Der elfte Platz hätte Hiroshi Aoyama im Falle eines Sieges seines letzten verbliebenen Verfolgers, des italienischen Gilera-Piloten Marco Simoncelli, genügt, um beim Grand Prix-Finale in Valencia "ewiger" Weltmeister der 250-cm3-Klasse zu werden. Eigentlich ein leichtes Spiel für den Japaner, der 2009 in allen Rennen gepunktet, drei Siege sowie drei zweite Plätze erkämpft hatte. Doch in Runde neun wurde der Triumphzug zur Zitterpartie. Statt es sich irgendwo im Windschatten gemütlich zu machen, griff der 27-jährige Honda-Fahrer an, wollte den zweitpatzierten Hector Barberá ausbremsen, holperte dabei jedoch am Ende der Zielgeraden ins Kiesbett - und hatte Glück im Unglück: Statt im Sturz endete der lange, staubige Abstecher am Ende folgenlos.
Als sich Aoyama wieder einfädelte, war er präzise Elfter und damit immer noch Weltmeister, wenn auch auf Messers Schneide. Endgültig aufatmen konnten er und sein italienisches Scot-Honda-Team erst in der 19. Runde, als das Schicksal erneut zuschlug - diesmal gegen Simoncelli. Beim Versuch, Barberá auf Distanz zur Führungsposition zu halten, hatte nun auch der Italiener zu viel riskiert und seine letzten, mageren Titelchancen endgültig beerdigt. "Ich wurde von einem Windstoß gepackt und aus der Spur gedrückt, geriet kurz in den Dreck und verschmutzte den Hinter-reifen. Als ich in die nächste Kurve ein-biegen wollte, fehlte der Grip, und ich bin abgeflogen", schilderte Simoncelli. "Aoyama hat den Titel verdient, doch auch ich war bis zum Schluss nah dran", bedauerte er.
Hiroshi Aoyama indes ist 250er-Weltmeister für alle Ewigkeit. Mit ihm feierte nicht nur sein Scot-Honda-Team, sondern auch die Manager der Honda Racing Corporation, obwohl sie die Weiterentwicklung der NSR 250 schon 2007 offiziell eingestellt hatten. Immerhin war Aoyama nicht nur ein Landsmann, sondern auch aus der Honda-eigenen Nachwuchsförderung hervorgegangen, die ihm 2004 und 2005 die ersten beiden Jahre in der WM und, beim Heimspiel in Motegi, den ersten GP-Sieg ermöglicht hatten. "Last, but not least", kündigte sein WM-T-Shirt weitere Großtaten an, weil er nun ebenso wie Simoncelli mit Honda in die MotoGP-Klasse aufstieg.
Für die 250er-Klasse aber fiel der Vorhang, im 61. Jahr, nachdem der Italiener Bruno Ruffo 1949 auf einem Einzylinder-Viertakter von Moto Guzzi mit 25 PS den ersten Titel erobert hatte. Drei Jahre später begann die große Karriere von Werner Haas. 1952 drehte der Augsburger Kraftfahrzeugmechaniker mit seiner Eigenbau-Puch im 125er-Training beim legendären Solitude-Rennen in Stuttgart so verwegen am Gas, dass ihm das NSU-Werk am Samstagabend eine offizielle "Rennfox" anbot. Am Sonn-tag gewann er, buchstäblich über Nacht zum Werksfahrer aufgestiegen, prompt das 125er-Rennen. Und schon in der nächsten Saison 1953 wurde er Weltmeister der 125er- und 250er-Klasse, wobei ihm edelste Technik zur Verfügung stand: Die bildschöne Zweizylinder-Rennmax verfügte über zwei obenliegende, von Königswellen gesteuerte Nockenwellen, leistete 36 PS bei unerhörten 11000/min und erreichte 185 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Noch schneller wurde sie 1954, weniger wegen der mittlerweile 37 PS, sondern wegen der stromlinienförmigen, aus Aluminium gedengelten Verkleidungen. Weil sie sich schon bei Geschwindigkeits-Welt-rekorden bewährt hatten, wurden die monströsen Konstruktionen ungeachtet ihrer Nachteile beim Handling auch an den GP-Maschinen montiert. Mit der ersten "Delphin"-Verkleidung erreichte die Rennmax 205 km/h. Als sich an der Maschine beim dritten Einsatz, der TT in Assen, ganze Berge von Mücken unterhalb der kleinen Frontscheibe festsetzen, vermuteten die Techniker unerwünschte Luftwirbel und bauten ganz nach ihrer künstlerischen Empfindung eine noch voluminösere, noch gewaltigere Verkleidung, die als "Blauwal berühmt wurde. Das Ergebnis waren unglaubliche 215 km/h - und Haas war auch ohne den gewohnten Blick zum Vorder-rad und trotz unnatürlicher Kopfhaltung, die oft genug auf die Halsschlagadern drückte, so überlegen, dass er mit seiner 250er bei der Tourist Trophy auf der Isle of Man schneller als alle 500er-Fahrer war.
1955 zog sich die NSU nach einem tödlichen Unfall aus der WM zurück, doch selbst die nur 28 PS starke "Sportmax, die NSU an handverlesene Privatfahrer auslieferte, war noch überlegen: H. P. Müller holte den Titel, auch mit ebenfalls stromlinienförmiger, allerdings silberner Außenhaut an der Maschine, weil Blau den Werksmaxen vorbehalten war.
Auf die Zeit der Blauwal-Verkleidungen folgte die Ära des technischen Wettrüstens, bei dem vor allem die japanischen Her-steller mit immer aufwendigeren, immer komplizierteren Motor-Konstruktionen um höhere Drehzahlen und damit mehr Spitzenleistung kämpften. So gewann der Brite Mike Hailwood die 250er-Titel 1966 und 1967 mit der unglaublichen Honda RC 166, bei der die Ingenieure auf kleinstem Raum sechs Zylinder in Reihe untergebracht hatten. Nach dreijähriger Entwicklungszeit war die Leistung von 55 auf über 60 PS gestiegen, das technische Wunderwerk erreichte Drehzahlen jenseits von 18000/min, und die sieben Gänge wurden auf bis zu 245 km/h übersetzt.
Radikal anders war die Antwort des großen Honda-Konkurrenten Yamaha: Phil Read, der die WM 1964 und 1965 noch mit einem vergleichsweise braven Zweitakt-Drehschieber-Twin gewonnen hatte, brauchte nun ebenfalls mehr PS. Er wurde von Yamaha mit der infamen V-Vierzylinder-Zweitakt-RD 05 ins Gefecht geschickt, die sogar noch kräftiger war als der Honda-Sechser, in den ersten zwei Jahren aber noch zu viele technische Probleme hatte, um gegen Honda bestehen zu können. Erst nach deren Rückzug gelang Read mit der Yamaha 1968 sein Comeback als Welt-meister - und der wurde mit Schimpf und Schande davongejagt. Denn er hätte Bill Ivy den Titel überlassen sollen, missachtete beim Finale in Monza aber die Teamorder und schnappte seinem britischen Landsmann die WM vor der Nase weg.
Wegen neuer technischer Regeln - maximal zwei Zylinder und sechs Gänge - ging die Ära aberwitziger technische Experimente bei den 250ern zu Ende. Nach Honda zog sich auch Yamaha offiziell aus der WM zurück, worauf plötzlich auch kleine Privatteams ihre Chancen bekamen.
Eins davon war das des Deutschen Dieter Braun, der mit Hilfe seiner Mechaniker Sepp Schlögl und Toni Mang 1970 auf einer alten Ex-Werks-Suzuki den 125er-WM-Titel geholt hatte, danach auf eine Yamaha 250 umsattelte und beim GP der DDR auf dem Sachsenring 1971 einen historischen Sieg gegen Jarno Saarinen erbeutete. Als die begeisterten Zuschauer die bundesdeutsche Nationalhymne anstimmten, reagierten die DDR-Funktionäre mit gewohnter Humorlosigkeit und strichen ihren GP vom Kalender. Das Rennen am Sachsenring fand fortan nur noch als Einladungsrennen für linientreue Sozialisten statt.
Der Production Racer Yamaha TD 2, ein luftgekühlter Zweitakt-Parallel-Twin, kostete damals knapp 6000 Mark. Und es gab jede Menge Raum für Verbesserungen. "Ich habe den Motor sogar auf Wasserkühlung umgebaut. Und kurzhubiger gemacht, von 54 x 54 auf 56 x 50", erzählt Brauns damaliger Chefmechaniker Sepp Schlögl.
Dazu brauchte er zunächst einmal einen Hammer. "Ich habe die Kühlrippen weggehauen, der Zylinder hat danach recht wild ausgeschaut", erinnert sich der längst legendäre Techniker. "Dann habe ich erst die beiden Zylinder verschweißt, drumherum einen Wassermantel. Den Zylinderkopf habe ich von der 350er genommen, den Brennraum umgeschweißt und umfunktioniert. Es war eine brutale Bastelarbeit." Aber es sollte sich lohnen: Braun erkämpfte 1973 den WM-Titel.
Toni Mang, seit 1970 Mechaniker bei Dieter Braun und selbst ein talentierter Pilot, der auf einem SMZ 250 genannten Eigenbau (für Schlögl-Mang-Zender) gleich beim allerersten Rennen auf dem Flugplatz in Augsburg siegte, sah das als Ansporn. 1976 gewann er auf einer 125er Morbidelli seinen ersten GP und stieg 1978 zum Kawasaki-Werksfahrer in der 250er-Klasse auf. Seinen ersten WM-Titel holte er aber erst 1980 - kurioserweise im Jahr, nachdem sich Kawasaki offiziell zurückgezogen hatte. "Kawasaki Deutschland hat dafür gesorgt, dass wir das Material behalten durften. Das war das Beste, was uns passieren konnte", erklärt Sepp Schlögl, der nach dem Karriere-ende von Dieter Braun ab 1977 für Mang weiter gearbeitet hatte. Über den Winter entwickelten die beiden neue Zylinder für die grüne Maschine mit Tandemmotor, bei dem die Zylinder hintereinander standen und über zwei gegenläufige Kurbelwellen miteinander gekoppelt waren. Mit 64 PS war die Kawasaki nicht unbedingt die schnellste Maschine im Feld, hatte aber ein breites Drehzahlband. "Ganz ähnlich wie die Honda von Aoyama heute", so Schlögl, "wenn das Paket von Fahrwerk und nutzbarem Drehzahlband stimmt, kannst du auch ohne maximale Topspeed Rennen gewinnen - damals wie heute." Mang wiederholte den Triumph 1981, wurde sogar Doppelweltmeister bei 250ern und 350ern, und 1982, als er abermals den 350er-Titel holte, fehlte ihm bei den 250ern am Ende nur ein Punkt zu seiner fünften WM.
Die gewann er dann 1987 - ohne Sepp Schlögl - auf jener Honda V2-Maschine, mit der Freddie Spencer 1985 Weltmeister ge-worden war und die mit ihrem durchzugsstarken Membranmotor sowie vorbildlicher Verarbeitung Maßstäbe gesetzt hatte. Mang gewann 1987 acht Rennen am Stück und setzte sich mit 38 Jahren nochmals in beeindruckender Weise gegen die jüngeren Konkurrenten durch.
Und von denen gab es viele, gerade in Deutschland. Härtester Konkurrent im WM-Jahr 1987 war der Allgäuer Reinhold Roth, der, von Sepp Schlögl betreut, auf einer HB-Honda Vizeweltmeister wurde. 1989 wiederholte Roth diesen Erfolg und war nicht nur mit seinen Siegen, sondern auch mit seinem freundlichen Wesen in die Herzen der Fans gefahren. Umso bestürzter war die Nation, als Roth beim Rijeka-GP 1990 einen Unfall mit schweren Kopfverletzungen erlitt, von dem er sich nie wieder ganz erholen sollte. Trotz des Schocks machte das HB-Honda-Team weiter und wurde, erst mit Helmut Bradl im Jahr 1991, dann mit Ralf Waldmann 1996 und 1997 noch dreimal WM-Zweiter. Und wieder war die technische Kompetenz von Sepp Schlögl im Spiel. "An den Motoren konnte man damals nicht viel machen, die waren ausgereizt. Ich habe mich deshalb mehr aufs Fahrwerk konzentriert." Statt mit dem Hammer ging er nun mit der Säge zu Werke, machte den Rahmen kürzer und den Lenkkopfwinkel steiler, was etwa Waldmann zumindest eine Zeitlang deutliche Vorteile brachte.
Die Konkurrenz kam von Yamaha, wo der Münchener Martin Wimmer nach rasantem Aufstieg 1981 zum WM-Piloten wurde und 1985 seinen imponierendsten Erfolg feierte, als er gegen die großen Stars Freddie Spencer und Toni Mang den deutschen GP in Hockenheim gewann.
Zu den japanischen Marken regte sich allmählich auch wieder Konkurrenz aus Europa. Schon 1984 wurde der eigenbröt-lerische, aber als Techniker ebenso wie als Fahrer geniale Lampertheimer Manfred Herweh mit einer Zweizylinder-Rotax unter dem Namen seines Sponsors Real Vizeweltmeister. Ein Jahr später überzeugte der Italiener Loris Reggiani den Aprilia-Besitzer Ivano Beggio, ebenfalls mit Rotax-Motoren und einem selbstgebastelten Rahmen unter dem Namen des kleinen venezianischen Werks in die WM einzusteigen - die erste Aprilia 250 war geboren.
1989 kaufte Martin Wimmer eine der Reggiani-Maschinen und brachte ihr mit der Hilfe des österreichischen Tuners Michael Schafleitner das Laufen bei. Beim Misano-GP fuhr Wimmer in Startreihe eins, worauf Beggio in der Startaufstellung erschien, um sich für Wimmers gute Arbeit zu bedanken - und gleich anschließend den damaligen Aprilia-Cheftechniker feuerte.
1990, inzwischen mit einer Werks-Aprilia und zusätzlichem Motorentuning des deutschen Gespann-Ex-Weltmeisters Helmut Fath auf Trab gebracht, fuhr er auf dem Salzburgring auf den zweiten Platz.
Nach seinen Erfolgen auf Aprilia wurde Wimmer 1991 von Suzuki für die Weiterentwicklung der schwachbrüstigen RG 250 verpflichtet. Während seine Aprilia 90,5 PS geleistet hatte, erreichte die Suzuki anfangs nur 84 PS, die Wimmer mit Hilfe von Tuner Herbert Rittberger auf 87 PS steigern konnte und damit ein paar Mal sogar die erste Startreihe erreichte. Seinen Job verlor Wimmer dennoch: Für ein weiteres Engagement 1991 hätte sich der Tabakkonzern BAT mit Lucky Strike in Deutschland engagieren müssen, war mit HB aber schon im konkurrierenden Honda-Team vertreten.
Während Wimmers GP-Karriere zu Ende ging, machte HB-Teammanager Dieter Stappert auch dann noch weiter, als sich HB zurückzog. Die Karriere seines damaligen Stars Ralf Waldmann setzte sich auf Aprilia fort, mit der er im Jahr 2000 im mittelenglischen Regen von Donington Park den letzten seiner insgesamt 20 GP-Siege holte. Es sollte der letzte deutsche GP-Sieg in dieser Klasse bleiben.
Doch vielleicht wiederholt sich die Geschichte ja in der neuen Moto2-WM, der 250er-Nachfolge-Klasse. Denn schon bei den ersten Tests nach dem Valencia-GP sorgte das Start-up-Unternehmen Kalex für Furore. Mit ungewöhnlichem Design und überragender Verarbeitung riefen die Schwaben bei allen Konkurrenten neidvolle Blicke hervor. Beim ersten Roll-Out fuhr Axel Pons, Sohn des früheren 250-cm3-Weltmeisters Sito Pons, noch ohne Schaltautomat und auch erst am zweiten Testtag mit einer Anti-Hopping-Kupplung. Trotzdem beeindruckte er die schöne neue Welt der zweiten Grand Prix-Liga nachhaltig.
Das Zeug zum Sieger hat die Kalex-Maschine. Vielleicht schreibt sie ja sogar Rennsportgeschichte. Wie die NSU mit der Blauwal-Verkleidung.
Grand Prix: letztes 250-cm³-WM-Rennen : Last Action Hiro
Trotz eines längeren Ausflugs in den Kies wurde der Japaner Hiroshi Aoyama letzter 250-cm3-Weltmeister aller Zeiten und beendete eine 61-jährige Ära, die auch deutsche Firmen und Fahrer maßgeblich mitbestimmten.

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