Nach seinem unnötigen Sturz in Indianapolis ließ sich Valentino Rossi vom ?Doctor„ zum ?Donkey“ umtaufen. Doch eine Woche später in Misano war der Esel alles andere als dumm.
Nach seinem unnötigen Sturz in Indianapolis ließ sich Valentino Rossi vom ?Doctor„ zum ?Donkey“ umtaufen. Doch eine Woche später in Misano war der Esel alles andere als dumm.
Die Schmach der Mugello-Niederlage saß tief in Valentino Rossi. Damals, Ende Mai, harmonierte seine Yamaha nicht mit den Bridgestone-Einheitsreifen. Teamkollege Jorge Lorenzo war regelmäßig schneller, und am Schluss riss des Italieners großartige Serie von acht Heimsiegen in Folge mit einem vergleichsweise kläglichen dritten Platz. Jetzt in Misano kam der Tag der Vergeltung in Misano, wo Klein-Valentino nur wenige Kilometer von seinem Heimatort Tavullia entfernt einst die ersten Kilometer auf einer Rennstrecke absolvierte. Schon Tage vor dem Rennen war Tavullia mit dem gewaltigen Banner der 100 Rossi-GP-Siege geschmückt, das seine engsten Freunde anlässlich des Jubiläumssieges Ende Juni im niederländischen Assen erstmals entrollt hatten. Rossis berühmter Fanclub zettelte am Samstag eine Riesenparty an, und natürlich setzte zum Rennen eine wahre Völkerwanderung an, die sich mit gelben Mützen, Perücken, Fahnen, Wimpeln, Rauchkerzen und weiteren Bannern für den großen Triumph und die anschließende traditionelle Invasion der Piste gerüstet hatten. Wie bei einem Rockkonzert, bei dem sie die besten Hits mitsingen können, wussten die Fans auch beim Misano-Grand Prix, was kommen würde. Schon ab dem ersten Training am Freitag war Rossi überlegen, holte am Samstag die Pole Position, feilte im Rennen gekonnt an Dani Pedrosa vorbei in Führung, drehte die schnellste Rennrunde und holte den Sieg, den die Fans und er selbst von sich gefordert hatten. Es war der nächste Erfolg in Rossis Titelkampagne, aber auch der nächste Volltreffer für Arbeitgeber Yamaha, der in letzter Zeit einen Hit nach dem anderen gelandet hatte. Zwei Wochen zuvor hatte Jorge Lorenzo einen neuen Vertrag unterschrieben und war dabei mit 4,3 Millionen Euro Jahres-gage hinter Rossi zum zweitbestbezahlten Motorradrennfahrer aufgestiegen. Beim anschließenden Indianapolis-GP bedankte sich der Spanier prompt mit einem Sieg. Nicht minder begeistert waren die Fans von einer Aktion, die Yamaha für das Flat-Track-Rennen im Meilen-Oval von Indianapolis eingefädelt hatte. Der dreifache 500er-Weltmeister Kenny Roberts schwang sich auf die legendäre Dirt Track-Maschine mit dem Vierzylinder-Zweitaktmotor der TZ 750, mit der er 1975 genau hier einen unvergessenen Sieg gelandet hatte. 140 PS auf einer Staub-Piste ohne Vorderradbremse, das war eine so explosive Mischung, dass das AMA-Reglement flugs geändert und der Zweitakter aus dem vor allem aus braven Harley-Davidson-Zweizylinder-Viertaktern zusammengesetzten Feld verbannt wurde. ?Gottseidank, sonst hätte ich mir irgendwann den Hals gebrochen, grinste King Kenny, der mit 57 Jahren nichts von seinem Können eingebüßt hat und die laut kreischende Maschine unter orkanartigem Applaus im Drift um die Strecke trieb. Gibt es derzeit eigentlich irgend etwas, was Yamaha nicht von der Hand läuft? Was nicht zum derzeitigen Höhenrausch passt? Der Sturz von Valentino Rossi im Indy-Rennen vielleicht. Zunächst in Führung, fiel der Weltmeister dort hinter seinen Teamkollegen zurück und rutschte dann beim Anbremsen einer schnellen Rechtskurve übers Vorderrad ins Verderben. Kurzfristig reduzierte sich Rossis WM-Vorsprung von 50 auf 25 Punkte, worauf Spanien zu feiern und zu schwärmen begann, der Titelkampf sei wieder offen. Doch wie schon so oft gelang es Rossi, aus einem Rückschlag, aus einer brenzligen Situation steigenden Drucks zusätzliche Kraft und einen Schuss Extra-Motivation herauszudestillieren. ?Wenn ich mit den 50 Punkten Vorsprung und dem entsprechenden Überlegenheitsgefühl hier in Misano angekommen wäre, hätten wir vielleicht die Zügel schleifen lassen. Doch der Sturz hat uns alle wachgerüttelt, noch härter an der optimalen Abstimmung zu arbeiten. Es war ein perfektes Wochenende, freute sich Rossi. Darüberhinaus lieferte der Indy-Zwischenfall die perfekte Vorlage für den jüngsten Rossi-Gag: Weil der Sturz im US-Rennsport-Mekka auch nach Auffassung des Helden selber durchaus vermeidbar gewesen wäre, ließ sich Rossi ein Eselsgesicht auf den Helm pinseln und vom ?Doctor„ zum ?Donkey“ umtaufen. Selbst auf dem Podest wackelte er noch fröhlich mit langen, grauen Eselsohren. Die Selbstironie war ebenso sympathisch wie die Umarmung, die er dem geschlagenen Jorge Lorenzo zuteil werden ließ. ?Ich bin mit dem zweiten Platz gut bedient. Das hier ist Rossis Land, zeigte sich der Indy-Sieger mit seinem Schicksal einverstanden. ?Jorge und ich haben ein gutes Verhältnis. Nur auf der Strecke sind wir nicht die besten Freunde, ver-breitete auch Rossi fröhliche Love-and-Peace-Atmosphäre. Das ist kein Kunststück für einen, der gerade den wichtigsten Grand Prix des Jahres gewonnen und die Gegner im Titelkampf weiter distanziert hat. Wenn die Euphorie erst verflogen ist und Lorenzo wieder die übliche Gegenwehr leistet, wird sich Rossi wieder an seine erbitterte Rivalität mit dem Spanier erinnern. ?Zwei Topfahrer in einem Team, das ist gut für den Hersteller und die Marken-WM, aber gefährlich für die Piloten, hatte er auch vor dem Misano-Rennen seine Abneigung gegen den Deal durchblicken lassen. ?Ich bin zu jung, um wegen des großen Geldes zu wechseln. Ich will Erfolg und da bin ich bei Yamaha am besten aufgehoben, hakte derweil Lorenzo die vorliegende hochdotierte Ducati-Offerte ab. Tatsächlich passt die M1 besser zu Lorenzos Fahrstil als die Desmosedici. Während die Ducati am Kurvenausgang beherzten Körpereinsatz erfordert, um sie schnell und früh aufzurichten und mit Vollgas auf die nächste Gerade hinausfeuern zu können, lässt sich die M1 eher wie eine 250er bewegen. Lorenzo setzt kaum Muskelkraft, sondern auf feinfühlige Weise die Motorleistung des Reihenvierzylinders ein, um ihn auf den richtigen Kurs zu bringen. Dani Pedrosas Fahrstil, auch da sind sich die Beobachter einig, würde dagegen prima zur Desmosedici passen, weshalb Marlboro-Ducati auch mit dem Repsol-Honda-Star in Verbindung trat. Aber auch Pedrosa entschied sich zu bleiben, wo er ist: In Indianapolis führte er überlegen, bevor er übers Vorderrad ins Aus rutschte, und bewies auch mit dem dritten Platz in Misano, dass er und Honda zur alten Schlagkraft zurückgefunden haben. Damit geht die Suche nach einem hochkarätigen Top-Piloten bei Ducati weiter. Nicky Hayden erhielt nach seinem dritten Platz in Indianapolis einen neuen Ein-Jahres-Vertrag, doch dass der sympathische Amerikaner nach seinen langen Anlaufschwierigkeiten auf der Desmosedici plötzlich zum Siegfahrer wird, glauben nicht einmal seine eigenen Fans. Alex de Angelis, trotz jüngst starker Leistungen ohne Zukunft bei Honda-Gresini, verhandelte zuletzt mit Pramac-Ducati, tat sich aber keinen Gefallen, als er vor versammelter Ducati-Führungsriege in Misano einen Startunfall auslöste, bei dem er zunächst Colin Edwards und im Nachgang auch noch Nicky Hayden ins Verderben riss. Und ein Siegfahrer ist auch der Italiener nicht. Angesichts der unsicheren Zukunft von Casey Stoner bleibt ein Vakuum bei Ducati, das schon jetzt in Misano zu interessanten Spekulationen führte. ?Rossi und Lorenzo heute, das ist wie ich und Hailwood damals bei MV Agusta. Einer von beiden wird Ende 2010 woanders hin gehen, vermutete zum Beispiel Giacomo Agostini. Und das könnte durchaus Valentino Rossi sein, der schon vor Jahren, nach seinen ersten Titeln auf Yamaha, erklärt hatte, ein MotoGP-Titel auf einem italienischen Motorrad, auf Ducati, sei die einzige neue Herausforderung im Zweiradsport, die er sich noch vorstellen könne. Jetzt, nach Lorenzos Vertragsverlängerung, erhielten diese alten Gerüchte plötzlich neue Nahrung. ?Rossi ist ein Genie. Jedes Werk der Welt wäre glücklich, wenn er dessen Motorrad fahren würde. Und wenn ihr mich fragt, ob er sich an die Ducati anpassen könnte, lautet meine Antwort: Ja. Doch die Ducati würde sich auch an ihn anpassen, streck-te Ducati Corse-Chef Filippo Preziosi die Hand nach dem Superhelden aus. Der hatte Ducati und Preziosi schon in Indianapolis über den grünen Klee gelobt und verraten, wie sehr er sich wünsche, einmal die Ducati testen zu können. ?Für 2010 habe ich noch einen Vertrag, erklärte er in Misano. ?Aber danach werden wir sehen...
Grünes Licht für die deutschen GP-Fahrer: Jonas Folger, Sandro Cortese, Stefan Bradl und Marcel Schrötter haben ihre 2010er-Verträge in der Tasche. Dazu kommt noch Arne Tode.
Jonas Folger knattert künftig nicht nur auf einer Werks-Aprilia 125, sondern auch auf drei Rädern durch die Gegend: Der 16-jährige Bayer erhielt von seinem Ongetta-Team eine Vespa Ape, um sich beim bevorstehenden Wintertraining in Italien auch ohne Auto-Führerschein auf behagliche Weise fortbewegen zu können. ?Geil, schwärmte der Teenager über das Geschenk von Teamchef Caponera, der Folger schon beim Brünn-GP für eine neue Saison mit Top-Material unter Vertrag nahm: Statt 50 cm³ verfügt die in Team-Farben gehaltene und mit Folgers Startnummer 94 verzierte Power-Ape über 113 Kubik und rennt über 80 Sachen. Mit Vollgas weiter gehts auch bei Sandro Cortese. Der Schwabe soll nicht nur im Derbi-Werksteam des Finnen Aki Ajo bleiben, sondern auch einen pfeilschnellen Kollegen bekommen, der ihn zu Höchstleistungen antreibt. Cortese gilt als Ausnahmetalent, kommt bei den einzelnen Rennen aber schwer in die Gänge, was ihm den Spitznamen ?Diesel„ einbrachte. Zugpferd wird nun der noch jüngere Spanier Marc Marquéz, der von der KTM auf die Finnen-Derbi umsatteln soll. Eigentlich wollte KTM den jungen Spanier halten, der offiziell für 2010 noch unter Vertrag steht. Doch weil das österreichische Werk von der Wirtschaftskrise gebeutelt den Geldhahn zudrehte, bleibt der zugesicherte neue Drehschiebermotor in der Garage von Konstrukteur Harald Bartol. Jetzt geht der letzte verbliebene GP-Spitzenfahrer, und damit ist auch das gesamte KTM-125-Projekt ernsthaft gefährdet. Letzter Hoffnungsschimmer für Bartol ist, sein fertig entwickeltes Aggregat bei Ajo einzubringen und so mit Marquez weitermachen zu können. Doch Ajo sieht keine triftigen Gründe, der bewährten, mit der weltmeistlerlichen Aprilia baugleichen Derbi den Rücken zu kehren. Zumal er die Unterstützung vieler finnischer Aprilia-Händler genießt. Während Cortese und Marquez auf jeden Fall bei den 125ern bleiben, ringen Stefan Bradl und seine Teamchefs Stefan und Jochen Kiefer noch um die richtige Formel für die Zukunft. Vater Helmut Bradl hält es für klüger, vor einem Aufstieg in die neue Moto2-Klasse zu den alten Erfolgen zurück zu finden, also 2010 weiter 125er zu fahren. Stefan Kiefer ist der Ansicht, Bradl habe mit seinen Erfolgen 2008 schon genug bewiesen, ein Tapetenwechsel sei angesagt. Stefan Bradl selbst steckt dazwischen und denkt nach. Die gute Nachricht: Hauptsponsor Dr. Martin Viessmann, beim Indy-GP persönlich vor Ort, hat bereits unabhängig von der künftigen GP-Kategorie weitere Unterstützung signalisiert. Gleichzeitig rüstet sich Marcel Schrötter für kommende Großtaten. Mit der Hilfe von Toni Mang, Sepp Schlögl und Adi Stadler hat der bayerische Teenager zweimal die Deutsche Meisterschaft gewonnen und soll nach seinen erfolgreichen Wild- Card-Einsätzen als Fixstarter in die 125er WM 2010 aufsteigen. Ziel der Bayern ist ein selbstständiges WM-Team, weshalb Team Germany-Manager Dirk Heidolf mit seinen Versuchen, Schrötter an Bord zu holen, kaum Erfolg haben dürfte. Aussichtsreicher ist schon die Konstellation, die Heidolf in Misano offiziell präsentierte: Der sächsische IDM-Superbike-Pilot Arne Tode soll mit seinem derzeitigen G-Lab-Racing-Teamchef und Techniker Dietmar Franzen als Speerspitze einer künftig ?Motogermany“ genannten Teamfusion in der neuen Moto2-Serie angreifen. Wie das Kiefer-Team setzen auch Heidolf und Frantzen dabei voraussichtlich auf die Technik von Eskil Suter, der nach dem spanischen BQR-Team und der japanischen Schmiede Moriwaki in Misano die Schweizer Vision einer Moto2-Maschine vorstellte.
1Startplatz; 2in km/h, während des gesamten Wochenendes