Neue GP-MuZ 500

Neue GP-MuZ 500
:
Schweizer Macher

Die neue Grand Prix-MuZ 500 begeisterte ihre Fahrer Luca Cadalora und Jürgen van den Goorbergh auf Anhieb. Schweizer Präzisionsarbeit ist das Geheimnis des Erfolgs.

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Bislang war die MuZ 500 aus dem französischen ROC-Fahrwerk und dem Schweizer Swissauto-Motor komponiert. Doch weil ROC-Besitzer Serge Rosset zu sehr auf das eigene Wissen baut und die Fahrer lieber seinem Set-Up als das Set-Up seinen Fahrern anpaßt, schwelten im MuZ-Team die Konflikte. Nach Saisonende 1998 kam es deshalb zur Trennung - der neue Teammanager Rolf Biland hatte sich gegen den »Sturheitsfaktor« und für ein neues technisches Abenteuer entschieden.
Doch wer wagt und sein Risiko kalkuliert, gewinnt. MuZ-Techniker Johannes Kehrer hatte das ROC-Chassis vermessen und wertete die über die Saison gesammelten Daten im Stammwerk Zschopau-Hohndorf sorgfältig aus. Die MuZ Rennsport GmbH, im Herbst 1998 als Tochterunternehmen gegründet und in der Nachbarschaft des Swissauto-Betriebs im Schweizer Burgdorf angesiedelt, hatte damit die nötige Basis für eine Neukonstruktion. Eskil Suter, Testfahrer und einer der wichtigsten Zulieferer des Teams, zeichnete das Chassis und ließ es bei »Fabrication Techniques« in England zusammenschweißen, jener Firma, bei der auch die Modenas-Fahrwerke entstehen.
Als die neue Maschine, schwarz und unlackiert, im Februar zum ersten Roll-Out in Jerez aus dem Transporter gehievt wurde, sah sie nicht nur elegant und kompakt aus wie eine 250er, sie funktionierte auch so. Luca Cadalora und Jürgen van den Goorbergh schwärmten, wie leicht sich die um drei Kilogramm untergewichtige MuZ einlenken lasse und wieviel Gefühl für Asphalt und Reifengrip sie vermittle. Obwohl sich die beiden den ersten Prototypen teilen mußten und jedes Sturzrisiko vermieden, zauberte Cadalora eine Bestzeit von 1.44,9 Minuten auf den Asphalt, nur gut zwei Sekunden vom inoffiziellen Rekord entfernt. Van den Goorbergh war nur zwei Zehntelsekunden langsamer und bewies, daß Cadalora wohl noch Reserven hatte. »Ab jetzt müssen wir bei all unseren Aussagen vorsichtig sein. Sonst wachsen die Erwartungen in den Himmel«, versuchte der Italiener, den Ball tief zu halten. »Nach oben wird die Luft dünner - wie bei einem Gewichtheber, der am Limit noch eine weitere Scheibe auflegen will«, dämpfte auch Rolf Biland die aufkommende Euphorie.
Doch das MuZ-Team hat noch etliche Pfeile im Köcher. Weil sich ein hartes Fahrwerk schlecht weichkochen, ein filigranes Chassis aber jederzeit verstärken läßt, konstruierte Suter den Rahmen bewußt für jenen »controlled flex«, der dem Fahrer einen breiteren Grenzbereich vermittelt. Die streng symmetrisch geformte, voluminöse Hinterradschwinge ist innen hohl, kann aber jederzeit mit zusätzlichen Knotenblechen verstärkt werden. Auch im Bereich des Lenkkopfs, dessen Winkel mit wenigen Handgriffen verstellt werden kann, lassen sich zusätzliche Verstrebungen einschweißen.
Die Philosopie, das Ziel auf direktestem Weg zu suchen, zeigt sich schon in der von Andy Wüthrich konstruierten Boxeneinrichtung. Jeder der vier Motorrad-Reisecontainer verwandelt sich beim Auspacken in eine mit Schubladensystemen und komplettem Werkzeug, Ersatzteilen und Ersatzmotor ausgestattete Werkbank, die Containerwände werden zu wohnlichen Boxenabtrennungen. »Früher, bei ROC, haben wir jeweils einen Tag gebastelt. Jetzt steht die Boxenanlage in einer Stunde«, erklärt Motorenkonstrukteur Urs Wenger.
Schweizer Präzision und, so Rolf Biland, »die Ideen einer Handvoll intelligenter Leute« sind die entscheidenden Trümpfe im Kampf gegen die japanische Übermacht. Denn von geheimer Entwicklungshilfe, wie sie einst Cagiva bei Yamaha genoß, kann beim MuZ-Team keine Rede sein. Die Mannschaft darf nicht einmal zu gemeinsamen Tests mit den Yamaha-Teams auf die Strecke. Noch schwerer wiegt, »daß uns die Japaner mit den Vergasern filmen«. Mikuni stellte den Verkauf an MuZ auf Befehl von Yamaha ein, Keihin berechnet 320 000 Schweizer Franken für fünf Vergaserbatterien. »Solche Offerten schreiben wir, wenn wir einen Auftrag nicht machen wollen«, stellt Wenger fest.
Doch längst rollt auch hier die Konteroffensive mit einer Zweitakt-Einspritzung für den bärenstarken Swissauto-V4-Motor, die in der Sommerpause im August bereits auf der Strecke getestet werden soll. »Wir tun uns leichter, denn wir bauen seit zwölf Jahren Motoren mit Benzineinspritzung. Der 500er ist der einzige mit Vergasern - und auch an denen gibt´s jede Menge Elektronik«, hält Wenger fest.
Technisch kennt die Innovationskraft des MuZ-Teams keine Grenzen - nur beim Budget wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Bis Ende Januar sah es so aus, als werde der holländische Van Nelle-Konzern mit dem Zigarettentabak Drum für einen Löwenanteil des Budget von 5,5 Millionen Franken geradestehen. Dann sprang der Geldgeber ab und hinterließ ein Zwei-Millionen-Loch.
Doch auch dafür fanden die Schweizer eine Lösung. Motorenhersteller Albert Weber, der in Markdorf am Bodensee täglich über 1000 Automotoren fertigt und in dessen Firma auch die Gehäuse der Swissauto-Rennaggregate und des neuen MuZ-Straßenzweizylinders hergestellt werden, steigt neu als Sponsor ein. Die Hauptsponsorenfläche auf der Verkleidung bleibt trotzdem frei. »Wir werden versuchen, das Team von Rennen zu Rennen zu vermarkten«, erklärt Rolf Biland. »Und wenn sich fürs Jahr 2000 ein Hauptsponsor findet, kann der schon jetzt mit einem Sonderrabatt einsteigen.«
Ein Teil der gewaltigen Entwicklungskosten könnte sich zur Jahrtausendwende aber auch ganz anders refinanzieren. »Nächstes Jahr bauen wir vier neue Motorräder. Die Gebrauchten könnten wir dann weiterverkaufen«, überlegt Urs Wenger. »Die Ersatzteillogistik hätten wir im Griff - schließlich sind in der Blütezeit des Gespannsports sechs Sidecars und zwei Solomotorräder mit unseren Motoren gelaufen!“

Bilands "Futuro" - Schneller als Mick?

20 Jahre lang hielt Rolf Biland den Gespannsport mit technischen Revolutionen in Atem, und die Glut innovativer Leidenschaft ist auch zwei Jahre nach seinem Rücktritt noch nicht erloschen. Denn bald beglückt der 47jährige die Welt des Motorsports mit einer autoartigen Neuentwicklung, die wegen der engen Spur der beiden Hinterräder an ein Dreirad und damit an das große Erbe des siebenfachen Weltmeisters erinnert. »Beim Gespann nervt der Mangel an Traktion aus engen Kurven. Doch mit dieser Konstruktion geht´s überall voran - selbst wenn ich mit dem Vorderrad über eine Bordsteinkante abkürze, habe ich hinten immer noch Grip«, schwärmt Biland. »Wegen der engen Hinterradspur können sich die Fahrzeuge im Nahkampf nicht verhaken. Sie werden im Formationsflug wie beim Speedway durch die Kurven driften.« Mit käuflichen Viertaktern könnten die »Futuro«-Studien in Zukunft im Rahmenprogramm der Formel 1 mitfahren. Für sich selbst hat Biland den 200 PS starken Swissauto-V4 einbauen lassen. »Doohans Rundenzeiten werden fallen«, kündigte er an. Und wenn nicht, so Biland, taugt die Futuro immer noch dafür, »bei Tests für Luca die Strecke sauberzufegen...“

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