Gestern Schmuddelkinder, heute Trendsetter: Die Haute Couture hat die Motorradszene entdeckt und bedient sich ungeniert bei ihrem Outfit, um einen neuen Stil der Spaßgesellschaft zu kreieren.
Gestern Schmuddelkinder, heute Trendsetter: Die Haute Couture hat die Motorradszene entdeckt und bedient sich ungeniert bei ihrem Outfit, um einen neuen Stil der Spaßgesellschaft zu kreieren.
Nieten und Nadelstreifen die beiden passen perfekt zusammen. Im speziellen Fall handelt es sich um echte Nieten aus Metall, und sie stammen aus der Motorradszene. Namhafte Modeschöpfer aus aller Welt lassen sich derzeit nämlich vom sogenannten Biker-Look inspirieren und überschwemmen die Laufstege in aller Welt mit geschmeidigen Latin Lovers im Nadelstreifenanzug, die nonchalant einen Helm am schmalen Handgelenk baumeln lassen.
Ihren Anfang nahm die Motorradbegeisterung der Haute Couture wie sollte es anders sein im modebewussten Italien. Das hat zwei Gründe: Zum einen lässt sich der turbulente Verkehr in den verstopften Straßen von Mailand, Rom, Turin, Bologna oder Neapel fast nur noch auf zwei Rädern bewältigen. Allein im letzten Jahr wurden südlich des Brenners rund 400000 Roller neu zugelassen, vorwiegend in den Großstädten; eine sehr beachtliche Zielgruppe also. Und weil der italienische Signore und erst recht die Signora auf dem Zweirad keinesfalls wie Schmuddelkinder, sondern elegant aussehen wollen, bringen Nobelmarken von Armani bis Valentino nun die entsprechende Bekleidung Jacken, Handschuhe, Stiefel, Taschen und neuerdings sogar Helme.
Selbst der ehrwürdige Hutmacher Borsalino ließ sich hinreißen und präsentierte unter anderem den berühmten Panama als Helm, wie das Original zum Teil aus Palmfasern gefertigt und handgenäht, CE-Norm natürlich inklusive. Den Vogel schoss jedoch eindeutig Prada ab: Der wahlweise mit Fell oder Pelz überzogene Helm des exklusiven Mailänder Modemachers gilt in der Branche als meistfotografiertes Accessoire der Saison 2007. Kein Fall für Tierfreunde, und erst recht keiner für Geringverdiener satte 1200 Euro muss man für das Teil mindestens hinlegen.
Der weitere Grund für die allgemeine Motorradbegeisterung jenseits des Alpenhauptkamms heißt Valentino Rossi, denn der fasziniert in Italien sogar Menschen, die Moto Guzzi allenfalls für eine Spielart der teuren Modemarke Gucci halten. Und wenn diese Menschen schon nicht selbst Motorrad fahren, möchten sie wenigstens ein wenig vom Glanze Rossis abhaben und hüllen sich deshalb in trendig-aggressives Leder, komplett mit Schulterpolstern fürs Imponiergehabe. Rossis Auftritt auf der Mailänder Modewoche Ende Januar heizte die zweiradverrückte Stimmung weiter an, auch wenn sich der Rennfahrer gelassen gab: »Mode ist für mich wichtig, aber nicht lebensbestimmend. Sie muss mir vor allem Spaß machen.« Und nebenbei natürlich Geld bringen. So präsentierte Rossi in Mailand Sonnenbrillen der Marke Imatra, für die er bereits seit längerem Werbung läuft. Weshalb er in der vergangenen Saison bei jedem Fernseh-Interview riesige, wenngleich nicht immer kleidsame dunkle Augengläser trug. Das zog: Kaum ein italienischer Teenager oder Twen mochte im letzten Sommer auf eine entsprechende Sonnenbrille verzichten.
Natürlich treibt das Phänomen Motorradmode auch seltsame Blüten. So fabulierte die italienische Ausgabe der internationalen Frauenzeitschrift »Cosmopolitan« in einem mehrseitigen Artikel darüber, wie frau sich in die angesagte Disco bewegt per Motorrad und, logisch, im passenden Outfit (siehe Ausriss Seite 155 oben). Während die Redaktion ihre Leserinnen zunächst ausdrücklich darauf hinwies, dass im richtigen Leben selbstverständlich ein Helm getragen werden müsse und somit ein wenig Hoffnung auf Sachverstand aufkommen ließ, empfahl der Text auf den folgenden Seiten unter anderem lange Röcke, hochhackige Stiefel und baumelnde Ohrringe. Der Praxiswert für die geneigte italienische Motorradfahrerin belief sich auf ziemlich genau null.
Nicht ganz unschuldig am Motorradtrend der Modebranche ist die traditionsreiche Firma Belstaff, 1924 von Harry Grosberg in Staffordshire in England gegründet. Deren wasserabweisende, luftdurchlässige und schier unverwüstliche Wachsjacke aus ägyptischer Baumwolle hielt ganzen Generationen von Motorradfahrern Wind und Wetter vom Leibe.
Lawrence von Arabien trug sie in der Freizeit genauso wie Che Guevara bei seiner Motorradreise durch Lateinamerika in den 50er Jahren. Durch moderne Textilien wie Gore-Tex geriet Belstaff ins Abseits, seit 1991 wurde die Firma durch die italienische Clothing Company unterstützt und 2004 schließlich ganz von ihr übernommen. Deren Eigner Franco Malenotti landete alsbald einen Coup nach dem anderen. Zunächst engagierte er als Werbeträger den Freizeit-Motorradler und Schauspieler George Clooney.
Dann gelang ein Product Placement ganz besonderer Art: Im Blockbuster »Aviator« hielt Leonardo di Caprio das Belstaff-Logo mehrmals verkaufsfördernd in die Kamera obwohl Filmvorbild Howard Hughes nie eine Jacke des britischen Herstellers getragen hat. Doch ein wenig Geschichtsfälschung hat in Hollywood noch niemandem geschadet, und so mauserte sich die Marke in null Komma nichts vom Motorrad- zum Mode-Kult, denn sie brachte den berühmten Hauch von Freiheit und Abenteuer mit. Superstars wie Tom Cruise und Angelina Jolie, Nicole Kidman und Britney Spears gaben und geben sich in Belstaff-Jacken die Ehre, weitere Filme wie beispielsweise »Oceans Twelve« wurden mit passenden Klamotten ausgestattet. Heute hängen die Kollektionen des Hauses in Nobelboutiquen zwischen Armani, Gucci und Prada. Für 2007 rechnet Belstaff mit einem Umsatz von mindestens 100 Millionen Euro, mehr als doppelt so viel wie im Jahr der Übernahme 2004. Ein Lehrbeispiel dafür, wie geschicktes Marketing einen Markennamen retten kann. Funktionskleidung für Motorradfahrer steht allerdings nicht mehr auf dem Belstaff-Programm.
Das beherrschen sowieso andere besser, die ebenfalls aus dem Veneto in Italiens Nordosten kommen: Dainese und Spidi, seit Jahren tonangebend in Sachen Motorradkombis mit Pfiff. Während Dainese vornehmlich technisch orientiert ist und das reine Modegeschäft bislang weitgehend Partner Yamamoto überlässt (Interview rechte Seite), bedient Spidi zunehmend auch das trendbewusste italienische Großstadtpublikum. Zugegeben, dabei handelt es sich hauptsächlich um Jacken und Hosen für Rollerfahrer, aber eine praktische Funktion mit schöner Form und gutem Aussehen zu verbinden muss ja nicht unbedingt schlecht sein.
Die Zeichen der Zeit haben auch einige Motorradhersteller erkannt. Während Harley-Davidson seiner Kundschaft bereits seit Jahrzehnten neben Motorradbekleidung erfolgreich Tassen, Schlafanzüge, T-Shirts und Parfum mit Firmenlogo verkauft, kamen die Europäer erst in letzter Zeit in die Gänge. Triumph, Ducati und Rollerbauer Vespa legen heute ganze Kollektionen für ihre Fans auf, zum Motorradfahren eignet sich durchaus nicht alles aus dem Katalog. Muss auch nicht sein, solange die Kasse stimmt: »Wir verdienen mit Bekleidung und Accessoires inzwischen 20 Millionen Euro im Jahr«, sagt Ducati-Boss Federico Minoli zufrieden. Weshalb der italienische Hersteller kürzlich in der Nähe von Bologna ein Mode-Outlet eröffnete. Dort gibt es alles, was das Ducati-Logo trägt, vom Kugelschreiber über Stofftiere und Schlüsselanhänger bis zum Sweatshirt und zur Lederjacke nur kein einziges Motorrad.
Stellt sich die Frage, ob ein Trend wie »Moto Gucci« auch in Deutschland eine Chance hätte. Wirklich gut stehen die Chancen nicht. Hersteller wie Dainese mussten bislang die Erfahrung machen, dass selbst nur ansatzweise ausgefallene Motorradklamotten hierzulande kaum Zuspruch finden. »In Deutschland läuft vor allem Schwarz«, seufzt Marketing-Chef Vittorio Cafaggi. Was ein Blick in die Kataloge von Anbietern wie Louis und Polo bestätigt schon Grau gilt offensichtlich als gewagt. Zur Rettung der nationalen Ehre sei gesagt, dass Design-Guru Massimo Tamburini in einem MOTORRAD-Interview die italienischen Motorradfahrer einmal »als arg stark auf Show bedacht« charakterisierte und nur Deutsche und Engländer als echte Motorradler gelten lassen wollte. Dennoch: Zumindest ein bisschen mehr Farbe könnte nicht schaden. Zu Nieten in Nadelstreifen müssen wir deshalb ja noch lange nicht werden.
Oder die Funktion der Form. Egal, wer wem folgte. Als es endlich eigens für den Motorradfahrer gefertigte Kleidung gab, war der oft genug nichts anderes geblieben als der zweifelhafte Charme des Nützlichen.
Es gibt die Motorradmode, und zugleich gibt es sie nicht. Weil es sie eigentlich nie gab. Und Klassiker wie Kleppermantel, schwarze Lederjacke oder Wachscotton-Klamotten zunächst nicht speziell fürs Motorrad gemacht waren. Dass sie zu Klassikern wurden, lag daran, dass man sich ihrer bedient hat zu Zeiten, als eine besondere Motorradkleidung so gut wie nicht existierte. So holte man sich beim Militär, den Fliegern, schwere, robuste Lederblousons, die was aushielten. Auch Wasserabweisendes wie die gewachste Baumwolle von Belstaff oder Barbour trugen ursprünglich Jäger durch den Forst oder Fischer am Bach.
Erst nachdem sich das eine oder andere Outfit funktional bewährt hatte, wurde es formal stilprägend. Dabei half, dass Motorradfahrer, anders als heute, als Außenseiter galten und dies auch kultivierten. Die Art, wie sie sich gaben, wie sie sich kleideten, erhielt ikonengleichen Status. Über die Szene hinaus vermittelt durch Massenkultur, insbesondere Film und Musik, erlangte vor allem die Lederjacke Popularität. Sie stand für Unabhängigkeit, Unangepasstheit, Aggression, Stärke, Individualität. In seinem schwarzen Fliegerblouson fungierte Marlon Brando als Topmodel, als es den Begriff noch längst nicht gab.
Mit dem Erfolg kam, was kommen
musste: Motorradleder avancierte zum Requisit. Nicht schützend, funktional nunmehr für einen völlig anderen Zweck; dem dazuzugehören, auch so zu sein wie die harten Typen auf ihren schweren Maschinen. Motorradmode wurde anziehend im doppelten Sinn des Wortes, kleidete die Unkonventionalität, die freilich immer konventioneller wurde. So, wie es übrigens auch dem Motorrad selbst erging.
Es wurde gesellschaftsfähig.
Da lohnte es sich für die
Industrie, Motorradfahrer eigens auszustaffieren.
Anfangs orientierte sie sich noch an den klassischen Vorbildern, deren Stil jedoch dem Primat der Funktion
untergeordnet wurde. Das Zweckmäßige verdrängte das Symbolische mit Esprit und Raffinesse.
Zunächst zumindest. Denn
Jacken
wie die
Rennweste von Harro hielten, was
Marlons Kuhhaut versprach. Und sahen
dabei noch ganz gut aus. Bis man etwa Mitte der 80er Jahre sich mühte,
der fortschreitenden Funktionalität eine
eigene Form zu verpassen. Indem man etwa Protektoren farblich, in Magenta gar, vom grundständigen Grau ab-
setzte. Die Form folgte der Funktion so
willfährig, dass sie ihr offen Ausdruck
verlieh. Auch mit neuen Materialien, besonders abriebfesten Kunstfasertextilien, deren Potenzial einfach so
attraktiv erschien, dass man Funktionalität schon als ästhetischen Wert missverstand. Und nach
außen kehrte. Was leichthin zu tragen, mitunter aber schwerlich zu ertragen war.
Jacken legten an Volumen zu. Mit Innen-
futter, Klimamem-
bran, Protektoren,
zig praktischen
Taschen. Kaum eine Widrigkeit, vor der eine solche Jacke nicht schützen könnte. Mitleidige Blicke ausgenommen.
Motorradfahren war so populär und so sicher wie nie zuvor, die Kleidung indes so krud auf ganz spezielle Bedürfnisse hin abgestimmt, dass sie nicht mehr tat, als justament die zu
befriedigen. Stilistisch konnten diese Machwerke in Gore-Tex und Cordura über die eigentliche Szene hinaus kaum noch faszinieren. Brando in Lederjacke konnte man cool und charismatisch finden, selbst Hopper in seiner Fransenjoppe, aber die Funktionsmonster des letzten Vierteljahrhunderts allenfalls wasserdicht. Kaum wundern muss es deshalb, dass die Inspiration für eine neue Art der Motorradbekleidung von gestern ist. Oder von ganz woanders. Zum einen knüpft man an Zeiten an, in denen Stil und Aura noch nicht verlo-ren waren. Zum zweiten orientiert man sich an anderen Mustern, adaptiert den Anfangszeiten darin ganz ähnlich
Bewährtes aus anderen Bereichen, nunmehr aus Streetwear, Snowboard- oder Skaterszene.
Einen grundlegenden Unterschied freilich gibt es im Vergleich zu früher. Damals hatte man keine anderen Möglichkeiten, heute viele. Viele Möglichkeiten, unmöglich auszusehen. Aber auch wieder welche, genau das nicht zu tun. In Italien ist man da schon viel weiter. Auch daran mag es liegen, dass dort das Motorrad boomt. mor/nso
Die studierte Architektin Silvia Dainese
ist in der gleichnamigen Firma für die Zusammenarbeit mit dem japanischen
Stardesigner Yamamoto verantwortlich.