Schöne Ferien mit Reiseenduros
Sommerzeit – Reisezeit. Die schönsten Tage des Jahres stehen vor der Tür, aber noch kein Motorrad. Eine Reiseenduro soll es sein. Aber welche? Die KTM 620 Adventure für die harte Tour? Oder doch lieber die sanfte Wüstenschaukel Honda XRV 750 Africa Twin?
Sommer in Deutschland. Stünde es nicht im Kalender, würde man es – zumindest die meiste Zeit – gar nicht bemerken. Die Blumen lassen die Köpfe hängen. Und auch die Stimmung so manchen Motorradfahrers ist vom vielen Regen getrübt. Zeit, daß sich was ändert. Zeit, Urlaub zu machen. Zum Beispiel eine schöne Enduro-Reise, vielleicht zu französischen Alpengipfeln, durch die Toskana oder gar in die steinigen Geröllwüsten Nordafrikas? Das Thema Wetter wäre dann wohl erledigt, doch es bleibt ein anderes Problem: Welches zuverlässige, treue Packpferd zur Reisebegleiterin erwählen, in welches Motorrad das sauer verdiente Salär investieren?
Zwei Reise-Enduros unterschiedlicher Konzeption stehen bereit: das neue Modell der LC 4-Reihe, die KTM 620 Adventure, und die altbewährte Honda XRV 750 Africa Twin.
Die KTM macht aus ihren sportlichen Ambitionen kein Geheimnis. Extrem hochbeinig, unterstreicht sie mit (aufpreispflichtigem) Roadbook und Tripmaster ihre Entdeckerrolle. Der bauchige 30-Liter-Tank, die eigenwillige Verkleidungsmaske mit hoher Frontscheibe und die Doppelrohrauspuffanlage verleihen der Adventure eine eigenständige Linie innerhalb der Modellfamilie. In der Testkonfiguration ist sie außerdem mit stabilen Alu-Koffern und einer Fernbedienungs-Armatur für Roadbook und Tripmaster ausgerüstet. Die Zusatzausstattung reißt ein Loch von etwa 2000 Mark in die Urlaubskasse, lohnt sich aber für lange Trips.
Antriebs- und fahrwerksseitig ist grundsätzlich alles beim alten. Die Adventure trägt den bekannten LC4-Single mit E-Starter, der jedoch neu abgestimmt ist. Der Eintopf stemmt satte 52 Pferdestärken auf die Prüfstandsrolle. Leider vibriert der Motor trotz Ausgleichswelle ziemlich stark, vor allem Hände und Füße bekommen das sehr deutlich zu spüren. Heißgefahren quittiert das Triebwerk gerne mal seinen Dienst. Dank E-Starter ein Problemchen, das sich durch kurzen Knopfdruck beheben läßt. Ansonsten glänzt der Single mit der bekannten Drehfreude. Drehzahlen von mindestens 4500/min sind aber auch nötig, um die vollgetankt immerhin 188 Kilogramm schwere Adventure einigermaßen flott zu beschleunigen.
Kleingewachsene haben beim Rangieren wegen der Sitzhöhe von 940 Millimetern und der durch den großen Tank hohen Schwerpunktlage ihre Mühe. Das Spritfaß gewährleistet dafür fast 500 Kilometer Etappenlänge – kein schlechtes Argument in der Wüste. Einmal in Fahrt, ist die Sitzposition für Kleine und Große gleichermaßen angenehm. Der Magura-Lenker und die Fußrasten sind Off Road-tauglich positioniert, die Sitzhöhe sorgt für souveräne Übersicht in Wüstenschluchten. Ergonomisch ist überhaupt alles gelungen – vom übersichtlichen, reichhaltig ausgestatteten Cockpit über die praktischen Armaturen bis hin zum guten Windschutz. Einzig die Sitzbank bearbeitet das Gesäß mit sportlicher Härte. Und im Interesse der Freundschaft sollten KTM-Fahrer lieber solo verreisen. Beifahrer sitzen unbequem und beengt.
Das Fünfganggetriebe erfreut mit exakter Rastung und kurzen Schaltwegen. Lastwechselrucken ist der KTM fremd. Kette spannen ist dank aufwendiger Prismenführung ein bequemes Vergnügen. Radwechsel in freier Wildbahn werden schwierig – die eigenwillige Auspuffführung läßt keinen Platz für einen Hauptständer. Der Seitenständer ist wegen der großen Bodenfreiheit recht lang geraten und läßt sich im Sitzen nur schwer herausklappen.
Mit immerhin 170 km/h rennt die Adventure im letzten Gang dem Reiseziel entgegen. Darauf reagiert der betagte Einschleifenrahmen mit leichten Rührbewegungen. Zur wüsten Schaukelei läßt sich die Adventure aber nie hinreißen.
Äußerst sensibel ansprechende White-Power-Federelemente halten mit fast Cross-mäßigen Federwegen die Räder am Boden. Die sind im Interesse guter Haftung und Straßenlage mit Metzeler Enduro 3 bereift. So kurvt die Adventure denn auch bei jedem Tempo schön neutral über europäische Asphaltstraßen aller Kategorien. Unebenheiten werden einfach glattgebügelt. Mit der handlichen KTM fliegt der Abenteurer von Schräglage zu Schräglage – solange er die Bremse nicht anrührt. Dann nämlich sackt die weich abgestimmte Gabel tief in den Keller, vor allem bei vollem Tank. Bremsmanöver sollten tunlichst vor der Kurve abgeschlossen sein, denn das Einlenken wird bei starker Verzögerung wegen der dynamischen Radlastveränderung und der stark veränderten Geometrie äußerst knifflig. Überhaupt die Bremsen: Vorn verzögert eine filigrane 300er Scheibe – angesichts der Fahrzeugdimensionen etwas dürftig, die Bremsleistung ist eher bescheiden. Beim hinteren Stopper verwundert die Hebelposition. Dieser liegt so weit innen, daß der Fahrerfuß zunächst auf dem Auspuffkrümmer herumtritt, der da verläuft, wo normalerweise das Bremspedal sitzt. Sicher eine Gewöhnungssache. Problematisch kanns allerdings werden, wenn im Off Road-Einsatz Dreck in die Ablage zwischen Bremspedal und Krümmer geschaufelt wird. Unter Umständen läßt sich die Bremse dann gar nicht mehr betätigen. Trotzdem – für das echte Abenteuer abseits befestigter Pisten ist das KTM-Fahrwerk erste Wahl. Hier machen auch die weiche Gabel und die relativ laschen Bremsen Sinn. Immerhin 192 Kilogramm lassen sich der Adventure aufladen. Dazu ist sie robust, sauber verarbeitet und leicht zu warten.
Aus viel weicherem Holz ist die Honda XRV 750 Africa Twin geschnitzt. Nichts für Emotionen, eher ein braves Lasttier. Und mit ihren 236 Kilogramm alles andere als ein Leichtgewicht.
Ihre Sitzbank ist breit und weich gepolstert. Besonders bequem ist sie auf Dauer trotzdem nicht, weil der Fahrer unverrückbar in einer Sitzmulde hinter dem breiten Lenker ruht. Von Knieschluß kann bei Langbeinigen keine Rede sein – die Aussparungen im Tank sind viel zu kurz, die Beine werden stark gespreizt. Dafür bietet die Verkleidung auch bei 172 km/h Höchstgeschwindigkeit noch passablen Windschutz. Das Cockpit informiert ausführlich und übersichtlich. Apropos Ausstattung: Honda bietet gegen 254 Mark Aufpreis einen Hauptständer an. Ein sinnvolles Zubehör zwar, aber es erfordert bereits einige Kräfte, die unbeladene Honda aufzubocken. Beladen geht ohne Helfer gar nichts mehr.
Der V-Twin paßt zum samtigen Gesamtkonzept. Unauffällig schnurrt er vor sich hin, ruckelt zwar unterhalb von 2500/min etwas unwillig, dreht darüber aber gleichmäßig wie ein Elektromotor. Sparsam ist er auch – Etappen von knapp 400 Kilometern sind mit dem 24-Liter-Tank möglich. Das Getriebe ist weich zu schalten und exakt in der Rastung. Auch die Honda erfreut mit ruckfreien Lastwechseln.
Im Fahrbetrieb verbirgt der japanische Reiseschoner seine Speckrollen. Geradezu leichtfüßig läßt sich die Africa Twin über den breiten Lenker von Kehre zu Kehre manövrieren. Schnelle Kurven, langsame Kurven – alles kein Problem. Die Federelemente bieten trotz softer Abstimmung für fast jede Gangart genügend Reserven. Egal, wie schlecht der Asphalt ist – die Dicke läßt sich von Wellen nicht aus der Ruhe bringen. Am guten Fahrverhalten haben auch die haftfreudigen Michelin T 66-Reifen ihren Anteil, die immer Grip und neutrales Fahrverhalten bieten. Die Bremsen tun ein übriges und halten Hondas Reisebus jederzeit souverän und sicher im Zaum. Standfest, leistungsfähig, wohl dosierbar – so soll es sein.
Abseits befestigter Straßen wird’s dann schwieriger. Die Pfunde fordern ihren Tribut, die Federelemente gelangen relativ schnell an ihre Grenzen. Für Schotterpisten reicht’s aber immer.
Wer also Sommer und Sonne am liebsten auf Südeuropas Asphaltpisten genießt, sich dabei gern begleiten läßt und auf der einen oder anderen holprigen Paßstraße nicht auf ein Mindestmaß an Komfort verzichten will, ist mit der Africa Twin gut bedient. Die KTM dagegen hält, was ihr Name verspricht. Sie taugt tatsächlich für das große Abenteuer abseits der Zivilisation.
Fazit Honda
Die Honda XRV 750 Africa Twin ist eine prima Reise-Maschine, die asphaltierten Urlaub Off Road-Abenteuern vorzieht. Sie ist zuverlässig, komfortabel und genügsam. Funktionell gibt es eigentlich nichts an ihr auszusetzen. Für Hardcore-Einsätze ist sie ungeeignet – für lange Reisen dagegen wie geschaffen. Überdies kann sie im Alltagsbetrieb und auf der Landstraße eine Menge Spaß bereiten. Ein echter Fast-Alleskönner und treuer Begleiter für schöne Ferien.
Fazit KTM
Die KTM 620 Adventure ist mit allem ausgestattet, was Off Road eine gute Figur macht. Zudem läßt sie sich zum echten Wüstenrenner aufpeppen. Sie macht keine Kompromisse – und fährt deshalb viel lieber abseits als auf der Straße. Auf Asphalt tut sie sich schwer. Der quirlige Einzylinder stößt in einem so großen und schweren Motorrad an seine Leistungsgrenze. Auch die Bremsen können nicht mehr überzeugen. Für Off Road-Abenteuer ist die KTM aber erste Wahl.
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