Es geht bergab mit den Alpen. Hier auf 14 Grad und 30 Minuten östlicher Länge bäumt sich das Gebirge noch einmal auf, bevor es in den waldigen Hügeln Nordsloweniens verschwindet. Aber die östlichste Felsbastion hat es in sich: Bis auf 2558 Meter türmt sich der Grintovec in den Kamnisker Alpen auf. Der massive Klotz mit seinen hellgrauen Felswänden würde selbst in den Dolomiten eine gute Figur abgeben. Zu Füßen des Grintovec liegt der Seebergsattel. Er misst zwar nur 1216 Meter, aber die Nordrampe in Österreich bedeutet überirdische Fahrfreude.
Robert mit der 640er-KTM und meine Wenigkeit samt Ténéré turnen den Seebergsattel abwärts in die Ebene von Kranj. Dicht besiedelt, viel Verkehr, nicht gerade sehenswert. Doch kaum zehn Kilometer weiter endet die Moderne vor den Mauern von Skofja Loka, einer tausendjährigen Stadt mit denkmalgeschütztem Zentrum. Hier geht es nur zu Fuß weiter. Enge, mittelalterliche Gassen führen zum großzügigen Marktplatz, der eingerahmt wird von Bürgerhäusern, die von Wohlstand zeugen und bemalt sind.
Wir nehmen die Nationalstraße 403 ins Visier, die sich im beschaulichen Tal der Selscica in die Wälder des Mittelgebirges hinaufarbeitet. Bauern fahren die erste Heuernte des Jahres ein, trocknen sie auf den traditionellen Heuharpfen, den Kozolci. Es wird einsamer, der Fluss schmaler und wilder und die Berge höher. Mitten im Fichtenwald zweigt die 903 nach Bohinjska ab, klettert in sauberen Kurven zum Bohinjskopass auf 1277 Meter. Das Panorama dort oben zwingt zur Vollbremsung. Im Nordwesten ragen wie eine Mauer die Julischen Alpen auf, alles überragend der Triglav, mit 2864 Metern höchster Berg des Landes. Und ganz unten im Tal können wir schon den See Bohinjsko Jezero ausmachen.
Fast sieht es dort aus wie in den kanadischen Rockies: Die ruhige lange Wasserfläche, uralte Bäume am Ufer, und im Westen beenden 2000-Meter-Berge das Tal. Auf einem Campingplatz direkt am Wasser zelten wir und dürfen ein Lagerfeuer anzünden. Als uns der Campingchef erzählt, dass in den Wäldern am See Braunbären leben, ist die Kanada-Illusion vollends perfekt.

Der Triglav ist von hier zwar nur zwölf Kilometer entfernt, aber unsichtbar. Bis wir ihn wieder zu Gesicht bekommen, zeigen die Tachometer 60 Kilometer mehr an. 60 Kilometer, die es in sich haben. Von Bohinjska über die 905, 906 und 907 nach Mojstrana. Bester Teer, zwischendurch ein wenig Schotter und Kurven bis zum Abwinken. Schließlich biegen wir in das enge Vratatal. Die Piste kennt hier nur eine Richtung: bergauf, stellenweise mit 25 Prozent. Die Belohnung wartet am Ende der Sackgasse. Monumental steigt die Nordwand des Triglav auf, das helle Grau des Kalksteins geht ganz oben ins genauso helle Grau des Himmels über. Nur schemenhaft sind die Gipfel zu erkennen. Triglav bedeutet Dreikopf. Seine drei Spitzen symbolisieren in der slawischen Mythologie den dreiköpfigen Gott Triglaw, jeder Kopf mit individuellem Zuständigkeitsbereich: Himmel, Erde und Unterwelt. Außerdem heißt es, nur wer den Triglav besteigt, kann ein echter Slowene sein. Wir beschließen, nicht gerade jetzt Slowenen werden zu wollen, können also getrost umkehren und stauben zurück nach Mojstrana.
Ein kurzer Stopp im touristisch überlaufenen Bled - der Blick über den See zur Insel samt Kirche und Trutzburg vor den hohen Karawankenbergen lohnt - und wir verschwinden wieder im Hinterland. Klettern nochmal über den tollen Bohinjskopass und folgen dann der 403 westwärts bis Most am Ufer der Soca. Deren Anblick lässt uns an einen Chemieunfall glauben. Wie anders ließe sich diese Farbe erklären? Ein tiefes, künstliches Türkis. Die Soca entspringt in den Julischen Alpen, knabbert am kalkreichen Gestein und bekommt durch den gelösten Kalk ihre unwirkliche Farbe. Wir rollen flussabwärts bis zum Ort Kanal und biegen dort ab in die Berge. Die Karte zeigt eine weiße Linie, die entlang der Grenze nach Norden verläuft. Sie kurvt als schmaler Weg durch Wälder und Felder, durch winzige Orte wie Lig, Kambresko und Jeza, es geht ständig hoch und runter und schließlich als Grenzkammstraße mit weiten Blicken nach Italien und in die Julischen Alpen. Volltreffer.
So weit, so schön. Aber dann konfrontiert uns eine große Infotafel mit dem dunkelsten Kapitel der Soca-Geschichte: den zwölf Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg. Insonzo ist der italienische Name der Soca. Zwei Jahre lang bekämpften sich Österreicher und Italiener entlang des Tals in einem erbarmungslosen Stellungskrieg, über eine Million Soldaten brachten sich gegenseitig um, manchmal nur um ein paar Meter Terrain zu erobern. Angesichts der restaurierten Schützengräben, Bunker und Stellungen macht sich Fassungslosigkeit breit.

Etwas mitgenommen von der brutalen Geschichtsstunde entern wir unsere Einzylinder und rollen nachdenklich bis Kobarid. Die Nähe zu Italien ist hier unübersehbar. Palmen, Oleander und Agaven, Cafés und Eisdielen auf dem lebhaften Platz, enge Gassen und zahlreiche Roller verbreiten mediterrane Atmosphäre. Kobarit ist neben Bovec das Zentrum für adrenalinförderne Outdoor-Sportarten. Kajakfahrer finden auf der Soca ihr Paradies, sie zählt zu den begehrtesten Wildwasserflüssen weltweit, und Agenturen bieten Canyoning, Paragliding, Mountainbiking und Bergsteigen an. Dementsprechend jung ist das Publikum entlang der Soca. Nur Motorradfahren ist nicht im Angebot.
Aber dafür sorgen wir schon selbst, suchen die Piste über den Stol. Kurz vor der italienischen Grenze zweigt eine unscheinbare Spur ab, die rostige Schranke steht einladend offen. Mäßig steil zieht sich der Weg durch dichten Buchenwald bergan, taucht erst weit jenseits der 1000 Meter aus dem Forst. Dann aber verwandelt sich die Piste in eine Panoramastraße der Extraklasse.
Im Norden und Osten ragen die Julischen Alpen auf, die Gipfel noch verschneit. Auf der weitläufigen grünen Passhöhe stören nur ein paar bimmelnde Ziegen die absolute Ruhe. Bisher war der Weg ein Kinderspiel, aber das ändert sich auf der Südrampe. Tausend Meter Gefälle, verdammmt enge Kehren sowie weicher, dicker Schotter fordern volle Konzentration. Da bleibt kaum Zeit für einen kurzen Blick über die steilen grünen Hänge, deren grasiger Teppich im Gegenlicht leuchtet.
Wir landen wieder in Kobarit und peilen gleich den nächsten Höhepunkt an, die Mangartstraße. Oft wird sie als eine der schönsten Straßen der Ostalpen bezeichnet. Am Predilpass zweigt die Spur zum Mangart ab. Kaum zwei Kilometer weiter taucht die Straße in den Buchenwald, vollführt eine 180-Grad-Kehre - und endet in einer Schneewand. All die Vorfreude auf die Mangartstraße wird von dieser eisigen Barriere schockgefrostet. Der Frust löst bei Robert eine Verzweiflungstat aus, er greift den weißen Wall an, baggert sich mit der TKC 80-bereiften KTM durch und erreicht tatsächlich festen Boden. Er verschwindet hinter der nächsten Kurve und ist schnell wieder zurück: "Vergiss es. Noch viel mehr Schnee." Damit hatten wir im Sommer nicht gerechnet, doch der letzte Winter brachte den Ostalpen Rekordschneemengen.

Also umkehren, zum Predilpass und wieder runter ins Socatal. Der Fluss strömt mal ganz ruhig dahin, dann wieder ungestüm wild. Kleine Orte, rustikale und uralte Holzscheunen, wackelige Hängebrücken. Pure Alpenidylle. Kurz hinter Trenta beginnt der Aufstieg zum Vrsicpass. Der spektakuläre 50-Kehren-Pass wurde im Ersten Weltkrieg von 12 000 russischen Zwangsarbeitern als Nachschubweg zur Isonzofront über die Berge gelegt.
Die Südrampe ist kurvig, toll zu fahren, aber erst nach der Passhöhe auf 1611 Metern beginnt das Spektakel. Die Abfahrt hat es in sich, gepflasterte Kehren, bei Nässe ein reibungsarmes Vabanquespiel. Aber nicht etwa das Pflaster haut uns aus den Sätteln, sondern die Aussicht in die Berge. Hier laufen die Julischen Alpen zur Hochform auf: kilometerhohe senkrechte Wände, zerklüftet, zerfurcht, kantig, gewaltig und abweisend, durchaus auf dem Spitzenniveau der Dolomiten. Und über allem thront der schroffe Triglav. Die slowenischen Alpen sind fürwahr der krönende Abschluss von Europas schönstem Gebirge.
Infos

Slowenien, seit 2004 Mitglied in der EU, ist klein, vereint aber Mittelmeerstrände und Alpengipfel. Kein Wunder, dass Motorradfahrer hier ein großartiges Revier vorfinden.
Anreise:
Die schnellste Route nach Slowenien führt über München, die A 8 bis Salzburg und weiter über die mautpflichtige österreichische A 10 durch den Tauerntunnel bis Villach. Von dort über den Wurzenpass nach Slowenien. Für die lange Anfahrt aus Nord- und Westdeutschland bietet sich die Nachtfahrt mit dem Autozug an. Pro Person und Motorrad kostet die einfache Fahrt beispielsweise von Düsseldorf bis Villach je nach Saison ab 186 Euro. Ebenfalls möglich ist die Anreise bis Triest. Infos unter DBAutozug, Telefon 01805/241224 oder unter www.dbautozug.de
Reisezeit:
Die schönste Zeit für Slowenien liegt zwischen Mai und Oktober. Im Mai kann zwar die Mangart-Straße noch im Winterschlaf sein, dafür sind die hohen Berge noch fotogen verschneit, und in den Tälern blüht der Frühling. Im Sommer kann es bis 35 Grad heiß werden, zudem ist im Juli und August Hauptsaison. Ruhiger wird es wieder im September.
Aktivitäten:
Die Alpen und das Socatal sind auf alle denkbaren Outdoor-Aktivitäten eingestellt. Vor allem Wildwasserfreunde finden auf der Soca ihr Paddel-Paradies. Daneben gibt es Angebote für Gleitschirmfliegen, Paragliding, Skydiving, Bergsteigen, Wandern, Canyoning oder Mountainbiken. Die meisten Agenturen logieren in Kobarid und Bovec. Infos auf den Internetseiten.
Unterkunft:
Der Nordwesten des Landes ist touristisch voll entwickelt. Dementsprechend werden alle Kategorien von Unterkünften angeboten, vom Campingplatz bis zum Fünf-Sterne-Hotel. Das Preisniveau hat sich inzwischen demjenigen von Mitteleuropa nahezu angeglichen.
Literatur:
Empfehlenswert sind die beiden Slowenien-Reiseführer aus den Verlagen Michael Müller und Reise Know How für jeweils 19,90 Euro. Als gute Karte bewährte sich das Slowenien-Blatt von Freitag & Bernd im Maßstab 1:150000 für 9,95 Euro
Internet:
www.slovenia.info, www.emerald-trail.com, www.dolina-soce.com, www.julijske-alpe.com, www.bovec.si Slowenisches Fremdenverkehrsamt, Maximiliansplatz 12, 80333 München, Telefon 089/29161202.