Porträt Colin Edwards

Porträt Colin Edwards Take it easy Colin

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Colin Edwards kann auf eine lange Racer-Karriere zurückblicken. Jetzt aber hat er wahrscheinlich den besten Moment erwischt, um das Rennleder an den Nagel zu hängen. PS sagt goodbye zu einem der schillerndsten Typen im Rennzirkus.

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Jetzt also Rentner, nach 20 Jahren im internationalen Profi-Rennzirkus und – Achtung – 12 Jahre nach dem letzten Sieg. Es stimmt tatsächlich, Colin Edwards gewann sein letztes Rennen am 29. September 2002. An dem Tag wurde er zum zweiten Mal Superbike-Weltmeister. In den darauf folgenden Jahren feierte der große Spaßvogel des Sports zwölf MotoGP-Podestplätze auf Werksrennern von Honda und Yamaha. Ein Sieg blieb ihm leider verwehrt. Einmal war er nah dran.

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Wer das Rennen 2006 in Assen verfolgt hat, wird das nie vergessen. Colin Edwards sah schon wie der sichere Sieger im Duell mit Landsmann Nicky Hayden aus, sah die Zielflagge bereits. Dann rutschte der „Texas Tornado“ in der letzten Schikane über die Curbs und stürzte. Reden mag er darüber heute lieber nicht mehr.
Für einige Jahre war Edwards aber einer der Top-Jungs im MotoGP. Zwischen 2004 und 2009 war er am Saisonende drei Mal unter den Top 5. In den Jahren danach rutschte er allerdings langsam ins Mittelfeld und dann nach hinten ab, vom Werksfahrer zum Satelliten-Team, dann CRT und zuletzt pilotierte er ein Open Class-Bike. Ungnädige Fans regten deshalb an, ihn künftig lieber „Texas Lüftchen“ zu nennen.

„Es ist jetzt einfach Zeit, ich weiß das“

Das Ende von Colins Karriere steht in krassem Widerspruch zu dem seines ärgsten Widersachers. Troy Bayliss hörte an dem Tag auf, an dem er die dritte Superbike-WM gewann – im Herbst 2008. Wer hat also das bessere Ende für sich? Edwards hat keine Zweifel. „Ich glaube nicht daran, aufzuhören, wenn man ganz oben steht. Warum, verdammt noch mal, sollte man so blöd sein und ganz oben hinwerfen?“, lacht er. „Aber klar, Jahr für Jahr ging es etwas weiter die Treppe runter.“
In Wahrheit hat Troy Bayliss aufgehört, weil er musste. Er hatte seiner Frau Kim versprochen, mit dem Rennfahren Ende 2006 aufzuhören – und einfach weitergemacht. Mit den größer werdenden drei Kindern wollte Kim aber endgültig wieder zurück nach Australien. Da musste sich Troy 2008 entscheiden: Familie oder Racing. Heute ist der dreifache Superbike-Weltmeister mit sich im Reinen. In den ersten Jahren danach aber hatte Bayliss zu knapsen, brodelte immer noch dieses Alphatier von Racer in ihm und der Drang, wieder zurückzukommen, es den anderen noch einmal richtig zu zeigen. „Ich denke immer wieder darüber nach, ob es der richtige Zeitpunkt war. Aufhören ist verdammt schwer“, sagte Bayliss noch 2011.

Colin Edwards dagegen fuhr so lange, wie er es wollte – bis er genug von dem Sport hatte, der ihn zu einem reichen Mann gemacht hat. Das ist der üblichere Weg für Racer: Sie müssen immer schlechtere Ergebnisse auf immer schlechteren Motorrädern durchleiden, bis sie ihre eigentlich unstillbare Lust an diesem jährlichen Sommer-Adrenalin-Tsunami verlieren. Für Edwards nahte dieser Moment mit Beginn der Saison 2014 – dank richtig schlechter Ergebnisse und drei aufmüpfiger Kinder zu Hause in Texas. „Es ist jetzt einfach Zeit, ich weiß das“, sagt der 40-Jährige, der im April sein Karriere-Ende bekannt gab. Sein letztes Rennen als echter Racer fuhr er bereits im August in Indianapolis. „Ein paar Wochen nach dem Indy-GP fuhr ich zum GP in Silverstone. Ich lief aber nicht rum und dachte, Scheiße, ich will da mitfahren – der Gedanke kam mir nicht einmal.“

Stattdessen gingen ihm bei seiner Ankunft am Abend vor dem ersten Training ganz andere Sachen durch den Kopf. „Ich fühlte nichts von dieser üblichen Nervosität“, so Edwards. „Kein Druck, nichts. Ich fuhr einfach hin, war entspannt, trank Wein schon zum Mittagessen – das war cool. Yamaha hatte für mich ein Tribute-Video von Indy gemacht. Wir saßen da und sahen es uns an. Aber ich wurde null gefühlsduselig. Meine Frau wurde ganz emotional und alle um mich herum auch. Ich nicht. Deshalb ist es der richtige Zeitpunkt. Ich bin bereit, heimzugehen.“

Edwards‘ Karriere immer perfekt geplant und durchgezogen

Es ist ja nicht so, dass Edwards zu Hause herumsitzen und sich langweilen wird. Am Ende der Saison gibt es vielleicht sogar noch ein einmaliges MotoGP-Comeback mit einer Werks-Yamaha M1 beim Saisonfinale in Valencia – ein Abschiedsgeschenk von Yamaha für den Texas Tornado. Außerdem hat Edwards einen Vertrag mit Michelin, die Reifen für Yamaha im Vorfeld der MotoGP-Rückkehr der Franzosen 2016 zu testen. Damit hat er bereits begonnen. Für Edwards ist das genau der richtige Bremsfallschirm ins Privatleben, ein sanfter Drift zurück in die Realität – genau wie bei Casey Stoner, der hin und wieder für Honda testet.

Edwards‘ Karriere schien immer perfekt geplant und durchgezogen. Sie verlief in dieser typischen Richtung vom Schuljungen auf dem Motocross-Motorrad zum Jungracer, von den 250er-Zweitaktern zu den US-Superbikes, zur WM und schließlich MotoGP. Er war immer sein eigener Manager und verdiente damit gutes Geld – bis heute. Als 2012 die CRT-Bikes kamen, verdiente nur einer der Fahrer auf den aufgemotzten Straßenmotorrädern eine Million Dollar im Jahr.
Der Texas Tornado wird immer eng verbunden bleiben mit zwei der größten Namen in diesem Sport. Wenn Troy Bayliss sein ärgster Konkurrent war, dann war Valentino Rossi mit Abstand Colins wichtigster Teamkollege. Die beiden gewannen 2001 zusammen die Acht Stunden von Suzuka und waren drei gemeinsame Jahre im Yamaha- Werksteam. Als Teampartner verstanden sich die beiden blendend, was eher ungewöhnlich ist. Sie teilten die gleiche Rock’n’Roll-Großspurigkeit und die Vorliebe, es sonntags nach den Rennen krachen zu lassen. „Valentinos Teammate und Teil dieser Geschichte gewesen zu sein, ist cool“, sagt Edwards und zieht es vor, über ihre Sonntagnacht-Abenteuer zu schweigen.
„Alles, was ich dazu sage ist, dass mich Valentino jederzeit unter den Tisch saufen konnte – wenn er wollte.“ Den Fahrstil seines Teamkollegen hat Edwards immer bewundert, wie er nun auch den von Marc Márquez neidlos anerkennt. „Dass Vale ‚der Doktor‘ genannt wird, hat seine Berechtigung, denn alles ist so smooth bei ihm. Ich fuhr hinter ihm her und gab immer alles, aber er stürmte trotzdem Meter um Meter davon. Márquez ist noch aggressiver, sein Bike ist ständig am Zappeln. Ihr Stil ist grundverschieden.“

Zur rechten Zeit am rechten Ort

Vielleicht hadert Edwards damit, nie ein MotoGP-Rennen gewonnen zu haben, aber zweifellos war er in seiner Karriere fast immer zur rechten Zeit am rechten Ort. Als er in den späten 1990er-Jahren in der Spitze der Superbike-WM fuhr, rieten ihm viele Leute, doch in den 500er-GP einzusteigen und endlich reich zu werden. Ein Testtag auf der grandiosen Honda NSR 500 machte ihm klar, dass das keine gute Idee wäre: „Im Februar 1999 durfte ich die Honda in Phillip Island einen Tag lang testen. Ich war eigentlich mit meinem Twin-Superbike da und dann hieß es, fahr doch mal die NSR. Scheiße, alles ging so schnell. Das Bike war total steif und nervös, aber ich hab es ganz gut hinbekommen. Mick Doohan fuhr 1.32,6 Minuten. Ich schaffte 1.33,5. Deshalb erinnere ich mich so gut, ich war nur eine Sekunde hinter Mick Doohan! Sofort fing Michelin an, Topreifen zu montieren. Als ich aber abends vom Bike stieg, war ich am Ende, komplett fertig, rein von der mentalen Anstrengung, die einem das Motorrad abverlangt. Pustest du nur einen Moment durch, wirft dich das Ding über die Reifenstapel. Mir hat der Tag gereicht, diese 500er waren Teufelsdinger.“

So blieb Edwards bei den Viertaktern und ist sich sicher, dass das besser für seine Gesundheit und die lange Karriere war: „Ich stand nie besonders auf Stürze. Ich bin einfach ein Viertakttyp und deshalb sogar ein Viertakt-Zweizylinder-Mann, denn die Twins wirken eher elektrisch, alles passiert etwas langsamer.“ Die Honda SP2, mit der er 2002 zum zweiten Mal Weltmeister wurde, ist bis heute sein Lieblingsbike. „Unser ganzes Ziel bei Honda war es, einen Ducati-Killer zu bauen – und das haben wir geschafft!“ Erstaunlicherweise besitzt er keines seiner Weltmeister-Motorräder. „Honda hat sie. Vielleicht hab ich jetzt die Zeit, bei denen mal nachzuhaken“, lacht er.

Edwards‘ Liebe zu Twins ging so weit, dass er nach der Enttäuschung, von Honda kein Werks-MotoGP-Bike für 2003 zu bekommen, beim ärgsten Superbike-WM-Konkurrenten, bei Ducati, für die Superbike-WM unterschrieb. „Ich hatte den Ducati-Vertrag unterschrieben, aber sie waren so fair, mich ziehen zu lassen und meinen Grand Prix-Traum wahr zu machen.“ Dieser Traum verwandelte sich auf der gnadenlosen Aprilia RS Cube aber schnell in einen Albtraum, was

Edwards zu einem seiner grandiosen Sprüche inspirierte: „Du schneidest einem Stier die Eier ab, wedelst damit vor seiner Nase herum und steigst dann auf den Bullen drauf – so ist das mit der Cube.“ Das war ziemlich der einzige große Fehler seiner Racer-Laufbahn, die auch überraschend mild mit seinem Körper umging. Sein sehr weicher Fahrstil ist Teil der Saga vom Racer, der stets in einem Stück abstieg. Wie viele Knochen gingen aber tatsächlich zu Bruch? „Eins, zwei, drei, vier Schlüsselbeine“, zählt er. „Außerdem beide Knie, zweimal Kreuzband. Das war’s eigentlich, abgesehen von dem Schleudertrauma 2009 am Sachsenring. Ich war Dritter im Regen, als ich einen Highsider hatte und rückwärts sitzend ins Kiesbett flog. Das macht mir immer wieder mal zu schaffen.“

Rckblicke auf einige tolle Wochenenden

Abgesehen vom gelegentlichen Zwicken im Nacken und der furchtbaren Erinnerung an Sepang 2011, als er und Rossi mit dem gestürzten Marco Simoncelli kollidierten, nimmt er viele positive Erinnerungen mit in die Rennfahrer-Rente. Sein absolutes Highlight bleibt natürlich Imola 2002. „Das war ein besonderes Wochenende, das letzte Rennen der Saison sollte über den Titel entscheiden, und Troy und ich überholten uns fünf Mal in der letzten Runde – episch! Es war sehr merkwürdig dort. Troy und ich hatten überhaupt keine Probleme miteinander und die Atmosphäre war so dick, man hätte sie schneiden können. So sehr ich in meiner Karriere jedem gern den Kopf abgerissen und in seinen Hals gekackt hätte, damals war ich einfach nur stolz, ein Teil von etwas Besonderem zu sein. Hätte er gewonnen, hätte der Beste gesiegt, und das galt eben auch für mich.“

Edwards kann auf einige tolle Wochenenden zurückblicken: „Meine besten MotoGP-Erinnerungen sind das Podium 2005 in Laguna Seca, als Zweiter hinter Hayden und Donington als Zweiter hinter Dovizioso im Regen – auf Slicks. Das war ein verdammt abgedrehtes Rennen. Davon gab es einige.“ Edwards fuhr so hart wie alle anderen und genoss die Zeit vor und nach den Rennen besonders. Am liebsten erinnert er sich an entspannte Trips über europäische Straßen während seiner Superbike-WM-Jahre. „1995 bis 2000 war eine richtig schöne Zeit, weil wir für vier Monate komplett nach Europa kamen und in einem Konvoi mit vier oder fünf anderen Superbikern von Misano nach Deutschland oder wo auch immer fuhren, hier und da anhielten, grillten und andere spaßige Sachen zusammen machten. Heute ist das anders. Zu Hause sind die Kinder, und ich fliege jedes Mal zu den Rennen und gleich wieder zurück.“ Edwards mag dem Rennfahren in der Königsklasse vielleicht nicht mehr nachtrauern, aber der MotoGP wird ganz sicher den aufrichtigsten Gerade-heraus-Typen des Fahrerlagers vermissen – wie wir Fans.

Daten und Fakten

Archiv
Als Superbike-Pilot schrieb Colin Edwards 1996 tatsächlich Kolumnen für PS.

Colin Edwards
Geboren am 27.2.1974 in Houston/Texas. 1992 wird er Profi und gewinnt auf Anhieb die 250er-US-Meisterschaft gegen Kenny Roberts jr. Danach fährt er US-Superbike und bekommt 1995 einen Yamaha-Werksvertrag für die WM. 1998 wechselt der Texas Tornado zu Honda und wird ein Jahr später Vize-Weltmeister (2001 erneut). 2000 und 2002 gewinnt er den WM-Titel gegen seinen ständigen Widersacher Troy Bayliss. Dann wechselt Edwards in den MotoGP. Dort schafft er drei Pole Positions (erste 2007 in Le Mans) und zwölf Podestplätze (erstes Podest 2004 in Donington), ein Rennsieg bleibt ihm verwehrt. Colin ist verheiratet mit Alyssia. Die beiden haben drei Kinder.

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