Kann es ein Leben diesseits der technisch komplexen R 1200 GS geben? Na klar, sagt BMW. Die Studie BMW Concept Lac Rose bestätigt, dass die Bayern mit dem luftgekühlten Boxer noch viel vorhaben.
Gaston Rahier - dieser Name dürfte nur Sportmuffeln und den ganz jungen Lesern unter uns kein Begriff sein. Alle anderen wissen, dass der kleine Belgier (1,64 Meter) 1984 und 1985 auf BMW die Rallye Paris-Dakar gewann. Und dass er sein Einsatzgerät damals nur beim Anrollen bespringen konnte – zu kurze Füß', wie die Schwaben sagen. Womit wir schon mitten im Thema wären, denn auch eine aktuelle BMW R 1200 GS wäre dem 2005 viel zu früh verstorbenen kleinen Mann mit dem großen Kämpferherz vermutlich zu hoch gewesen. Und zu schwer und zu mächtig wohl auch. Vielleicht auch zu vollgestopft mit Elektronik und anfälligen Hightech-Bauteilen wie aktiven Fahrwerkselementen, die den mörderischen Strapazen, dem allgegenwärtigen Sand und Staub und der extremen Hitze möglicherweise nicht gewachsen gewesen wären.
Tatsächlich war das, was Rahier 1985 als Einsatzmaschine pilotierte, nach damaligen Maßstäben ein wahres Rallye-Monster: 70 PS aus 980 Kubikzentimetern, 170 km/h schnell und mit 300 Millimetern Federweg ausgerüstet – dagegen war kein Kraut gewachsen, jedenfalls nicht mit den damals von Japan eingesetzten Einzylindern. Selbst gegen eine Sturz-Ruine nicht, denn Rahier ramponierte seinen Untersatz 1985 schon zu Beginn der Rallye in Europa derart, dass sein Team einpacken wollte. Der Belgier jedoch machte weiter, fuhr mit der krummen G/S Etappensieg um Etappensieg ein – und nach der traditionellen Schlussetappe am Lac Rose bei Dakar im Senegal als erster ins Ziel. Mit einer nach diesem flamingofarben schillernden See benannten und im Design von Rahiers Maschine gestalteten Replica auf R nineT-Basis huldigt BMW nun also diesen glorreichen Zeiten.
Basis-GS, Heritage-GS, neue GS mit 1400 ccm³?
„Eine lockere und eigenständige Interpretation des Siegerbikes von 1985, geschaffen speziell für das Wheels and Waves-Festival“ – so umschreiben die Münchner ihre Motivation für das BMW Concept Lac Rose. Und meinen, wie so oft bei einem derartigen Anlass, deutlich mehr, als sie sagen. Sogar in zweifacher Hinsicht. Zum einen sollte man bei wohlgefälliger Betrachtung der Studie immer im Hinterkopf behalten, dass sich BMW-Chef Stephan Schaller bereits mehrfach und explizit für einen weiteren Ausbau der Klassiker-Baureihe (auf neudeutsch „Heritage“) – also der BMW R nineT und der ab Herbst angebotenen Scrambler mit luftgekühltem Boxer – ausgesprochen hat. Was läge da näher als eine Heritage-GS, zumal Schaller genau diese Thematik im Interview mit unseren englischen Kollegen von „Motorcycle News“ selbst ins Spiel gebracht hat?
Aber da ist noch ein zweiter, wichtiger Punkt, und auch den hat der BMW-Chef schon mehrfach angesprochen. Der Fokus in München liege nämlich nach wie vor auf der Weiterentwicklung der aktuellen Modellpalette, das Heritage-Thema präsentiert sich sozusagen nur on top. Und die aktuelle Modellpalette – das ist vor allem die GS. Ein Projekt, das immer weiter gehen muss, getrieben von der Konkurrenz immer stärker, immer technischer wird und sich dabei von der enduristischen Ursprungsidee immer weiter entfernt. Deshalb denken die Münchner schon länger über eine Art Basis-GS nach, selbst ein eigens konstruierter kleinerer Boxer war schon im Gespräch. Doch nun, so scheint es, ist dieser Plan zu den Akten gelegt und es zeichnet sich ein anderes Szenario ab. Das sieht so aus: Weil der wassergekühlte GS-Motor getrieben von der stärkeren Konkurrenz spätestens im übernächsten Modellzyklus hubraum- und leistungsmäßig weiter wachsen wird – die Rede ist von um die 1400 Kubikzentimeter – funktionieren die Münchner den alten, luftgekühlten Boxer der BMW R nineT einfach zum Basis-Boxer um. Den müssen sie weder neu bauen noch Euro 4-fit machen. Und er hat mit 110 PS und einem satten Drehmomentverlauf genau die Eckdaten, die es braucht, um die Heritage-Baureihe ebenso zu bedienen wie in der gehobenen BMW-Mittelklasse.
Allemal gut genug für einen Feldweg
Während sich die normale R-Baureihe angesichts des Hubraum-, Leistungs- und Technikzuwachses dann auch preislich zusehends in der Luxus-Region tummelt, sammelt die Heritage-Baureihe jene Boxer-Fans ein, die weder den technischen Overkill mitmachen noch das extrovertierte Design goutieren wollen. Das kommt die Münchner sogar deutlich günstiger, als eine komplett neue Basis-GS mit eigenem Motor zu konstruieren, wie ihn MOTORRAD schon einmal (Heft 5/2012, siehe Zeichnung) ersann. Diese GS wird aber wohl auch deutlich weniger offroad-orientiert sein als der MOTORRAD-Entwurf. Auch das nimmt das BMW Concept Lac Rose vorweg. Es sei „eine moderne, straßenorientierte Version der Rahier-Maschine, bewusst ohne Anspruch auf herausragende Offroad-Qualitäten“, so BMW. Sie sei aber allemal gut genug für einen Feldweg. Genau so dürfte auch der durchschnittliche GS-Fahrer sein Einsatzspektrum definieren.
Daher werden wir sie aller Wahrscheinlichkeit nach wiedersehen, die „Lac Rose“. Auf den Herbstmessen – aber auch in deutlich zivilerer Form im zukünftigen BMW-Modellprogramm. Nicht mehr in Kriegsbemalung, mit Einzelsitzbank, Startnummer 101 und Stollenreifen, wohl aber mit konventioneller Gabel, Einarmschwinge sowie Rahmen und Motor auf R nineT-Basis. Genau wie diese wird die Heritage-GS auf elektronische Hilfsmittel (ausgenommen ABS) wohl verzichten, ebenso auf gebürstetes Alu und sonstige Spielereien. So dürfte auch der Preis deutlich günstiger ausfallen und der Abstand zur „großen GS“ gewahrt bleiben. So einfach ist das.
Das Maß der Dinge
Ach, was ist sie groß geworden!
Sie war es bei ihrer Premiere 1980 und sie ist es heute noch: das Maß der Dinge bei den Reiseenduros. Aber die Idealmaße der Urgroßoma hat sie schon lange nicht mehr, die R 120 GS. Und ist so mehr Straßenkreuzer als Enduro geworden.
Man braucht keinen Zollstock, sondern nur zwei gesunde Augen, um zu sehen: Die GS hat gewaltig zugelegt, und zwar nach oben und unten und rechts und links. Kleine Orientierungshilfe: Nur Radstand (1513 zu 1505 Millimeter), Sitzhöhe und Tankinhalt sind annähernd gleich geblieben. In 850 bis 870 Millimeter thront man auf der aktuellen GS, 860 Millimeter waren es bei der G/S im Jahr 1980. Dafür baut sich der aktuelle GS-Tank (20 Liter) vor dem Fahrer auf, davor noch die Verkleidung. Und bei der G/S? Ebenfalls knapp 20 Liter, aber nichts, was den freien Blick aufs Vorderrad verstellt, kein Telelever und keine Kühlerverkleidungen. Den Lohn gibt es auf der Waage: 251 zu 196 Kilogramm vollgetankt. Das ist keine Welt, sondern ein Universum.
Scrambler Flat Track-Umbau
Bahnsport-Legende und BMW-Händler Karl Maier beim Flat Track-Rennen des Wheels and Waves.
Noch nicht aus der Kiste, aber schon auf der Piste: Beim Flat Track-Rennen beim Wheels and Waves-Festival führte Karl Maier diesen Scrambler-Umbau aus.
Sie kämpfen an allen Fronten, die Bayern. Natürlich auch beim „Wheels and Waves“-Bikerfestival in Biarritz. 2016 stand dort erstmals ein Flat Track-Rennen auf dem Programm. Ehrensache, dass man in München eigens dafür ein Motorrad schuf, und zwar auf Basis der neuen Scrambler, die in den nächsten Wochen den Fachjournalisten präsentiert wird. Klar auch, dass man einen Drifter von Format aufbot, nämlich niemand Geringeren als Bahnsport-Legende und BMW-Händler Karl Maier (Foto). Der ließ es fliegen wie in alten Zeiten und landete auf einem beachtlichen vierten Platz.
Dieser Artikel kann Links zu Anbietern enthalten, von denen MOTORRAD eine Provision erhalten kann (sog. „Affiliate-Links“). Weiterführende Informationen hier.