Superbike WM Nürburgring 2009
Ein Freund, ein guter Freund

Der japanische Superbike-Evergreen Noriyuki Haga und der jugendliche Überflieger Ben Spies aus Texas haben sich in ihrer gemeinsamen Wahlheimat am Comer See schnell angefreundet. Auf der Piste jedoch hat Spies seinem Kumpel Nori die WM-Führung erstmal abgeluchst.

Einer der größten Fans, die Ben Spies in seiner explosiven ersten Saison in der Superbike-WM gewonnen hat, ist ein fünfjähriger japanischer Junge namens Ryota Haga. Der wiederum bekommt mit dem sich allmählich zuspitzenden Kampf um den Weltmeistertitel 2009 immer mehr ein Problem, tief im Inneren seines kleinen Kinderherzens. Denn Ryota-chan ist der jüngere der beiden Söhne eines gewissen Noriyuki Haga. Und natürlich steht Papa noch um ein klares Stück weiter oben auf der Rennfahrerhitliste des Juniors. Als Vizeweltmeister allerdings wäre ?The Ben, wie Ryota seinen zweiten Lieblingsfahrer nennt, der regelmäßig mit ihm zusammen auf der Playstation trainiert, natürlich seine Idealbesetzung, völlig klar. Genau diesen doch schon recht konkreten Kindertraum brachten nun auf dem Nürburgring Papa Nori und ?The Ben„ gründlich durcheinander, wenn auch weitgehend ohne eigenes Zutun. Eingangs der fünften Runde des zweiten Superbike-WM-Rennens vor gut 30000 Zuschauern in der Eifel räumte Ten-Kate-Honda-Jungstar Jonathan Rea recht unsanft Papa Nori aus dem Weg, nachdem Yamaha-Werksfahrer Spies das erste Rennen vor Hagas Ducati gewonnen hatte. Nitro-Nori hatte den Nordiren ebenso wie dessen Teamkollegen Carlos Checa gerade in der ersten Kurve der Nürburgring-Runde mit einem abendfüllenden Manöver ausgebremst und sich in Führung gezwängt. Allerdings nicht gerade auf der idealsten Linie durch diese äußerst unharmonische Ecke, die in den vor einigen Jahren neugeschaffenen Streckenabschnitt ?Mercedes-Benz-Arena“ führt und nicht von ungefähr nach dem dortigen Rennsport-Direktor mitunter auch ?Hauck-Haken„ genannt wird. Rea realisierte Hagas Schwierigkeiten und wollte spontan seine Honda Fireblade am Kurvenausgang etwas weiter nach außen rollen lassen. Der Plan klappte aber nicht. Die Ten-Kate-Honda donnerte in die rechte Seite der Ducati, Haga kam zu Fall und musste aufgeben, während der Übeltäter unbeschadet in Richtung seines zweiten Saisonsiegs entschwand. Dass der böse Mann auf der weißen Honda mit der Nummer 65 zumindest mit dem Entzug des Sieges bestraft werden sollte, das wünschte sich neben den zahlreichen Fans am Ring mit Sicherheit auch Ryota Haga. Aber unser kleiner Freund kam schon wieder in erhebliche Gewissensnot. Denn der einzige Superbiker, der an diesem Nachmittag seinen Papa hätte rächen können, war, man ahnt es bereits, niemand anderes als ?The Ben. Der war zwar nach einem nicht gerade perfekten Start zum Zeitpunkt des Knalls nur unstandesgemäßer Siebenter, beeilte sich allerdings anschließend sehr, um in den letzten der 20 Rennrunden den jungen Herrn Rea noch zu stellen. Dies gelang dem ruhigen, freundlichen jungen Mann mit dem höchst martialischen Kampfnamen ?Texas Terror“ zwar durchaus. Zum finalen Manöver und damit zum glatten Doppelsieg auf dem Ring allerdings kam es doch nicht mehr für Ben Spies. ?Mein Start war wirklich sehr schlecht, erklärte er im Ziel, ?danach hatt ich zwar viel Spaß mit den zahlreichen Überholmanövern. Aber sowas tut natürlich deinen Reifen nicht gerade gut. So war ich in der letzten Runde leider nicht mehr in der Lage, Jonathan Rea noch zu packen.„ Der Nordire selbst genoss einerseits den Sieg über den Mann der Stunde in der Superbike, fand allerdings auch entschuldigende Worte gegenüber seinem ?Opfer“ Haga: ?Nun ja, Nori hat Carlos und mich da schon ziemlich gewalttätig ausgebremst und entsprechend die Linie am Kurvenausgang verloren. Dennoch muss ich zugeben, dass ich ihm reingeknallt bin und nicht umgekehrt. Das ist normalerweise nicht mein Stil.„ Noch deutlich vor und in Unkenntnis dieser Worte zeigte auch Haga-san sich von seiner wohlerzogenen Seite. ?Natürlich ist das alles sehr ärgerlich, stellte er klar, ?vor allem weil Ben dadurch auch noch die WM-Tabellenführung geerbt hat. Aber was soll ich mich groß aufregen. So etwas passiert im Rennsport. Rea ist ein junger Fahrer, und da kommt es, auch wenn sie schon sehr schnell sind, leider öfter vor, dass sie ein bisschen wie mit Scheuklappen unterwegs sind, statt darauf zu achten, was an den Rändern ihres Sichtfeldes passiert.“ Die mögliche Tragik der Situation, dass nämlich Noriyuki Haga in dieser verdamm-ten Sekunde im Hauck-Haken vielleicht wieder einmal am Superbike-WM-Titel vorbeigedonnert ist, nach drei zweiten und drei dritten Gesamträngen in den vergangenen zwölf Jahren, überspielt der Renn-Samurai nonchalant. Und Klein-Ryota wird auf dem Nürburgring sicherlich ein paar Tränen vergossen haben, als sein Papa nicht gewinnen konnte. Aber eines ist klar: Wenn schon am Ende die Weltmeisterschaft verloren geht, dann darf auf keinen Fall der böse Mann mit der weißen Honda gewinnen, sondern nur einer: ?The Ben.

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