Wir wollen an dieser Stelle weder darüber spekulieren noch lamentieren, ob und wie viele Bauteile und Komponenten chinesischer Herkunft in Produkten und Konsumgütern stecken (dürfen), die dem Verständnis bzw. Markennamen nach in anderen Teilen der Welt produziert werden. Sondern den Privatkonsumentenblick durch die eigenen vier Wände schweifen lassen. Vereinfacht ausgedrückt dürfte so ziemlich alles, was einen Stecker hat, der optischen und akustischen Zerstreuung und/oder der (Tele)Kommunikation dient, aus dem Reich der Mitte stammen.
Und da sind all die Freizeit-, Hobby- und Sportartikel und was sonst noch so alles Regale, Schubladen und Schränke füllt, noch nicht mit dabei. Warum sollte also hierzulande ausgerechnet der Motorradsektor von Produkten aus China gefeit sein? Im 50er- und 125er-Segment ist die Produktion in China bei eigenen Labeln eh klar. Aber wenigstens die Einsteigermodelle hierzulande bekannter und etablierter westlicher Marken kommen immer öfter von dort. Was grundsätzlich kein Problem ist, solange die Qualität stimmt. Und um die war es in der Vergangenheit nicht immer zum Besten bestellt.
Qualitätsanmutung der 4 Retro-Bikes
In dieser Beziehung fällt die Benelli, seit 2005 im Besitz der aus Wenling bei Schanghai operierenden QJ-Gruppe, nicht groß negativ auf. Materialgüte, Wertanmutung und Verarbeitungsqualität der Benelli Leoncino 800 sind zwar definitiv nicht erste Liga, aber doch so, dass man sich damit arrangieren kann. Das kann die CFMoto 700 CL-X Heritage, die über ein seit 2017 bestehendes Joint Venture mit KTM ebenfalls europäischen Einflüssen ausgesetzt ist, besser. Die Lackierung ist satter, die Schweißnähte schöner, das Oberflächen-Finish besser. Doch auch sie kommt in dieser Beziehung nicht ganz an das gewohnt hohe Niveau der in Thailand gefertigten Kawasaki Z 650 RS oder der aus Frankreich stammenden Yamaha XSR 700 heran.
Yamaha-Motor ist Benchmark-verdächtig
Der Yamaha Twin ist in dieser Klasse stark Benchmark-verdächtig: Er zieht tapfer von unten, drückt stark in der Mitte und dreht willig bis knapp 10.500/min. Dazu hält er sich mit Vibrationen ebenso zurück wie mit nervigem Klang, und dank recht langer Gesamtübersetzung, die allerdings ein wenig auf Kosten des Durchzugs geht, ist er auch am sparsamsten. Werte unter vier Liter sind locker machbar. Das Einzige, das man ihm ankreiden kann, sind die ausgeprägten Lastwechselreaktionen und die im Testfeld höchste, aber dennoch akzeptable Kupplungshandkraft.
Gegen die souveräne Yamaha XSR 700 mit ihrer 90-Grad-V2-Imitations-Kurbelwelle wirkt der Gegenläufer der Kawasaki Z 650 RS immer etwas hibbelig. Er läuft deutlich rauer und klingt durch den etwas blechernen asymmetrischen Sound immer etwas angestrengt. Vor allem, wenn er mit 2.500/min entsprechend 50 km/h im Sechsten durch den Ort muss. Doch er macht das klaglos mit. Sein Wohlfühlbereich fängt aber 3.000/min später an und reicht ebenfalls bis knapp 10.500/min. Dank kurzer Übersetzung, knackigem Getriebe mit kurzen Schaltwegen und sehr leichtgängiger Kupplung kann er sein Hubraum-Manko gut kaschieren und benötigt dennoch nur 0,2 Liter mehr als die Yamaha. Chapeau!
CFMoto 700 CL-X Heritage
Der Twin der CFMoto 700 CL-X Heritage wirkt dem der Kawa wie aus den Kühlrippen geschnitzt, ohne freilich dessen Qualitäten zu erreichen. Dank 44 cm³ mehr Hubraum bietet er zwar on top etwas mehr Leistung und Drehmoment, doch wo dieses bei der Kawasaki Z 650 RS zwischen 4.000 und 6.000/min auf einem Plateau verläuft, bricht die CFMoto im Sport-Modus in exakt diesem Bereich ein, um danach umso heftiger und mit teuflischem Gebrüll aus der Röhr-, pardon, Airbox loszulegen. Im Eco-Modus folgt auf den Einbruch der totale Absturz, womit erklärt wäre, warum sich der Twin da anfühlt, als würde er nur auf einem Zylinder laufen. Verbrauchsvorteile hingegen bietet der sedierende Modus nicht, die Unterschiede liegen im Bereich der Messtoleranz. Die Vibrationen sind ausgeprägter als bei der Kawa, die Kupplung kommt früh und hart, ebenfalls hart und mit relativ langen Schaltwegen arbeitet die Schaltbox.
Benelli Leoncino mit 76 PS
Auch bei der Benelli Leoncino 800 darf der Kawa-Twin als konstruktives Vorbild gelten. Mit 754 cm³, propagierten 76 PS und 67 Nm hat er nicht nur nominell das meiste Fleisch am Knochen, sondern leistet sich auch mit seiner exponiert im Sturzbereich liegenden Wasserpumpe eine fast schon englisch anmutende Schrulle. Ja, er vibriert ein wenig, aber kaum störend. Seine Kupplung ist leichtgängig und schön zu dosieren, die Schaltbox arbeitet aufwärts weich, aber nur mäßig präzise, dafür ist abwärts mitunter ein energischer Schaltfuß angesagt. Lastwechselreaktionen kennt er kaum. Er startet spontan, riecht aber im Kaltlauf stark nach Euro 0. Offenbar ist die Abstimmung recht fett geraten, der Mehrverbrauch von strammen 1,5 Litern gegenüber der sparsamsten Yamaha (3,7 Liter auf den Hunderter) dürfte also nicht nur auf das Mehrgewicht von 37 Kilogramm (229/192) zurückzuführen sein.
Neutral und souverän in Wechselkurven
Diese Stämmigkeit ist nicht nur optisch präsent, sondern macht sich auch im täglichen Umgang bemerkbar. Egal ob beim Rangieren oder beim In-die-Senkrechte-Stellen, bei der Benelli Leoncino 800 braucht es immer etwas Schmackes mehr. Dafür fühlen sich auch gestandene Manns- wie Weibsbilder auf dem Löwen nicht fehl am Platz, wie etwa auf der Kawasaki Z 650 RS. Beim Fahren verschwindet dann wie so oft ein Großteil des (Mehr)Gewichts wie von Zauberhand. Dank des breiten Lenkers lässt sich die Benelli recht einfach abwinkeln, nimmt Wechselkurven zwar nicht superagil, aber neutral und souverän.
Auch dank der milden Bremse entwickelt sie kaum Aufstellmoment. Die Schräglagenfreiheit ist nicht überragend, aber noch okay. Doch Obacht, links kommt irgendwann hart der Seitenständer. Auf schlechten Wegen schlägt dann die Stunde des Fahrwerks. Oder auch nicht. Besonders bei geruhsamer Fahrt zeigt sich, dass sowohl die nicht einstellbare Upside-down-Gabel als auch das direkt angelenkte Federbein auf kurze, harte Stößen nur mäßig ansprechen. Dafür blühen sie im gestreckten Galopp auf und verbinden passablen Fahrkomfort mit hinreichend Dämpfungsreserven.
CFMoto 700 CL-X Heritage: zu stramme Grundabstimmung
Wenn es dann ums Bremsen geht, zeigt sich, dass die Löwin im Testfeld die stumpfeste Wirkung mit der höchsten Handkraft und den längsten ABS-Regelintervallen kombiniert. Das klingt jetzt dramatischer, als es ist, aber die anderen können es einfach einen oder zwei Ticken besser. Die wie die Benelli Leonciono 800, wenn auch vorne in anderer Dimension, mit Pirelli MT 60 RS besohlte CFMoto 700 CL-X Heritage lenkt einen Tick behänder ein und umrundet Radien jeder Art ebenfalls gutmütig und ohne großes Aufstellmoment. Ihre Rasten setzen noch einen Tick früher auf, dafür hält sich der Ständer vom Boden fern. Sie besitzt als Einzige eine voll einstellbare Upside-down-Gabel (die anderen drei sind vorne fix), die bereits in der Grundeinstellung ihre Sache ganz ordentlich macht.
Dämpfung, Rückmeldung, Komfort – passt so weit. Zumindest solange der Untergrund einigermaßen eben ist. Da kommt das ebenfalls direkt angelenkte Federbein nicht mit. Die Grundabstimmung ist einfach zu stramm, trotz weit geöffneter Dämpfung gehen kurze, harte Stöße, wie bei Kanaldeckeln oder Absätzen, quasi ungefiltert durch. Hinzu kommt, dass man zum Einstellen der Federbasis am besten das Federbein ausbaut. Und wie bei der Benelli steigt die Arbeitsbereitschaft synchron mit dem Tempo. Dieses abzubauen übernimmt vorne eine einzelne Scheibe. Ungeachtet dieses Handicaps geht sie ihre Aufgabe energisch, aber bei hoher Handkraft und zudem etwas stumpf an. Auch die Regelintervalle des ABS dürften etwas kürzer sein.
Große Bodenfreiheit, schmale Bereifung
Von ganz anderem Charakter ist die Kawasaki Z 650 RS. Sowohl die konventionelle Telegabel als auch das via Hebelsystem beaufschlagte Federbein sind eher komfortabel abgestimmt, sprechen entsprechend feinfühlig an, lassen aber bei zügigem Tempo dann doch den Wunsch nach mehr Dämpfung aufkommen. Auch geht die Gabel bei kräftiger Betätigung der besten Bremse im Testfeld gerne mal auf Block. Sie fährt sich trotz des schmalen und weit hinten liegenden Stahlrohrlenkers am wuseligsten und ist dank ihrer großen Bodenfreiheit und der schmalen Bereifung eine im Winkelwerk nur schwer zu knackende Nuss. Gegenüber der hibbeligen Kawa wirkt die Yamaha XSR 700 geradezu erwachsen seriös. Die Fahrwerksabstimmung ist spürbar straffer als die der Kawa und ebenso spürbar deutlich sensibler ansprechend als die der beiden Chinesinnen. Sie bietet sowohl Komfort im Cruising-Mode als auch Nehmerqualitäten beim Fast Forward. Außer bei schnellen Wechselkurven ist sie nicht wesentlich unhandlicher als die Kawa, und auch wenn ihre Bremse weniger bissig als die der Kawa zupackt, geht die Gabel auf welligem Untergrund dann und wann auf Block. Analog zur MT-07, jedoch ein Modelljahr später bekam die XSR neue, von 282 auf 298 Millimeter vergrößerte Bremsscheiben sowie eine spürbar feiner regelnde ABS-Abstimmung. Passt.
Kawasaki Z 650 RS: schönstes Cockpit im Testfeld
Was auch passt, ist, vorausgesetzt man hat mit den 840 Millimetern Sitzhöhe kein Problem, die Unterbringung. Der Oberkörper ist aufrecht, dennoch aktiv leicht nach vorne gebeugt, das Sitzpolster bequem, der Kniewinkel entspannt. Das einfache, bei Nacht arg helle und kleinteilige LC-Display lässt sich nun auch vom Lenker aus bedienen. Die ebenfalls neue LED-Lampe lässt die Halogen-Vorgängerin wie eine bessere Kerze erscheinen. Bei der Kawasaki Z 650 RS wirkt alles eine Nummer kleiner, obwohl es nur wenige Zentimeter sind. Das Sitzkissen liegt zwar nur zwei Zentimeter tiefer, ist aber deutlich schmaler, dennoch komfortabel und ermöglicht so auch Kurzbeinigen sicheren Stand beim Stopp. Kleinere profitieren auch vom recht schmalen und weit nach hinten reichenden Lenker.
Das mit Abstand schönste Cockpit im Testfeld lässt sich auch vom Lenker aus bedienen, die Spiegel erlauben gute Sicht nach hinten. Und ab dafür! Das Sitzarrangement der CFMoto 700 CL-X Heritage ist da ganz anders. Der Oberkörper ist betont aufrecht hinter dem breiten Lenker, der Hintern ruht tief (790 mm) hinterm recht breiten Tank, und der Kniewinkel ist eng. Insgesamt fühlt man sich ein wenig wie bei einem Kasatschok-Vorbereitungskurs. Ungewohnt, aber nicht schlecht. Das schlichte LC-Display lässt sich nur direkt bedienen, ist ebenfalls recht kleinteilig, weiß aber viel – bis hin zum Durchschnittstempo. Und ihr Tachometer geht sehr genau.
Benelli Leoncino 800 mit unpräzisem Tacho
Die Sicht nach vorne ist ebenso okay wie die nach hinten, wo schon die Benelli Leoncino 800 lauert. Deren Tacho hat es nicht so mit der Präzision, denn bei realen 50/100/125 km/h zeigt das Display 56/114/143 km/h an. Es ist nicht besonders informativ, dafür gut ablesbar und vom im Testfeld breitesten Lenker aus bedienbar. Man sitzt auf ihr relativ aufrecht auf weichem Sitzpolster und fragt sich, wie lange der Bezug wohl halten mag, da er schon nach kurzer Zeit Falten bildet und seine Ziernähte obendrein Feuchtigkeit speichern. Und nur bei ihr ist der Auspuff nicht aus Edelstahl. Die nicht überlackierten Aufkleber hat sie mit CF und Yamaha gemein. Sie muss wie die Yamaha XSR 700 alle 10.000 Kilometer zum Service, die Kawa bietet mit 12.000 Kilometern etwas mehr, die CFMoto 700 CL-X Heritage mit 6.000 deutlich weniger.
Es fehlt noch an Reife und Feinarbeit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Benelli Leoncino 800 als auch CFMoto 700 CL-X Heritage zwar weit von den wirklich üblen Chinagurken der Vergangenheit entfernt sind, der Weg bis zum Standard der etablierten Mitbewerber aber noch nicht zu Ende ist. Es fehlt den beiden derzeit schlichtweg noch an Reife und Feinarbeit. Besonders bei der Fahrwerksabstimmung und beim Mapping wird dies deutlich. Das ist alles nichts, was man nicht lösen könnte, aber dafür braucht es Zeit, Geld und Erfahrung. Für das Gebotene ist derzeit der Preisabstand zu Kawa und Yamaha zu gering. Die Kundschaft sieht das wohl genauso. Allein die Kawasaki Z 650 RS fand in diesem Jahr (Stand: August) 763 neue Besitzer (Platz 32), die Yamaha XSR 700 601 (Platz 45).
Und da sind die Basismodelle MT-07 (2077/3) und Z 650 (1538/7) noch gar nicht dabei. Die Benelli erreicht mit 117 Einheiten (Platz 141) immerhin einen Achtungserfolg, die CFMoto dagegen hat mit 60 Einheiten und Platz 185 da noch Luft nach oben. Die Zeitenwende lässt also noch auf sich warten, zumal auch die anderen chinesischen Marken wie Brixton, Mash, Shineray und Vogue sich hierzulande nur in homöopathischen Dosen absetzen lassen. Doch sich zurücklehnen und die Newcomer belächeln sollten die etablierten Marken und Hersteller nicht, das Riesenreich lernt schnell. Die größtenteils untergegangenen europäischen Hersteller von Unterhaltungs- und Telekommunikationselektronik sowie vielem anderen mehr können ein Lied davon singen – ach nee, die gibt‘s ja längst nicht mehr.