Ducati Scrambler 1100 Special Top-Test

Ducati Scrambler 1100 Special im Top-Test
:
Auf Sound gebaut

© factstudio.de 19 Bilder

Ducati holt für die neue Scrambler 1100 den großen, luftgekühlten L-Twin zurück aus der Versenkung. Was der kann und warum sein Sound den Charakter des kompletten Motorrads widerspiegelt, zeigt unser ausführlicher Top-Test.

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Vierter Gang. Die Ampel in vielen Autolängen Entfernung wechselt die Leuchtzeichen. Auf Grün folgt über Gelb ein Rot. Stehen bleiben, lautet die Aufforderung. So weit nicht ungewöhnlich. Im straffen, 815 Millimeter hohen Sattel der hier getesteten neuen Ducati Scrambler 1100 Special (Basisversion Scrambler 1100) aber schon, weil diese Szene den Beginn einer wundervollen Hörprobe des luftgekühlten 90-Grad-V-Twins markiert. Da das Lichtsignal noch weit weg ist und der Verkehr verschwindend gering ausfällt, übernehmen Gangwechsel nach unten die Verzögerungsarbeit. Auf Stufe vier – welche die Scrambler 1100 in der City fluffig und ohne Kettenpeitschen vorantreibt – folgt Stufe drei. Die nächsten Schritte können Sie sich bestimmt denken. Was dagegen neu ist: Was ist das für ein Sound? Rotzig brabbelnd tönt die Duc bei jedem Gangwechsel nach unten aus ihren beiden Töpfen im Heck. Aber nicht auf die pubertierend lästige Art, die nervt und allzu viele Freunde des gehobenen Zeigefingers auf der Bildfläche erscheinen lässt. Nein, die Scrambler würzt das scheinbar chaotische Auspuffpatschen mit einer wohlerzogenen Note. Quasi ein Musterschüler mit Irokesem auf dem Kopf und Ring in der Nase. Was aber bei alldem noch viel wichtiger ist: Der Fahrer ist der primäre Empfänger dieses wohldosierten Klangerlebnisses. Zwar kommen auch in der Umwelt Hörproben der Scrambler 1100 an, den Piloten treffen sie aber am deutlichsten, er befindet sich im Zentrum des Konzerts.

Soundcheck Ducati Scrambler 1100 Special

Ducati Scrambler 1100 Soundcheck 54 Sek.

Und er kann gar nicht genug davon bekommen. Dieser Motor lebt, errichtet schon in den ersten Minuten der Kontaktaufnahme ein mannsgroßes Denkmal für den Zweizylinder in V-Konfiguration, umweht nur von kühlendem Fahrtwind und per Ölkühler vorm Hitzekollaps bewahrt. Der 1100er-Luftikus verschwand vor einiger Zeit aus dem Ducati-Programm, letztmals schob er in der Monster 1100 Evo Dienst. Die kam 2010 und verschwand 2013 schon wieder. Jetzt feiert er sein Comeback. Zeigt mit starkem Klang, dass er mit beiden Beinen, äh Rädern, fest auf dem Boden steht, ge-kommen ist, um zu bleiben. Bevor Missverständnisse aufkommen: Die Ducati Scrambler 1100 Special schickt ihre Verbrennungsgeräusche gut hörbar nach außen, ohne die Grenze zur Aufdringlichkeit zu überschreiten. Sie produziert die beste aller Sinfonien für V2-Fans, ohne lärmend zu werden. Ducati behauptet, die Scrambler 1100 sei das erste Modell, bei dem viel Zeit ins „Sound Engineering“ gesteckt wurde. Glauben wir gerne ohne weiteren Beweis.

Geschmeidig und ruckfrei ab 3.000/min

Mittlerweile steht die Ducati Scrambler 1100 Special an der Ampel, der Motor blubbert sonor, zurückhaltend und gleichmäßig vor sich hin. Fast so, wie ein gut erzogener Cruiser-Antrieb. Der Vergleich stimmt aber nur im Moment des Stillstands. Sobald Grün die Straße wieder freigibt, offenbart der Duc-V2 Unterschiede. Beim Sound und beim Benehmen. Willig und ohne Unbill tritt der 90-Grad-Twin unten raus an. Die Kupplung lässt sich bei warmem Motor sauber dosieren, bei kaltem Aggregat und damit Öl rupft sie schon mal leicht. Die Gänge finden über den zu kurzen Schalthebel schnell zueinander, nur manchmal verirrt sich ein Zwischengang im Getriebe. Ab 3.000 Umdrehungen geht sie geschmeidig und ruckfrei, mit leichten, nie nervenden Vibrationen in jedem Gang ans Gas. Das Ganze untermalt von einem Klang, der sofort klarmacht: Hier bin ich. Fordere mich heraus. Nutze meine Kraft.

Warum nicht? Also los. Die Ducati Scrambler 1100 Special verspricht anfangs nicht zu viel. Nach dem starken Antritt unten raus marschiert sie mit kräftigem Druck weiter. Dazu posaunen die beiden Töpfe mit Kammersystem pure Lebenslust aus ihren Auslässen. Per Klappe gesteuert, finden sie immer die passende lautmalerische Untermalung fürs momentane Fahrmanöver. So geht’s munter Richtung Drehzahlmitte, steht der Sturm auf den Leistungsgipfel an. 86 Pferdestärken verspricht ­Ducati für den mit elf zu eins verdichteten Motor. Die liegen bei 7.500 Umdrehungen an. Auf dem Prüfstand fand sich sogar ein zartes bisschen mehr ein, presste die Duc 86,7 PS bei 7.800/min auf die Rolle. Die volle Power steht aber nur in den Fahrmodi Active und Journey bereit. Im City-­Mode bleibt sie mit gemessenen 80,5 PS darunter. Ansonsten unterscheidet sich die Konfiguration noch im Ansprechverhalten, das im Active-Mode am spontansten, im City-Mode am sanftesten ausfällt. Passend zu dieser Abstimmung ändert sich auch die Einstellung der Traktionskontrolle. Wie bei Ducati üblich, darf der Dompteur darüber hinaus selbst in die einzelnen Modes eingreifen, Ansprechverhalten und TC nach seinem Gusto ändern. Bleibt ansonsten festzuhalten: Die Traktionskontrolle arbeitet unauffällig sicher, der Motor reagiert selbst im Active-Mode sehr berechenbar aufs Gasgeben, weshalb wir jetzt mit dem Anstieg auf den Leistungsgipfel der Scrambler fortfahren.

Video vom Fahrbericht

Ducati Scrambler 1100 im Fahrbericht 7:44 Min.

Dabei gewinnt der Sound wieder an Bedeutung. Schiebt die Ducati Scrambler 1100 Special bis knapp hinter die Drehzahlmitte noch bullig-kräftig Ross und Reiter voran, verliert sie nur etwas später die Lust am Auskosten des kompletten Drehzahlbands. Gut zu ­sehen ist das an der Leistungskurve. Bis 6.500/min scheffelt sie konstant immer mehr Power Richtung Hinterrad. Doch just ab diesem Moment flacht die Kurve – wenn auch im ersten Moment nur leicht – spürbar ab. Das Ausdrehen bis zur Spitzenleistung fühlt sich im Anschluss zäh an, die knackige Verve, mit der die Scrambler zuvor alles gemeistert hat, fehlt. Und das hört man auch. Der Motor verliert sein kräftiges Temperament. Aus dem satten Schlag der zwei Zylinder entwickelt sich ein angestrengtes Trommeln. Die Puste ist einfach raus, der hochfrequente Puls hat Motor und Klang die Souveränität geraubt.

Grundsätzlich straffe Abstimmung

Allerdings hat der Spaß beim Ausquetschen der Ducati Scrambler 1100 Special noch ein anderes kleines Loch, denn immer, wenn der Motor nach ganz oben jubeln soll, das Tempo von lässig-engagiert hin zu sportlich wechselt, spielt das Fahrwerk nicht ideal mit. Die voll einstellbare Gabel und der in Vorspannung und Zugstufe justierbare Dämpfer warten mit einer grundsätzlich straffen Abstimmung auf, ihr Ansprechverhalten dürfte aber geschmeidiger ausfallen. So stuckert die Gabel in der von Ducati empfohlenen Grundeinstellung (Druck- und Zugstufe jeweils zwei Umdrehungen auf) immer leicht vor sich hin, nutzt jeden Impuls als Anregung und gibt diesen direkt an den Fahrer weiter. Ständig ist Bewegung im Lenker. Mit den Einstellungen aus dem Top-Test arbeitet die Front etwas geschmeidiger. Ganz abstellen lässt sich ihre holpernde Art, die besonders bei Konstantfahrt hervortritt, aber nicht.

Das Thema Ansprechverhalten ist auch dem direkt angelenkten Dämpfer nicht fremd. Der führt das Hinterrad über leichte Verwerfungen sanfter, gibt größere Aufbrüche dafür recht ungefiltert an den Fahrer weiter. Beim sportlichen Ritt verhagelt zudem die sehr progressive Abstimmung der Gabel eine saubere Vorderradführung auf Rumpelbelag. Auf topfebenem, geschwungenem Asphalt mit entsprechenden Lastwechseln taugt die Abstimmung noch. Wird’s huckelig, kommt dagegen einige Unruhe rein. Da hilft nur, den Lenker mit zarten Händen zu führen.

Mit Bosch-Kurven-ABS

Oder Tempo raus nehmen. Das passt auch viel besser zur relaxten Sitzposition. Aufrecht und durch den mehr als 80 Zentimeter breiten Lenker wie ein kleines Segel im Wind aufgespannt, hockt der Pilot auf der Ducati Scrambler 1100 Special. Als kleine Problemzone entpuppt sich allenfalls der 15 Liter fassende Tank der vollgetankt 211 Kilogramm wiegenden Scrambler. Dem formschönen Exemplar fehlen Ausbuchtungen für die Knie, die gerne enger zusammenrücken würden.

Ansonsten passt das Arrangement. So ein hoher und vor allem breiter Lenker hat ja auch was für sich. Zwar nimmt das Feedback vom Vorderrad ab, die Scrambler folgt durch den großen ­Hebelweg aber zügig des Fahrers Wunsch nach dem nächsten Haken. Da sie mit 1.514 Millimeter Radstand und einem Nachlauf von 111 Millimetern eher der Stabilität zugetan ist, verhilft die konifizierte Stange ihr zu einer angemessenen Handlichkeit bei Landstraßen-Speed, unterstützt unangestrengtes Kurvenräubern effektiv. Dabei ist auf die Bremse immer Verlass. Die Radialzangen packen gut dosierbar zu, das Bosch-Kurven-ABS nimmt auch Notstopps in Schräglage den Schrecken. Kein Vergnügen hingegen: Auto­bahn­etappen. Die gerade Sitzhaltung erweist sich schon bei Richtgeschwindigkeit als Spielverderber. Mit viel Kraft aus dem Rücken muss der Scrambler-Pilot gegen den Wind kämpfen. Kein Vergnügen.

Ducati Scrambler 1100 Special für 14.290 Euro

Aber die Scrambler dafür tadeln? Nach Maßstäben der 1000-Punkte-Wertung muss sie mit Abzügen leben. Auch beim Preis-Leistungs-Verhältnis setzt sie kein Highlight. Mit 14.290 Euro geht die Ducati Scrambler 1100 Special nicht als Schnäppchen durch, ihre Schwester mit Gussrädern steht ab 12.990 Euro beim Händler. Preis und Kosten – 4,9 Liter Verbrauch auf 100 Kilometer gehen noch in Ordnung – sind nicht das Auslösemoment des Haben-Wollen-Reflexes.

Die Ducati Scrambler 1100 bleibt wegen ganz anderer Aspekte im Gedächtnis. Sie entschleunigt, weil sie jeder Aufforderung nach sportlicher Stärke sofort die Rote Karte zeigt, ihre Tauglichkeit als lustvoll-flottes Genießermobil für schrägen Spaß umso mehr betont. Gleichzeitig beschleunigt sie den Puls mit ihrem fülligen Klang, weckt pure Emotion in Herzen von V-Twin-Fans. Ihre Welt heißt nicht Performance, ihre Welt steht für sympathetisches Erleben, Wahrnehmen, ein Fest fürs Ohr.

MOTORRAD-Fazit

Wer Geländetalente, viel Dynamik oder perfekten Alltagsnutzen erwartet, den enttäuscht die Ducati Scrambler 1100 Special. Auch wenn ihr Name vor allem in Bezug aufs Grobe etwas anderes suggeriert. Nutzwert ist ihre Prämisse nicht. Ihre Welt fußt auf dem, was Motorradfahren zum schönsten Erlebnis auf zwei Rädern macht: den Emotionen. Ihr L-Twin ist eine Attraktion, auf tollem Sound gebaut.

Der Motor der Ducati Scrambler 1100

Einen luftgekühlten L-Twin mit knapp 1100 Kubikzentimetern gab es bei Ducati natürlich schon vor der aktuellen Scrambler. Zuletzt schlug dieses Herz mit dem Bohrung-Hub-Verhältnis von 98 x 71,5 mm in der Ducati Monster 1100 Evo, die im Herbst 2010 erstmals vorgestellt wurde. Dort war es noch gut für 95 rassige Pferde bei 7.500/min, während es sich in der Scramb­ler mit guten zehn Ponys weniger zufriedengeben muss. Interessanter Unterschied zwischen den beiden Modellen: Die 1100er-Evo kam mit einer Zündkerze pro Zylinder aus, bei der Ducati Scrambler 1100 sind es wieder zwei Kerzen für jeden Zylinder. Auch diese Konfiguration ist nicht neu. Schließlich war die Evo-Monster die Ablösung für die „normale“ 1100 Monster sowie deren „S“-Variante. Die besaßen mit 1079 cm³ wie die „Evo“ einen Hauch mehr Hubraum. Trotz kleinem Plus, als Leistungs-Output standen nur 90 PS bei 7.500/min zu Buche. Was aber viel wichtiger ist: Nach der Renaissance des 800er-Luftikus feiert nun auch der große luftgekühlte Duc-Twin sein Comeback und zeigt, dass er in der aktuellsten Variante noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Welcome back und gerne mehr davon.

Die Konkurrenz

© factstudio.de

BMW R nineT Scrambler (l.o.), Triumph Street Scrambler (r.o.) und Yamaha SCR 950 (u.).

BMW R nineT Scrambler
Zweizylinder-Boxermotor, 110 PS, Gewicht 222 kg, 0–100 km/h 3,5 sek, Vmax 217 km/h, Verbrauch 4,9 Liter, 13540 Euro*

Triumph Street Scrambler
Zweizylinder-Reihenmotor, 55 PS, 225 kg, 0–100 km/h k.A., Vmax 177 km/h, Verbrauch k.A., 11150 Euro*

Yamaha SCR 950
Zweizylinder-V-Motor, 54 PS, 255 kg, 0–100 km/h k.A., Vmax 168 km/h, Verbrauch k.A., 10075 Euro*

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