Aggressiv und gierig schaut sie drein, die neue Daytona 600. Hungrig darauf, die 600er-Klasse aufzumischen. Ob sie tatsächlich wie auf dem Foto die CBR 600 RR hinter sich lassen kann?
Als letzter Hersteller in diesem Jahr präsentierte Triumph sein neues Gerät für die hart umkämpfte Supersportklasse, die Daytona 600. Zu spät, um am großen 600er-Vergleich in MOTORRAD 6/2003 teilnehmen zu können. Drücken gilt aber nicht, und deswegen muss sich die Daytona der Siegerin dieses Tests, der Honda CBR 600 RR , stellen.
Große Aufregung verursacht die Neue bereits bei ihrer Ankunft in der Redaktions-Tiefgarage. »Einfach hässlich«, meinen die einen. »Das ist ja richtig geil«, finden die anderen, wobei die Begeisterten überwiegen. Dazwischen gibt es nichts. Das Design der Engländerin provoziert und polarisiert. Verwechslungsgefahr vollkom-
men ausgeschlossen.
Egal, ob es nun gefällt oder nicht, die
Daytona ist von der Front bis ins Heck konsequent mit Ecken und Kanten gestylt. Sogar der Fuß des Seitenständers ist asymmetrisch eckig gestaltet. Während die schnittige Front die 600er recht aggressiv erscheinen lässt, wirkt das
kantige Heck etwas gestaucht und fast schon pummelig. Extravagant geformt ist der Tank, der mit seinen eckigen seitlichen Ausbuchtungen an einen Tarnkappenbomber erinnert.
Die Erwartungen sind hoch. Also am besten sofort die erste Testrunde in Angriff nehmen. Die Route ist rasch gesteckt. Zunächst ein kurzes Stück Autobahn, dann über die Schwäbische Alb in den Schwarzwald, noch schnell den Feldberg mitgenommen und schließlich über die Grenze nach Frankreich zur Rennstrecke Anneau du Rhin. Schon auf der kurzen Autobahnetappe offenbaren sich eklatante Unterschiede. Sportlich, ja fast schon rennmäßig kauert der Fahrer auf der »RR«. Durch den relativ kurzen Tank sitzt er sehr weit vorne und packt die Honda an den unter der Gabelbrücke montierten Lenkerstummeln wie den berühmten Stier an den Hörnern. Konsequenz bei längeren Strecken: schmerzende Handgelenke.
Auf der Triumph findet man trotz ihrer aggressiven Erscheinung einen für einen Supersportler gemütlichen Arbeitsplatz vor. Im Vergleich zur Honda sorgen die höher angebrachten Lenkerstummel und moderate Kniewinkel für eine angenehm entspannte Sitzposition. Entspannt bleibt die Fahrt allerdings nur so lange, wie tourenmäßiges Tempo angesagt ist. Forciert die Honda erst mal die Gangart, wird
es auf der Triumph hektisch, sofern man
den Anschluss nicht verlieren will. Wo der CBR-Treiber einen Gang tiefer einlegt, um mit dem richtigen Punch nach vorne zu stürmen, möchte das beim Runterschalten etwas teigige Daytona-Getriebe zweimal betätigt werden. Der Grund ist die zu lange Sekundärübersetzung. Ein Problem, das Triumph Deutschland ebenfalls erkannt und ein 15er-Ritzel (derzeit 16) nachhomologiert hat, das künftig in die Serie einfließt.
Doch die geänderte Übersetzung wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Triumph-Triebwerk etwas Druck fehlt. Mit gemessenen 103 PS an der Kupplung bleibt es auf die Werksangabe einige PS schuldig, selbst wenn diese sich auf die Leistung an der Kurbelwelle bezieht. Positiv ist jedoch die Leistungsabgabe. So zieht die 600er, jetzt mit einer Keihin-Einspritzanlage bestückt, sauber aus jedem Drehzahlbereich hoch. Einzig das kleine Leistungsloch bei 3000 Umdrehungen ist spürbar und in Verbindung mit der langen Übersetzung verantwortlich für die mageren Durchzugswerte.
Auf dem Prüfstand liegt diesmal auch die RR unter der versprochenen Leistung. Entsprach das erste Testmotorrad mit 113 PS noch ziemlich genau der Werksangabe, so verfehlte das aktuelle Testexemplar mit 108 PS an der Kupplung
die Vorgabe. Auf der Straße profitiert die CBR jedoch von einer genau passenden Übersetzung und einem hoch drehenden Motor, der ein sehr breites nutzbares Drehzahlband zur Verfügung stellt. Erst bei knapp 15000 Umdrehungen mahnt der Schaltblitz zum Gangwechsel.
Ihre wahre Stärke zeigen die beiden Supersportler aber ohnehin erst, als es runter von der Autobahn und über die Schwäbische Alb Richtung Feldberg geht. Die Route führt über Landstraßen aller Kategorien. Schnelle Stücke mit lang
gezogenen Kurven und kleine Straßen mit schlechtem Belag und engen Kurven geben sich hier die Hand.
Die CBR fasziniert mit einer einzigartigen Kombination aus Handlichkeit, Lenkpräzision und direkter Rückmeldung, was dem Fahrer ein unbeschreibliches Sicherheitsgefühl gibt. Spielerisch leicht fliegt die Honda von einer Schräglage in die nächste und folgt dabei unbeirrbar der eingeschlagenen Linie. Bodenwellen meldet das straffe Fahrwerk zwar direkt an die Besatzung weiter, lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen.
Gemütlicher lässt es die Triumph angehen. Die englische 600er besticht ebenfalls mit einem außergewöhnlich guten Handling, doch ihre Abstimmung wirkt insgesamt softer und vermittelt nicht so viel Feedback wie das Honda-Pendant. Solange die Straßen eben sind, kann sie der CBR problemlos folgen. Hinauf zum Feldberg wird das Winkelwerk jedoch
enger und der Belag schlechter. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, und die Daytona gerät leicht ins Hintertreffen. Durch das nicht ganz so reaktionsschnelle Ansprechverhalten verliert sie beim
Beschleunigen einige Meter. Außerdem können holprige Strecken die Triumph vom Kurs abbringen und den Piloten zu Korrekturen zwingen.
Auf Landsträßchen dritter Ordnung, offenbaren sowohl CBR als auch Daytona gemeinsame Schwächen. Erstens finden sich dort viele Kurven, in denen sie sich selbst beim behutsamen Gasanlegen mit deutlichen Lastwechselreaktionen plagen. Sind die Drosselklappen dann erst mal voll geöffnet, ist zweitens Vorsicht bei
Bodenwellen angesagt. Erwischt das entlastete Vorderrad mehrere davon im falschen Takt, kann dies teilweise zu heftigem Lenkerschlagen führen. Auf solchen Strecken wäre für beide ein Lenkungsdämpfer wünschenswert.
Letztes Testterrain: die Rennstrecke Anneau du Rhin. Als ob die Honda schon den ganzen Tag diesem Moment entgegengefiebert hätte, entlässt sie ein wah-
res Freudengeschrei aus dem Auspuff. Hier ist sie in ihrem Element, und nun passt auch die Sitzposition perfekt. Weniger wohl fühlt sich die Triumph auf dem Rundkurs. Der breite Tank mit seinen ecki-
gen Ausbuchtungen verhindert bei größeren Fahrern einen engen Knieschluss und lässt so das Motorrad unhandlicher erscheinen, als es eigentlich ist.
Beide Supersportler sind mit exzellenten Bremsanlagen ausgestattet, die sich nichts schenken. Wer einen flinken Schalt-
fuß hat und die Daytona zwischen 9000 und 13000 Touren hält, schafft es nicht zuletzt wegen der Bremse, die CBR für einige Runden im Blickfeld zu behalten. Allerdings verlangen schnelle Runden auf der Engländerin mehr Einsatz und höhere Konzentration vom Treiber als auf der stärkeren und stabileren Honda.
Und so lautet das Ergebnis dieses Vergleichs letztlich: Es bleibt bei dem
gierigen Blick der Triumph. Die CBR 600 RR ist insgesamt das bessere Motorrad und der 600er made in Hinckley vor allem im sportlichen Bereich eindeutig über-
legen. Wer sich dagegen nicht dauernd von seinem Bike fordern lassen will und Wert auf ein extravagantes Styling legt, der wird in der Daytona die richtige Begleiterin finden.
Technische Daten: Honda CBR 600 RR
MotorWassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, ketten-getriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpf-schmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 40 mm, Motormanage-ment, geregelter Katalysator mit Sekun-därluftsystem, E-Starter.Bohrung x Hub 67,0 x 42,5 mmHubraum 599 cm3Nennleistung 84 kW (114 PS) bei 13000/minMax. Drehmoment 64 Nm (6,5 kpm) bei 11000/minSchadstoffwerte (Homologation) CO 0,70 g/km, HC 0,40 g/km, NOx 0,09 g/kmKraftübertragungMechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.FahrwerkBrückenrahmen aus Aluguss, Telegabel, Standrohrdurchmesser 45 mm, ver-stellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluguss, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 310 mm, Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolbensattel.Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17Bereifung im Test Michelin Pilot Sport »E«FahrwerksdatenRadstand 1390 mm, Lenkkopfwinkel 66 Grad, Nachlauf 95 mm, Federweg v/h 120/120 mm.Maße und GewichteSitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 200 kg, Zuladung* 187 kg, Tank-inhalt/Reserve 18/3,5 Liter.Garantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Schwarz, Rot, GelbPreis 10240 EuroNebenkosten zirka 170 Euro
Technische Daten: Triumph Daytona 600
MotorWassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, ketten-getriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpf-schmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 38 mm, Motormanage-ment, geregelter Katalysator mit Sekun-därluftsystem, E-Starter. Bohrung x Hub 68,0 x 41,3 mmHubraum 600 cm3Nennleistung 82 kW (112 PS) bei 12750/minMax. Drehmoment 68 Nm (6,9 kpm) bei 11000/minSchadstoffwerte (Homologation) CO 2,13 g/km, HC 0,60 g/km, NOx 0,20 g/kmKraftübertragungMechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette, FahrwerkBrückenrahmen aus Aluprofilen, Telega-bel, Standrohrdurchmesser 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druck-stufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 308 mm, Vierkolbensättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolbensattel.Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17Bereifung im Test Pirelli Diabolo »T« FahrwerksdatenRadstand 1390 mm, Lenkkopfwinkel 65,4 Grad, Nachlauf 89 mm, Federweg v/h 120/120 mm.Maße und GewichteSitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 201 kg, Zuladung* 187 kg, Tank-inhalt/Reserve 18/3,0 Liter.Garantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Gelb, SilberLeistungsvarianten 72 kW (98 PS), 25 kW (34 PS)Preis 9750 EuroNebenkosten 240 Euro
1. Platz - Honda CBR 600 RR
Die CBR besticht mit ihrem guten Fahrwerk, dem hoch drehenden Triebwerk und vor allen Dingen, weil sie sich außer den Lastwechselreaktionen keine große Schwäche leistet. Außerdem erfreut sie mit innovativen technischen Lösungen siehe Hinterradfederung und einem ansprechenden Styling. Positiv sind auch die guten Abgaswerte und die geringen Inspektionskosten. Dass sie eigentlich als Basis für den Supersporteinsatz konzipiert wurde, bestätigt die Sitzposition.
2. Platz - Triumph Daytona 600
Gegen die Honda zu verlieren ist keine Schande. Schade nur, dass die Daytona nicht das halten kann, was ihr Äußeres verspricht. Zu wenig Leistung und die lange Sekundärübersetzung rauben ihr jegliche Aggressivität. Letzteres kostet sie beim Durchzug einige Punkte. In der Gesamtwertung schlagen sich zudem die hohen Inspektionskosten stark nieder. Wer jedoch nicht so viel Wert auf die letzten Zehntel legt, der bekommt einen guten Allrounder mit unverwechselbarem Design.
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