Die rote Meile heißt eigentlich "Kilometro Rosso" und steht an der Autobahn Mailand-Venedig bei Bergamo. Hinter der Fassade geht es eher verraucht als verrucht zu. Zu Besuch beim Bremsenspezialisten Brembo.
Die rote Meile heißt eigentlich "Kilometro Rosso" und steht an der Autobahn Mailand-Venedig bei Bergamo. Hinter der Fassade geht es eher verraucht als verrucht zu. Zu Besuch beim Bremsenspezialisten Brembo.
Das Statement strotzt vor Selbstbewusstsein: "Natürlich kann ich die Superbremse bauen", sagt Eugenio Gandolfi, um dann mit spitzbübischen Grinsen fortzufahren, "aber es gibt kein Motorrad auf dieser Welt, das diese Power verkraften kann." Der Motorradsport-Vertriebschef von Brembo kann sich diesen Stolz leisten. Schließlich gibt es im Olymp des Rennzirkusses kaum jemanden, der auf die Kompetenz des italienischen Bremsenherstellers verzichtet: So setzten beispielsweise 14 der 17 MotoGP-Fahrer in der Saison 2010 auf die Bremskomponenten von Brembo, darunter natürlich die Stars wie Valentino Rossi (Yamaha), Casey Stoner (Ducati) oder Dani Pedrosa (Honda). Auch der frischgebackene Weltmeister Jorge Lorenzo hat sich auf seiner Yamaha M1 nur von Brembo einbremsen lassen. Entsprechend hoch ist der Aufwand: Ein eigener, in sich abgeschlossener Fabrikzweig mit 100 Beschäftigten in Curno nahe Bergamo beschäftigt sich ausschließlich mit der Entwicklung, Erprobung und Produktion von Bremskomponenten für den Rennsporteinsatz in Motorrädern, Formel-1, DTM- oder Rallye-Fahrzeugen.
Auf speziellen Prüfständen lassen sich viele Rennszenarien aus den Königsklassen simulieren: "Tatsächlich können wir momentan maximal 50 Prozent unserer eigentlich verfügbaren Bremsperformance umsetzen", verdeutlicht Eugenio Gandolfi den derzeitigen Entwicklungsstand im Motorradrennsport. Der Techniktransfer für den Alltagsgebrauch ist dabei zweitrangig. "Allein 17 Jahre hat es gedauert, bis der Radial-Hauptbremszylinder in der Motorrad-Serienfertigung angekommen ist", erklärt Technikchef Roberto Lavezzi. Die federleichten Karbonbremsscheiben, kaum noch von der Rennstrecke wegzudenken, machen aufgrund ihrer Temperaturempfindlichkeit im Alltag kaum Sinn. Denn im kalten Zustand funktionieren diese nicht, erst heißgefahren packen die Beläge auf den Kohlefaserscheiben kraftvoll zu.
Ohnehin sind die Rennkomponenten auf extrem hohen Stress ausgelegt, während es für die Serienteile auch auf hohe Dauerbelastung ankommt. "Die Karbonscheiben sind beispielsweise nach 3000 Kilometern verschlissen. Das sind maximal fünf Rennwochenenden. Eine Renn-Bremszange muss nur eine Saison halten", erklärt Eugenio, "während die Bremszange für ein Serienmotorrad noch nach zehn Jahren tadellos funktionieren sollte." Für diesen Bereich ist David Guastamacchia verantwortlich, der mit seinem 21-köpfigen Team hinter dem "Kilometro Rosso", der roten Hochglanzfassade von Brembo in Stezzano nahe Bergamo, an der Erprobung von Prototypen tüftelt.
Bevor es auf die Prüfstände geht, werden die Testmuster vor Ort zusammengesetzt und penibel vermessen. Diese Werte sind später für die Qualitätssicherung maßgeblich, wenn die Prototypen in die Serienfertigung übergehen. Ganze 19 Wochen dauert der Prüfzyklus für die Bremskomponenten, der zunächst harmlos mit ersten Drucktests im Labor von David anfängt. Richtig zugesetzt wird den Teilen schließlich auf den insgesamt 18 Prüfständen, wo Verschleißmessungen anstehen oder sie im Dauertest bis zu einer Woche belastet und auf kritische Punkte wie das Bremsenfading untersucht werden. Um zur Serie zu reifen müssen beispielsweise Hauptbremszylinder oder eine hydraulische Kupplungsarmatur mehrere 100000 Betätigungen über sich ergehen lassen. Richtig interessant wird es für David und seine Crew aber erst, wenn es zur echten Erprobung auf die Straße geht. Zehn Testfahrer drehen dazu nicht nur auf einem Prüfgelände bei Mailand, sondern auch in dem kurvenreichen, bergigen Revier rund um den Comer See ihre Runden. "Erst nach 2000 Kilometern haben wir alle Fahrsituationen auf der Straße inklusive Nasstest und Geräuschmessung im Kasten", erklärt der Testchef. Die Werkstatt teilen sich Auto- und Motorradabteilung.
Nicht wenige Zwei- und Vierräder sind mit Planen abgedeckt. David lacht: "Nicht nur unsere Bremsanlagen sind Prototypen. Viele der Fahrzeuge, für die wir Bremsanlagen entwickeln, befinden sich im gleichen Stadium." Einer der größten Kunden von Brembo ist neben Ducati, Aprilia und MV Agusta die US-Marke Harley-Davidson: "Was verwundern mag. Schließlich ist nicht Brembo sondern das Harley-Logo auf Bremszangen oder Hauptbremszylindern zu sehen", erklärt Paolo Magri, Chef der Motorradsparte von Brembo.
Gleiches gilt für BMW: Der Großkunde aus München lässt seine Bremssättel ebenfalls mit seinem Schriftzug versehen. Natürlich hat das italienische Traditionshaus auch die boomenden Märkte in Fernost im Auge. Seit einem knappen Jahr verfügt Brembo mittels eines Kooperationsvertrages mit dem größten Pkw- und Nutzfahrzeughersteller Chinas über Gießereianlagen und Maschinen in Nanjing. Seit wenigen Monaten ist Brembo mit der Marke Bybre (ein Kürzel für "by Brembo") in Indien präsent, wo am Standort Pune auch die Bremsanlage für die neue KTM 125 Duke produziert wird. Die Eckdaten für die Produktion von Motorradteilen inklusive der Fertigung von Marchesini-Rädern nehmen sich in der globalen Brembo-Welt (siehe oben) mit 5500 m² Fläche und 230 Beschäftigten am Standort Curno bescheiden aus und erinnern an die Anfangszeit des Unternehmens: Vor knapp 50 Jahren eröffnete der Vater des jetzigen Firmenchefs, Emilio Bombassei, eine kleine Werkstatt in der Nähe des Flusses Brembo, wo er sich zunächst auf die Produktion von Bremsscheiben für Alfa Romeo spezialisierte, bevor das Firmenlogo mit einer Lieferung an Moto Guzzi zum ersten Mal 1972 an einem Motorrad auftauchte.
Aus dem kleinen Einmannbetrieb ist heute eine Aktiengesellschaft mit Produktionsstätten in 36 Ländern und weltweit über 5400 Beschäftigten geworden.