Echtes Fernweh kennt kein PS-Limit. Walter Küpper reichte vor 41 Jahren sein altes Miele-Moped, um aus dem Ruhrpott auszubrechen und einmal den Globus zu umrunden.
Echtes Fernweh kennt kein PS-Limit. Walter Küpper reichte vor 41 Jahren sein altes Miele-Moped, um aus dem Ruhrpott auszubrechen und einmal den Globus zu umrunden.
»Junge, die Schlangen werden dich tot beißen!« Else Küppers Warnungen vor der Weltreise ihres Sohnes waren unmissverständlich. Und als Walter auch noch erklärte, er werde mit seinem alten Dreigang-Miele-Moped losziehen, winkte sie komplett ab. Doch Walter Küpper, 30, wollte raus, die Welt sehen. Das war im Jahr 1959, und mehr als das Moped und 500 Mark hatte er nicht. Nur noch unendliche Phantasien und viel Mut. »Ich radle um die Welt« das Buch eines Weltumrunders hatte Jahre zuvor den Zünder gelegt. »Und der hatte sogar nur ein Fahrrad und 2,50 Mark beim Start.«Ende der 50er Jahre hatten die Küppers harte Zeiten hinter sich. Da Vater und Bruder im Krieg umgekommen waren, musste der damals 16-jährige Walter mit seiner Mutter in der zerbombten Essener Deschenstraße eine neue Bleibe schaffen. Während einer Maurerlehre lernte Walter schnell, vier Wände zu ziehen und ein Dach überm Kopf zu errichten. Als sie endlich aus dem Gröbsten raus waren, fuhr er 1958 mit der Miele in die Türkei in Urlaub. Zur Probe quasi. Hoffte gleichzeitig, Mutter gewöhne sich an den Gedanken. Von wegen: »Die Schlangen, Junge, denk doch an die Schlangen und all die Anstrengungen!« Doch Walter war nicht mehr zu halten. Ein Jahr bereitete er die Reise vor, sammelte Visum um Visum, Impfbescheinigungen, Arbeitserlaubnisse und legte jeden entbehrlichen Groschen auf die Seite. Ende Juli 1959 war es soweit. Ausgerüstet mit Schlafsack, Zelt und Benzinkocher, einer Gaspistole mit 24 Schuss Munition, einer Kamera aus dem Leihhaus, drei Lagen Schaumstoff auf dem Sattel und Straßenkarten bis Teheran tuckerte er los. Um 40 Kilo überladen zwar, aber Walter wars wurscht. Sachs in Schweinfurt guckte noch den Motor durch, dann gings weiter, Kurs Ostsüdost, Singapur das erste größere Etappenziel. Dort will er nach Australien übersetzen und das Geld für die Weiterreise verdienen. Im Dauerregen rollt er bis Lubljana und von dort auf dem neuen Autoputt weiter durch Yugoslawien. 35 km/h packt die kleine Maschine Spitze. Bereits am Großglockner musste er im ersten Gang schiebend nebenherrennen. Doch zu viel Gepäck. Egal, schon bald knallen die türkischen Stempel in seinen Pass, ein paar Wochen später die persischen. Aber die Strecke durch den Nahen Osten ist mörderisch. Walter hatte sowohl Hitze als auch reifenmarternde Pisten unterschätzt. »Wenn die Tour rum ist, werde ich wohl der geschickteste Reifenflicker der Welt sein«, notiert er im August 1959 in seinem Reisetagebuch. Immer wieder fliegen ihm die Gummifetzen um die Ohren, immer wieder streikt der um Kühlung ringende 1,2-PS-Motor. Zusammen mit einem Radler aus Berlin legt er die schlimmsten Pisten schließlich per Autostopp zurück, mitleidige Lkw-Fahrer nehmen sie mit. Die Wüste Lut in Persien durchqueren sie auf den Kesseln eines Tanklastwagens. Doch Trampen klappt nicht immer, oft bleiben nur die Bikes. Da der Radfahrer kaum langsamer ist, reisen sie bis Teheran zusammen. Vor allem im Sand hat das schwer beladene Moped kaum eine Chance, mit maximal 15 km/h eine stabile Fahrposition zu erreichen. Dann geht auch mal der Sprit aus, die Reichweite hat Walter nie kalkuliert. Und wenn, hätte sie ohnehin nie gereicht. Er wartet, irgendwann kommt immer jemand mit Benzin vorbei. Manchmal dauert es Tage. Suppenwürfel bilden im Notfall die eiserne Ration. Kurz vor Pakistan entdeckt er eine neue Mitfahrgelegenheit: die Eisenbahn. Meist darf er gratis drauf, die Menschen sind aufgeschlossen, Touristen äußerst selten und ein Moped erst recht. Oft wird er zum Übernachten eingeladen. Nicht zuletzt, weil er Deutscher ist, wie er überrascht feststellt. In Indien sogar vom Maharadscha von Tripura - seine Reiseaufzeichnungen klingen inzwischen wie aus Tausendundeinernacht. In der britischen Kronkolonie sind die Straßen besser, allenfalls kommt mal ein Elefant oder eine Affenhorde in die Quere, sonst läuft es wie am Schnürchen. Erst der Dschungel von Burma setzt ein Ende es gibt weder Piste noch Einreisegenehmigung. Und hier könnte sich sogar Mutters Schlangenphrophezeihung bewahrheiten. Walter muss per Flieger nach Bangkok, was die Reisekasse rapide schrumpfen lässt. Mutter solle seinen Notgroschen von 600 Mark nach Singapur überweisen, telegraphiert er nach Essen. In Bangkok will er nach 20 000 Kilometern sein Moped überholen lassen. Doch der dortige Miele-Importeur ist ratlos, kennt nur Waschmaschinen. Mit einer Serie von Pannen tingelt Walter weiter, den letzten Schlauch kann er von einem netten Chinesen nur noch gegen eine Ansichtskarte vom Essener Münster eintauschen. Als er am 1. Dezember 1959 im Hafen von Singapur steht, ist er endgültig pleite. Bis Weihnachten, das er mit Heimweh, zwei Kerzen, einem entnadelten Tannenzweig und zehn Mark von Muttern verbringt, dauert der Nervenkrieg, bis das Geld endlich eintrifft. Am 29. Dezember 1959 schifft er sich nach Perth in Australien ein. Ein neuer Abschnitt beginnt. Während andere Weltenbummler in den Asbestminen des Nordens anheuern, findet Walter zunächst als Maurer in Perth Arbeit, später in Akkordlohn bei einem Parkettschleifer. Nach 15 Monaten ist seine Reisekasse zehnmal so groß wie am Anfang. Dafür schafft er nun fast den Absprung nicht mehr. Zweimal bricht er gen Westen auf, zweimal kehrt er wieder um. Plötzlich ist die Angst da, nimmt ihm den Mumm für das gewaltige Outback. Beim dritten Mal schließlich reist er sicherheitshalber per Eisenbahn bis Melburne, durchquert im eisigen Winter die australischen Alpen und checkt bereits eine Woche später in Sydney auf der »Osova« nach Japan ein. Er zwingt sich zur Abreise, die neuen Wurzeln sind bereits schmerzhaft fest. Kurz bevor sein Schiff in Kobe einläuft, erreicht eine kleine Meldung eine japanische Tageszeitung. Von einem verrückten deutschen Weltreisenden mit seinem Moped. Schon am Pier begrüßt ihn ein Blitzlichtgewitter, Küpper ist bereits bei seiner Ankunft in Japan ein bekannter Mann. Drei Monate trägt ihn die Euphorie und Gastfreundschaft der Bewohner durch das Land der aufgehenden Sonne, die Bridgestone-Direktion stiftet sogar ein neues Moped der PR-Effekt seiner Tour ist inzwischen beachtlich. Statt vier Wochen bleibt er drei Monate, verlässt als Medienstar und mit nochmals aufgebesserter Reisekasse am 7. November 1961 das Land. Während die brave Miele nach Bremerhafen zurückschippert, liegt vor Walter die letzte Etappe seiner Reise Amerika. Nach Japan das große Fiasko. Als er in San Francisco einläuft, interessiert sich kein Mensch für Walter Küpper. Für die Highways ist er zu langsam, für die Cops ein suspektes Objekt und für den Rest ganz einfach verrückt. Es gibt keine Interviews mehr, keine Maharadschas, keine Einladungen und an der Tanke nicht mal mehr Zweitaktermischung. Walter ist plötzlich wieder der namenlose Tramp, der froh ist, als er nach 6185 Kilometern am 3. Januar 1962 im eisigen New York auf die »Queen Elisabeth« und nach Hause dampfen darf. Am 10. betritt er in South Hampton wieder europäischen Boden, am 13. rollt er nach nach zweieinhalb Jahren und insgesamt 72400 Kilometern zur See, auf Schienen, Lastern, Fliegern und zwei kleinen Mopeds vor der Deschenstraßen 3 aus. Ohne einen einzigen Schlangenbiss. Mutter und Nachbarn hängen gerade noch ein Willkommenstransparent auf, gerechnet hatte niemand mehr mit ihm. Vier Jahre später, als er bereits wieder bei Krupp im Akkord an der Schleifmaschine steht, erscheint sein Buch »Tausend Tage Abenteuer«. Empfohlen für Jungen ab zwölf. Die nächste Generation von Abenteurern ist bereit.