Da schickt ein Mineralölkonzern Motorradfahrer in die Wüste - und die wehren sich nicht einmal. Kein Wunder, schließlich durften sie als Gewinner die schönsten Strecken Marokkos selbst erfahren.
Da schickt ein Mineralölkonzern Motorradfahrer in die Wüste - und die wehren sich nicht einmal. Kein Wunder, schließlich durften sie als Gewinner die schönsten Strecken Marokkos selbst erfahren.
Die Fuhre steckt fest. Das Hinterrad hoffnungslos in samtigem, tiefem Sand eingebuddelt, schwitzende Motorradfahrer versuchen, die gestrandete BMW wieder flott zu machen. Ein Beduine gesellt sich dazu, passend zur gesamten Szenerie der rötlich schimmernden Sahara-Dünen. Es ist anzunehmen, dass der Beduine von Endurobereifungen ungefähr so viel Ahnung hat, wie die havarierten Motorradfahrer von Kamelen, aber eins weiß der Mann: So kommt man die steil aufragenden Dünen ganz bestimmt nicht hoch. Florian war das eigentlich auch bewusst, aber etwas zwang ihn, einen Versuch zu wagen - trotz flacher Tourenprofile. Mitten in die Dünen zu surfen, das war schon lange sein Traum. Und der Erg Chebbi bei Merzouga im marokkanisch-algerischen Grenzgebiet ist eine märchenhafte Dünenlandschaft, in der dies möglich ist. Später, es ist schon Nacht, sitzt der 21-jährige Offset-Drucker unter freiem Wüstenhimmel auf einem Berberteppich. Lagerfeuer vor sich, gezuckerten Minztee in der Tasse, den Vollmond über sich, der das schier endlose Sandmeer um ihn herum fahl beleuchtet. Ein leiser Wind streicht über den Dünenkamm. Florian lächelt zufrieden.
Ein paar Tage zuvor: Nick Sanders, Rekord-Motorradglobetrotter und Markenbotschafter von Shell versammelt in einem Hotel im spanischen Algeciras zehn Motorradfahrer um sich, hält eine Marokko-Karte hoch. Nick springt zwischen ihnen hin und her wie eine Rennmaus, begeistert, begeisternd. Er erklärt nicht, er predigt: "Die kommenden Tage werden euch verändern. Vielleicht nur ein bisschen, aber ihr werdet nicht als die nach Hause kommen, die ihr wart. Saugt alle Eindrücke auf, lasst euch auf die Menschen und Situationen ein! Es wird euch einiges abverlangen, aber ihr werdet auch Neues lernen. Freut euch auf die Strecken, die vor euch liegen. Marokko ist ein großes Abenteuer. Cheers!" Der exzentrische Brite mit zerzaustem Haar und löchrigem Pullover hebt ein Bierglas, die Motorradfahrer prosten ihm zu, einige noch etwas skeptisch.
Einige Wochen zuvor: Florian und neun weitere glückliche Auserwählte, die sich gegen 5000 Wettbewerber durchgesetzt haben, werden am Nürburgring zu Siegern der Shell V-Power-Challenge 2010 gekürt. Mitmachen konnte jeder Motorradfahrer, der sich den so genannten V-Power-Bikern im Internet angeschlossen hatte. Nominiert wurden 29 Kandidaten in einem Online-Voting, die dann vor den Augen kritischer Juroren und Fahrtrainer um die zehn begehrten Tickets nach Marokko kämpften. Zur Challenge, zur Herausforderung, zum Abenteuer. Nun sind sie dabei, und das Abenteuer beginnt gleich an der Grenze zu dem nordafrikanischen Land. Die Teilnehmer, alle unterwegs auf verschiedenen Leih-BMW und -Yamaha, rollen vom Fährhafen in Ceuta zum marokkanischen Grenzhäuschen, als Männer in Kapuzenkleidern auf sie losstürmen. Alle reden durcheinander und bieten kauderwelschend ihre Dienste an.
Was wollen die? Völlig unklar. Der eine verlangt die Pässe, der nächste möchte was verkaufen, ein Dritter vertreibt die ersten beiden. Weitere Kapuzenmänner kommen angeströmt. Chaos. Reiseführer Nick steigt gelassen von seiner R1 und schüttelt den Männern die Hand, lacht sie mit strahlenden Augen an, murmelt etwas, das vermutlich nicht mal er selbst versteht, und wenige Minuten später ist alles geklärt. Zumindest das meiste. Nick ortet den Chef der Grenzstation, einen der Kapuzenmänner. Der erteilt uniformierten Grenzbeamten nun Anweisungen, und eine runde Stunde später werden alle Pässe und der übrige Papierkram abgestempelt. Endlich los, doch kaum starten die Motoren, kommt ein weiterer Kapuzenmann und hält forsch die Gruppe an. Problem: Auf den Motorrädern haften Aufkleber mit einem Umriss von Marokko, doch da fehlt die West-Sahara, ein Territorium, welches das Königreich Marokko für sich beansprucht, was allerdings umstritten ist. Bevor sich die Reisenden auf politische Diskussionen einlassen (auf die der strenge Kapuzenmann schon mal gar keine Lust hat), knibbeln alle Fahrer die Aufkleber lieber runter. Der Grenzbaum geht hoch. Willkommen in Afrika!
Eine Challenge ist ein Wettstreit. Bei der V-Power-Challenge geht es jedoch nicht darum, möglichst schnell unterwegs zu sein oder in Rallye-Manier durch die Wüste zu fegen. Nick Sanders reist bei seinen Rekordfahrten zwar im Eiltempo durch aller Herren Länder, aber im Grunde genommen interessiert ihn anderes. Jedes Land hat seine eigene Färbung, klingt anders, riecht anders. Motorradfahren mit allen Sinnen, das reizt den 53-jährigen Briten, danach ist er offensichtlich süchtig. Bei der V-Power-Challenge möchte er bei den Teilnehmern diese Passion fördern, das ist seine Mission.
Und tatsächlich, Marokko schmeckt, klingt und riecht im Minutentakt komplett anders. Mal ätzt einen der Gestank von verbranntem Müll und Kadavern fast die Schleimhäute weg, dann duftet es plötzlich nach Minze und Koriander, nach Räucherstäbchen und auf Holzkohlen gegrilltem Lammfleisch.
Im Millionenmoloch Marrakesch scheint der liebe Gott (oder war es Allah?) sämtliche Fortbewegungsmöglichkeiten für den Straßenverkehr wohl gleichzeitig vom Himmel her ausgeschüttet zu haben: Karren, Kutschen, Trecker, Mopeds, Roller, Zweitakt-Dreiräder, fünf Meter hohe, völlig überladene Lastwagen, Limousinen, verrostete Lieferwagen, sportlich-schicke Geländewagen mit getönten Scheiben, japanische Rennmaschinen. An Kreuzungen und Kreisverkehren stehen wichtig gestikulierende Polizisten in Uniform, die im Stakkato in ihre Trillerpfeifen blasen, doch an solchen Nadelöhren gilt nur eine Regel: irgendwie durchmogeln. Es ist laut, Taxifahrer streiten sich, Autos hupen, Baumaschinen dröhnen, Kinder kreischen, aber außerhalb der Städte, in den Bergen oder der Wüste, ist es zuweilen irritierend still.
Ödnis, dann wieder zauberhaft grüne Landschaften mit Dattelpalmen und Olivenhainen. Bettler, schäbige Verkaufsstände, kurz darauf bunt und prächtig gekleidete Kopftuchfrauen und noch prächtigere Kasbah-Bauten (arabische Festungs- oder Burganlagen) inmitten fruchtbarer Oasen. Kontraste, die man auch im Vorbeifahren gut wahrnimmt. Abwechslungsreich, spannend. Aber warum macht gerade jetzt das Wetter Kapriolen? Eigentlich ist es zu dieser Zeit noch sehr sommerlich, doch nun rollt die Motorrad-Karawane rund um Nick Sanders durch ein breitbandiges Tiefdruckgebiet, das sich quer über das Atlasgebirge gelegt hat. Fünf Grad, Dauerregen. Die Straßen sind gemein glitschig.
Challenger Dietmar, 46, Ingenieur und auch zu Hause auf R 1200 GS unterwegs, würde am liebsten die Leih-Gummikuh abstellen, hofft aber nach jeder Passhöhe auf Besserung der Lage und denkt wie wohl jeder Fahrer: "Verdammt, die Wüste ist doch so nah, wann kommt die Sonne endlich raus?" Willi ist hinter der Verkleidung der BMW F 800 ST trotz wochenlanger, akribischer Vorbereitung auf die Tour mit seinem Rossi-Replica-Jäckchen falsch gekleidet. Klitschnass und zähneklappernd streift er über seine durchweichten Sommerhandschuhe Plastiktüten und rettet sich von Kurve zu Kurve. Über 500 Kilometer stehen auf dem Tagesplan.
Der letzte große Höhenzug im Atlas ist zum Glück noch vor Sonnenuntergang genommen, und nun geht es schnurgerade durch eine karge Steinwüste. Einsam. Oder auch nicht: Unglaublich, aber im scheinbaren Niemandsland kreuzen unbeleuchtete Fahrräder die Fahrbahn, tauchen wie aus dem Nichts Fußgänger (wieder Kapuzenmänner) auf, Esel und kläffende Köter (natürlich auch unbeleuchtet) belagern die Fahrbahn. Klapprige Autos und Lastzüge (wenigstens mit funktionierendem Standlicht) preschen entgegen, oder schlimmer noch, fahren dicht auf und setzen zum Überholen an. Doch irgendwann ist auch diese strapaziöse Etappe geschafft, und nach elf Stunden im Sattel sind alle einfach nur froh, endlich im Hotel anzukommen. Ein wunderschönes Kasbah- ähnliches Lehmgebäude - mit Kamin! Bei süßem Tee, würzigem Couscous und der Aussicht, dass es in der Wüste selten länger regnet, ist Zeit zum Runterkommen.
Matthias, 44, IT-Servicemanager und Vollblut-Motorradfahrer, stellt fest: "Das ist keine Biene-Maja-Tour. Auch wenn die Straßen gar nicht so schlecht sind wie erwartet. Immerhin viel Asphalt, aber Schlaglöcher, Sand und Kies in den Kurven fordern ABS und Traktionskontrolle heraus." Jonathan musste sich einer anderen Herausforderung stellen: Zum Reisekumpel Florian hatte der 19-jährge Azubi bei einem Fotostopp den Anschluss verloren und war an einer Abzweigung ohne es zu bemerken gen algerischer Einöde abgebogen. Die Straße entwickelte sich irgendwann zur windigen Spur im Wüstensand. Also kehrte der Führerscheinneuling nach 100 Kilometern Irrfahrt lieber um und verfolgte mit 34-PS-Drosselung verzweifelt im Alleinritt die Gruppe. Für Jonathan, der bis zu dieser Reise noch nicht einmal in einem Flugzeug gesessen hatte, ein großes Abenteuer.
Und die Erleichterung, als er den Anschluss wieder findet, ist ihm noch größer ins Gesicht geschrieben. Auf unterschiedliche Weise wird jeder Teilnehmer gefordert. Toddy etwa ist eigentlich ein reiner Rennstrecken-Motorradfahrer und zum ersten Mal überhaupt im Landstraßenmodus unterwegs. Der 37-jährige Versicherungskaufmann muss sich nun komplett umstellen, zumal die königlichen Straßenwächter gelegentlich auch mit Laserpistolen auf Temposünder schießen. Zimmergenosse Thiemo, 34, Immobilienmakler, muss wiederum jede Nacht mit Toddys Schnarchen fertig werden. Und Willi, ja der Willi, der hat nur ein Ziel: "Selbst wenn bei einem Wettbewerb insgesamt nur drei Teilnehmer dabei sind, werde ich Vierter. Diesen Fluch will ich nun brechen." Es gibt bei dieser Challenge zwar keine Gegner, aber Ruhrpott-Original Willi kämpft als moderner Ritter von trauriger Gestalt mit seiner zweizylindrigen Rosinante dennoch gegen alle nordafrikanischen Unbilden an: böse Magen-und Darm-Viren, hinterhältige Sandverwehungen auf dem Asphalt und dunkle Gestalten, die einem bei jedem Stopp Kristalle, Fossilien beziehungsweise komplett wertlose Steine für seine edlen Euros aufschwätzen wollen.
Doch so unterschiedlich die Teilnehmer auch sein mögen: Das gemeinsame Erlebnis vereint sie. Florian schaut hoch zum freien Himmel über der Wüste. Ein Traum von Tausend und einer Nacht ist wahr geworden, auch wenn er letztlich nicht auf der BMW, sondern auf dem Rücken eines Kamels (um korrekt zu sein: eines Dromedars) hierher gelangt ist. Manche lassen den feinen Sahara-Sand spielerisch durch die Finger rieseln. Alle plauschen freundschaftlich und leise miteinander, der Stille in der Wüste ehrgebietend. Ein Berber aus Merzouga berichtet von den Tücken, mit vier Frauen verheiratet zu sein. Es sei zwar ganz praktisch, wenn Aisha schon mal Wasser zum Baden anschleppt und Fatimah kocht, während Noura und Yasmin die Betten machen. Wenn der Mann dann aber in der Nacht die jüngste und hübscheste Frau beglücken möchte, muss er an den Folgetagen auch bei den drei weniger ansehnlichen die Ehepflichten erfüllen. Das würde mit zunehmendem Alter leider nicht einfacher, seufzt der Berber. So lernt man auf Reisen in ferne Länder: Leben kann so anders sein. Tourguide Nick Sanders schaut in die lachenden Gesichter seiner Mitstreiter und weiß in diesem Moment: Mission erfüllt.
Kostenlos mit Shell durch Marokko ist natürlich ein Privileg, das nur den Gewinnern der Challenge vorbehalten war. Mit Nick Sanders darf aber jeder mit. Pauschal und mit Abenteuer-Garantie.
Die Tour:
Für die V-Power-Challenge hat Nick Sanders zwei seiner "Kurztrip-Expeditionen" (bis 13 Tage) nach Marokko kombiniert. Highlights wie die größten Sanddünen Nordwestafrikas (Erg Chebbi), der Tizi-n-Tichka-Pass über den Atlas sowie ein Stopp in Marrakesch sind fixe Programmpunkte. Für Motorradanfänger ist diese Reise zu anspruchsvoll, zumal eine gute Beherrschung der Maschine auch in unvorhergesehenen Situationen (verschneite Passstraßen, Sandverwehungen etc.) unabdingbar ist. Optimal ist sie für weltoffene Fahrer, die als Pauschaltourist im "abgesicherten Modus" mit dem Motorrad ein buntes Entwicklungsland bereisen möchten. Mit genügend Freiräumen, um Land und Leute kennenzulernen. Kosten pro Person: ab rund 1750 Euro. Service: Tourguide, Übernachtungen und Begleitfahrzeug für Pannen und Notfälle. Infos unter www.nicksanders.com.
Fahren und Gefahren:
Der Verkehr in- und außerhalb der Städte birgt für Motorradfahrer einige Gefahren: viele Tiere und Fußgänger auf der Fahrbahn, und teilweise leider auch waghalsige Autofahrer. Auf der Challenge 2010 wurde ein Teilnehmer komplett schuldlos durch einen außer Kontrolle geratenen Lieferwagen von der Straße geräumt und schwer verletzt. Glücklicherweise war nach wenigen Minuten Nick Sanders' Crew inklusive Ärztin zur Stelle und konnte den Verletzten versorgen. Am nächsten Tag wurde der Verunfallte mit Hilfe des ADAC ausgeflogen und konnte zu Hause operiert werden, so dass er noch mal mit einem blauen Auge (bzw. ein paar Brüchen) davonkam. Vertrauen erweckende Krankenhäuser liegen je nach Streckenabschnitt auch mal mehrere Fahrstunden entfernt. Alleinreisende sollten sich daher unbedingt entsprechend absichern (Mobiltelefon, Reiseversicherungen, Notfallnummern)! Nicht vergessen: Bei Reisen in Afrika können selbst kleine Pannen und Stürze schon zu größeren Schwierigkeiten führen.
Übernachten und Essen:
Die Hotels auf der Tour bieten westlichen Standard und ausreichend Komfort. Frühstück und Abendessen sind reichhaltig und günstig. Insbesondere landestypische Speisen wie würziger Couscous oder Tajine (im Tontopf geschmortes Fleisch und Gemüse) sind der Hit. Ansonsten bieten Straßenstände auch warme Snacks, die mitunter jedoch gewöhnungsbedürftig sind (und teilweise hygienisch bedenklich). Alkohol gibt es in Hotels mit internationalem Publikum, ist aber teuer (0,25 l Bier ca. 3,50 Euro). Extrakosten für Essen und Trinken: rund 30 Euro pro Tag.
Geld:
1 Euro = 11 Dirham. Banken und Geldautomaten finden sich in größeren Städten, bare Euros werden auch in ländlichen Gebieten angenommen und getauscht.