Der Zweite Weltkrieg endete 1945, Kurt Schupp war damals 13. Mit 16 schien für ihn das wahre Leben zu beginnen. „Die ersten Zeitschriften erschienen, einige nur als Probeexemplare, aber es waren Motorräder drin, für einige von uns das Paradies. Dann folgten die ersten Ausstellungen, Earls Court, Mailand und Paris, und in einem kleinen Heft vom Motorsalon in Paris sah ich zum ersten Mal ein Foto von einer Vincent.” Es war der Beginn einer Passion, aber dass es sich zu einer lebenslangen Leidenschaft entwickeln sollte, wusste der 16-Jährige noch nicht. Auch nicht, dass er zwölf Jahre später der stolze Besitzer einer Vincent werden sollte, seiner ersten. Kurt durchlief eine Ausbildung zum Elektriker, wechselte dann ins Kaufmännische, doch das Interesse für Motorräder war stets präsent. „An einige Motorräder erinnert man sich gern und einige möchte man lieber vergessen. Eine frühe Bekanntschaft war Papas Motorrad, eine Imme 100. An die erinnere ich mich gern“, erzählt Schupp.
Diese Motoren sind saustark

Diese Motoren sind saustark. Punkt. Außerdem strotzen die Motorräder einfach so vor technischen Lösungen, die noch heute als fortschrittlich gelten können. Die Sitzposition kann durch ein sinnvolles Arrangement der Fußrasten maßgeschneidert werden. Sogar der Schalthebel ist in der Länge verstellbar. Das Hinterrad trägt meist zwei Kettenblätter - vor den ersten Steigungen der Alpen dreht man einfach das Rad um, für eine kürzere Übersetzung, im Prinzip ohne Werkzeuge. Der Rahmen selbst besteht eigentlich nur aus einem Öltank mit integriertem Lenkkopf und den beiden oberen Motorbefestigungen. Die zwei hinteren Festpunkte dienen gleichzeitig als Basis für die ganze Hinterradaufhängung und hier kann das ganze Motorrad in zwei Hälften geteilt werden, falls nötig.
Solche technischen Finessen, vor allem das Gesamtergebnis, ist Nährboden für allerlei wilde Geschichten und Märchen, nicht nur jenes über Rollie Free in Badehose, ausgestreckt auf seiner Vincent für einen neuen Rekord, heute auf unzähligen T-Shirts als Motiv zu sehen. Ein anderes Märchen ist die Geburt des V-Zweizylinders. Den Einzylinder gab es schon, aber eines Abends liegen zwei Bauzeichnungen des Motors schräg übereinander, und vor sich sieht der Konstrukteur Phil Irving die Zukunft. Dass quasi in diesem Moment ein legendärer Motor geboren worden war, konnte niemand ahnen.
Warten auf die erste Vincent
„Später, 1958, stand ich beim Elefantentreffen einmal drei Stunden neben einer Vincent und wartete auf deren englischen Besitzer. Vergebens. Damals wusste ich nicht, wie viel Bier Engländer trinken können - er tauchte einfach nicht auf. Ein Jahr später sah ich die erste Vincent mit deutschem Kennzeichen.” Dies waren zwei Meilensteine in seinem Leben. Vincent war aus der alten Marke HRD entstanden, die der junge Phil Vincent mit Geld seines wohlhabenden Vaters vor dem Krieg kaufte, später stieß noch ein Phil dazu, der begabte australische Konstrukteur Phil Irving.
Vincent hatte und hat noch heute eine ganz spezielle Ausstrahlung, als einzylindrige 500er, aber vor allem in der 1000er-Zweizylinderausführung. Der ruhmreiche V2 war Antrieb unzähliger Rekordmaschinen. Die Wende in Kurts Leben kam 1960 mit drei Kleinanzeigen in MOTORRAD. In einer Ausgabe waren plötzlich drei Vincent zum Verkauf angeboten, eine in Bad Homburg, eine in der Schweiz und eine in Berlin. Aber die in Berlin war eine Black Lightning! Die Rennmaschine, der heilige Gral in Vincenttum, war ein echter Schatz für jeden, der sein Herz an die mächtigen Motoren aus Stevenage verloren hat.
Um die 80 Stück NSU
„Man muss wissen, dass in den ersten Jahren nur fünf Vincent in Deutschland verkauft worden sind, als gleichzeitig die Schweiz haufenweise Vincent importierte. Und jetzt waren ja fünf Jahre vergangen, seit die Marke die Produktion der Motorräder eingestellt hatte. Neue gab es ja keine! Ich fand, ich wäre jetzt an der Reihe, ging sofort zur Bank und schickte ein Telegramm an den Verkäufer. Von meinem letzten Geld flog ich dann nach Berlin, um den Schatz nach Hause zu fahren“, berichtet Schupp. Laut Werksangaben sind 16 Black Lightning hergestellt worden, spätere Informationen zeigen aber, dass in der Endphase 1955 noch eine angefangen wurde. Unter Enthusiasten spricht man jetzt von 16,5.
Kurt Schupps Karriere hatte mit dieser Black Lightning einen fliegenden Start. Heute lebt Kurt in einer, sagen wir mal, großen Lagerhalle mitten im gemütlichen Dorf Niederwetz, unweit von Wetzlar. In den oberen Etagen befindet sich das Wohnareal mit Fachwerk und groben Dachbalken, geschmackvoll, aber nicht übertrieben groß, da sich direkt auf der anderen Seite der gut bestückten Bücherwand eine kleine Sammlung mit verschiedenen Motorrädern und Werbematerial, Schildern, Werkzeugen und Maschinen befindet.
„Da Vincent eine Zusammenarbeit mit NSU suchte, kam ich auch auf diese Schiene und deshalb stehen hier um die 80 Stück NSU, einschließlich der Fahrräder vielleicht sogar 90.” In der unteren Etage drängeln sich 14 komplette Vincent in allen denkbaren Varianten bis zu der ruhmreichen, einzylindrigen 500 Grey Flash und, in einem separaten Raum, Kurts erste Vincent, die Black Lightning. Aber wie kam es dazu? Woher kommen alle diese Vincent und müssen es so viele sein? Kurt breitet seine Arme aus und zuckt mit den Schultern: „Mein Gott, die Gelegenheit kommt, die Maschine ist gut und... ach, ich weiß es nicht!”
Das ganze Leben von Kurt scheint hier rund um die Marke Vincent konzentriert zu sein. Mit der Zeit bildete sich eine ”German Section” des Vincent Owners` Club mit Kurt an vorderster Front, und diese Sektion wurde schnell auch in Großbritannien wichtig. Das erste Treffen auf deutschem Boden fand 1973 statt und lockte 30 Teilnehmer, 1987 waren es schon 630. Vincents Platz in der Geschichte des Motorrads war immer besonders, vielleicht, weil der Motor so oft als Antrieb für allerlei Projekte dienen durfte. Die Leistung war für damalige Verhältnisse astronomisch, man musste sie nicht einmal beziffern.
Tankembleme wurden gern gefälscht
Eine Legende erzählt auch, dass die Tankembleme der frühen Vincent-HRD in den USA gern gefälscht wurden, indem das „R“ entfernt wurde. Die Maschine einfach Vincent zu nennen, löste das Problem. Als Lehrling im Vincent-Werk in Stevenage diente lange Zeit übrigens John Surtees, später Motorrad- und sogar Formel 1-Weltmeister, der Einzige, dem dieses Kunststück bis jetzt gelungen ist. Eines von Surtees‘ Lieblingsstücken seiner eigenen Sammlung ist noch heute seine alte Grey Flash.
Selbstverständlich hat auch Kurt Schupp eine Grey Flash in seiner Sammlung. Außer dieser 500er ist es natürlich die Black Lightning, welche die Krone der Sammlung darstellt, auch wenn man zuerst kaum glauben mag, dass eine Black Lightning in Niederwetz zu Hause ist. Kurt selbst nennt die Maschine übrigens „die Berlinerin“.