Ganze viereinhalb Monate benötigte Werner Fallert, Chef eines Acherner BMW-Auto- und Motorradhauses, um 1977 einen Königswellenboxer nach einer Konstruktion des Grazer Ingenieurs Ludwig Apfelbeck zu bauen. Sein Mechaniker Hans Schmid und der Rennexperte Fritz Kläger aus Freiburg unterstützten ihn tatkräftig. Das „Projekt Königswelle“ kam in einer Zeit, als die Japaner bereits auf zehn Jahre Erfahrung mit leistungsstarken, großen Maschinen zurückblicken konnten und die Fans der weißblauen Marke aus München noch immer sehnsüchtig auf eine sportliche, schnelle BMW warteten. Was Apfelbeck in der Theorie entwickelte und Fallert im Winter 1977 konsequent in die Praxis umsetzte, war der Wirklichkeit gewordene Traum vieler Motorradfahrer. Man muss sich das vor Augen führen: Im November 1977 schickte Apfelbeck die technischen Zeichnungen. Und im April 1978 lief der Motor zum ersten Mal.
Fallert ließ von einem Modellschreiner die Sandgussformen erstellen. Die eigens dafür gebauten Positiv-Formen des Motors sind heute leider nicht mehr vorhanden. Was aber eine Besichtigung des Fallert’schen Kellers zu Tage fördert, sind die leicht angestaubten Gussformen des Motors. In Regalen lagern zahlreiche noch unbearbeitete Magnesium-Rohlinge - Vierventil-Zylinderköpfe, Ventildeckel und Motorgehäusehälften. Kartons voller Kolben aus dem Hause Mahle, Kästen mit Kipphebel-Rohlingen und weitere Motorinnereien finden sich. Sogar die Zeichnungen Apfelbecks existieren noch.
Ob man aus den vorhandenen Teilen noch einen kompletten Königswellenmotor aufbauen könnte? Diese Frage schießt mir durch den Kopf. Als ich in den 1990er-Jahren bei Fallert meine Zweiradmechaniker-Lehre begann, wusste ich wenig über diesen genialen Motor. Ein Exemplar stand lange Zeit zur Ansicht in einem Glaskasten im Verkaufsraum und zog mich immer wieder magisch an. Die Besonderheit des Triebwerks lässt sich nicht auf den namengebenden Königswellenantrieb reduzieren. Der luftgekühlte 170-Grad-Boxer wartet auch mit einer raffinierten Einnockensteuerung auf. Pro Zylinder betätigt ein einzelner Nocken zwei Gabel-Kipphebel, die wiederum je zwei Ein- und Auslassventile öffnen. Der ganze Aufbau ist auf sportliche Leichtigkeit getrimmt, nicht zuletzt geprägt durch die gegossenen Magnesiumteile.
Bei europäischen Bergrennen, der offenen österreichischen Superbike-Serie und den Battle of Twins-Rennen sorgte der Fallert-Motor in den 1980er-Jahren für Aufsehen und beachtliche Erfolge: Der österreichische Rennfahrer Konrad Stückler gewann auf einer Königswellen-Rennmaschine unter anderem das Bergrennen von Julbach mit neuem Streckenrekord. Und beim Battle of Twins-Rennen auf dem Kurs von St. Wendel siegte er mit fast drei Sekunden Vorsprung auf seine Verfolger. Auf der Geraden in St. Wendel rannte die Fallert-BMW mit satten 256 km/h durch die Lichtschranke. Die Teilnahme des über 120 PS starken Renners 1981 beim Bol d’Or im französischen Le Castellet bewies seine Zuverlässigkeit und sollte als Härtetest für eine eventuelle Serienfertigung der FM 1000 dienen. Leider blieb es bei diesem Traum. Aber es zeigt, mit welchem Ehrgeiz Fallert seine Projekte vorantrieb.

Diesen Ehrgeiz erlebte ich Anfang der 1990er während meiner Ausbildung quasi am eigenen Leib. Fallert war damals bereits in einem Alter, in dem die meisten arbeitenden Menschen sich auf ihren verdienten Ruhestand freuen würden. Er hatte sich gerade vom Autohaus getrennt und konzentrierte sich auf das Motorradgeschäft mit BMW. Endlich hatte er den Freiraum, an seinen Projekten zu arbeiten, wie er heute sagt. Davor sei es nur ein Werkeln zwischen Tür und Angel, zwischen Motorrad- und Autowerkstatt gewesen. Denn seine große Leidenschaft war schon immer die Entwicklung neuer Teile, und das nicht nur für Motorräder. Ich erinnere mich gut daran, wie er regelmäßig im Arbeitsmantel in der Werkstatt auftauchte und an irgendetwas tüftelte. Mal arbeitete er an einem leichten Motorrad-Trailer, der in leerem Zustand zusammengefaltet auf der Pkw-Anhängerkupplung transportiert werden konnte und so die Geschwindigkeitsbeschränkung für den Anhängerbetrieb umging. Eine andere seiner Ideen beschäftigte sich mit der optimalen Passform von Motorradhelmen - und uns Werkstattmitarbeiter mehrere Monate lang mit kuriosen Experimenten. Seiner Meinung nach waren die käuflichen Sturzhelme nicht für jede Kopfform geeignet. Unzählige Versuche, die richtige Mischung Zweikomponenten-Schaum in eine zwischen einem Kunstkopf und einer Helmschale sitzende Schlauch-Form zu spritzen, endeten regelmäßig in einer klebrigen Sauerei - die der Lehrling putzen durfte. Später soll er solche Versuche an lebenden Personen durchgeführt haben, wie ich hörte. Das war glücklicherweise nach meiner Zeit. Oft lästerten wir über seine Ideen, es kam uns vor wie der Spleen eines Besessenen. Heute kann er selbst darüber schmunzeln. Den „Sturzhelm mit einer körpergerechten Polsterung“ hat er damals zum Patent angemeldet und ist mit seiner Idee sogar bei Helmherstellern hausieren gegangen. Dazu war er sich nicht zu fein. Im Gegenteil: Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog er es konsequent bis zuletzt durch.
Auch für die frisch auf den Markt gekommenen BMW-Vierventil-Boxer entwickelte er Tuning-Komponenten. Gemeinsam mit seinem Mechaniker Hans Schmid konstruierte er leichtere Kipphebel, um die bewegten Massen des neuen Boxers zu reduzieren. Tagelang brummte ein Motor mit monotoner Drehzahl auf dem werkstatteigenen Prüfstand, um die Teile auf ihre Funktion und Standfestigkeit zu testen und sie dann in den Tuning-Katalog aufnehmen zu können.
Im 81. Lebensjahr kann Werner Fallert das Tüfteln und Basteln nicht lassen. Es gehört zu seinem Leben, wie die Marke BMW und die Zweiventil-Boxer. Unter dem Label „Fallert MDesign“ fertigt er leichte Underseat-Auspuffanlagen aus Edelstahl für die moderne Boxer-Generation. Natürlich hat er sie auf dem Prüfstand getestet. Sie tönen nicht nur kerniger als das Original, sondern sorgen auch für eine gleichmäßigere Leistungsentfaltung und erlauben die Montage von zwei gleich großen Koffern an den Seiten. Zwar betreibt er keine Massenproduktion, aber in der BMW-Szene sind seine Auspuffanlagen und sein niedriger Sitz, den er für die GS anbietet, durchaus bekannt.

Im Alltag bewegt er am liebsten seine R 80 G/S. Selbstredend, dass er ihrem Motor leistungssteigernde Maßnahmen hat angedeihen lassen. Und wenn möglich, nimmt er mit seiner betagten BMW R 51 an Veteranenveranstaltungen teil. Seinen trockenen Humor hat Werner Fallert nicht verloren, trotz manchem Rückschlag in seinem Leben. Zu seiner Teilnahme beim Schottenring-Rennen im vergangenen Jahr sagt er: „Ich bin meistens aus den vorderen Startreihen gestartet. Nur 2011 nicht. Da musste ich vom letzten Platz starten und habe trotzdem einen Pokal geholt.“ Es war der Pokal für den ältesten Teilnehmer der Veranstaltung.
Für 2012 hat sich Werner Fallert erneut hohe Ziele gesteckt: Er will die weiße FM 1000 wieder fit machen für das Veteranenrennen in Schotten. Und fahren will er sie natürlich selbst. Bleibt zu wünschen, dass er sich noch lange einer guten Gesundheit erfreuen kann und der geniale Königswellenmotor zumindest regelmäßig die Besucher von Klassikerrennen in Begeisterung versetzt.