Winterflucht nach Südspanien
Unterwegs im südspanischen Andalusien

Andalusien, die südlichste Region Spaniens, bietet großes Kino: fantastische Kurvenstrecken durch die Sierras, grandiose maurische Bauwerke wie Alhambra und La Mezquita und afrikanisches Flair im Naturpark Cabo de Gata.

Unterwegs im südspanischen Andalusien
Foto: Deleker

Cabo de Gata, Andalusien, 22 Grad. Endlich an-gekommen im Frühling. Nach dem langen Winter war der Drang, im Süden Motorrad zu fahren, riesengroß. Und sagte nicht unser Erdkundelehrer damals, der Frühling komme immer von Südwesten? Also auf nach Andalusien, den Winter vergessen. Was im Naturpark Cabo de Gata kinderleicht ist. Nirgendwo sonst in Spanien ist es trockener und afrikanischer. Braune Vulkane, hohes gelbes Gras, Agaven, Kakteen und Dattelpalmen; die kleinen Orte bestehen aus schneeweißen kubischen Steinhäusern, staubige Pisten enden an menschenleeren Stränden. Eine Gegend, perfekt geschaffen zum Entspannen, Wärme tanken. Früher haben sich Hippies und Lebenskünstler hier versammelt, einige wenige sind geblieben, drehen sich Joints und lauschen den Wellen.

Kompletten Artikel kaufen
Winterflucht nach Südspanien
Unterwegs im südspanischen Andalusien
Sie erhalten den kompletten Artikel (8 Seiten) als PDF
2,00 € | Jetzt kaufen

Die nächsten Asphaltkurven sind nicht weit, steigt doch kaum 40 Kilometer nördlich die Sierra de los Filabres über 2000 Meter auf. Die Michelin-Karte lockt mit einem Ensemble gelber und weißer Linien, einem Labyrinth von Pisten und Straßen. Selbst wer alpine Maßstäbe anlegt, wird diese Region mit der maximalen Note adeln. Kaum anderswo in Andalusien gibt es diese faszinierende Mischung aus Straßen mit Suchtpotenzial, Einsamkeit und toller Landschaft. In Velefique, einem winzigen Dorf zu Füßen der Sierra, beginnt einer der spektakulärsten Pässe Spaniens, der Alto de Velefique. 1050 Meter hoch, beste Kurven und Kehren und von oben ein atemberaubender Blick auf dieses Kunstwerk iberischen Straßenbaus. Eine Stunde lang sehe ich kein Fahrzeug.

Durch den würzig duftenden Kiefernwald treibe ich die Ténéré weiter und hoch zum Calar Alto, mit 2168 Metern höchster Berg der Sierra und Standort der größten europäischen Sternwarte. Nicht schlecht, die Aussicht von hier: Im Süden breiten sich die hässlichen, fast endlosen Gewächshäuser aus, erinnern an riesige Matratzen für die Landung Außerirdischer, und weit im Westen ragen die verschneiten Gipfel der Sierra Nevada auf, mein nächstes Ziel.

Deleker
Der Puerto de la Paloma ist der irrste Pass rundum.

Eine enge, alte und verwinkelte Straße verbindet die kleinen Bergdörfer am Südrand der Sierra, den Alpujarras altas. In Capileira, einem uralten Ort mit steilen und schmalen Gassen, beginnt Europas höchste Passstraße hinauf zum Mulhacén, 3481 Meter hoch. 1989 wurde allerdings die Sierra Nevada zum Naturpark erklärt und die Straße gesperrt. Immerhin kann ich von Capileira noch 13 ganz legale Kilometer am Berg hochklettern, die letzten acht sind ungeteert. Es lohnt sich, denn näher komme ich den Bergriesen Veleta und Mulhacén mit dem Motorrad nirgends.

Der totale Kontrast zur Stille der Sierra Nevada ist Granada, die quirlige, hektische und dank des unbegreiflichen Einbahnstraßensystems oftmals nervige Großstadt mit dem absoluten Höhepunkt, dem alten maurischen Herrscherpalast Alhambra. Drei Millionen Besucher wollen jährlich die Atmosphäre von Tausendundeiner Nacht spüren. Doch Tickets sind meist nur lange im Voraus zu ergattern. Die komplette Woche ist ausgebucht. So bleibt mir nur der Blick vom Mirador San Nicolás hinüber zur Alhambra.

Wenn ich hier kein Glück habe, dann vielleicht in der Mezquita von Cordoba, dem weniger überlaufenen zweiten Maurenbauwerk Andalusiens mit Unesco-Welterbe-Prämierung. Früh am nächsten Morgen bin ich dort, tauche ein in das mystische Halbdunkel der riesigen Moschee La Mezquita, die nicht wenige als eines der weltschönsten Bauwerke bezeichnen. 856 Marmorsäulen, alle durch Bögen miteinander verbunden, tragen in perfekter Harmonie das Dach. Der 1200 Jahre alte orientalische Säulenwald verzaubert mich sofort, lässt die Zeit vergessen. Aber es gibt ein Menetekel. Mitten in der Moschee steht eine schwülstige Kathedrale, Machtdemonstration der Christen nach der Reconquista. Die Christen zerstörten die Hochkultur der Mauren, waren gegenüber den gebildeten Arabern Barbaren, die zumeist weder lesen noch schreiben konnten, die rücksichtslos plünderten, mordeten und alles Fremde verjagten, autorisiert vom Papst. König Ferdinand V., der den Bau der Kathedrale im 16. Jahrhundert erlaubte, erkannte seinen Fehler viel zu spät: "Ihr habt etwas gebaut, was man überall hätte bauen können. Und ihr habt etwas zerstört, was einmalig war."

Deleker
Sie zählt zu den eindruckvollsten Bauwerken Europas: Die Alhambra.

Worte, die mich noch verfolgen, als ich die Ténéré längst gepackt habe und Cordoba südwärts verlasse. Kurs Mittelmeer, durch endlose Olivenhaine. Spannend wird es erst, als sich die A4050 mit der Sierra del Chaparral anlegt, bizarre weiße Kalkfelsen, tiefe Schluchten und grandiose Blicke aufs Meer. 1200 Höhenmeter und gefühlte 500 Kurven bis zur Costa del Sol - ein einziger Traum! Costa del Sol - der Ruf dieser von Betonbauten jeglicher Hässlichkeit vergewaltigten Küste ist legendär. Trotzdem entdecke ich zwischen Almuñecár und Nerja einen fast unberührten Küstenabschnitt mit alten Wachtürmen und unbesiedelten Buchten. Aber ab Torrox schlägt das Betonimperium gnadenlos zurück: endlose und gesichtslose Orte mit Lidl und Aldi, Urbanisationen, die neun Monate im Winterschlaf liegen, viel zu viel Verkehr, verbaute Aussichten und zerstörte Natur. Bleibt nur die Flucht ins Landesinnere, in die Sierras bei Ronda.

Kaum zehn Kilometer jenseits der Küste tauche ich wieder ein ins andere Andalusien, folge perfekten Motorradstrecken, die sich durch die grünen Berge winden und komme vorbei an den "pueblos blancos", schneeweißen historischen Dörfern, Attraktionen dieser Region. Eins davon ist Grazalema, der regenreichste Ort Spaniens zu Füßen der gleichnamigen Sierra. 2500 Millimeter Regen pro Jahr hieven Grazalema in die Top Ten von Europas Regenlöchern, neben so berüchtigten wie den schottischen Highlands.

Über den Puerto de las Palomas, den schönsten Pass weit und breit, schwinge ich nach Zahara, einem Bilderbuchdorf am gleichnamigen Stausee. Weiße Häuser kleben am Felsen, auf dem eine maurische Ruine thront. Die Ténéré ist für einige Gassen schon fast zu fett. Mit schleifender Kupplung balanciere ich die Fuhre über steile Pflasterwege hinauf bis zur Plaza. Das Café mit seinen leckeren Tapas kommt wie gerufen.

Dumm nur, dass es so früh im Jahr in den Sierras noch arg frisch ist. Den Frühling finde ich hier nicht. Also gebe ich der Yamaha die Sporen, halte Südwestkurs und kurve zum südlichsten Punkt des europäischen Festlands, nach Tarifa. Links das Mittelmeer, rechts der Atlantik, 14 Kilometer entfernt jenseits der Straße von Gibraltar liegt Afrika. Verlockend. Lauwarmer Wind rauscht durch die Palmen am Strand. Eine XXL-Portion Eis wäre jetzt nicht schlecht. Schließlich ist Frühling in Andalusien.

Infos

Deleker
Reisedauer: Acht Tage - Gefahrene Strecke: 1500 Kilometer

Andalusien lockt mit den höchsten Bergen Spaniens, Motorradstrecken mit Suchtfaktor, historischen Bauten von Weltrang, afrikanischem Flair und Wärme, wenn es woanders noch schneit.

Anreise:
Von Köln bis Tarifa kommen leicht 2700 Kilometer zusammen. Stressfreier und bequemer ist es, einen Teil der Strecke mit dem Autozug zurückzulegen, der wöchentlich von verschiedenen deutschen Bahnhöfen bis Narbonne in Südfrankreich fährt. Pro Person und Motorrad kostet die einfache Fahrt beispielsweise von Düsseldorf je nach Saison ab 296 Euro. Näheres unter Telefon 01805/241224 oder unter www.autozug.de.

Reisezeit:
Andalusien ist fast ein Ganzjahresziel. Die Temperatur-Unterschiede zwischen Meer und Sierras sind beträchtlich, der meiste Regen fällt in den Wintermonaten. Im Hochsommer muss im Landesinneren, vor allem in der heißesten Region am Rio Quadalquivir, mit über 40 Grad gerechnet werden. Die besten Reisemonate sind April, Mai sowie September und Oktober.

Übernachten:
Im Sommer sind Herbergen und Hotels meistens überfüllt, und selbst in der Nebensaison ist es vor allem abseits der wenigen touristischen Zentren alles andere als leicht, eine Unterkunft zu finden. Die wenigen Pensionen und die Campingplätze öffnen mitunter erst Mitte Mai und schließen gern bereits im Oktober. Besser ist die Lage in den größeren Orten und entlang der Küste. In der malerischen Cabo del Gata-Region finden sich ursprüngliche Unterkünfte in Agua Amarga, Las Negras, Rodalquilar, Los Escullos und San Jose.

Literatur:
Der Andalusien-Reiseführer aus dem Michael-Müller-Verlag für 22,90 Euro entpuppte sich als fast allwissender Begleiter: Sogar eine brauchbare Karte ist dabei. In der gleichen Liga spielt das Andalusien-Handbuch aus dem Verlag Reise-Know-How für 19,90 Euro. Hier wird sogar eine Version zum Download angeboten. Fürs Einstimmen zuhause eignet sich der DuMont Bildatlas Andalusien für 8,50 Euro. Als Übersichtskarte empfielt sich das Michelin-Blatt Nummer 578 im Maßstab 1:400000. Wesentlich detaillierter ist das Michelin-Regionalblatt 124 Costa del Sol im Maßstab 1:200000. Beide Blätter kosten jeweils 7,50 Euro.

Adressen:
www.spain.info/de, www.alhambra.org, www.andalucia.org, www.parquenatural.org, www.mezquitadecordoba.org. www.laposadadepaco.com (Hotel).

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023