Das Rallye-Comeback von Honda ging bei der Dakar 2013 kräftig daneben. Kurz nach dem Jahreswechsel will sich der Motorrad-Gigant bei der größten aller Wüsten-Rallyes rehabilitieren – mit einer brandneuen Maschine.
Das Rallye-Comeback von Honda ging bei der Dakar 2013 kräftig daneben. Kurz nach dem Jahreswechsel will sich der Motorrad-Gigant bei der größten aller Wüsten-Rallyes rehabilitieren – mit einer brandneuen Maschine.
Es wäre eine Erfolgsstory geworden, wie sie nur der weltgrößte Motorradhersteller hätte schreiben können. Honda entschließt sich 24 Jahre nach dem letzten Triumph bei der Rallye Dakar zu einem Comeback im Rallye-Sport, rüstet die Sportenduro CRF 450 X wüstentauglich auf, engagiert eine Handvoll Rallyeerfahrener Piloten – und holt schließlich den Sieg. Doch die Dakar 2013 schrieb das Drehbuch um. An Etappensiege war nicht zu denken, und der beste Honda-Pilot, der Portugiese Hélder Rodrigues, landete in der Endabrechnung gerade mal auf Rang sieben.
Offensichtlich hatten die Honda-Verantwortlichen das technische Niveau im Rallye-Sport nach der langen Abstinenz gehörig unterschätzt. Oder, wie es mancher Insider des Wüsten-Rennsports prägnanter formulierte: Die CRF 450 Rally war zu instabil, zu schwer und zu schwach. Insofern blieb den Japanern für die am 5. Januar 2014 startende nächste Dakar-Ausgabe nichts anderes übrig, als den Reset-Knopf zu drücken. „Wir haben kaum ein Element von der bisherigen Maschine übernommen“, umschreibt Projektleiter Katsumi Yamazaki vielsagend den Neustart. Details über die neue CRF 450 Rally lässt er sich aber nicht entlocken, und Mitwisser gibt es wenige. Entwickelt und gebaut wird der Wüstenrenner nämlich vollständig bei der Honda Racing Corporation (HRC) im Stammhaus in Japan. Dennoch traut sich auch die hoch dekorierte Rennabteilung nicht zu, den enormen logistischen Aufwand bei der bekanntesten Wüsten-Rallye der Welt in Eigenregie zu stemmen. Anstatt sich wie bei der vergangenen Dakar ausschließlich auf die Dienste des niederländischen HT Honda Rally Raid-Teams zu verlassen, setzen die Japaner für die kommende Wüstentour auf ein zweites Standbein: die in Stephanskirchen bei Rosenheim ansässige Speedbrain-Truppe.
Dieser rallyesportliche Ritterschlag kommt für den Sechs-Mann-Betrieb um Mastermind Wolfgang Fischer gerade zur rechten Zeit. Nur drei Wochen nachdem Starfahrer Joan Barreda bei der vergangenen Dakar die auf Husqvarna startende Truppe mit vier Etappensiegen brillant in Szene gesetzt hatte, verkaufte der Mutterkonzern BMW den norditalienischen Hersteller nämlich an KTM. Seitdem führt die Manufaktur das Rallye-Engagement mit der Husky-Technik in Eigenregie fort und brachte für die anstehende Dakar fünf in Handarbeit aufgebaute Maschinen an den Mann. Parallel dazu sind die Bayern seit Mitte des Jahres aber vollständig in das Honda-Projekt integriert. Mit durchschlagendem Erfolg: Gleich beim Stapellauf der neuen Honda Ende Oktober bei der Marokko-Rallye holte die Speedbrain-Delegation mit dem zweiten Piloten, dem Portugiesen Paulo Gonçalves, den Sieg.
Als wollten die Bayern den jüngsten Triumph wie einen Talisman konservieren, steht die neue CRF 450 Rally noch mit der staubigen Patina der gelungenen Dakar-Generalprobe in der Werkstatt. Optisch wurde die Honda auf den ersten Blick kaum verändert, besticht nach wie vor mit der tadellosen Verarbeitung. Die transparente Frontscheibe, eine hoch glänzende Oberfläche und Schnellverschlüsse verleihen dem Prototyp ein beinahe großserienmäßiges, fast schon geschliffenes Finish. Auch unter der Hülle ist alles neu, wenn auch nicht zwangsläufig spektakulär. Das Fahrwerk übernimmt in seiner Konzeption weiterhin den im Motocross-Sport längst üblichen Aluminium-Brückenrahmen. Zu vermuten ist, dass der im vergangenen Jahr gegenüber dem Enduromodell bereits um zwei Zentimeter verlängerte Radstand zugunsten besserer Highspeed-Stabilität nochmals angewachsen ist. Auch die Tanks der Neuen wurden modifiziert, fallen im unteren Bereich sichtbar schlanker aus. Das dadurch reduzierte Volumen gleicht das ebenfalls komplett überarbeitete Heck aus. Statt aus einem Hilfsrahmen mit zwei seitlich angeschraubten Spritbehältern besteht das Rahmenheck nun aus einem selbsttragenden Kohlefaser-Monocoque.
Diese Lösung besitzt gleich drei Vorteile. Erstens baut das Heck mit dem integrierten Tank deutlich schmaler, zweitens hilft der nach hinten verlagerte Spritvorrat, die bei Rallye-Boliden schwere Front zu entlasten, und drittens befindet sich das Benzin dadurch erheblich näher am Schwerpunkt der Maschine. Letztlich dürfte diese Änderung das Fahrverhalten der CRF tief greifend verändern.
Hinter den Fronttanks, die in der Öffentlichkeit – und auch für die Studiofotos von MOTORRAD – nicht demontiert werden durften, verbirgt sich die eigentliche Sensation der 2014er-Rallye-Honda: der Einzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen. Grundsätzlich ist diese bei der Mehrzahl der Motorradmotoren verbreitete Ventilsteuerung alles andere als außergewöhnlich. Brisanz erhält das Thema erst vor dem Hintergrund, dass Honda seit der Einführung seiner neuen Viertaktmotoren-Generation im Offroadsport im Jahr 2002 das hohe ‚Lied des kompakt bauenden Unicam-Ventiltriebs singt, auch wenn sich vor allem die hubraumschwächeren Modelle seitdem leistungsmäßig mit diesem Konzept schwertun. Der dohc-Kopf dürfte dem von einer Einspritzung gefütterten 450er-Single deshalb vor allem bei höheren Drehzahlen mehr Power verleihen. Dabei halten sich die absoluten Leistungswerte eines Rallye-Motors in Grenzen. Zugunsten der Haltbarkeit beschränken sich die Konstrukteure auf eine Spitzenleistung von knapp über 60 PS, denn der Tausch von Motoren ist nur unter Strafe erlaubt.
15 Minuten Zuschlag fallen für den ersten Motorenwechsel an, 45 Minuten für den zweiten und zwei Stunden für den dritten.
Vielleicht ist gerade dieser Aspekt der Grund für ein weiteres Novum an der Rallye-Honda. Die Raddrehzahl-Sensoren an Vorder- und Hinterrad deuten darauf hin, dass die HRC-Crew erstmals im Rallye-Sport eine Traktionskontrolle einsetzt. Entsprechend abgestimmt, könnte die Schlupfregelung bei kurzzeitig entlastetem Hinterrad helfen, Drehzahlspitzen zu vermeiden, ohne die fahrtechnischen Vorteile eines Powerdrifts im losen Terrain zu verlieren. Auch die Haltbarkeit der Reifen könnte vom reduzierten Schlupf profitieren. Auf zwei Marathon-Etappen dürfen die Piloten am Abend weder fremde Hilfe in Anspruch nehmen noch die Reifen wechseln.
Doch all das muss zunächst Spekulation bleiben. Klar ist dagegen, dass Honda nach dem mäßigen Erfolg beim Comeback im zweiten Anlauf Ernst macht. Das neue Wüstenschiff soll mit vollgetankt 162 Kilogramm etwa zehn Kilo leichter und mit einem Topspeed von 175 km/h etwa zehn Stundenkilometer schneller als das Vorgängermodell sein. Unter Marketing-Aspekten wäre ein Sieg bei der populärsten aller Wüstenrallyes selbstredend eine Punktlandung. Damit könnten die Roten den 25. Jahrestag des letzten Siegs bei der Dakar im Jahr 1989 genauso standesgemäß feiern wie die geplante Präsentation der neuen Honda Africa Twin. Oder wird die dann South America Twin heißen?
Wenn vom 5. bis zum 18. Januar 2014 der Tross der Dakar zum sechsten Mal 8700 Kilometer durch Südamerika rollt, dürften nur noch die wenigsten Fans den afrikanischen Wurzeln dieser Wüstenhatz nachtrauern. Zu imposant ist die Kulisse mit Millionenpublikum und beeindruckenden Landschaften. Zumal bei der kommenden Dakar-Ausgabe neben den Pisten der traditionellen Gastgeberländer Argentinien und Chile zum ersten Mal bolivianischer Boden befahren wird.
In sportlicher Hinsicht wird die Ausrichtung dieser Dakar vor allem für die Motorradfahrer nachgeschärft. So werden die 181 Biker 40 Prozent der Sonderprüfungen auf von den Autos getrennten, fahrerisch deutlich anspruchsvolleren Trassen bewältigen müssen. Eine Herausforderung, die auch zwei deutsche Piloten annehmen. Während Jörg Majoli (53) aus dem saarländischen Püttlingen seinen Traum von der Dakar-Teilnahme zum ersten Mal verwirklicht, kann der Bayer Ingo Zahn (50) von seiner Erfahrung bei bislang drei Dakar-Starts zehren.
Der Kampf um den Sieg wird sich allerdings im Kreis der etwa ein Dutzend Werksfahrer abspielen. Während die fünf Honda-Piloten zunächst ohne Stallorder agieren können, stehen die Leader mit Marc Coma bei KTM und dem in diesem Jahr überraschend von den Österreichern zu Yamaha gewechselten Titelverteidiger Cyril Despres eindeutig fest.
Der TV-Sender Eurosport wird von der Rallye berichten. Eine Zusammenfassung jeder Etappe ist am selben Abend um 23 Uhr geplant.
Insgesamt fünf Werksfahrer werden bei der kommenden Dakar für Honda antreten. Während Hélder Rodrigues (P), Sam Sunderland (UAE) und Javier Pizzolito (ARG) ins niederländische HT Honda Rally Raid-Team integriert werden, betreut die deutsche Speedbrain-Truppe den als potenziellen Dakar-Sieger gehandelten Joan Barreda (E) und den amtierenden Rallye-Weltmeister Paulo Gonçalves (P/auf Foto rechts). Die Mannen um Teamchef Wolfgang Fischer (sitzend) traten bei der Dakar 2013 noch als offizielles Werksteam von Husqvarna an und holten – mit Barreda im Sattel – immerhin vier Etappensiege. Nach dem Verkauf des italienischen Herstellers führten die äußerst professionell agierenden Bayern das Projekt mit der in Eigenregie aufgebauten Speedbrain 450 Rally fort.