Weltreise

Weltreise 6 Jahre Ferien

Im Jahr 1981 bricht der damals 21jährige Klaus-Peter v. Ohlen gemeinsam mit zwei Freunden nach Afrika auf. Fünf Monate unbezahlter Urlaub sollten dem gelernten Schlosser reichen, um sein Fernweh zu stillen. In Südafrika angekommen, kündigt er seinen Job - und kehrt erst nach sechs Jahren wieder heim. 165000 auf allen Kontinenten zurückgelegte Kilometer haben einen Menschen verändert.

Die Packliste für v. Ohlens XT 500 wäre für das Überleben nach einem Atomkrieg geeignet gewesen: Bundeswehr-Parka, Gummistiefel, Benzinkocher, zehn Kilo Maggiwürfel, zwei Hinterrad-, ein Vorderradreifen, Zylinder und Kolben, 15 Tafeln Schokolade, ein Gummiboot, eine Flasche Sekt, zehn Paar Strümpfe, zwölf T-Shirts, acht Kilo Nudeln. »Eigentlich wollte ich damals nur die Sahara durchqueren«, erinnert sich der 36jährige Schlosser heute schmunzelnd. »Fast zwei Jahre lang hatte ich einen MOTORRAD-Artikel über eine Reise durch die algerische Sahara mit einer Yamaha XT 500 in meinem Portemonnaie mit mir herumgetragen. Wir glaubten, daß wir es mit dieser Ausrüstung bis an die Westküste Afrikas schaffen könnten.« Doch die Vorbereitungen für eine derartige Tour waren 1981 praktisch Pionierarbeit: Informationen über Motorrad-Fernreisen und entsprechende Reisemagazine gab es kaum. Einfach losfahren, hieß die Devise, natürlich auch auf einer XT 500 - sie galt bereits damals als zuverlässiger Packesel. Fünf Monate unbezahlter Urlaub sollten reichen.»Anfangs waren wir zu dritt. Keiner von uns hätte sich getraut, allein aufzubrechen. Die Erinnerungen an einen gemeinsamen Urlaub in Rimini waren unsere Basis, die Wüste zu durchqueren.« Doch nicht alles lief nach Plan. Kurz vor Agadez brach sich einer bei einem Sturz das Kniegelenk und mußte zurück nach Deutschland transportiert werden. V. Ohlen ist geschockt, fährt aber mit seinem verbliebenen Reisepartner weiter. Nach 13 Wochen stehen sie an der Westküste Afrikas. Das geplante Ziel war somit eigentlich schon erreicht.»Ich wollte mit ein paar Leuten noch bis Ostafrika mitfahren«, bemerkt v.Ohlen. »Doch irgendwo in Tansania wurde mir bewußt, daß ich nicht mehr in einer Gruppe reisen konnte, mich nicht mehr dem Tempo und der Ziele meiner Partner anpassen wollte, sondern begann, nach meinem eigenen Rhythmus zu reisen.« Zeit spielte kaum noch eine Rolle, einzig seine Entdeckungslust treibt ihn durch den afrikanischen Kontinent. Bis nach Kapstadt: »Es ist die Sehnsucht, nach etwas Unsichtbaren greifen zu wollen, was vor einem liegt.«Nach 33000 afrikanischen Kilometern entdeckt er in einem Buchladen in Kapstadt eine Weltkarte und blickt auf den Kontinent, den er in sieben Monaten durchquert hat. »Es ist schwer, meine Gefühle in diesem Augenblick zu beschreiben«, so v. Ohlen nachdenklich. »Ich war einfach so ohne große Vorbereitung aufgebrochen. Fünf Monate hatte ich eingeplant und stand nun nach sieben hier unten in Südafrika. Die Erkenntnis, daß man noch immer weiterfahren könnte, war wie eine Faust, die mein Herz umklammerte und es schüttelte. Afrika sah auf der Karte im Verhältnis zum Rest der Erde so klein und mickrig aus. Ich wollte einfach mehr sehen.«Mit einem Brief kündigt v.Ohlen seinen Arbeitsplatz und findet einen neuen Job in Johannesburg. Nach sechs Monaten reicht das Geld, um wieder losfahren zu können. Er gönnt sich zwölf Wochen »Urlaub« in Südafrika, durchquert das von Apartheid und Diskriminierung gezeichnete Land im Zickzackkurs, bevor er sich im Hafen von Durban auf die Suche nach einem Schiff mit Ziel Australien macht. Der erste Kapitän, der schließlich bereit ist, ihn mitzunehmen, fährt jedoch nach Südamerika. V. Ohlen überlegt nicht lange. Zwei Wochen Zeit bleiben ihm während der Überfahrt, um Spanisch zu lernen, und im April 1983 steht er mit seiner XT in Buenos Aires. »Argentinien traf mich wie ein Schlag ins Gesicht«, erinnert er sich. »Ich wußte praktisch nichts über Südamerika, hatte weder Reiseführer noch genaues Kartenmaterial und ließ mich mit der XT in den Tag hineintreiben - ich kam mir vor wie in einem kleinen Boot auf dem Ozean.«Doch genau durch dieses »Treiben lassen« ist er angewiesen auf die Menschen, denen er begegnet, auf ihre Hilfe und Wegbeschreibungen, die sich freilich manchmal für ein Motorrad als ungeeeignet erweisen. In Brasilien wird er auf eine 600 Kilometer lange Dschungelpiste geschickt, wo er im knietiefen Morast gerade mal einen Kilometer pro Tag schafft. »Sicherlich gab es viele Höhen und Tiefen auf meiner Reise«, sagt der 36jährige heute. »Aber ich habe immer versucht, jeden Augenblick zu genießen, ihn als ein Geschenk zu sehen, das mir das Leben gibt.«Ein Jahr später rollen die Räder seiner XT auf nordamerikanischem Boden. In seiner Reisekasse klafft ein Loch, das er mit Hilfe kleiner Jobs zu stopfen versucht. Doch die Bezahlung als Tagelöhner ist kläglich. Und die Begegnungen mit Menschen sind weit weniger herzlich als in Südamerika. Immer öfter taucht das Gefühl von Einsamkeit auf. Im Hafen von Los Angeles beschließt er, einen ehemaligen Arbeitskollegen aus Südafrika zu besuchen. Ein Deutscher, der inzwischen in Neuseeland lebt. Auf dem nächsten Frachter heuert er an.Völlig pleite erreicht er Neuseeland. Er beschließt, »etwas länger« zu bleiben und nimmt schließlich für ein Jahr einen Job bei einer Ölraffinerie an. »Schon damals hatte ich die Idee auf dem Landweg wieder heim zu fahren,« erzählt v.Ohlen. »Nach all der Zeit unterwegs hatte ich niemals vergessen, wo mein Zuhause war. Doch ich wollte mir einfach Zeit lassen. Meine Heimat kann mir nicht weglaufen, sagte ich mir immer wieder.« Er reist noch vier Monate durch Neuseeland, ehe er nach Australien übersetzt. »Ich vermied es, mit Flugzeugen die Ozeane zu überqueren. Das Gefühl, anzukommen statt einfach nur dazu sein, war mir wichtig.«Langsam zuckelt er auf seiner XT über die niemals enden wollenden Tracks des Outbacks und wird von den Bewohnern der menschenleeren Einöde als »charmanter Verrückter« überall gern aufgenommen. Nicht nur die Aussies wundern sich über seine mittlerweile beachtliche Gepäckansammlung. »Ich konnte mich so schlecht von irgend was trennen«, lacht v. Ohlen. »Meine XT und die Dinge, die ich stets dabei hatte, waren meine kleine Welt.« Er läßt sich treiben und ist beeindruckt von der Gelassenheit und dem positiven Lebensgefühl der Australier. Zum Zeitvertrieb nimmt er in Perth für zwei Monate einen Job als Schlosser an. Aber die letzte Etappe lockt. »Ich hatte mir das Ziel gesetzt, einmal ganz um die Erde herum zu fahren, und als Heimweg blieb nur noch die Route über Asien übrig.«Nach einem kurzen Abstecher nach Indonesien erreicht er Sri Lanka. Sein Plan, die Fährverbindung von hier zum Festland nach Indien zu benutzen, scheitert jedoch. Tamilische Terroristen sprengen die Fähre. Er muß zum ersten Mal auf seiner Reise fliegen. Auf einem kleinen indischen Flughafen verläßt v. Ohlen das Flugzeug, nicht jedoch seine XT, da keinerlei Möglichkeit zum Entladen der Maschine besteht. V. Ohlen bemerkt dies erst, als die Propellermaschine mit seinem Motorrad schon wieder abhebt. Verzweifelt steht er auf dem Rollfeld und blickt seiner Begleiterin hinterher. »Das war der absolute Tiefpunkt meiner Reise«, so v.Ohlen. »Auf einmal wurde ich mit einer Hektik konfrontiert, der ich fast vier Jahre lang aus dem Weg gegangen war. Ich hatte gerade eine Malaria-Infektion hinter mir und nur noch den Wunsch, meine XT zurückzubekommen und weiterzufahren. Heraus aus dem Chaos der Großstädte, zurück auf meine kleinen, einsamen Straßen.« Auf ihnen flüchtet er - schließlich doch wieder auf seiner Yamaha - in Richtung Nepal. Je näher er seiner Heimat kommt, desto unglaubwürdiger erscheinen ihm die vergangenen Jahre. Seine Route führt ihn durch Pakistan, die Türkei nach Griechenland, wo er zum ersten Mal seit langem wieder auf deutsche Pauschaltouristen trifft. »Ich sah nach der ganzen Zeit schon verrissen aus«, meint v. Ohlen. »Aber so richtig bewußt wurde mir das erst, als die Touristen mich angafften.«Die letzten 1000 Kilometer beginnen an seinem Verstand zu nagen. Ein Frage quälte ihn: Werde ich mich daheim jemals wieder zurechtfinden? »Ich saß auf einem Rastplatz der Autobahn, nur 50 Kilometer von meinem Elternhaus entfernt, und konnte es nicht fassen. Sechs Jahre waren vergangen. Es könnten aber auch 60 gewesen sein. Wie ein Strudel drehten sich meine Gefühle um die Frage, ob diese Reise ein Ende finden sollte und würde. Als ich schließlich das Ortschild meiner Heimatstadt sah, standen fast 165000 Kilometer mehr auf dem Tacho meiner XT - und ich sagte mir: Egal, was auch passiert, ich bin überall in der Welt klargekommen, also kann ich es auch hier.“

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