
Kurz nach dem Scheitelpunkt einer Kurve, irgendwo in Südfrankreich: Stuntprofi Jo Bauer stellt die Honda VFR 1200 F aufs Hinterrad und stürmt mit einem wilden Schräglagen-Wheelie aus dem Eck. PS-Fotograf Dave Schahl verreißt vor Schreck fast die Kamera, die Action am physikalischen Limit mit solch einem Motorrad bekommt selbst er selten vor die Linse. Dann funkeln seine Augen, er wittert den Schuss des Jahres. Er lässt Jo das Kunststück so oft wiederholen, bis das Bild perfekt im Kasten ist. Danach verstaut der Fotokünstler bestens gelaunt das Equipment im Auto und braust in Erwartung weiterer derartiger Aufführungen zur nächsten Location.
Dorthin folgen ihm außer Bauer auf der Honda die weiteren PS-Tester auf BMW K 1300 S, Kawasaki ZZR 1400 sowie Suzuki Hayabusa. Ihre Mission: ausloten, wie viel Sport in den Bikes steckt. Jeder der Hubraumriesen bietet schier unerschöpfliche Power. Zwischen der Schwächsten im Feld, der Honda VFR mit ihrem innovativen V4 und gemessenen 164 PS, und dem 196 PS-Kraftprotz Hayabusa, sortieren sich die BMW (174 PS) und die ZZR 1400 mit 180 Vollblut-Hengsten.

Insbesondere die Reihenvierzylinder mit ihrem mächtigen Punch reißen Speed-Freaks regelrecht vom Hocker. Beispiel Kawasaki: Bereits kurz über Leerlaufdrehzahl büffelt die ZZR 1400 mächtig los, geht wunderbar sanft ans Gas und bietet ihre Kraft hervorragend dosierbar an. Überragenden Schub liefert die 1400er speziell im Teillastbereich beim Herausbolzen aus Kurven, wo sie gefühlvolles Gasaufziehen ermöglicht und mit maximalem Vortrieb belohnt - traumhaft! Auf den ersten Metern am Kurvenausgang ist kein Kraut gegen die Kawa gewachsen. Wenn das Gefilde etwas weiter geöffnete Drosselklappen zulässt, zoomen sich die K 1300 S und die Hayabusa wieder an die Kawasaki heran. Die Suzi verdankt das hauptsächlich ihrem überirdischen Drehmoment, das ab 3000/min ständig über jenem der Mitbewerber liegt und als Spitzenwert 156 Nm aufweist. Der Saft der Hayabusa vermittelt ihrem Treiber absolute Souveränität. Geht es um maximalen Output, führt kein Weg an ihr vorbei. Dass sie die Konkurrenz nicht gnadenlos abhängt, liegt an ihrer langen Übersetzung. Elektronisch auf 295 km/h Höchstgeschwindigkeit begrenzt, reicht der sechste Gang der Suzuki theoretisch bis 325 km/h. Selbst im voll ausgedrehten fünften liegen bereits 297 Sachen an.

Praxisgerechter übersetzte BMW seinen Sporttourer. Im sechsten Gang stehen bei Abriegeldrehzahl 285 km/h an; exakt jenes Tempo, das die Münchner der K 1300 S als Maximalwert in den Fahrzeugbrief schreiben. Dank dieser knackig-kurzen Übersetzung bleibt sie trotz leichter Nachteile bei der Spitzenleistung sowie beim Drehmoment an ZZR und Hayabusa dran, ledert diese bei der Durchzugswertung sogar ab. Im letzten Gang spurtet die "K" von 50 auf 150 km/h in sensationellen 8,1 Sekunden. Ein Vergleich veranschaulicht die sagenhafte Dynamik der BMW: Beim Durchzug liegt sie nahezu gleichauf mit dem in dieser Disziplin besten Serienbike überhaupt, der Yamaha R1. Unterm Strich verbucht jeder dieser Reihenvierzylinder auf seine Art Vorteile, keiner kann sich nennenswert absetzen.
Und die VFR 1200 F? Lange ließ Honda mit einem neuen Sporttourer auf sich warten. Die CBR 1100 XX lief 2007 nach zehn Jahren Bauzeit aus, und die nach wie vor erhältliche VFR 800 kann mit 109 PS und 80 Nm Drehmoment Fans kraftstrotzender, verkleideter Big Bikes nicht hinterm Ofen hervorlocken. Mit der VFR 1200 F schlägt Honda zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Neue bietet beides: satte Leistung und reizvolle V4-Technik.
Leider wird die VFR den hohen Erwartungen, den das motorradfahrende Volk an eine brandneue Maschine des Weltmarktführers Honda grundsätzlich zu stellen pflegt, nicht in jeder Weise gerecht. Das gilt besonders für die Leistungsentfaltung. Im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern kommt die 1200er in dem fürs Landstraßenwetzen wichtigen unteren Drehzahlbereich nicht recht aus dem Quark. Erst ab 5500/min, wenn eine Klappe im Auspuff den maximalen Querschnitt freigibt, marschiert die VFR so, wie es ein Bike dieses Genres tun sollte. Ab dieser Marke faucht sie auch großartigen V4-Sound aus ihrem ureigen geformten, kurzen Endtopf. Darunter säuselt die Honda eher harmlos, ein Kollege meint gar spitzzüngig: "Die klingt wie ein Roller." Damit keine Missverständnisse entstehen: Für sich genommen bietet die VFR ein anregendes Fahrerlebnis. Gegen die bärenstarken Treibsätze von BMW, Kawasaki und Suzuki kommt sie jedoch nicht an. Auch die Lastwechselreaktionen fallen bei ihr am ausgeprägtesten aus. Aufgrund des recht harten Leistungseinsatzes zwingt die VFR ihren Piloten beim Beschleunigen aus engen Ecken mitunter zu Korrekturen der Linie.
Antriebsseitig liegt die Stärke der Honda ganz klar bei der Laufkultur. Der Massenausgleich ihres Aggregats geriet perfekt, fiese Vibrationen sind der VFR im Gegensatz zur Konkurrenz mit ihren rauen Aggregaten fremd. Besonders bei höheren Drehzahlen spüren VFR-Reiter nur, was sie spüren sollen: fabelhaften V4-Schlag.
Teil 2 & FAZIT

Für Wohlfühlmomente sorgt auch das Getriebe der Honda. Gangwechsel gehen butterweich vonstatten, nur die Suzuki Hayabusa kann ihr in dieser Hinsicht ansatzweise das Wasser reichen. Etwas zäher arbeiten die Schaltboxen der ZZR 1400 und der K 1300 S. Letztere ist mit einem "Schaltassistenten" (BMW-Jargon) ausgestattet. Vom Normalvolk Schaltautomat genannt, erlaubt die Technik das Hochschalten ohne Zugkraftunterbrechung selbst unter Volllast. Echtes Rennfeeling soll die Sonderausstattung erzeugen. Üblicherweise dreht der Profi-Racer hierfür auch das Schaltschema um - erster Gang oben, die restlichen unten. Dazu benötigt die BMW aber eine weitere Mechanik. Auch die Zündunterbrechung dauert gefühlsmäßig länger als bei einer echten Rennmaschine.
In Windeseile beamen sich die vier Kraftpakete zum nächsten Fotospot, einem Pass mit unterschiedlichsten Kurvenradien. Hier rollt die ZZR 1400 vor die Linse und soll zeigen, was in ihr steckt. Das Testmotorrad, eine Leihgabe des rührigen Münchner Händlers Kawa Motor (besten Dank, Jungs!), entspricht bis auf etwas goldene Farbe an Verkleidungskiel und Felgen sowie einem Zubehör-Windschild der Serie. Das gilt auch für die Bereifung der neuwertigen Maschine: Bridgestone BT 014 mit Sonderspezifikation. Nur mit Körpereinsatz biegt die Kawa in die Ecken und benötigt während der gesamten Kurvenfahrt leichten Druck, um auf Kurs zu bleiben. Auch bei der Zielgenauigkeit lässt die ZZR Wünsche offen; sie erfordert in Schräglage aufgrund der etwas indifferenten Front leichte Lenkkorrekturen.

Ähnlich schwerfällig umrunden auch die Hayabusa und die VFR 1200 F die Bögen. Die Suzuki lenkt auf den Bridgestone BT 015 zwar einigermaßen handlich ein, drängt aber ab dem Scheitelpunkt unter Zug spürbar nach außen. Am vehementesten sperrt sich die Honda gegen Schräglage; sie fordert in den Ecken permanent die tatkräftige Unterstützung des Fahrers. Immerhin hält sie bis zum Gasanlegen die vorgegebene Linie. Das Fahrverhalten der drei Japanerinnen legt den Schluss nahe, Sporttourer ließen unbeschwerten Kurventanz nicht zu. Schließlich bringen die Bikes zwischen 258 Kilogramm (BMW) und 268 Kilo (Honda) auf die Waage.
Dass es auch anders geht, zeigt die K 1300 S. Um in Schräglage zu gelangen, erfordert sie kurzzeitig zwar ebenfalls etwas Muskelkraft. Das liegt außer an der Masse auch an ihrem flachen Lenkkopfwinkel im Verbund mit dem ultralangen Radstand. Doch bereits nach wenigen Winkelgraden pfeffert die BMW überaus leichtfüßig durchs Geschlängel, bleibt lasergenau auf Kurs und ermöglicht eine freie Linienwahl. Kurvenspaß vom Feinsten! Anfangs wirkt das Einlenkverhalten der Bayerin beinahe nervös, und wer von einem der anderen Bikes auf sie steigt, rammt schier den Lenker in den Asphalt. Spätestens nach ein paar Kurven möchten K-Treiber diese Leichtigkeit aber nicht mehr missen. Einen hohen Anteil an dieser Darbietung tragen die Reifen: Conti Sport Attack. Eine für ihre ausgezeichnete Handlichkeit bekannte, reinrassige Sportsohle. Auf solchen Gummis steuern Piloten naturgemäß öfter den Reifenhändler an als auf Tourensportreifen. Doch das gesteigerte Fahrvergnügen rechtfertigt diese Investition allemal.
Nach der ZZR ist die K 1300 S mit FotoAction an der Reihe. Getrieben von der fordernden Geste des Fotografen steigt der Autor auf die Bank und nimmt die Sportkuh stehend aufs Hinterrad. Klick, klick, der Auslöser glüht. Der Stunt funktioniert überraschend gut, das Aufstellmoment des Kardans ist kaum spürbar. Anders die Honda. Ebenfalls mit dem wartungsarmen Hinterradantrieb ausgestattet, fallen ihre Kardanreaktionen deutlich stärker aus.
Die Strecke wird holpriger. Fahrwerkstest. Alle Bikes liegen bei der Abstimmung ihrer Federelemente eher auf der soften Seite, wodurch auf zerfurchtem Terrain viel Bewegung in den wuchtigen Maschinen entsteht. Etwas stabiler als die Fernost-Brenner rauscht die BMW über Buckelpisten. Sie ist mit der jüngsten Generation des elektronisch einstellbaren Fahrwerks (ESA II, Aufpreis: 740 Euro) ausgestattet. Das System ermöglicht per Knopfdruck vom Lenker aus die Wahl verschiedener Modi, die das Setup von Dämpfung, Federvorspannung sowie Federrate variieren. Auf Straßen der Qualität Rübenacker funktioniert "Komfort" recht gut, auf sonstigem Geläuf empfiehlt PS "Sport". Egal, in welchem Modus der Pilot ballert, im Solobetrieb sollte er stets die geringst mögliche Zuladung im Menü wählen (Displayanzeige: ein Helm). In dieser Einstellung ist die Bajuwarin optimal ausbalanciert.
Mit derartig moderner Technik kann die Kawasaki nicht dienen. Dafür kontert sie mit dem besten Ansprechverhalten von Gabel und Federbein im Test. Die Federelemente glätten selbst übelste Asphaltverwerfungen, nichts dringt zum Fahrer durch. Erstklassig! Knapp dahinter reiht sich die Hayabusa ein. Gabel und Federbein filtern Schläge sehr passabel, in dieser Disziplin liegt sie gleichauf mit der BMW. Dieses Niveau erreicht die VFR nicht ganz. Vor allem das Federbein wirkt auf groben, spitz zulaufenden Unebenheiten trampelig. Ferner schaukelt sich das Heck aufgrund des sehr komfortabel abgestimmten Mono-shocks auf miesen Straßen deutlich auf. Die Gabel macht das besser. Wesentlich straffer ausgelegt, bleibt in der Front weitgehend Ruhe. Damit Vorder- und Hinterbau synchron arbeiten, verlangt das Federbein eine sehr weit geschlossene, und die Gabel eine komplett geöffnete Dämpfung.
Die letzte Foto-Einzelaktion des Tages steht auf dem Programm: Brutalo-Stoppie mit der Hayabusa. Sie bietet als einzige kein ABS. Nur kühne Zeitgenossen sehen darin einen Vorteil und spielen mit dem Dickschiff wie mit einer Supermoto. Ein Fall für Jo. Doch selbst dem Crack gelingt dieser Drahtseilakt nicht so easy; auf der Suzi sitzen Fahrer sehr weit hinten und der Lenker prangt weit vorn. So gelingt es kaum, genügend Gewicht auf die Front zu verlagern. Auch im Alltag ist diese Sitzposition gewöhnungsbedürftig. Darüber hinaus beißen die Bremsen der Hayabusa eher verhalten zu und erfordern hohe Handkräfte. Wie Jo sie trotzdem aufs Vorderrad zaubert, bleibt sein Geheimnis. Ähnlich mau gehen die Stopper der ZZR 1400 zu Werke. Hohe Handkraft, müde Bremsleistung, grob regelndes ABS: Von Kawasaki gibt es in diesem Punkt Besseres. Wie es richtig geht, zeigen die Fangeisen der Honda. Für optimales Verzögern erfordern zwar auch sie etwas höhere Handkräfte. Doch die Bremswirkung geht voll in Ordnung und das ABS regelt sehr feinfühlig. Auch hier packt die K 1300 S noch eins drauf. Ihre Zangen greifen ähnlich wirksam und linear in die Scheiben wie eine gute Supersportbremse. Darüber hinaus begeistert die Anlage mit einem knackigen Druckpunkt sowie exzellenter Transparenz. Dank ihrer speziellen Vorderradaufhängung (Duolever) taucht sie beim Ankern weniger stark ab als die Konkurrentinnen und erreicht im Verbund mit dem superben ABS einzigartige Verzögerungen.
FAZIT
Die K 1300 S gewinnt klar. Sie bildet derzeit die ideale Symbiose aus Sport und Tour. Mit einem Grundpreis von knapp 16000 Euro lässt sich BMW das allerdings teuer bezahlen. Mit satten fünf Punkten Rückstand landet die Honda VFR 1200 F auf Platz zwei. Nur ihre Bremse und die Sitzposition hält sie vor den beiden älteren Bikes von Kawasaki und Suzuki. Die Bezeichnung Sporttourer verdient sie nur bedingt, die VFR glänzt überwiegend mit touristischen Eigenschaften. Die ZZR 1400 belegt aufgrund ihrer etwas gelungeneren Ergonomie den dritten Rang vor der Hayabusa.