Bekleidungs-Produktion in China

Bekleidungs-Produktion in China Guter Schnitt

Herr Nam hat gut bezahlte Schnittbögen, Frau Cho und Frau Shwee haben (relativ) gut bezahlte Arbeit, Polo kauft günstig ein und verkauft (relativ) günstig weiter. Und so machen alle einen guten Schnitt.

Guter Schnitt Wolf

Hein ist schuld. Hein hatte vor knapp 30 Jahren die Nase voll von deutscher Behäbigkeit und italienischer Lässigkeit. Hein hieß mit Nachnamen Gericke und wollte modische
Motorradbekleidung in hohen Stückzahlen und zu günstigen Preisen unters Volk bringen. So suchte er leistungsfähige Lieferanten außerhalb Europas und wurde
in Korea fündig. Die Koreaner hatten eine lange Tradition in der Lederverarbeitung, sie besaßen riesige Gerbereien und Konfektionsbetriebe, sie ähnelten mentalitätsmäßig den perfektionistischen Japanern – und sie lebten in einem Niedriglohnland. Hein Gericke wurde im Motorradbekleidungs-Bereich zum Pionier der deutsch-asiatischen Zusammenarbeit. Einer seiner damaligen Agenten in Korea ist
heute Besitzer des weltgrößten Motorradbekleidungs-Herstellers, der Firma Kido Clothing Co. Ltd., die rund 6000 Mitarbeiter beschäftigt.
Direkt in Korea wird heute allerdings kaum noch produziert. Mitte der 80er,
Anfang der 90er Jahre hatten die Fernost-Einfallstore Seoul (Korea), Taipeh (Taiwan) und Hongkong ihren Niedriglohn-Reiz verloren. Die Koreaner, Taiwanesen und Hongkong-Chinesen suchten nun selbst nach günstigeren Produktionsmöglichkeiten, wurden in der sich langsam öffnenden Volksrepublik China und in Indonesien fündig und eröffneten dort Zweigbetriebe. In China und Indonesien werden heute rund zwei Drittel der Motorradbekleidung gefertigt, die Deutschland importiert. Der Rest kommt unter anderem aus Pakistan, Vietnam, Kambodscha und Thailand.
Es sind aber nicht nur Polo, Louis,
Gericke und Co, die ihre Leder- und Textil-
kombis aus China oder Indonesien beziehen. Auch die vermeintlichen Edelmarken lassen dort fleißig produzieren. Rund 95 Prozent der Harley-Lederkol-
lektion entsteht bei Kido in China. Viele
Dainese-Textilsachen stammen aus Indonesien. Alpinestars-Produkte werden in beiden Ländern hergestellt, Ixs vertraut
auf chinesische Lieferanten, und selbst die japanischen Top-Marken Kushitani und Nankai lassen dort schneidern.
Doch Häme ist nach solch vermeintlichen Enthüllungen völlig fehl am Platz. War vor 20 Jahren »Made in China« noch der Inbegriff für Billig-Plunder, gilt das zumindest im Motorradbekleidungs-Bereich längst nicht mehr. Vom hohen Produktionsstandard konnte MOTORRAD sich eigens bei einer Reise mit dem Polo-
Einkäufer Ralf Killmer zu den beiden größten Motorradbekleidungs-Herstellern überzeugen. In Sachen Leder ging’s zur besagten Firma Kido nach Quingdao,
einer Zwei-Millionen-Hafenstadt, rund 700 Kilometer südöstlich von Peking. Bei der Hanil Trading Company wird im 150 Kilometer westlich von Quingdao gelegenen Weifang von rund 1200 Mitarbeitern überwiegend Textilbekleidung gefertigt.
Beides sind koreanische Unternehmen, und so sind sämtliche leitenden Funktionen auch mit Koreanern besetzt. Für die sind chinesische Schriftzeichen und Sprache genauso fremd wie für
Europäer. Also wird mit Dolmetschern ge-
arbeitet. Die Zuschneide- und Näharbeiten erledigen fast ausschließlich Frauen, die besonders im Lederbereich gesuchte Facharbeiterinnen sind. Der Monatslohn liegt bei 65 bis 90 US-Dollar netto, was für chinesische Verhältnisse relativ viel ist. In etwa den gleichen Betrag zahlen die Unternehmen für Kranken- und Rentenversicherung an den Staat. Gearbeitet wird sechs Tage die Woche von 7.30 bis 11.30 und von 13 bis 17 Uhr, der Jahresurlaub beträgt zehn bis 15 Tage. Rund ein Drittel der Beschäftigten kommt aus anderen Landesteilen Chinas und wohnt in firmeneigenen Wohnheimen.
Das bei Kido verarbeitete Leder hat schon einen langen Weg hinter sich.
Von brasilianischen Rindern stammen die Häute, die in Korea zu Leder gegerbt
werden. Damit daraus in China eine
FLM-Lederkombi und ein MOTORRAD-Testsieger wird, sind rund 7,5 Stunden Arbeitszeit notwendig. Gute vier Stunden davon entfallen auf die reine Näharbeit. Wenn anschließend versandmäßig noch alles klappt, ist das gute Stück sechs
Wochen später beim Polo-Kunden in Deutschland, und alle haben einen guten Schnitt gemacht. Hein sei Dank.

Zur Startseite