Harro ist seit 2016 wieder da, auch mit der legendären Rennweste. Jetzt ist Harro wieder an seinen Stammsitz in Rohrdorf gezogen und hat mit Bocast eine Eigenmarke aufgelegt.
Harro ist seit 2016 wieder da, auch mit der legendären Rennweste. Jetzt ist Harro wieder an seinen Stammsitz in Rohrdorf gezogen und hat mit Bocast eine Eigenmarke aufgelegt.
2016 ist der Motorradbekleidungshersteller Harro mit der Neuauflage einiger Harro-Klassiker neu durchgestartet. 2018 schreibt die Comeback-Geschichte ein weiteres Kapitel: Das Team von Bocast, das hinter Harro steht, hat sich dazu entschlossen das Sortiment hochwertiger Motorrad-Lederbekleidung zu erweitern. Zudem zieht Harro um, zurück nach Rohrdorf, wo Harro ursprünglich beheimatet war.
Der bisherige kleine Showroom in Nagold platzte aus allen Nähten und war für den Kundenempfang auch nicht wirklich optimal geeignet. Nach langer Suche konnte eine historische Industriehalle in direkter Nachbarschaft zur alten Harro-Produktionsstätte in Rohrdorf erworben werden. "Back to the Roots" also.
Am 21.April 2018 wird dort mit einer großen Party ein 150 Quadratmeter großes Ladengeschäft für Bekleidung, Zubehör und Technik eröffnet.
Mit der Neueröffnung geht auch die neue Eigenmarke Bocast an den Start. Erstes Produkt ist eine lange, klassische Tourenjacke mit Protektoren an Schultern, Ellenbogen und Rücken. Die Jacke gibt es entweder aus Rindleder in antikem Braun oder in schwarzem Nappa. Eine weitere Ausführung besteht aus Armalith-Gewebe in schwarz (Bild) oder blau mit Lederaufsätzen an Schultern und Ellenbogen. Armalith wirkt wie Denim, soll aber die mechanischen Qualitäten von Leder haben, aber deutlich bequemere Trageeigenschaften.
Kurzer Rückblick auf 2016: Manchmal verdanken Auferstehungen, selbst die von Legenden, einiges dem Zufall. Oder, um im Bild zu bleiben, der glücklichen Fügung. Wobei das mit der Auferstehung eigentlich ein schiefes Bild ist. Wirklich tot war ja die Harro-Rennweste, eine der ersten originären Motorradlederjacken, nicht. Sie überlebte, dem früheren Träger in der Zwischenzeit oft zu klein, in vielen Schränken und in vielen Erinnerungen. Aber es gab sie nicht mehr. Sie war weg vom Fenster. Das Fenster war abgeklebt mit Packpapier, seit einer ganzen Weile schon. Vor dem Packpapier hing ein Schild. Auf dem stand: „Wir renovieren.“ An dem Schild kamen sie oft vorbei. Nie tat sich etwas. Das machte sie neugierig. Was war passiert? Als Daniela Talmann und Alex Bodamer sich erkundigen, heißt es, Harro habe den Geschäftsbetrieb eingestellt.
„Wir waren Kunden bei Harro, seit wir Motorrad fahren“, sagt Alex deutlich an der Wahrheit vorbei. Denn Alex hatte schon eine Rennweste, als er Ende der 80er noch nicht Motorrad, sondern eine MTX 80 fuhr. Und Daniela trug zur PX 80 eine Harro-Lederjacke mit Flatterkragen in Blau-Weiß. „Für uns gab´s nix anderes. Alle hier aus der Gegend sind damit gefahren. Mit der Rennweste auf der MTX war das zwar nicht stilsicher, aber mir hat das trotzdem gefallen so.“
Die Rennweste, von Harro seit Anfang der 50er- Jahre geschneidert und über die Jahrzehnte nur im Detail verändert, war bald schon, nicht anders als der Elefantenboy aus dem selben Haus, ein Original. Die zwei Schnallen vorm Bauch, das Kreuz auf dem Arm, der schräg laufende Reißverschluss und der Riegel mit den drei Druckknöpfen am Hals, das weiche Leder, das Teddy- oder das gesteppte Innenfutter, der körpernahe Sitz, die schlichte Optik, die beiden Innentaschen, groß genug auch für eine Flasche Bier auf der rechten und eine auf der linken Seite unterwegs zur Party oder zum Lagerfeuer auf der Wiese irgendwo im Nirgendwo. Überall war die Rennweste mit dabei. Viele hatten eine, noch viel mehr wollten eine, und alle kannten sie.
Das Problem ist nur: Man kannte sie von früher. Sie bekleidete schöne Erinnerungen. Für viele ist sie legendär. Aber am Legendären, so zeitlos es eigentlich sein mag, klebt ja das Gestrige und oft verklärtes Zurückdenken. Und was heißt das schon, zu sagen: Das Ding hat Geschichte geschrieben? Es heißt, dass das Teil nicht mehr aktuell ist, dass es an aktuellen Kapiteln einer Geschichte nicht mehr mitschreibt. Was passiert, wenn Legenden mit der Zeit gehen wollen? Stolpern sie? Oder stolpern sie, wenn sie nicht mit der Zeit gehen?
Man kann bestimmt lange über so was nachdenken und schlau theoretisieren. Oder man handelt. „Wir haben uns mit Hermann Harr getroffen, dem Sohn des Firmengründers und dem letzten Geschäftsführer“, sagt Alex Bodamer, „einen Tag später standen wir in Rohrdorf in dem riesigen Stangenlager zwischen den Restbeständen der Harro-Produktion, Massen an Kombis, Jacken, Hosen und Zubehör, und noch einen Tag später stand unser Entschluss: Wir machen das, wir kaufen die Bestände.“
An eine Neuauflage der Rennweste und der klassischen Tourenkombi namens „Assen“ dachten Alex und Daniela da, im Sommer vor zwei Jahren, noch überhaupt nicht. „Unsere ursprüngliche Idee war nur der Abverkauf des Bestands“, sagt Daniela und gesteht dann: „Aber wir merkten schnell, dass das nicht so einfach war.“ Es ging dabei weniger um Sondergrößen und Kombis mit schlimmen Mustern in noch schlimmeren Pastelltönen. Es wundert niemanden, dass die schwer loszuwerden sind, auch Daniela und Alex nicht. Damit hatten sie gerechnet.
Nicht aber mit der enormen Resonanz auf die Rennweste und die Kombi Assen. „Wir bekamen täglich Anrufe von Leuten, die bestellen wollten, und bald schon hatten wir nur noch Randgrößen.“ Die Leute aber bestellten nicht nur. Sie erzählten auch: Wie sie die Rennweste getragen hatten, wo sie damit waren und bei welchen Gelegenheiten sie sie begleitete. Sie erzählten, wie die Jacke ihnen zu klein wurde, wie sie sie an den Jungen weitergegeben hatten und deshalb jetzt eine neue wollten. „Wenn die Leute herkamen zum Anprobieren, hast du an ihren Bewegungen sofort gesehen, die hatten die früher schon an.“
All das, die Nachfrage, die Geschichten der Leute, dazu ein bisschen Sentimentalität, bringt Daniela und Alex zum Entschluss, die Rennweste und den Zweiteiler Assen neu aufzulegen. Hermann Harr, der letzte Geschäftsführer, sei dafür sehr offen gewesen, wenn die Qualität stimme und Name und Logo nur auf Produkte komme, die Tradition und Ansehen von Harro entsprächen. An was anderem hatten Daniela und Alex sowieso kein Interesse. Es ging um die Auferstehung der beiden Klassiker, nicht um ihre Aktualisierung oder Modernisierung.
„Da standen wir dann mit einer Rolle aus festem Papier, wie Packpapier in der Art, vielleicht 1,20 hoch und sicher 30 Meter lang, die Blaupause aller Originalschnitte“, erzählt Daniela. Auf die legen sie ein Transparentpapier und tragen mit einer gezackten Rolle Schnittkanten, Nahtläufe und Passmarken ab, um Schablonen für den Lederzuschnitt anzufertigen. Sie kaufen die Häute in der Hauptsache von deutschen und je nach Farbe auch von Gerbereien in Europa. Sie finden einen Zulieferer für Reißverschlüsse in Belgien, für Knöpfe in Japan und lassen sich die Schnallen vom selben Fabrikanten liefern, der sie auch schon für die alten Rennwesten produzierte.
Sie wollen ein, zwei Lederschneiderinnen einstellen, um in kleiner Serie direkt in Nagold zu produzieren. Sie finden niemanden. Schließlich bekommen sie Kontakt zu einem rumänischen Produzenten, bei dem sie Jacke und Kombi in Handarbeit zuschneiden und nähen lassen. „Man hat am Anfang ja keine Vorstellung“, sagt Alex. „Es sind 1.000 kleine Schritte, die du gehen musst. Welchen Faden verwendest du, um das Futter abzusteppen, von wem beziehst du ein Etikett? Sachen, an die du zuerst gar nicht denkst. Wo bekommst du denn ein geeignetes Teddyfutter her?“ Sie beziehen – wie früher auch – das Teddyfutter von einem Kuscheltierproduzenten, bekommen im Februar dieses Jahres erste Muster der neuen alten Rennweste und im Monat darauf die erste Kleinserie geliefert.
Eines der ersten Exemplare verkaufen Daniela und Alex nach Ostfriesland. Der Kunde bekommt seine Rennweste und schickt ein Päckchen und einen Brief zurück – seine alte Rennweste, sie ist ihm zu klein. „Vielleicht mag die ja einer, dem sie passt“, schreibt er und bedankt sich dafür, „dass Sie mir eine derart vorzügliche neue Rennweste haben bauen lassen.“
„Man lernt so nette und schräge Leute kennen“, sagt Daniela. „Die kommen hierher nach Nagold zur Anprobe, und die Anprobe ist meist schnell vorbei. Aber das Erzählen dauert oft länger. Wir können anhand der Mustergrößen, die wir da haben, die Bestellungen auf Maß anpassen. Auch viele Farben oder Änderungen im Detail lassen sich auf Wunsch machen.“ Alex zum Beispiel hat sich seine persönliche Rennweste in Rot machen lassen. Ganz zufrieden ist er aber nicht mit ihr. „Sie ist einfach noch zu neu“, sagt er. Wir müssen noch ein bisschen was zusammen erleben. Dann wird sie erst richtig schön. Mein Wunsch ist, dass unsere Rennwesten in 30, 40 Jahren genau so sind wie die 30, 40 Jahre alten heute.“
Daniela Talmon und Alex Bodamer verkaufen Harro-Restbestände und haben die Rennweste und die zweiteilige Tourenkombi Assen Anfang 2016 neu aufgelegt. Handgefertigt wird in Kleinserie und nach individueller Anpassung am Muster auf Bestellung. Die Wartezeit beträgt rund vier bis sechs Wochen. Die Standard-Rennweste kostet 400 Euro, die Assen-Kombi 800. Modifikationen (Passform) und Sonderwünsche (Farbe, Ledersorte, Applikationen) gehen zu moderatem Aufpreis. Zu haben ist außerdem die Verlängerung der Assen-Jacke für 80 Euro und die Schaumstoffunterlage für den Elefantenboy-Tankrucksack für 19,90 Euro.
Weitere Infos und Kontakt: rennweste.de, Kämmerle 12, 72229 Rohrdorf, Telefon 0 74 52/9 29 99 76