Interview: Leiter des Motorradwerks, Hermann Bohrer

Interview Leiter des Motorradwerks Hermann Bohrer "Qualität kann man nicht erprüfen"

Der Leiter des BMW-Werks ist zugleich Mitglied der Geschäftsleitung von BMW Motorrad und IVM-Präsident. Im Gespräch mit MOTORRAD erläuterte er seine Leitlinien.

? Herr Bohrer, bevor Sie Leiter des Motorradwerks wurden, hatten Sie als Mechaniker, Planer oder Werksleiter mit Automobilproduktion zu tun. Wie haben Sie in all den Jahren über die Motorradsparte von BMW gedacht?


! Seit dem 21. Lebensjahr fahre ich Motorrad. Meine erste Maschine war allerdings eine 750er-Honda. BMW-Motorräder haben mich aber schon immer fasziniert, deshalb bin ich später zu BMW gewechselt. Ich war Boxer-Fan, dank der 800er G/S. Sie haben schon recht, bis September 2006, als ich hier Werksleiter wurde, drehte sich beruflich alles ums Auto. Ich habe
sehr viel in Richtung Produktion gemacht, von der Planung der PKW-Fertigung, Motorenfertigung, Fahrwerksproduktion bis hin zur Rolls-Royce-Produktion in Goodwood. Motorradproduktion folgt denselben Prinzipien, und zum Glück
hat man bei BMW immer die Chance, emotionale Produkte zu machen.

?In den 70er- und 80er-Jahren war das Motorrad bei BMW stark umstritten

! Es war eine kritische Zeit damals. BMW Motorrad gehört zur BMW-Group, das stellt heute niemand mehr infrage. Aber es muss funktionieren. Je besser es funktioniert, desto mehr Freiheiten haben wir, um in Ruhe zu arbeiten.

? Jeder kann sich denken, dass man als Werksleiter eine Menge Arbeit hat, aber nur wenige können sich vorstellen, worin die Arbeit besteht. Können Sie ein Beispiel geben?

! Als Werkleiter kann man immer Arbeit finden wenn man will. So oft es geht, bin ich bei meinen Mitarbeitern vor Ort und suche immer den Kontakt. Unser Führungsmotto heißt führen mit Herz, Hand und Verstand. Dabei ist uns ein Klima der verantwortungsvollen Zusammenarbeit sehr wichtig. Wer führt, muss Menschen mögen – und ich mag Menschen. Das ist die Basis für effiziente Arbeitsstrukturen, 10 Prozent ist methodischer Ansatz, 90 Prozent macht die geistige Haltung von Mitarbeitern und Führungskräften aus. Das Ergebnis heißt beste Auslieferqualität vom Werk für unsere Kunden. Ein anderer Aspekt meiner Arbeit ist das Thema Strategie für BMW Motorrad; ich bin Mitglied der Geschäftsführung. Die gliedert sich in drei Personen. Das sind Herr von Kuenheim als Chef, dann der Kollege Dr. Prantl als Leiter Finanzen und ich. Es hat sich herauskristallisiert, dass diese Form sehr vorteilhaft ist, um Entscheidungen gemeinsam treffen zu können, die am Ende zwischen Berlin und München zusammengeführt werden müssen. Ein weiteres Thema ist die Verantwortung für den Standort Berlin. Dabei folge ich immer denselben Prinzipien: Zum einen kann die Produktqualität nicht gut genug sein. Da bin ich in meinem ganzen Berufsleben Perfektionist gewesen. Das zweite ist, dies im vereinbarten Kostenrahmen zu schaffen. Und das dritte, gleichberechtigt neben den anderen stehend, ist die Kundenorientierung. Die muss ich intern vorhalten, damit sie nach außen funktioniert. Deshalb nehme ich mir auch immer viel Zeit, wenn Händler im Werk zu Besuch sind.


? In welche Richtung stellen Sie denn heute die Weichen im Hinblick auf die nächsten zehn Jahre?


! BMW wird im Jahr 2013 ein Megacity-Vehicle bringen, mit Karbon-Karosserie. Wir versuchen, solche Leichtbauwerkstoffe dort einzusetzen, wo sie beim Motorrad Sinn machen. Anderes Thema: Im Mittelpunkt unserer Wertschöpfungsorientierung steht der Mitarbeiter, der die Fahrzeuge produziert. Deshalb stelle ich, wenn ich mit den Meistern und den Mitarbeitern diskutiere, die Hierarchiepyramide auf den Kopf. Am wichtigsten ist selbstverständlich unser König, der Kunde. Ihm am nächsten stehen aber bereits diejenigen, die das Motorrad zusammenbauen. All die anderen, die Abteilungsleiter, Gruppenleiter oder der Werksleiter haben nichts anderes zu tun, als ihnen die Rahmenbedingungen zu liefern, das bestmögliche Produkt zu schaffen. Und dabei muss es gelingen, das Know-how und die Motivation der Mitarbeiter zu nutzen, ihren Ehrgeiz zu wecken, besser zu sein. Sonst hat man in Deutschland keine Chance. Maschinen auf dem neuesten technischen Stand kaufen die Chinesen genauso wie die Inder und wie wir. Best Practice können sie auch überall abkupfern. Was sie aber nicht kopieren können, ist die Art der Zusammenarbeit
in einer Fabrik sowie mit den Kollegen von der Entwicklung und vom Vertrieb.

? Haben Sie dieses Modell hier eingeführt oder speziell gefördert?

! Das trau ich mich zu sagen, dass ich den Weg zur Business Excellence mit
all meinen Mitarbeitern bereitet habe.

? Die Entwicklung von Prozessen statt der Kontrolle von Teilen ist eines der wichtigsten Instrumente der Qualitätssicherung. Was steckt dahinter?

! Qualität kann man nicht erprüfen, Qualität muss man erzeugen. Das beginnt sehr früh; bei der Entwicklung eines neuen Modells sind wir schon in der Initialphase, beziehungsweise der Konzeptphase zur Produkt-, Prozess- und Strukturentwicklung dabei. Da sitzen unsere Planer zusammen mit den Entwicklern, Konstrukteuren, QMT-Leuten und dem Einkäufer; wir nennen sie das Kleeblatt. Wichtig ist auch, dass die Leute ständig geschult werden. Wir geben in diesem Jahr im Mittel über 500 Euro pro Mitarbeiter allein für Qualifizierung aus. Das kann ich auch dann nicht aussetzen, wenn Krise ist. Das gehört zur präventiven Qualitätsarbeit.

? Und die Zulieferer?

! Unsere QMT-Leute, QMT steht für „Qualitätsmanagement Teile“, entwickeln zusammen mit den Zulieferern deren Produktionsprozesse. Dabei wird eine Menge an systematischen Qualitätsmethoden angewandt. Vor dem Produktionsanlauf kommt noch die Erstbemusterung: da bringt ein Lieferant das nach Leistungsverzeichnis und Zeichnung gefertigte Teil, unsere Leute untersuchen und bestätigen das und dann beginnt die Lieferung. Und wenn die Prozessstabiltät in jedem einzelnen Schritt nachgewiesen ist, geht man in die Serie. Vom Aschenputtel-Prinzip, dem Aussortieren von fehlerhaften Teilen, halte ich gar nichts.

In einem Gespräch mit einem früheren Chef von BMW Motorrad sprach dieser davon, dass man bei der Entwicklung eines Motorrads ab einem bestimmten Punkt aufhörte, die Qualität weiter zu optimieren und stattdessen einen gewissen Prozentsatz an Garantiefällen in Kauf nahm.

! Heute gilt die Null-Fehler-Strategie. Ich kann doch nicht einplanen, so und so viele Fehler zu haben. Das wäre fahrlässig.

? Sie haben die Herstellung von Karbonteilen in Großserie als ein Zukunftsprojekt genannt. Gibt es noch weitere?


! Ich wollte darauf hinweisen, dass wir stark vom Know how der BMW Group-Entwicklung profitieren, etwa beim Kurvenlicht der K 1600 GT. Generell müssen wir langfristig denken und dürfen nicht vergessen, dass die Krise im Motorradbereich noch längst nicht vorbei ist. Die weltweiten Motorradzulassungen über 500 Kubikzentimeter sind seit 2007 von 1,4 Millionen auf jetzt 830000 heruntergegangen. Deshalb sind wir froh über den Erfolg der S 1000 RR. Viele haben gefragt, ob es richtig ist, in einer Zeit, in der Zurückhaltung geboten ist, solch ein Motorrad zu bringen. Das Gleiche mit der K 1600. Schwierige Entscheidungen bieten aber immer auch Chancen, sich von seinen Mitbewerbern abzusetzen. Wir haben es geschafft, neue Kunden zu gewinnen, indem wir neue Wege gegangen sind, speziell mit der S 1000 RR.

? Sie hat das Image von BMW komplett gewandelt. Haben Sie das geplant?

! Das war unsere Strategie für ein Modell im Supersport-Segment.

? Eine Frage an Sie in Ihrer Eigenschaft als IVM-Präsident: Die Novellierung des Führerscheinrechts lief für die Motorradfahrer und den IVM (Industrieverband Motorrad) nicht gerade erfreulich. Braucht es bei der Vertretung unserer Interessen eine neue Strategie?

! Ich sehe das nicht so negativ. Wir haben die Gespräche genutzt, um etliche Kontakte, die auch hier über den Standort Berlin laufen, zu intensivieren. Im Zuge dessen hatten wir auch ein längeres Gespräch mit einem Vertreter des Verkehrsministers Ramsauer, der das, weil er selbst auch Motorradler ist, alles sehr positiv gesehen hat. Allerdings ist da immer einer neben ihm gesessen, der das Thema – na ja, machen wir keine Story daraus. Motorradfahren wird eben immer als Risiko angesehen. Viele konnten es nicht nachvollziehen, wenn wir darauf hingewiesen haben, dass wir eine Industrie sind, die Unterstützung verdient, etwa indem man die Rahmenbedingungen verbessert. Es wird nur auf die Unfallzahlen geschaut. Die Frage, wer die Mehrzahl aller Motorradunfälle verursacht, interessiert nicht.

? Ist die europäische Motorradindustrie nicht stark genug und sind wir als Motorradfahrer nicht zahlreich genug, um auch mal härter einzusteigen?

! Das Führerscheinrecht ist jetzt entschieden, aber die Lobbyarbeit geht weiter. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, sind Chancen für den Motorradmarkt zu nutzen.

Die Vita: Hermann Bohrer, geboren 1956 in Vohburg, begann 1975 als Mechaniker bei BMW im Werk Dingolfing zu arbeiten. Durch seine Verbesserungsvorschläge für die Produktion des BMW E24 kam er in Kontakt mit der Produktplanung und bildete sich in diesem Bereich weiter. Nach und nach arbeitete er in den BMW-Werken
in Rosslyn/Südafrika, Regensburg, München, Spartanburg/USA und Steyr/Österreich, bevor er Leiter der Fahrwerksproduktion wurde und erstmals das BMW-Motorradwerk in Berlin zu seinem Aufgabenbereich gehörte. Nach einer Station als Werksleiter bei Rolls-Royce in Goodwood/Großbritannien übernahm er
das Berliner Werk im September 2006.

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