Wem die Grundfertigkeiten des Kurvenfahrens, nämlich Blickführung und Lenkimpuls, in Fleisch und Blut übergegangen sind, der kann sich an die Feinarbeit um die Kurvenlinie machen.
Wem die Grundfertigkeiten des Kurvenfahrens, nämlich Blickführung und Lenkimpuls, in Fleisch und Blut übergegangen sind, der kann sich an die Feinarbeit um die Kurvenlinie machen.
Lenkimpuls und Blickführung sind die wesentlichen Grundfertigkeiten, die man draufhaben sollte. Denn mit einem gezielten Lenkimpuls geht der störrischste Bock um die Ecken, und mit guter Blickführung am Ende auch wieder hinaus.
Sie lässt sich auch beim Radfahren, Paddeln, Skifahren oder Skaten üben, sogar beim Servieren. Kellner wissen das: Wenn sie gebannt auf ihre vollen Gläser auf dem Tablett starren, schwappt die Flüssigkeit unweigerlich über. Richten sie den Blick dagegen auf den Tisch des Gastes, klappt alles wie von selbst. Ein Selbstversuch sei wärmstens empfohlen – Sie werden sehen, es stimmt.
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Aber welche ist die richtige Linie? Auf Rennstrecken wird unter Ausnutzung der ganzen Fahrbahn die kürzestmögliche Linie mit geringstmöglicher Schräglage und höchstmöglichem Tempo gefahren, die sogenannte Ideallinie. Auf der Straße folgen wir der sogenannten Sicherheitslinie. Sie erfordert bisweilen mehr Schräglage, erleichtert aber eine optimale Blickführung und hält uns vom Gegenverkehr fern. Logisch: Je früher wir sehen können, umso früher können wir einlenken und auf flacher Linie kräftig ans Gas. Idealerweise ist das Tempo am Ausgang der Kurve höher als am Kurveneingang.
Um nun rasche Schräglagenwechsel zu meistern, wie sie zum Beispiel schnelle Wechselkurven erfordern, setzen wir den bereits beschriebenen Lenkimpuls ein. Denn diese Manöver gelingen weder über gut gemeinte Gewichtsverlagerungen noch den ominösen Schenkeldruck, sondern nur über kräftige und gezielte Lenkimpulse. Idealerweise übt man hierzu Druck auf das kurveninnere Lenkerende aus.
Um zum Beispiel eine Honda CBF 600 mit 100 km/h durch einen Kurvenparcours zu bugsieren, muss der Fahrer beim Schräglagenwechsel mit bis zu 300 Newton, also einer Gewichtskraft von rund 30 Kilogramm, am Lenker drücken.
Die Faustformel "rechts drücken – rechts fahren" und "links drücken – links fahren" bleibt natürlich leichter hängen und sollte das Mantra für den Fahralltag werden.
Wie leicht Kurven von der Hand gehen, hängt neben der Fahrtechnik auch vom Motorradtyp ab. Ein langer Radstand ist ebenso wie hohes Gewicht hinderlich beim lockeren Kurvenfahren. Viel Einfluss auf das Fahrverhalten haben auch die Reifen; Reifentest, wie sie zum Beispiel MOTORRAD regelmäßig publiziert, bringen Klarheit über die Lenk- und Kurveneigenschaften.
Fahre ich eine Kurve zu eng an, lenke also zu früh ein, sehe ich nicht nur den weiteren Verlauf und eventuellen Gegenverkehr unnötig spät, die zu flache Linie in Kombination mit hohem Tempo kann mich auch dem Gegenverkehr gefährlich nahe bringen.
In Linkskurven mit dem Kopf über die Linie zu geraten, weil das Fuhrwerk in Schräglage breit wird wie ein Auto, führt bestenfalls zu unschönen Schlenkern, schlimmstenfalls zu Ausweichsturz oder Kollision. Die Fortsetzung dieser falschen Linienwahl leitet in der nächsten Rechtskurve aber geradewegs auf die Gegenfahrbahn.
Rechtsherum sind wir natürlich ebenso breit, müssen Abstand zur Felswand oder den Leitpfosten halten. Auf engen, unübersichtlichen Kurvenstrecken bleibt uns allerdings oft nichts anderes übrig, als weit rechts zu bleiben und entsprechend langsam zu fahren.
Links im Bild eine geradezu klassische Problemkurve: Der Straßenverlauf lässt sich zum Großteil nicht einsehen, weshalb unerwartet ein Auto oder Motorrad auftauchen kann – unangenehm bis gefährlich, wenn man die Kurven schneidet.
Besser ist deshalb das sogenannte Hinterschneiden der Kurven, zumal man stets damit rechnen muss, dass ein Fahrer im Gegenverkehr die S-Kurve schneidet und im schlimmsten Fall auf der falschen Straßenseite daherkommt. Wenn wir dann selbst die Kurve geschnitten haben, stehen unsere Chancen denkbar schlecht.
Hier eine geradezu klassische Kurve, die durch ihre Übersichtlichkeit eine fein zurechtgelegte Ideallinie und entsprechende Schräglagen erlaubt. Schneidet man die Kurve jedoch an (gestrichelte Linie), muss das Motorrad am Kurvenausgang die größte Schräglage fahren, will man nicht mit eventuellem Gegenverkehr auf Kollisionskurs gehen.
Beim Hinterschneiden (durchgezogene Linie) liegt der Scheitelpunkt hingegen später (Pylone). Man sieht besser um die Kurve und kann auch deshalb auf der flacheren Linie deutlich früher wieder ans Gas gehen, was die etwas langsamere Kurvengeschwindigkeit mehr als wettmacht.
In Wechselkurven kommt der Vorteil des Hinterschneidens noch mehr zum Tragen, weil es der in der Rechtskurve spät gesetzte Scheitelpunkt erlaubt, die folgende Linkskurve von weit außen anzufahren.
Den Fahrer auf der falschen Linie (gestrichelt) drängt es in Richtung Gegenfahrbahn, und er muss für die folgende Linkskurve von einer äußerst ungünstigen Position aus hart einlenken. Eine flüssige, runde Linie ist damit nicht zu machen.
Schräglagenangst. Die Folge: Der Kurvenradius endet auf der Gegenfahrbahn. Häufigste Ursache: mangelndes Training von Schräglage und falsche Blickführung. Tipp: Wenn es richtig eng wird, das Motorrad im Fahrstil „Drücken“ durch die Kurve zwingen, den Blick auf die Fahrbahn in Richtung Kurvenausgang richten.
Einfrieren auf der Bremse. Das Problem: zu spätes, panikartiges Anbremsen einer Kurve aus hohem Tempo, die Bremse wird am Einlenkpunkt nicht gelöst, das Motorrad weigert sich, einzubiegen und fährt aus der Spur. Hier hilft intensives Training unter professioneller Anleitung. Und Kurven-ABS, das immer gerade so viel Bremsdruck erlaubt, dass der Grip noch reicht und das Motorrad weitestgehend in der Spur bleibt.
Überstürzte Überholattacken. Sich vor dem nächsten Kurvengeschlängel auf der letzten Rille an einem Auto vorbeizudrücken ist brandgefährlich. Die bessere Lösung: rechts ranfahren, ein kleines Päuschen machen, dann entspannt über die Kurvenpiste surfen.
Undichte Telegabeln oder Stoßdämpfer. Schlechte Dämpfung kann den Fahrbahnkontakt dramatisch verschlechtern. Schadhafte Komponenten tauschen oder reparieren lassen.
Mangelnder Reifengrip. Nur griffige Reifen lassen knackige Schräglagen zu. Außerdem müssen Profiltiefe und Luftdruck stimmen.
Zu wenig Bodenfreiheit durch schlappe Federelemente. Massive Bauteile wie Rahmen, Motorgehäuse und Krümmeranlage können das Bike gnadenlos aushebeln. Mögliche Abhilfe: Fahrwerkseinstellung ändern (Federbasis und eventuell Druckstufendämpfung erhöhen).
Äußere Umstände. Regen, Ölspuren, neue Fahrbahnbeläge oder Bitumenstreifen sind potenzielle Gefahrenquellen.
Nicht erst wenn es eng wird, aber spätestens dann sollte sich jeder an das Mantra von der Blickführung erinnern: Blick Richtung Kurvenausgang, Lenkimpuls, runterdrücken! Denn prinzipiell gilt: Wo wir hinschauen, da fahren wir auch hin. Weit vorausschauen und den Blick dorthin richten, wohin man fahren möchte, also auf die richtige Fahrbahn, nicht auf den Wald oder womöglich auf die Leitplanke. Mit dem richtigen Blick bestehen beste Chancen, doch noch unbeschadet ums Eck zu kommen.
Und was, wenn wir dann doch mitten in der Kurve in voller Schräglage bremsen müssen? Sei es, weil wir uns verschätzt haben, zu weit innen oder außen sind, ein Hindernis den geplanten Weg versperrt oder Dreck auf unserer Spur eine andere Linie nötig macht? Dann muss alles sehr schnell gehen. Die Fußbremse ist tabu, durch die dynamische Radlastverlagerung würde das Hinterrad zu schnell ausbrechen. Mittel der Wahl ist die Handbremse, die wir gefühlvoll, niemals ruckartig, aber durchaus kräftig anlegen. Jetzt kommt es darauf an, ob wir geradeaus Platz haben und ganz anhalten wollen oder müssen, dann können wir das Motorrad mit einem kurzen Lenkimpuls aufrichten und aufrecht zum Stehen kommen.
Wenn wir hingegen die Spur halten wollen oder müssen, vielleicht gar nicht bis zum Stillstand bremsen wollen, dann hält ein kräftiger Druck am kurveninneren Lenkerende das Bike in der Spur und somit auf der Fahrbahn. Wichtig dabei ist wieder die Blickführung. Wollen wir aufrichten und geradeaus zum Stehen kommen wie im ersten Beispiel, so muss der Blick aus der Kurve heraus gerade gerichtet werden. Wenn wir die Spur halten wollen, bleibt der Blick logischerweise in Richtung Kurvenausgang orientiert.
Guten Grip vorausgesetzt, lässt sich auch beim Bremsen in Schräglage ordentlich verzögern. Wir müssen die Bremse allerdings dabei sehr sensibel dosieren, was sich am besten bei einem Sicherheitstraining üben lässt. Die Dosierung abhängig von der Schräglage könnte einem ein modernes Kurven-ABS abnehmen.
Noch bei einer anderen Gelegenheit können wir gleichzeitiges Bremsen und Lenken je nach Situation gut gebrauchen: beim Ausweichen während einer Vollbremsung. Neueste Untersuchungen des Instituts für Zweiradsicherheit (ifz) mit 100 freiwilligen Testfahrern haben klar ergeben, dass auch während einer Vollbremsung mit einem kräftigen Lenkimpuls ein – vielleicht rettender – Spurversatz realisierbar ist. Auch hierbei hilft gute Blickführung ebenso wie ein geübter Umgang mit der Lenkimpulstechnik.