Reifen in der MotoGP
Der Preis der Einheit

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Vor Jahren erließ die Dorna als MotoGP-Veranstalter Regeln für Einheitsreifen, um den Reifenstreit zu beenden und Chancengleichheit zu schaffen. Gelungen ist das – bis jetzt – nicht wirklich.

Der Preis der Einheit
Foto: 2snap

Seit sechs Saisons gibt es die MotoGP-Einheitsreifen. Seit sechs WM-Jahren also die gleichen Regeln und ein Hersteller: Bridgestone. Jahrzehnte gab es im Grand Prix die Aufgabe, Reifen zu konstruieren, die für die Motorräder funktionieren. Seit den Einheitsreifen ist das genau anders herum. Da es nur diesen einen Reifen gibt, müssen alle Motorräder auf ihn zugeschnitten sein, müssen die Bikes so entwickelt werden, dass sie den bestmöglichen Grip aus dem Gummi holen. Wem dies passabel genug gelingt, der wird Weltmeister.

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„Am Ende hängt alles davon ab, wie gut das Bike mit den Reifen kann, denn man muss die richtigen Kräfte wecken, die den Reifen zum Arbeiten bringen“, erklärt Suzuki-MotoGP-Ingenieur Tom O’Kane. „Man kann beobachten, wie sich das Bike-Design bei allen Herstellern in eine bestimmte Richtung entwickelt: um die jüngsten Einheitsreifen möglichst effektiv einsetzen zu können. Das ist ein Looping, denn die Reifen verändern sich ja immer wieder und die Motorräder passen sich an. Wer das nicht hinbekommt, kann nicht schnell sein.“

Schuld sind nur die Einheitsräder

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Casey Stoner gewann mit dem Bridgestone-Slick für Ducati 2007 die MotoGP-Weltmeisterschaft, nach der Einheitsreifenregelung 2009 verpassten es die Italiener, die Desmosedici auf die Bridge­stones hin zu entwickeln. Stoner wechselte zu Honda und wurde noch einmal Weltmeister.

Ducati gibt die Schuld an den Problemen, von denen sie seit 2009 gequält werden, der Tatsache, dass es nicht gelungen ist, die Desmosedici auf die Einheitsreifen hin zu entwickeln. Diese sind nun einmal komplett anders als die Bridgestone-Slicks, mit denen Ducati und Casey Stoner 2007 Weltmeister wurden.

Ein hausgemachtes Problem der Italiener, denn die Reifen funktionieren ja bei Honda und Yamaha weitgehend einwandfrei (meistens jedenfalls). Es sei denn, man glaubt der Verschwörungstheorie, dass der japanische Reifenproduzent die Einheitsreifen gezielt für Honda und Yamaha baut, um damit sicher sein zu können, dass beide Firmen ihre Millionen Serienmotorräder mit OE-Reifen von Bridgestone ausstatten. Eine eher platte Anschuldigung, denn die Honda RC 213 V und die Yamaha M1 sind gewaltig unterschiedliche Motorräder, was es Bridgestone geradezu unmöglich macht, beiden entgegenzukommen und einen Reifen bauen zu können, der auf M1 und RC 213 V gleich funktioniert.

Neuer Hinterreifen, alte Diskussionen

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"Das Chattering war furchtbar. Das hieß für uns Ein Jahr Scheisse fressen", Dani Pedrosa, Honda-Werksfahrer.

Dieses Jahr hat sich am Vorderreifen zu 2012 nichts geändert, als der weichere Slick für mehr Gefühl vorne entwickelt worden war. Die große Entwicklung 2014 betrifft den Hinterreifen. Einige Jahre – vor allem von 2010 bis 2012 – musste Bridgestone eine Menge Kritik von den Fahrern einstecken, weil der Hinterreifen schlecht auf Temperatur zu bringen und diese schwierig über längere Zeit zu halten war. Valentino Rossi war das prominenteste Opfer dieser Eigenschaft, als er sich 2010 in Mugello das Bein brach, nachdem er kurz das Gas rausgenommen hatte und der Reifen schnell abgekühlt war. Im vergangenen Jahr schien Bridgestone die Probleme endlich im Griff zu haben. Der 2013er-Slick wärmte sich deutlich schneller auf, was den ersten Runden viel von der Sturzgefahr nahm. Doch dann kam das Phillip Island-Desaster, wo sich der Reifenhersteller dem weltweiten Spott aussetzen musste, einen Rennreifen zu bauen, der nicht einmal ein halbes Rennen übersteht.

Bridgestone wird alles daran setzen, nie wieder so ein Eigentor zu kassieren. Deshalb ist der 2014er-Hinterreifen widerstandsfähiger gegen sehr hohe Temperaturen – ein unvermeidbares Phänomen bei MotoGP-Bikes, die schneller, kräftiger und schwerer sind als jemals zuvor. Trotzdem muss er noch schnell genug heiß werden.

Wer braucht was? Der Streit geht immer weiter

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Das GP-Team des Einheitsreifen-Herstellers besteht hauptsächlich aus Deutschen. Auch Ex-GP-Pilot Steve Jenkner ist wieder dabei.

Aber wie immer im Racing gilt: ­Alles geht nicht! Wer an einer Stelle die Performance erhöht, muss sie an anderer Stelle wegnehmen. In diesem Fall verringert die neue, härtere Konstruktion die Verformungsmöglichkeiten des Reifens auf der Flanke, was die Auflagefläche dort und damit den Grip in großer Schräglage verringert. Das wiederum trifft einige Fahrer härter als andere – am meisten sicherlich Jorge Lorenzo, der extrem schnell in großen Schräglagen fast durch die gesamte Kurve fährt. „Bridgestone ­will Nullkommanix riskieren, diesmal sind sie vielleicht zu konservativ“, meint der Weltmeister von 2010 und 2012. „Der Hinterreifen ist jetzt auf der Seite sehr steif. Das ist gut für Honda und schlecht für Yamaha, für mich ganz besonders, weil ich hohen Kurvenspeed brauche. Die Yamaha dreht sich nur widerwillig, wenn man sie mit dem Gasgriff zum Sliden bringt. Dann untersteuert sie sogar. Mangelnder Seiten­grip ist nun ein echtes Problem. Die Gesamtperformance ist natürlich wichtig, aber mit dem Reifen haben wir mehr Probleme als mit dem von 2013. Am meisten Sorgen bereitet mir die Sicherheit. Beim Gasgeben habe ich nie mehr riskiert als jetzt“, berichtet Lorenzo.

Seine Kritik findet bei Bridgestone offensichtlich Gehör. Bis zum Frankreich-GP in Le Mans im Mai will man einen überarbeiteten Hinterreifen entwickelt haben. Bridgestone höre auf Lorenzos Feedback, heißt es, aber auch auf Kritik anderer Fahrer, die gemerkt haben, dass der neue Reifen ihren Kurvenspeed bremst. Für den zweiten Saison-GP in Austin gab es deshalb zusätzlich den Reifen von 2013 – angeblich wegen Produktionsschwierigkeiten mit dem 2014er-Modell. Einige Fahrer sind mit diesen Entwicklungen gar nicht einverstanden. Wenn der neue Reifen Yamaha mehr Schwierigkeiten bereitet als Honda, wundert es nicht, dass die Honda-Piloten keine Änderungen mehr wünschen. Wieder gab es Verschwörungsanschuldigungen, als die 2013er-Reifen in Austin eintrafen, die den Yamahas den fehlenden Seitengrip zurückbringen sollten. Also merke: Die größte Leistung von Einheitsreifen – sie sind Manna für wildeste Gerüchte.

Größere Siegchancen braucht die MotoGP

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Zufrieden stellen kann man nicht alle mit den Einheitsreifen.

Honda fragt sich nun, warum Bridgestone nicht ihren Beschwerden gelauscht habe, als der weiche Vorderreifen Mitte 2012 eingeführt wurde und ihnen solche Probleme bereitet hat, während Yamaha damit sehr glücklich war. Stoner hätte damals vermutlich Lorenzo den Titel weggeschnappt, wenn man ihm erlaubt hätte, mit dem Vorgänger-Reifen zu fahren. Stoners damaliger Teamgefährte Dani Pedrosa erinnert sich noch gut daran, wie er mit dem neuen Reifen kämpfte: „Wir hatten plötzlich furchtbares Chattering, das ganze Jahr mussten wir Scheiße fressen“, regt sich der ehemalige 125er- und 250er-Weltmeister auf. Das ist der zweite Punkt mit Einheitsreifen: Alle werden damit nie zufrieden sein.

Es bedarf eines außergewöhnlich talentierten Fahrers, sich über all das hinwegzusetzen, was uns zu Marc Márquez bringt. Letztes Jahr gelang es nur wenigen Piloten, den harten Duo-compound-Reifen über die gesamte Renndistanz voll zu nutzen. Tatsächlich war Márquez der einzige Top-Fahrer, der diesen Reifen nutzte und damit 2013 ein Rennen gewann. Sein aggressiver Fahrstil beschert ihm als Einzigem die richtige Temperatur, während andere damit nicht genug Grip bekommen. Tatsächlich sind seine brutalen Kurveneingangs- und -ausgangsmanöver für den weichen Reifen zu viel. Auch in Katar 2014 zeigte sich das: Márquez fuhr als Einziger mit der harten Variante – und gewann. „Ich hatte mich kurzfristig entschlossen. Meine Mechaniker sahen mich entsetzt an, aber ich sagte, wir probieren es und schauen, was passiert. In der letzten Runde hatte ich einen kleinen Vorteil damit“, so der amtierende Weltmeister.

Hier und da wird Márquez diesen harten Reifen für sich nutzen können. Auf anderen Strecken, wo die Reifentemperaturen niedriger sind, haben die anderen Fahrer vielleicht Vorteile. Weniger aggressive Kurse begünstigen also die Fahrer der neuen Open-Klasse-Bikes, weil sie noch eine Stufe weicher fahren dürfen. Diese Regeln sollen allen Fahrern größere Siegchancen geben – und das braucht die MotoGP-WM dringender denn je. Passen die Umstände, muss man Aleix Espargaro mit der alten 2013er-M1 auf dem Schirm haben. Und das ist die dritte ­Eigenschaft der Einheitsreifen: Es bleibt spannend.

Reifen 2014 im MotoGP

Bridgestone
Die Bridgestone-Einheitsreifen für die MotoGO 2014.

Volle Härte
Der härteste Reifen trägt dieses Jahr ein rotes Band – immer.  Davor gab es von Rennen zu Rennen unabhängig ob Werks- oder CR-Team unterschiedliche Mixturen, von denen nur die weiche ein weißes Band trug.

Mittelding
Die unmarkierten Reifen sind die Medium-Slicks. Bei höheren Temperaturen am Renntag fällt bei den Werksteams die Entscheidung zwischen Schwarz und Rot. Die ersten Runden werden mit Rot schwierig

Weiße Flagge
Ist es kühl oder auf engen Strecken, auf denen die Reifen nicht ganz so heiß werden, wird der weichste Slick bei den Werks­teams zum Einsatz kommen. Wichtig wird hier, wie der Reifen am Ende abbaut.

Grünes Band
Dieser Reifen steht den Werksteams nicht zur Verfügung. Der extrasofte Slick bedient die Open-Klasse und ermöglicht schnelle ­Rundenzeiten. Bei zu viel Erfolg kann er Teams wie Ducati ­wieder entzogen werden.

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PS 6 / 2023

Erscheinungsdatum 10.05.2023