut spricht man arabisch, englisch, französisch, und downtown haben sich Armani, Joop, Alessi und alles was sonst noch teuer ist, breit gemacht. Ist das noch der Nahe Osten?
Mit der Einreise in die Türkei fühle ich mich schon fast wieder zu Hause. Auf dem Kalender herrscht schon Herbst, trotzdem kann ich immer noch mit offenem Visier an der formidablen Küste entlang cruisen. Göttlich! Chopperähnliches Gleiten ist bei Atatürks Söhnen ohnehin angesagt, denn das Speedlimit für Motorräder ist auf 70 festgenagelt. Wer schneller fährt, riskiert die letzten Taler der Reisebörse.
Der schwere Duft abgeernteter Felder liegt über dem Kanal von Korinth. 2500 Kilometer trennen mich noch von Marseille. Aber nach all den Kilometern hat die Distanz den Schrecken verloren. Im Gegenteil: Das Ende einer fantastischen Reise wird absehbar. Trotzdem ist es noch so weit entfernt, dass die Fahrt entlang der Adriaküste zu einem mehrtägigen Fahrrausch wird. Jeder Blick über den Lenker ist reif für eine Wandtapete. Jede Kurve ist ein Fest, aber noch gänzlich ohne Wehmut.
Ein Gramm Melancholie überkommt mich erst, als ich mit der HP2 auf der letzten Etappe in Marseille einrolle. Kann man neun Monate um das Mittelmeer fahren und der Reise dann am hektischen Puls Marseilles ein Ende setzen? Nein. Ich brauche einen Ort, wo nur das Meer ist und sonst nichts. Der ewig weite Strand von L'Espiguette ist so ein Ort. Ein letztes Mal zappelt der Lenker, als sich die abgefahrenen Reifen durch den Sand fräsen. Kein Mensch ist zu sehen. Nur der schwarz-weiße Leuchtturm, der Sand und die Brandung sind hier. In einer Stunde wird die Sonne untergehen. Aber vorher schreibt sie noch eine glühende Abschiedszeile in den Himmel über dem Wasser, das für neun Monate mehr oder weniger mein ständiger Begleiter war.
Infos zur Reise

Ein Trip rund ums Mittelmeer ist schon fast eine kleine Weltreise. Man kann die Runde schneller schaffen, doch das geht zu Lasten von Intensität, Vielfalt und Erkenntnissen!
Anreise:
Der Ausgangspunkt dieser Mittelmeerumrundung war Marseille. Sowohl von Köln als auch von München sind knapp über 1000 Kilometer bis zu Frankreichs ältester Stadt abzuspulen. Sowohl in Frankreich als auch in Italien wird auf den Autobahnen Maut fällig. Anreisezeit, Nerven, Reifen und Autobahngebühren können mit dem Autozug gespart werden (www.dbautozug.de) Als Zielbahnhöfe bieten sich Avignon (F) und Alessandria (I) an.
Reisezeit:
Das Mittelmeerklima wird von trockenheißen Sommern und milden, aber regenreichen Wintern bestimmt. Da für die Gesamtstrecke ein Minimum von zwei Monaten Reisedauer angesetzt werden muss, bieten sich Frühling oder Herbst als optimale Reisezeit an. Im Sommer erschweren neben der großen Hitze auch die Touristenströme das angenehme Unterwegssein.
Die Strecke:
Die geplante Route hätte rund 22000 Kilometer in Anspruch genommen. Durch ungeplante Umwege (Algerien musste umfahren werden) und viele Abstecher schwoll die Kilometerleistung auf 40000 an. Grundsätzlich kann die Route um das Meer auf Asphalt zurückgelegt werden. Abstecher oder reizvolle Alternativrouten, besonders in Nordafrika und im Nahen Osten, verlaufen oft über Schotter, teilweise durch Sand. Für Algerien, Libyen, Ägypten, Jordanien, Syrien und den Libanon sind Visa erforderlich. Nähere Informationen gibt es unter www.auswaertiges-amt.de. Außerdem verlangen Libyen, Ägypten und Syrien ein Carnet de Passage für das Motorrad. Nähere Informationen erteilen die Automobilclubs.
Übernachten:
Zeltplatz, Bed and Breakfast, Pensionen, Fünf-Sterne-Hotels oder die Nacht unter 1000 Sternen - entlang der Mittelmeerküste ist alles zu haben. Oft sogar gleich nebeneinander. Schwer wird sich nur tun, wer in Libyen Luxusherbergen oder in Beirut einen Campingplatz sucht. Eine besondere Möglichkeit offeriert die sogenannte "Couchsurfing-Community": Die Mitglieder, alle selbst Reisende, lassen an-dere Traveller konstenlos im eigenen Heim übernachten (www.couchsurfing.org).
Karten:
Detaillierte Karten für alle Regionen des Mittelmeers passen nicht aufs Bike. Deshalb wurden die nationalen Übersichtskarten von Michelin benutzt und für Nordafrika die Michelin-Karten 741 und 745 im Maßstab 1:400000 sowie die 1:200000er Karte "Naher Osten" (Freytag und Berndt).