
Sie passen nicht in blühende Landschaften. Zumindest nicht in die nach der Wende versprochenen, so voller Aufschwung und Konsum. Nein, die Produkte des Motorradwerks Zschopau stehen eher für Gleichmut und Bescheidenheit, und so darf nicht wundern, dass eine gewisse MZ-Müdigkeit herrschte, als ab 1990 D-Mark und VW Golf winkten. Massenhaft verschwanden die Zweitakt-Einzylinder in Scheunen und Kellern, auf dem Schrott oder gen Westen. Nicht wenige ES dienten dort als preis- und liebenswerte Restaurierungsobjekte. Teile gab‘s alle, kosten tat‘s wenig.
Der Osten brauchte einige Jahre bis zur Renaissance, musste erst noch den Unterschied von Glanz und Güte entdecken. Aber dann: Hatte doch auch Spaß gemacht, mit der Emme durch die Alleen nach jwd zu qualmen, nach janz weit draußen. Und irgendwie konnte man stolz drauf sein, dass in Sachsen mal eine der größten Motorradfabriken der Welt gestanden hatte. Erst DKW, dann MZ. Wie auch immer - heute knattern sämtliche MZ mitten in die Herzen vieler Ossis.
Mit Rängtängtäng zurück zur eigenen Identität, das hatte Gabor Pirntke nicht nötig. Der Berliner war 14, als in seiner Heimatstadt die Mauer fiel, er kennt seine Wurzeln ebenso gut wie seine Möglichkeiten. Als Lehrling war das Geld knapp, also wurde an dem geschraubt, was es gab. Und damit war man mobil, fertig. Wieso aus dieser eher pragmatischen Beziehung mittlerweile eine tiefe Zuneigung geworden ist, kann Gabor selbst nicht mehr genau beschreiben.
Aber es ist so und hat vielleicht damit zu tun, dass man sich nicht abwickeln lassen wollte. Gabor nicht und all die anderen MZ-Fahrer. Und es liegt gewiss auch am gewaltigen Bestand: Vor allem die 150er - zu DDR-Zeiten durften damit schon 16-Jährige fahren - ist allgegenwärtig. Neben den rund 16 500 zugelassenen Exemplaren warten noch etliche Tausend in Scheunen und Kellern auf ihre Wiederauferstehung. Die brauchen Teile, die müssen gewartet und repariert werden.
Gabor hat mit dem Reparieren angefangen. Aber schon bald entdeckt, dass es vielen Kunden nicht mehr darum ging, ihre Emme irgendwie am Laufen zu halten. Nein, sie sollte richtig gut laufen und dabei richtig gut aussehen. Die Suche nach Originalteilen hatte begonnen, der Run auf Rares setzte ein. Das ist selten bei den sächsischen Massenprodukten, aber Behördenmodelle können schon eine gewisse Exklusivität beanspruchen. Der Lastenbeiwagen mit Holzboden ebenfalls. Und in Maßen auch die ETS. Nämliche bildete um 1970 herum die Brücke zwischen den Volumenmodellen ES (vorn wie hinten mit Schwinge) und TS (vorn mit Telegabel, unten offener Rahmen). Sie war auf Wunsch westlicher Importeure entstanden, nutzte den ES 250-Rahmen, trug aber bereits Telegabel und einen schnittigen Büffeltank. Mit 4000 gebauten Exemplaren ist die ETS 125 der seltenste Vogel aus Zschopau, auch die gut 16 000-mal produzierte 250er ist heute sehr gesucht.

Seinen Anfang hatte der sozialistische Motorradbau mit der zart überarbeiteten DKW RT 125 genommen, ab 1950 unter dem Namen IFA (Industrievereinigung Fahrzeugbau) wieder in kleiner Serie hergestellt. Große Stückzahlen waren nicht drin, weil die modernen DKW-Fertigungsanlagen als Reparation in der Sowjetunion gelandet waren. 1952 erhielt das Werk den Namen VEB Motorradwerk Zschopau, seit 1956 tragen alle Zschopauer Motorräder den Namen MZ, und im Juni diesen Jahres erschien mit der ES 250 eine der großen Ikonen dieser Marke. Feststehender Scheinwerfer, wuchtiger vorderer Kotflügel, üppige Seitendeckel und gemütliches Gestühl bestimmen ihr sympathisch-einprägsames Äußeres. Das Triebwerk war eine Neukonstruktion, bis auf Kopf, Zylinder, Vergaser etc. tat es auch in der parallel vorgestellten ES 175 Dienst.
Erst 1962 ging die brave RT in Rente, allerdings trieb ihr weiterentwickelter Motor auch die neue ES 125/150 an. Letztere setzte wiederum die ES 175 derart unter Druck, dass diese Anfang der 70er-Jahre entfiel. Es folgten ETS und TS, 1981 schließlich ETZ 250 und 1985 die kleinen Modelle mit 125 und 150 cm³. Dann kam die Wende, mit ihr kamen die Viertakt-MZ. Und dann die Pleite.

Schon vorher hatten Privatleute den Handel mit Zweitakter-Teilen übernommen. Eine Handvoll konnte sich etablieren, und Gabor Pirntke zählt dazu. Einen malerischen Hinterhof-Flachbau mit mehreren Räumen belegen seine Regale, vollgestopft mit Ersatzteilen. Vieles neu, vieles aus Schlachtungen - und insgesamt erstaunlich umfassend. Da zahlt sich eben aus, dass nur wenige Typen die fünf MZ-Jahrzehnte belebten. Die beiden Frauen im vierköpfigen Team verantworten das Ersatzteil-Geschäft, online erwirtschaften sie damit den größten Teil des Firmenumsatzes. Den lieben langen Tag wickeln Niki und Nadine Aufträge ab, meist aus Deutschland, oft aus Skandinavien, England oder Holland, manchmal sogar aus Kuba - ehemals starke MZ-Märkte eben. Wenn Zeit bleibt, aktualisieren sie den Online-Auftritt. Repariert wird bei Gabor auch noch. Meistens von Ronnie, weil der Chef häufig Telefonseelsorge betreiben muss. Passt dies auch bei der ES 250/1 oder ist jenes bei der TS 150 anders als bei allen andern? Ich hab bei euch das und das gekauft, aber wie krieg ich‘s nun eingebaut? Es wird halt noch viel selbst geschraubt oder auch restauriert, und das stößt bei Gabor durchaus auf Verständnis. Motor bei ihm machen lassen, den Rest in der eigenen Garage erledigen. Der einfache Aufbau, die grundsolide Machart aller MZ finden hier ihre Berechtigung, und auf solche Sachen steht Gabor. Wegwerfprodukte interessieren ihn ebenso wenig wie überzüchtetes Blendwerk.
Vielleicht umreißt das den Kern der immer größer werdenden MZ-Leidenschaft, auch jene von Gabor Pirntke: Die Leute haben keine Lust mehr aufs Wegschmeißen, und bei der Emme erst recht nicht. Man schmeißt nicht mal eben ein Stück deutsche Geschichte weg. Nein, das bewahrt man und das bewegt man. Deshalb steigt Gabor Pirntke, wenn er nach Finnland will, auf sein MZ-Gespann. Andere nehmen einen 16 000-Euro-Supertourer. Aber haben die mehr Spaß?
Interview mit Gabor Pirntke

Es tauchen immer mehr schön restaurierte MZ auf. Was tut sich denn da?
Alte MZ haben ihren selbstverständlichen historischen Wert, so wie die Nachkriegsmotorräder westdeutscher Marken. Aber die Lage in der DDR, die ersten Jahre auch noch in den neuen Bundesländern, wo sich ja der Großteil des Bestandes befindet, hat eben verhindert, dass man sich um schöne Restaurierungen kümmern konnte. Das wird jetzt nachgeholt.
Welche MZ-Typen werden dabei bevorzugt?
Zunächst mal die unmittelbaren MZ-Vorläufer, also die IFA-Modelle RT 125 und BK 350. Letztere ist mit ihrem Zweitakt-Boxermotor und Kardanantrieb etwas Besonderes, sie ging 1953 in Serie und wurde bis 1959, zuletzt unter dem Namen MZ, in relativ kleiner Stückzahl gebaut. Dann ist die ETS sehr begehrt: Es hatte ja um 1970 in der DDR wenig Sinn, von einer Honda CB 750 zu träumen. Aber die ETS 250, die war erreichbar, besaß eine sportliche Linie und eine Telegabel.
Und was ist mit den Volumen-Modellen?
Die ES 250 war in ihren insgesamt fünf Entwicklungsstufen von 1956 bis 1973 im Programm. Die frühen Modelle sind also schon richtig alt, die ES 250/2 zählt - trotz ihres nostalgischen Äußeren - zu den Youngtimern. Die kleinen Modelle gab es sogar noch bis 1977 - Wahnsinn, oder? Die ersten 250er hatten einen so genannten Doppelport-Zylinder mit zwei Auslässen. Die sind einerseits recht selten und gesucht, andererseits aber thermisch nicht ganz so stabil wie spätere Versionen. Grundsätzlich steigt das Interesse an allen ES-Modellen seit einigen Jahren, vor allem an der 250er.
Markiert das Nachfolgemodell, die TS, dann den Übergang vom Youngtimer zum Gebrauchsmotorrad?
Nicht ganz. Auch die TS - und hier wieder vor allem die 250er-Maschine - wandert schon vermehrt in Sammlerhände. Auch als optisch sehr gut mit dem MZ-Seitenwagen harmonierende Zugmaschine ist sie begehrt.
Und wo liegen die Preise?
Für weitgehend komplette ES 250 sind je nach Zustand und Baujahr zwischen 1500 und 3000 Euro fällig. Dann sind die entweder gut restauriert oder - was langsam noch beliebter wird - in hübsch patiniertem Originalzustand. Die ES 175 liegt mindestens 500 Euro darunter, ebenso die TS 250. Und bei den kleinen Modellen ist irgendwie alles drin, vom sensationellen Schnäppchen für 400 Euro bis hin zum restaurierten 1500-Euro-Objekt. Eine gute ETS 250 wird man selten unter 2500 Euro bekommen.
Dann gibt’s noch die Gespanne. Genießen die eine Sonderkonjunktur?
Das kann man so nicht sagen. Ich finde, angesichts der Qualitäten aller MZ-Gespanne sind die Preise noch moderat. Es geht bei unter 2000 Euro los und über 4000 selten hinaus. Für 300er-Modelle - die gab‘s von ES und ETZ - liegen die Preise etwas höher.
Wie steht es um die Teileversorgung?
Von der RT bis zur ETZ gibt es noch alle Verschleißteile, und auch bei den anderen Teilen sind Probleme die Ausnahme, zum Beispiel Scheinwerfer-Reflektoren für die ES 125/150. Aber es tauchen auch immer noch Originalteile auf, weil alte Händler aufhören oder weil im Ausland kleinere Lager geräumt werden. Außerdem gibt es viele Nachbauten, überwiegend in guter Qualität. Bei den Preisen liegen wir - im Vergleich mit anderen europäischen Old- und Youngtimern - meist im unteren Bereich.
Nichts hält ewig: Wo schwächeln MZ-Einzylinder schon mal?
Mal abgesehen davon, dass bekanntlich auch Lichtmaschinen altern, halte ich die bis einschließlich TS verbaute 6-Volt-Anlage nicht mehr für zeitgemäß. Man sollte also auf eine 12-Volt-Anlage umrüsten und dann auch gleich eine elektronische Zündung verbauen. Ebenso grundsätzlich sollte man nach jahrelanger Standzeit - Stichwort: Scheunenfund - den Motor machen lassen. Neue Lager, neue Dichtungen etc., das kostet selten mehr als 450 Euro, erspart aber viel Ärger.
Welche Leute bestimmen die MZ-Szene?
Zum Gutteil solche, die schon früher Kontakt zu diesen Motorrädern hatten. Es gibt durchaus 80-Jährige, die ihre alte Emme immer noch in Schuss haben. Oder etwas Jüngere, die sich ihr Jugendgefährt wieder restaurieren. Aber zunehmend haben wir Kunden, die einfach ein robustes und vergleichsweise preiswertes Motorrad mit Charme wollen.
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