Tipps und Tricks zur Motorrad-Pflege

Tipps und Tricks zur Motorrad-Pflege
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Einfahren eines neuen Motors wichtig?

© Rolf Henniges

Das Einfahren eines neuen Motors war früher wichtig. Und heute? Dank moderner Materialien und geringerer Fertigungstoleranzen kein Thema mehr? Es gibt viele Meinungen dazu. Und Neukauf-Opfer, die zwischen allen Theorien auf den ersten Kilometern Folterqualen erdulden.

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Kolben hämmern auf und ab, Ketten peitschen in Führungen, Ventile knallen auf Sitze, Zahnräder knirschen ineinander, Lager mahlen gnadenlos. Das Innenleben eines laufenden Verbrennungsmotors ist kein Waldorfkindergarten, sondern ein von ausgeklügelten Denkleistungen in Schach gehaltenes metallisches Massaker. Schlimm, dieses Szenario, denn mein Motorrad ist nagelneu. Die Erfüllung eines Traums, mein Ticket für Freiheit und Abenteuer. Es soll mechanisch gesund bleiben. Am besten immer.

„Brauchst du nicht einzufahren, gib sofort Flamme, dann bekommt die Kiste ordentlich Leistung“, sagen Kollegen. Chefredakteur und Maschinenbau-Ingenieur Michael Pfeiffer meint: „Moderne Motoren haben so geringe Fertigungstoleranzen, das Kolbenlaufspiel beträgt nur noch ein paar Hundertstelmillimeter und Einlauf-Öle gibt es auch immer seltener.“ Und was ist mit der Auswirkung auf die Lebensdauer? Wird überbewertet. „Wenn du sie nur gut warmfährst, wird nichts passieren, zeig ihr, wo der Hammer hängt.“ So könne größeres Spiel in den Gleitlagern entstehen, der Motor würde „leichter“ laufen, Sportmotoren bräuchten sofort die Peitsche.

Vollgas? Mit dem nagelneuen, hart erarbeiteten Moped?

Den Kollegen tut das alles nicht weh. Aber mir. Vollgas? Mit dem nagelneuen, hart erarbeiteten Moped? Bedeutet das herzlose Aufreißen des Gasgriffs nicht eine Überforderung sämtlicher Lagerstellen und Reibungspaarungen? Kann es da trotz optimaler Schmierung nicht doch zu verschleißträchtigen Berührungen von Metall mit Metall kommen? Weil die Oberflächen eben doch nicht so perfekt sind, sondern spätestens unter dem Mikroskop aussehen wie zerklüftete Gebirgslandschaften?

Ich dachte, während der ersten 1000 Kilometer ginge es darum, die höchsten Gipfel sanft abzutragen und eine tragfähige Unterlage für den Ölfilm zu bilden. „Mach erst mal nur halbe Nenndrehzahl“, rät dann auch ein Experte aus der zartfühlenderen Fraktion. Das wären bei diesem Reihentwin Viertausend. Meine Sinne expandieren ins Innere des Motors, aber für das, was da abgeht, bin ich nicht cool genug.

© Archiv

Wichtig: Sorgsam warmfahren. Alle Maße und Toleranzen sind auf betriebswarme Motoren abgestimmt.

„Fahr ja nicht zu untertourig, denn dann kommt es zu materialmordenden Lastspitzen in den Lagern“, sagt Kollege Ralf Schneider. Ein anderer meint: „Außerdem steigen die Seitenkräfte des Kolbens und damit die Reibung an der Zylinder-Laufbahn. Reibung entwickelt Hitze und die kann die frischen Oberflächen schädigen.“ Bitte nicht! Also die ersten 100 Kilometer piano mit wechselnden Drehzahlen, am besten über 2000 und unter 4000/min.

Bei 350 Kilometern glüht mein inneres Stethoskop. Klingt der Motor normal? Tragen die Kolbenringe rundum, findet da jetzt überall gesunder Reibungsabbau statt? Erleichtere ich mit meiner Fahrweise aus wechselnden, moderaten Lastzuständen das Einspielen aller Teile aufeinander, wird sich der Twin dafür mit geringem Ölverbrauch und langem Leben bedanken? Neue Sorgen blitzen auf, denn ich habe gehört, dass auch in modernen Motoren der sogenannte „Urschmutz“ vorkommen kann: Rückstände aus der Fertigung.

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Der „Urschmutz“ macht mich fertig

Bei 4000/min läuft die Honda 120 km/h, was okay ist. Aber so richtig genießen? Geht nicht. Der „Urschmutz“ macht mich fertig. Weil ich an die Alu-Späne denke, die da unten jetzt vielleicht zerstampft werden. Okay, sie sind weich und werden kaum Schaden anrichten. Was aber ist mit den Rückständen aus der Bearbeitung der Kurbelwelle, der Pleuel oder vom Honen? Handelt es sich dabei nicht sogar um hochfesten Vergütungsstahl? Und was ist mit dem hauchfeinen Abrieb der ersten Einfahrkilometer, der von Kolbenringen, Nocken oder Getriebe-Zahnrädern stammt? Ist auch nicht grade Schonkost für feinbearbeitete Gleitlagerflächen.

Mist, ich habe kurz 5000 gedreht, obwohl im Motor vielleicht grade jetzt die Reste von Gießsand ihr Unwesen treiben. Trotz aufwendiger Waschprozedur können sie nicht vollständig aus Zylindern und Köpfen herausgespült werden. Zwar werden die groben Bestandteile vom Ölfilter zurückgehalten. Doch die feineren Partikel mit einer Größe von unter vier Mikrometer wandern frech durch den Filter und meißeln mir mit abrasivem Tun Sorgenfalten in die Stirn. Jetzt ist er übergeschnappt, mögen Sie denken. Aber besteht nicht Schleifpapier für die Bearbeitung gehärteten Stahls genau aus derselben Siliziumkarbid-Verbindung wie Gießsand?

Irgendwie klingt die Honda jetzt anders

„Moderne Großserien-Motoren aus Japan werden sicher nicht im Sandgussverfahren hergestellt“, wirft Kollege Schneider ein. Welche Beruhigung! Doch irgendwie klingt die Honda jetzt anders. Tiefer, dumpfer. Und sie riecht auch nicht mehr so neu. Weil sich nun langsam der Auspuff frei brennt, sagt Michael Pfeiffer. 700 Kilometer stehen auf dem Tacho, der Motor scheint besser zu ziehen. Alles richtig gemacht?

Bei manchen Motoren sollen angeblich in brandneuem Zustand die Ventile nicht richtig dicht sein. Warum? Weil der Zylinderkopf in ungespanntem Zustand bearbeitet wird und sich die Ventilsitze beim Anziehen der Kopfschrauben leicht verziehen können. Daher sind die Oberflächen von Ventilen und Ventilsitzringen bewusst ganz leicht rau belassen, um eine Feinanpassung während der Einfahrphase zu ermöglichen. „Dazu kannst du dann auch ruhig mal scharf fahren“, meint Motorenkenner Schneider.

95 PS aus 1000 Kubik, das hält ewig

Ich sehne den ersten Ölwechsel mit Filter herbei. Der wichtigste Wechsel im Leben meines Motors, weil der Urschlamm rauskommt, oder? Und wenn frisches Öl drin ist, werde ich mal sehen, was geht. „Dein Antrieb ist ein Auto-Motor: 95 PS aus 1000 Kubik, das hält ewig“, sagt Pfeiffer. Und wenn es nicht hält, liegt das an Montagefehlern, Material-Defiziten oder mieser Wartung.

Bei Kilometer 1000 jubele ich. Die erste Hürde ist geschafft. Erste Hürde? Geht der Einfahr-Spuk denn jetzt weiter? Klar, weil es Messungen gibt, die zeigen, dass manche Motoren noch nach 15.000 Kilometern Reibung abbauen. Verliebt schaue ich die Honda an. Zwischen uns gibt es keine Reibung. Doch leider besteht das ganze Leben aus Verschleiß. Wer die tolle Technik und die brutalen Abläufe im Innern eines Verbrennungsmotors mental nicht aushält, sollte es mal mit Waldorfpädagogik probieren, oder?

Das sagen die Hersteller

© mps-Fotostudio

Was sagen die Hersteller zu dem Thema?

Was ist jetzt Fakt? Moderne Motoren vorsichtig einfahren oder ist das heutzutage wirklich egal? Wir haben exemplarisch ein paar Hersteller konsultiert.

Alle gehen schwer auf Nummer sicher: Honda rät ab von Vollgas während der Einfahrzeit für die CRF 1000 L. BMW möchte vorsichtiges Einfahren der Tausender-Vierzylinder und begrenzt deren Maximal-Drehzahl über die Motorsteuerung auf 9000/min bis zur Erstinspektion. Die Boxer-Modelle sollten während der ersten 1000 km nicht über 5000/min drehen und nicht Volllast laufen. Kawasaki rät für die aktuelle ZX-10R: 0–800 km: maximal 4000/min, 800–1600 km: maximal 6000/min. Zudem solle man den Motor kurz ohne Gas laufen lassen, bevor man losfährt.

Ducati rät wie BMW zu wechselnden Belastungszuständen, aber auch zu maximal 6000/min während der ersten 1000 km und zu 7000/min, bis 2500 km abgeleistet sind. Die Hersteller wollen Schäden und Garantie-Ansprüche minimieren, das ist verständlich. Klar ist auch, dass Motoren für den Sporteinsatz anders behandelt werden als jene, die lange halten müssen. Der allerwichtigste Rat lautet: immer sorgsam warmfahren! Das Öl sollte 95 Grad erreicht haben, die Wassertemperatur ist dafür kein Indikator. MOTORRAD wird dieses heiße Thema in Kürze aber vertiefen.

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