Billigst-Motorradkleidung im Test

Billigst-Motorradkleidung im Test Lockstoffe

Discounter wie Aldi oder Lidl wollen mit billigen Motorradklamotten eine neue Klientel in die Filialen locken. Andere Anbieter halten mit Kampfpreisen dagegen. MOTORRAD testete, ob der Kunde bei diesen Schnäppchen nicht am falschen Ende spart.

Lockstoffe Künstle

ECE... was?« Der Filialleiter eines Stuttgarter Supermarkts hat keinen blassen Schimmer, stattdessen ein Telefon am Gürtel. Lässig an den Grabbeltisch gelehnt, greift er danach. Verschwörerischer Gesichtsausdruck, eine um Geduld bittende Geste, längeres Gespräch mit dem Zentrallager, er legt auf. »Hah, der Helm ist aktuelle EC-oder-wie-auch-immer-Norm. Alles bestens, das Neueste, was es gibt!« Auf die Frage, ob der Helm beim Probekäufer richtig sitze, zuckt der Mann mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Bin schließlich kein Motorradfahrer.«
Ähnlich verliefen die Verkaufsgespräche bei anderen Discountern, die jüngst
in allen Haushalten mittels farbenfroher Prospekte Motorradausstattung bewarben. Selbst Auskünfte zu Garantie und Reparaturmöglichkeiten konnte das Personal teilweise nicht geben. Der Testkäufer bekam lediglich den lapidaren Hinweis, dass bei Mängeln die Ware umgetauscht werde. Bei einer Nachfrage nur zwei Wochen nach Aktionsende sah man allerdings jedoch zum Beispiel bei Aldi schon außerstande, noch einen Helm aufzutreiben. Umtausch unmöglich, dann halt Geld zurück. Basta und tschüs.
Bereits im letzten Jahr begannen größere Supermarktketten wie Aldi, Lidl, Penny und Plus motorisierte Zweiradler mit Verkaufsaktionen ins Visier zu nehmen. Ein wenig seltsam mutet die Vorstellung schon an, dass Motorradfahrer inmitten von Bananenkisten, Tomatensuppen-Paletten oder Klopapier-Stapeln ihre Schutzbekleidung aussuchen, anstatt sich nach einer Probefahrt mit der Kleidung oder zumindest nach einem ausgiebigen Probesitzen auf dem Motorrad für den Kauf entscheiden. Eben so, wie es im guten Fachhandel üblich ist.
»Zum Fachhändler geht der Motorradfahrer mit Bedarf, im Supermarkt wird der Bedarf hingegen erst geweckt. Die Sachen sind so billig, dass sich viele Motorradfahrer zum Spontankauf entscheiden. Ein nicht zu unterschätzendes Potenzial«, erklärt man bei Bekleidungs-Importeur Voss Bike-Line in Binau, Telefon 06263/42020. Attraktiv seien die Preiskracher etwa als Soziusausstattung oder für jüngere Einsteiger mit kleinem Budget sowie für Rollerfahrer. Voss beliefert neben einer Vielzahl von Fachhändlern zwar ebenfalls Automärkte oder etwa den Discounter Ratio auf der Billigschiene, möchte jedoch mit den aktuellen Smash-Angeboten von Aldi, Lidl und Konsorten keinesfalls in einen Topf geworfen werden. »Wir haben schon von verschiedenen Lebensmittelketten Anfragen erhalten, Artikel unserer eta-
blierten Marke Levior mit einem Fantasienamen zu versehen, nur um sie noch billiger in
den Handel zu bringen. Diesen Etikettenschwindel machen wir nicht mit. Zudem garantieren wir selbst für sehr preisgünstige Ware einen Reparatur-Service und die Ersatzteilversorgung«, konstatiert Voss.
Trotz der Niedrigstpreise verdienen die Anbieter an den Billigklamotten den einen oder anderen Euro, aber in erster Linie geht es bei den Sonderpreis-Aktionen um etwas anderes: Kundenfang. Die Lockangebote sprechen gezielt motorisierte Zweiradfahrer – immerhin rund fünf Millionen in Deutschland – an und locken sie in die Verkaufsräume. Verlässt der Biker ohne neu erworbenen Helm oder Jacke und Hose, aber etwa mit einem Packen Tiefkühlpizza oder einem anderen Produkt als Stammkunde in spe den Laden, ist die Strategie aufgegangen.
Der Motorradbekleidungs-Riese Louis, Telefon 040/
73419360, versucht es mit einer ähnlichen Methode und unterbot sogar die Offerten von Aldi und Lidl, um zum Saisonstart das Interesse von preisbewussten Motorradfahren zu wecken. Für 99,95 Euro gab’s zeitweilig eine Komplettausstattung von Kopf bis Fuß. Beim Check in einer Louis-Filiale dann allerdings die Überraschung: Der Verkäufer verzog auf Anfrage eines vermeintlichen Interessenten (angeb-
lich Wiedereinsteiger mit Mittelklasse-Maschine) sein Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen. »Schau dir die Sachen bitte erst an«, sagte er und be-riet anschließend sehr kompetent und ehrlich, worauf man bei Sicherheitsausstattung achten sollte. Das Fazit aus dem Verkaufsgespräch deckt sich mit den Recherchen von MOTORRAD: Mindestens 400 Euro sollte man für eine vernünftige Komplettausstattung veranschlagen. Der sehr faire Ratschlag des Louis-Verkäufers, bei Geldmangel Ratenzahlung in Erwägung zu ziehen oder den Kauf lieber vorerst zu verschieben, als mit minderwertiger Ausstattung Motorrad zu fahren, kam während des Gesprächs überdeutlich zum Ausdruck.
Auch bei Kaffee-Röster Tchibo, der jüngst erstmalig Motorradkleidung (www.tchibo.de) vertrieben hat, erklärt man, dass fachgerechte Beratung ein wichtiger Bestandteil beim Vertrieb von Motorradbekleidung sein sollte und billig nicht auf Kosten der Qualität gehen darf (siehe Interview). Richtig billig ist die Tchibo-Kleidung jedenfalls nicht: 250 Euro kostet eine wasserdichte Textilkombi und liegt damit preislich nur knapp unter dem in MOTORRAD 9/2005 zum Testsieger gekürten, sehr guten
Anzug von Bering, Telefon 069/285494, für 290 Euro.
Generell gilt: Vorsicht bei Spontankäufen! Ein Vergleich mit anderer, vielleicht sogar heruntergesetzter und damit ebenfalls sehr günstiger Ware vom Fachhandel lohnt immer. Denn dumm gelaufen ist es dann, wenn sich erst auf Tour oder im Alltag herausstellt, dass Geiz in manchen Fällen alles andere als geil ist.

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Test: Aldi

Regenkombi (16,99 Euro)
Zweiteilig, ohne Verbindungsmöglichkeit, Weitenverstellung an Taille,
Ärmeln und Beinabschlüssen, deutlich spürbare Flatterneigung, Reflektoren, zwei Außen-, eine Innentasche mit Reiß- und Klettverschlüssen.
Im Nässetest glatt durchgefallen. Als Motorradkleidung wenig tauglich.
Handschuhe (16,99 Euro)
Lederqualität geht in Ordnung. Hipora-Membran hielt Nässetest stand. Gut sind die Klettriegel an Handgelenk und Stulpe, außerdem die
Passform, Größenangaben realistisch. Preislich etwas günstiger als
vergleichbare reguläre Angebote aus dem Fachhandel.
Stiefel (29,99 Euro)
Größenangabe realistisch, allerdings fällt der Schaft viel zu weit aus und umschließt mit mieser Passform nur sehr mangelhaft die Wade. Mäßige Verarbeitung, dünne Gummisohle mit wenig griffigem Profil. Schienbein- und Knöchelschutz vorhanden, große Reflektoren an der Stiefelrückseite.
Fazit: Bei Aldi sind die Kekse und der spanische Rotwein sehr gut – Motorradkleidung sollte man aber besser woanders kaufen.

Test: Levior

Helm
(ab 49 Euro)
Ab Tempo 150 drückt der
Levior Concord 2 unangenehm
auf Nase und Kinn. Die Visier-Rastung ist schwammig.
Die von MOTORRAD über-
prüften Stoßdämpfungswerte nach der angegebenen ECE-Norm sind in Ordnung.
Textilkombi (ab 128 Euro)
Mäßige Passform mit leichter Flatterneigung, herausnehmbare Innenfutter, kein Verbindungsreiß-
verschluss, Taschen für Protektoren an Ellenbogen, Rücken, Hüfte und Knie vorhanden, lediglich Schultern mit CE-Protektoren ausgestattet. Das dünne Obermaterial der an Taille und
Ärmeln verstellbaren Jacke (Levior Taifun) ist an Schultern und Ellenbogen durch abriebfesteres Material verstärkt, die am Beinabschluss und Bund verstellbare Hose (Levior Monsun) insgesamt aus dickerem Material gefertigt.
Handschuhe
(ab 14,95 Euro)
Einfacher, aber nicht besonders
sicherer Textilhandschuh, an der Handinnenseite mit Leder abgesetzt, Stulpe mit Klettriegel.
Fazit: Die Levior-Artikel
zu den angegebenen Aktionspreisen gibt’s bei Ratio und in Hela-Automärkten, sind jedoch in erster Linie für 50er-Roller-
fahrer interessant.

Test: Lidl

Helm (39,99 Euro)
Verschluss äußerst hakig, Belüftung kaum spürbar. Bei einer MOTORRAD-Messung der Stoßdämpfungswerte nach der
angegebenen ECE-Norm fiel der Helm glatt durch. Gefährlich!
Jacke (99,99 Euro)
Obermaterial Cordura mit Materialdoppelungen an Schultern und Ellenbogen, herausnehmbares Innenfutter, CE-Protektoren an Schultern und Ellenbogen, Weitenverstellung an Taille, Ärmeln und Jackenbund; mittelmäßige Passform, geringe Flatterneigung ab Tempo 150. Da ohne Klimamembran ausgestattet, ist die Jacke kein besonderer Preiskracher.
Handschuhe (16,99 Euro)
Sehr dünnes, minderwertiges Leder als Obermaterial,
schlechte Passform und Verarbeitung. Im direkten Vergleich mit den gleich teuren Aldi-Handschuhen enttäuschend.
Stiefel (39,99 Euro)
Mies verarbeitet, zu kurzer Schaft, Schienbeinschutz nur
Attrappe, bedienungsunfreundliche Reißverschlüsse.
Fazit: An diesen schlappen Angeboten kann man
getrost den Einkaufswagen vorbeischieben!

Test: Louis

Helm
(ab 24,99 Euro)
Wie der Lidl-Helm fiel der Probiker von Louis bei der MOTORRAD-
Messung der Stoßdämpfungswerte nach der angegebenen ECE-Norm durch. Außerdem übel: sehr hakiger Verschluss, und ab Tempo 130
verrutscht der Helm nach hinten.
Textilkombi
(ab 54,98 Euro)
Wenig strapazierfähiges Obermaterial mit Belüftungsöffnungen, kaum Isolierung, keine Protektoren, nur Nachrüstmöglich-
keit vorhanden, Reflektoren, Weitenverstellungen an Taille, Arm- und Beinabschlüssen, kurzer Verbindungsreißverschluss; starke Flatterneigung ab Tempo 100.
Handschuhe
(4,99 Euro)
Dünnes Leder ohne Futter, viel zu kurzer Schnitt, Nähte drücken äußerst unangenehm durch. Völlig ungeeignet zum Motorradfahren.
Stiefel (14,99 Euro)
Textil-Schnürstiefel mit Kunststoff-Applikationen sowie kleinen Reflektoren. Billige,
bequeme Freizeit-Boots – aber definitiv
keine Motorradstiefel.
Fazit: Man kann’s mit billig auch
übertreiben. Diese Komplettausstattung ist komplett schlecht.

Test: Tchibo

Textilkombi
(248 Euro)
Vorbildliche Ausstattung. Obermaterial ist bewährtes Cordura, Weitenverstellungen an Taille, Ärmeln, Jacken- und Hosenbund sowie an Arm- und Beinabschlüssen, Hosenträger, herausnehmbare Innenfutter, kurzer Verbindungsreißverschluss; die Klimamembran hält dem MOTORRAD-Nässetest stand; CE-Protektoren an Schultern, Ellenbogen, Rücken und Knien mit guten Schlagdämpfungswerten, allerdings schlechtem Sitz. Die
mäßige Passform mit deutlich spürbarer Flatterneigung beim Fahren und ein mangelhafter Kragenabschluss werten die Textilkombi zu einer mittelmäßigen Motorradkleidung ab.
Handschuhe
(29,90 Euro)
Cordura-Ziegenleder-Kombination,
gute Passform und angenehmer
Tragekomfort, Klettriegel an Handgelenk und Stulpe.
Fazit: In Ausstattung und Verarbeitung gut, allerdings gibt’s im
Fachandel für fast das gleiche Geld bessere Alternativen.

Interview mit Stefanie von Carlsburg, Sprecherin von Tchibo

Stefanie von Carlsburg,
Sprecherin von Tchibo, zur
Verkaufsphilosophie des
Hamburger Unternehmens.

Wie kommt ein Kaffee-Röster dazu, Motorradbekleidung anzubieten?
Tchibo hat sich durch das Kaffee-
Geschäft einen guten Namen gemacht und erschließt schon seit längerem erfolgreich neue Geschäftsfelder. Wir erkennen durch Expertengespräche und Marktforschungen wichtige Trends, setzen diese frühzeitig um und konzipieren dementsprechend unser
Angebot an Produkten und Dienstleistungen. Vor einigen Jahren etwa haben wir preisgünstige Bekleidung sowie Kurse und Reisen für Golfer offeriert und auf diese Weise den ehemals sehr exklusiven Sport einer breiteren Masse zugänglich gemacht. Momentan erkennen wir eine Tendenz, dass Motorradfahren immer beliebter wird. Ähnlich wie
Golfen oder Segeln ist dieses Hobby jedoch recht kostspielig, und sparen möchte wohl fast jeder. Wir wollen allerdings keineswegs die Billigsten sein, sondern Qualität zum vernünftigen Preis anbieten.
Warum hatten Sie nur eine unvollständige Fahrerausstattung im Angebot? Den unverzichtbaren Helm fand man bei Ihnen etwa nicht.
Der Verkauf von Helmen erfordert intensive Beratung und Fachwissen, speziell was die Passform und richtige Größe angeht. Wir begreifen die auf Motorradfahrer zugeschnittene Wochenaktion »Faszination Freiheit« als ersten Schritt auf diesem Markt. Unsere Kleidung kam bereits gut an, dieses Angebot haben wir mit einer Motorradversicherung kombiniert, die ebenfalls bei uns erhältlich ist. Wenn das Kunden-Feedback gut ist, können wir uns vorstellen, das Angebot künftig auszuweiten. Wir sehen das Ganze nicht als Marketing-Gag oder reines Lockangebot und prüfen deshalb genau,
welche Artikel sich vernünftigerweise an Motorradfahrer verkaufen lassen.

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