Moto Guzzi V85 TT Dauertest-Abschlussbilanz
Im Mai 2019 trat die Moto Guzzi V85 TT zum Dauertest bei MOTORRAD an. Es galt, 50.000 Test-Kilometer abzuspulen. Warum es bei der V85 TT dann 82.104 Kilometer wurden, erfahrt ihr hier.
Ausgerechnet der Autor dieser Zeilen ging mit der Moto Guzzi V85 TT nach 32.104 Kilometern in einer Rechtskurve besonders für die Guzzi unsanft zu Boden. Die Beschädigungen waren letztendlich so stark, dass wir den Dauertest der wieder reparierten Maschine auf Wunsch von Moto Guzzi schweren Herzens abgebrochen haben. Details hatten wir in MOTORRAD 12/2021 veröffentlicht, hier gibt's den Artikel als Pdf. Im Rahmen des Dauertests haben wir auch getestet, welche Reifen mit der Moto Guzzi V85 TT gut harmonieren und welches Zubehör für die Moto Guzzi V85 TT zu empfehlen ist.
Doch Redaktion und Importeur waren sich einig, dass die Moto Guzzi V85 TT, die sich zu diesem Zeitpunkt schon eine durchaus stattliche Fangemeinde aufgebaut hatte, die volle Distanz verdient habe. So startete im September 2021 der Dauertest Moto Guzzi V85 TT reloaded. Diesmal mit der überarbeiteten und von Kinderkrankheiten befreiten Euro-5-Version. Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass der Fauxpas des Autors das 50.000-km-Dauertest-Vergnügen mit der V85 nicht um 20.000 Kilometer gekürzt, sondern sogar um 30.0000 verlängert hat. Alles nur eine Frage der Perspektive.
Durchschnittsverbrauch Moto Guzzi V85 TT: 4,7 Liter
Mit Ressourcen jedweder Art ging die Moto Guzzi V85 TT recht sparsam um. Der Durchschnittsverbrauch über die gesamte Distanz lag bei 4,7 Litern, bei der Vorgängerin waren es 5,0. Wobei die Extremwerte von unter 4 bis über 8 Liter reichten. Öl musste, wenn überhaupt, nur nach langen Vollgas-Autobahnetappen nachgefüllt werden. Diese Aussagen decken sich auch weitgehend mit den über 90 Zuschriften, die allein für den zweiten Dauertest eingingen. Beim ersten waren es auch schon rund 40.
Die vorderen Bremsbeläge waren einmal fällig, die hinteren zweimal. Der erste Reifensatz hielt satte 15.820 Kilometer, die nachfolgenden, kurioserweise stets die mit der Moto Guzzi V85 TT sehr gut harmonierenden Dunlop Meridian, hatten mit 9.140, 12.390 und 7.600 Kilometern teilweise dramatisch kürzere Verweildauern auf den Kreuzspeichenrädern. Für eine Balkan-Schottertour des Kollegen Ferdinand fürs Reisemagazin Ride wurden für knapp 3.000 Kilometer grobstollige Heidenau K60 aufgezogen. Das war’s dann auch schon mit Schraubereien. Das Testen von Zubehör wurde schon in der Zwischenbilanz in MOTORRAD 25/2020 abgehandelt.
Aus der Rubrik "Kannste dir nicht ausdenken"
Außerplanmäßige Werkstattbesuche, Pannen oder gar Ausfälle gab es mit der Moto Guzzi V85 TT keine, das rastende Lenkkopflager wurde im Rahmen der 10.000er-Inspektion beseitigt und die undichten Gabelsimmerringe zwei turnusmäßige Termine später auf Garantie. Timing ist eben alles! Und dass die gebrochene Feder des Steuerkettenspanners überhaupt entdeckt wurde, darf getrost unter der Rubrik "Kannste dir nicht ausdenken" abgeheftet werden.
Folgendes Szenario: Im Rahmen der 30.000er-Inspektion, die im November 2022 fällig war, fragt die Werkstatt nach Auffälligkeiten. Nun ja, die ersten 500 Meter nach dem Kaltstart seien mit der Moto Guzzi V85 TT etwas rappelig, danach passe es. Das könne vorkommen, wenn der Zündungs-Pickup nicht zu 100 Prozent korrekt säße. Also checken. Dazu muss der vordere Gehäusedeckel ab, und es bedarf einer speziellen Lehre, um den Sitz zu checken. Diagnose: alles korrekt! Dabei fällt dem Werkstattmeister auf, dass dem eigentlich nicht sichtbaren Steuerkettenspanner die, selbst wenn sie da wäre, noch viel weniger sichtbare Spannfeder fehlte. Nach kurzer Suche finden sich beide Bruchstücke in der Ölwanne wieder. Die Laufschiene des Kettenspanners, der übrigens seit Jahrzehnten unverändert verbaut wird, weist gut sichtbare Laufspuren auf. Genau wie der auf Garantie verbaute neue, wie sich nach dem Zerlegen herausstellen wird. Womit der interessante Teil erreicht wäre.
Keine bösen Überraschungen mit der Moto Guzzi V85 TT
Da Motor- und Fahrleistungen der Moto Guzzi V85 TT bei den Abschlussmessungen nur unwesentlich unter denen der Eingangsmessungen lagen, ebenso die Kompressions- und Druckverlustwerte, waren keine bösen Überraschungen zu erwarten. Und so kam es dann im Wesentlichen auch. Wohl zerbrach eine Lambdasonde beim Versuch, sie zu lösen, und die Schrauben der Ölpumpen-Befestigung mussten aufgestemmt werden, da die Torx-Köpfe das Drehmoment zum Lösen nicht übertragen wollten, ansonsten gestaltete sich die Demontage problemlos. Und brachte sehr viel Erfreuliches zutage.
Der komplette Ventiltrieb, angefangen bei der Nockenwelle, über die Stoßstangen, Kipphebel, deren Wellen und Lagern, bis hin zu den Ventilen samt Sitzen, Schäften und Führungen präsentierten sich in einem Top-Zustand, mit Werten oft noch innerhalb der Einbautoleranzen. Ergo: zusammenstecken, einbauen, weiterfahren. Beim Kurbeltrieb der Moto Guzzi V85 TT zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Welle samt Lager sieht aus wie neu und ist ebenso maßhaltig wie die Pleuellager. Wobei die Schalen des linken Zylinders zwar deutlich sicht-, aber weder mess- noch fühlbare Laufspuren zeigen. Offenbar wurde hier mal ein Fremdkörper durchgezogen. Die Funktion ist in keiner Weise beeinträchtigt, dennoch würde man beim Zusammenbau diese Schalen erneuern. Zwischen oben und unten liegen Zylinder und Kolben, und hier gibt es zwei zunächst widersprüchliche Ergebnisse: Die Kolben an sich sind in sehr gutem Zustand und maßhaltig. Die Kolbenhemden sind frei von Laufspuren, auf den Kolbenböden sind nur geringe Ablagerungen festzustellen. Das für einen luftgekühlten Motor recht knapp bemessene Laufspiel beider Kolben liegt fast noch innerhalb der Einbautoleranzen. Auch die Laufbuchsen der Zylinder sind tipptopp. Leider ist ein Zylinder um wenige Tausendstel außerhalb der Toleranz. Theoretisch also Schrott, doch angesichts der tadellosen Funktion und der makellosen Optik der Lauffläche stellt sich schon die Frage, ob ein Austausch wirklich notwendig ist. Stichwort: Leistung, Ölverbrauch.
Ähnliches gilt für den Übergang Kolben zu Bolzen. Bei beiden Kolben ist das Laufspiel im grünen Bereich, in den maßhaltigen Kolbenbolzenaugen finden sich nur zarte Laufspuren. Die Kolbenbolzen machen optisch einen sehr guten Eindruck, die Messungen der Außendurchmesser ergeben aber Werte, die um wenige Tausendstel außerhalb der vorgegebenen Werte liegen. Anmerkung: Die Grenzwerte für den Verschleiß wurden dem offiziellen Werkstatthandbuch für die Moto Guzzi V85 TT entnommen, siehe auch "Moto Guzzi nimmt Stellung …", im Text weiter unten. Angesichts der tadellosen Funktion stellt sich auch hier die Frage: erneuern oder weiterverwenden?
Kolbenringe und Getriebe
Bei den Kolbenringen zeigt sich eine interessante Gemeinsamkeit mit dem ersten Dauertest-Motorrad. Hier wie dort war das Stoßspiel der ersten Kolbenringe im Verschleißbereich, das der zweiten hart an der Grenze. Die müssen also erneuert werden. Keine Diskussionen gibt es auch beim Getriebe. Zum Ende des Dauertests fand sich, wer nicht mit Gefühl und konzentriertem Schaltfuß schaltete, auf dem Weg vom 5. in den 6. Gang öfter mal in einem Zwischenleerlauf wieder. Beim Zerlegen zeigte sich, dass die Klauen der entsprechenden Zahnräder sowie die dazugehörige Schaltgabel deutliche Verschleißerscheinungen zeigen. Letztendlich liefert die Moto Guzzi V85 TT ein zwar nicht perfektes, aber durchaus erfreuliches Bild ab.
Dies deckt sich auch weitgehend mit den Erfahrungen der Kundschaft. Ein gerissener Kupplungszug hier, ein undichtes Federbein da, auch jeweils ein Getriebeproblem sowie ein Motorschaden durch eine gebrochene Stößelstange wurden bemängelt. Der absolut überwiegende Teil an Moto Guzzi V85 TT läuft jedoch absolut problemlos. Und er läuft viel. 10.000 Kilometer und mehr pro Jahr sind eher die Regel als die Ausnahme. Ganz ohne Nickeligkeiten geht es aber nicht. So neigt der V2 in der Leserschaft auch als Euro-5-Version bisweilen bei hohen Außentemperaturen und niedrigem Tempo zum Klingeln. Hochoktaniger Premiumsprit lindert dieses Problem, ist aber nicht überall zu haben. Auch dass die Reserveleuchte der Moto Guzzi V85 TT bereits zum Tanken mahnt, wenn noch locker 150 Kilometer im Tank stecken, wird häufig bemängelt. Sehr oft positiv erwähnt werden die gute Ergonomie und der hohe Sitzkomfort vorn wie hinten. Auch das handliche Fahrwerk und die tollen Bremsen werden vielfach lobend hervorgehoben.
Wunsch: Untenrum mehr Power
Mit der Leistung haben zumindest Solofahrer eher keine Probleme. Zweierteams und Alpenfahrer wünschen sich aber, besonders wenn sie von der GS kommen, untenrum mehr Schmalz. Generell gilt, dass die Moto Guzzi V85 TT bewusst angeschafft wird, weil man dem "Immer-mehr-von-allem" nichts mehr abgewinnen kann oder will. Dennoch schielt der eine oder andere V85-Treiber nach der neuen Stelvio. Wir auch. Die Anfrage für eine MOTORRAD-Dauertest-Stelvio läuft.
Dauertest-Fazit Moto Guzzi V85 TT
- Allgemeinzustand: Weder dem Rahmen noch den diversen Anbauteilen sieht man die durchfahrenen Winter an. Ausnahmen: leichte Korrosion an der Vorderachse und abblätternder Lack am vorderen Motordeckel.
- Kompressionsdiagramm: alles im grünen Bereich.
- Zylinderkopf/Ventiltrieb: Alle Ventile schließen dicht, sowohl Ventilsitzbreite wie auch Pendelspiel liegen deutlich innerhalb der Betriebstoleranzen. Nockenwelle samt Lagerung und Kipphebel sind einwandfrei und weisen lediglich mit dem Auge erkennbare, minimale Laufspuren auf. Dafür zeigt auch der zweite Steuerkettenspanner bereits zarte Laufspuren.
- Kolben/Zylinder: Das Kolbenspiel befindet sich fast noch innerhalb der Einbautoleranzen, die Zylinder sind maßhaltig, die Laufflächen frei von Spuren. Kolben: Maße und Laufspiele passen, auch die der Kolbenbolzenaugen. Auch die Bolzen selbst sind maßhaltig. Die Stoßspiele der Kolbenringe jedoch sind an bzw. deutlich über der Verschleißgrenze.
- Kraftübertragung: Die Kurbelwelle und deren Lagerung ist ohne Befund, tadellos und maßhaltig. Beide unteren Pleuellager sind maßhaltig, jedoch weist eins davon deutlich spürbare Riefen auf. Zwei Zahnräder und eine Schaltgabel zeigen an den Kraftübertragungs- bzw. Eingriffsflächen deutlich sichtbaren Verschleiß. Die Kupplung ist ohne negativen Befund.
Moto Guzzi nimmt Stellung …
- … zu den Laufspuren im Steuerkettenspanner: Die Laufspuren sind normal und haben keinen Einfluss auf die Dauerhaltbarkeit. Der Spanner wird seit Jahrzehnten unverändert und ohne Probleme verwendet.
- … zu den sicht-, aber nicht fühl- oder messbaren Laufspuren in den Schalen eines Pleuellagers: Wenn wir Schmutzeintrag während der Ölwechsel oder beim Service ausschließen, wurde vermutlich ein Produktionsrückstand oder Grat durch das Lager gezogen. Da die Schalen aber absolut maßhaltig sind, ist die Funktion nach wie vor gegeben.
- … zu dem möglicherweise verschlissenen Zylinder: Das Spiel zwischen Kolben und Zylinder ist der beste Verschleißindikator. Da sich dieses sogar innerhalb der Einbautoleranzen bewegt, spricht nichts gegen eine weitere Verwendung der Bauteile.
- … zu den laut Werkstatthandbuch verschlissenen Kolbenbolzen: Wenn sowohl die Kolbenbolzenaugen als auch das Spiel Kolben/Kolbenbolzen perfekt ist, der Bolzen aber messtechnisch außerhalb der Toleranz sein soll, kann etwas nicht stimmen. Entweder stimmen die Werte im Handbuch nicht oder es liegt ein Messfehler vor. (Anmerkung der Redaktion: Die Werte für den Verschleiß stammen aus dem aktuellen Werkstatthandbuch. Zylinder, Kolben samt Bolzen und Pleuel gingen zu Piaggio, um dort nochmals vermessen zu werden. Offizieller Befund: Alle strittigen Bauteile können bedenkenlos weiterverwendet werden.)
- … zu den Laufspuren der Schaltgabel des fünften und sechsten Gangs: Der Grund für dieses Schadensbild könnte darin liegen, dass entweder stets sehr schnell oder ohne Kupplung geschaltet wurde oder der Fuß während der Fahrt dauerhaft auf dem Schalthebel auflag. Grundsätzlich ist die Drehzahl der Hauptwelle, in die diese Schaltgabel eingreift, höher als die der Vorgelegewelle, was auch den Verschleiß begünstigt. Dennoch sollte die Schaltgabel ausgetauscht werden.
- … zu den deutlichen Abnutzungen der Klauen der Zahnräder des fünften und sechsten Gangs: Die Gründe für diesen Zustand der Getrieberäder könnten an der Kupplungseinstellung liegen. Oder es wurde oft sehr schnell und ohne Kupplung geschaltet. Die Getrieberäder müssen ersetzt werden.
Dieser Artikel kann Links zu Anbietern enthalten, von denen MOTORRAD eine Provision erhalten kann (sog. „Affiliate-Links“). Weiterführende Informationen hier.