Unser Sandmann hat beim Motorrad-Kombi-Test kein leichtes Leben. Insgesamt 14-mal rauscht er bei Tempo 100 die glatte Alu-Rampe aus unserem Sprinter runter. Die Beine voran, einmal in Rücken-, einmal in Bauchlage. Mit dem Dummy wollen wir ein altes Stammtischthema klären: Welche Motorradbekleidung nun wirklich die Beste ist, wenn ein „worst case“ droht – Abflug auf der Straße. Der Testaufbau mag aufmerksamen Usern bekannt vorkommen. Mittels Rampe und Sandmann haben wir auch der Qualität von Motorradjeanshosen auf den Zahn gefühlt.
Video zum Crashtest
Einsteiger-Textilkombi

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außengewebe aus Polyamid („Cordura“), Futterstoff aus Polyester
- Materialstärke: 500 Denier (D)
- Gewicht: 2,9 kg (Gr. M)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen und Knie, Taschen für Hüft- und Rückenprotektor (nachrüstbar), mit Druckknopfleiste und Klett, abgedeckter Reißverschluss, kurzer Verbindungsreißverschluss, Reflektorpaspeln und -prints
- Sonstiges: herausnehmbares Thermofutter
- Herstellungsland: Vietnam/China
- Preis: 259,90 Euro
Fazit: Das Einsteigerangebot für Allwetterfahrer steckt den Sturz aus Tempo 100 mit Ach und Krach weg. Schnell klaffen in dem Polyamid/Cordura-Mix handtellergroße Löcher. Schulter- und Kniepartien sind nach der Sturzsimulation besonders in Mitleidenschaft gezogen worden. Auf der Habenseite: Alle Reißverschlüsse haben dicht gehalten. In Sachen Protektorenausstattung regiert der Rotstift, der kurze Verbindungsreißverschluss ist definitiv nicht mehr zeitgemäß.
Mittelklasse-Textilkombi

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außengewebe aus Polyamid/Polyurethan („Amidura“), Futterstoff aus Polyester
- Materialstärke: 500/1000 Denier (D)
- Gewicht: 4,7 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen, Hüfte und Knie, Tasche für Rückenprotektor (nachrüstbar), 1000D-Gewebeverstärkungen in den Sturzzonen (Schultern, Ellbogen, Hüfte, Knie), umlaufender Verbindungsreißverschluss, Reflektorpaspeln und -prints
- Sonstiges: herausnehmbares Thermofutter
- Herstellungsland: Vietnam
- Preis: 829,98 Euro
Fazit: In der Preisklasse zwischen 500 und 1000 Euro liest sich die typische Ausstattungsliste bei Textilkombis schon umfangreicher. Und tatsächlich: Bei unserer Sturzsimulation kann das bis 1000D verstärkte Polyamidgewebe die Rutschpartie auf Asphalt etwas besser wegstecken als die Einsteiger-Kombi. Allerdings ist nicht alles besser: Der nicht abgedeckte Reißverschluss wäre beinahe aufgegangen. Deutliche Pluspunkte für die Protektorenausstattung!
Oberklasse-Textilkombi

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außengewebe aus Polyamid/PTFE („Armacor“), Futterstoff aus Polyester
- Materialstärke: 500 Denier
- Gewicht: 5,4 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen, Rücken, Hüfte und Knie, Superfabric- und Kevlar-Gewebeverstärkungen in den Sturzzonen (Schultern, Ellbogen, Knie), umlaufender Verbindungsreißverschluss, Sitzsteg, Reflektorenprints
- Sonstiges: herausnehmbares Thermofutter
- Herstellungsland: China
- Preis: 1878 Euro
Fazit: Der berühmte Spruch „Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied“ trifft vor allem auf die extrem teure Textilkombi mit sogenannten Superfabric-Verstärkungen zu. Keine Frage, das Hightech-Gewebe ist extrem abrieb- und reißfest. Problematisch ist nur, dass direkt neben den panzerähnlichen Platten die „normal“ gewebte Polyamidhaut fast schon wie Papier zerreißt. Deutlich mehr als fünf Kilo muss der Anzugträger nun schleppen, kann sich dafür aber auf ein Full-Size-Protektorenpaket verlassen.
Einsteiger-Lederkombi

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außenhaut aus Rindsleder mit Textileinsätzen aus Polyester und Stretch-Einlagen aus Polyamid, Futterstoff aus Polyester
- Lederdicke: 1,1 mm
- Gewicht: 3,6 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen und Knie, Taschen für nachrüstbare Hüft- und Rückenprotektoren, umlaufender Verbindungsreißverschluss
- Sonstiges: Knieschleifer nachrüstbar
- Herstellungsland: Pakistan
- Preis: 299,95 Euro
Fazit: Auf den ersten Blick verwundern die großen Textileinlagen in Bauch- und Beinpartien dieser Einsteiger-Lederkombi, die für knapp 300 Euro erhältlich ist. Spannende Frage: Hält das wirklich zwei Stürze aus 100 km/h in Bauch- und Rückenlage aus? Ja, es hält! Vor allem, weil die Textilfasern so verbaut sind, dass ihnen bei der Rutschpartie auf Asphalt keine tragende Rolle zukommt. Das Leder selbst wird auf der rund 30 Meter langen Rutschpartie nicht wirklich beansprucht. Neuralgischer Punkt ist und bleibt beim Leder die Qualität der (hoffentlich verdeckten) Nähte.
Mittelklasse-Lederkombi

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außenhaut aus Rindsleder, Stretch-Einsätze aus Polyamid und Aramid („Keprotec“), herausnehmbarer Futterstoff aus Polyester
- Lederdicke: 1,4 mm
- Gewicht: 5,0 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen, Rücken und Knie, Tasche für nachrüstbare Hüftprotektoren, umlaufender Verbindungsreißverschluss, Reflexpaspeln
- Sonstiges: verschließbare Belüftungsöffnungen, Knieschleifer nachrüstbar
- Herstellungsland: China
- Preis: 749,98 Euro
Fazit: Gegenüber dem Einsteiger-Leder verzichtet dieses typische Mittelklassemodell auf größere Textilbeigaben. Zur besseren Beweglichkeit und Passform sind aber Arm- und Beinpartien mit hochwertigem Kevlarstretch versehen, und unser Lederdickenmesser zeigt eine deutlich höhere Materialstärke. So gesehen nicht verwunderlich, dass sich das Leder auch nach hartem Asphaltkontakt ziemlich unbeeindruckt zeigt. Allerdings zeigen sich so manche offenen Wunden an den Nahtstellen.
Oberklasse-Ledereinteiler

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außenhaut aus Rinds-, Rochen- und Känguruleder, Stretch-Einsätze aus Leder, Polyamid und Aramid („Keprotec“), herausnehmbarer Futterstoff aus Polyester
- Lederdicke: 1,2 mm
- Gewicht: 6,0 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen, Rücken und Knie, Soft-Protektoren in Nacken, Steißbein, Hüfte und Rippe, Klett für nachrüstbaren Brustprotektor, doppeltes Leder in Gesäßfläche, Hartplastik- und Titan-Verstärkungen an Schultern, Ellbogen/Unterarm und Knie
- Sonstiges: Knieschleifer
- Herstellungsland: Vietnam
- Preis: 1499 Euro
Fazit: Mit knapp 70 Prozent Kängurulederanteil geht dieser semiprofessionelle Rennanzug ins Rennen bzw. rasant auf Bodenkontakt. Das Ergebnis? Ausschütteln, weiter geht’s. Im Vergleich zum Mittelklasse-Leder sind bei diesem Anzug alle Nähte so gesetzt, dass sie beim Sturz aus 100 km/h keinerlei Probleme bereiten. Ein umfangreiches Protektorenpaket schützt vor Knochenbrüchen.
Renn-Ledereinteiler

Daten für Musterkombi:
- Materialien: Außenhaut aus Känguruleder, Stretch-Einlagen aus Leder, Polyamid und Aramid („Keprotec“), Futterstoff aus Polyester
- Lederdicke: 1,1 mm
- Gewicht: 5,1 kg (Gr. 50)
- Schutzausstattung: CE-Protektoren in Schultern, Ellbogen, Rücken, Steiß, Schienbein und Knie, Softprotektoren in Schlüsselbein, Oberarm, Rippen und Oberschenkel, Rückenhöcker, Neusilber-Reißverschlüsse
- Sonstiges: Knieschleifer
- Herstellungsland: Deutschland
- Preis: 1998 Euro
Fazit: Mit 100 Prozent Känguruleder tritt dieser sackteure Renn-Einteiler an. Tempo 100, Abflug. Dann die kritische Bilanz für Front und Rücken: in diesem Fall hervorragend. Zwar zieren kleine Löcher die Schulter, doch darunter schützen weiterhin Kevlarfilz und dicke Schaumprotektoren die Haut vor bösen Schürfwunden. Ohnehin liest sich die satte Schutzausrüstung des Lederanzugs in puncto Protektoren wie ein Lehrbuch. Und mit rund fünf Kilo Gesamtgewicht bleibt alles noch im Rahmen.
MOTORRAD-Fazit
Es bleibt dabei: Wenn es um den bestmöglichen Schutz beim Sturz auf der Straße geht, hat Leder weiterhin deutlich die Nase vorn. Sollbruchstellen bleiben allerdings unzureichend gesicherte Nähte. Textilanzüge geraten im Vergleich zum Leder trotz hochgerüsteter Hightech-Zutaten immer noch sehr schnell ins Hintertreffen. Schnell klaffen große Löcher im Gewebe, ob einst 260 oder knapp 1900 Euro teuer. In Bezug auf die Abriebqualität steht dann eine 300-Euro-Lederkombi deutlich besser da als der mehr als sechsmal so teure Textilanzug.
Erschreckende Beispiele sind ausgeblieben
Die Einschätzung, dass Leder – selbst in seiner günstigsten Ausführung – in puncto Abrieb weiterhin die Nase vorn hat? Okay, das ist nicht wirklich die Überraschung. Umso interessanter ist aber die Tatsache, dass man schon gigantisch viel (und teures) Zusatzmaterial in einer Synthetik-Kombi versenken muss, um sie auch nur annähernd auf das Niveau eines mehr oder minder organisch gewachsenen Anzugs zu bringen. Inwiefern das wiederum mit dem Komfort vereinbar ist, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Zweifelsohne lässt sich das in Epoxidharz getauchte Superfabric-Gewebe kaum durch die rund 30 Meter lange Rutschpartie auf dem Asphalt beeindrucken. Allerdings ist es kaum machbar, noch mehr dieser Verstärkungen auf der Textilkombi aufzubringen. Schon jetzt wiegt das gute Stück deutlich mehr als fünf Kilo – und einigermaßen beweglich soll die Motorradkombi ja auch noch sein.
Die gute Nachricht: Wirklich erschreckende Beispiele sind in unserem Quervergleich von sieben Anzügen aus verschiedenen Kategorien ausgeblieben. Mag es daran liegen, dass die Hersteller ihre Hausaufgaben in Bezug auf die neue Europa-Richtlinie zur „Persönlichen Schutzausrüstung“ (PSA) bereits verstärkt in Angriff genommen haben? Und wenn durch diese in Zukunft noch weitere positive Impulse kommen (siehe Interview), ist das natürlich mehr als begrüßenswert. Das findet jetzt bestimmt auch unser stummer Diener Svennie …
Vergleich der Konzepte und Preisregionen
Da wir in diesem Konzeptvergleich Äpfel und Birnen vergleichen, geht es hier nicht um Herstellernamen und Marken. Vielmehr wollen wir wissen, was wir in verschiedenen Preisregionen erwarten können. Ohnehin kommt das meiste, das wir von hierzulande bestens bekannten Bekleidungsanbietern beschafft haben, aus den mehr oder minder gleichen Fertigungsstätten im asiatischen Raum. So gesehen ist es egal, ob das unter 300 Euro teure Einsteiger-Outfit aus Leder oder Textil von der einen, der anderen oder gar der dritten Shopkette kommt. Oder die Mittelklasse-Kombi von der Fachhandelsmarke X oder Y angeboten wird.
Nicht egal ist es uns, wie unsere Sandpuppe nach der Sturzsimulation aus Tempo 100 mit den unterschiedlichen Outfits aussieht. Natürlich stellt man in der theoretischen Vorbetrachtung unseres Testablaufs die verschiedensten Thesen auf. Zum Beispiel, dass ein 300 Euro teurer Leder-Zweiteiler aus Asien gegenüber dem deutschen Renn-Einteiler aus fein gegerbter Känguruhaut nicht einmal annähernd das Wasser reichen kann. Oder dass sich die 1000 Euro Aufpreis eines Luxus-Textilanzugs gegenüber dem Mittelklassemodell in der entsprechend geringeren Lochgröße bemessen lässt. Die Wahrheit liegt dann im Halbstundentakt auf dem Asphalt. Surren, schurren, schauen. Im Verlauf des Tages verlieren wir dann durch das permanente Heben und Wuchten zwar genauso wie unser Sven an Spannkraft, doch der durchaus spannende Erkenntnisgewinn hält uns auf Trab.
Materiallexikon
Ein Materiallexikon ist inzwischen schnell gegoogelt. Wir wollen in dieser Übersicht aber ein paar Grundlagen, Fakten und Vergleiche zusammenstellen, damit Sie bei Ihrer nächsten Einkaufstour nicht vom stets bombastisch klingenden Fachchinesisch auf Jacken und Hosenetiketten erschlagen werden.
Leder: Die Standardkombi besteht immer noch aus Rindsleder, Känguru wird meist nur in höheren Preisregionen (ab 1000 Euro) eingesetzt – und selbst dann auch noch lange nicht flächendeckend. Meist geht es bei 30 bis 40 Prozent los. Nur im High-End-Sektor jenseits von 1500 Euro findet man reine Känguru-Lederkombis. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Rinds- und Känguruleder? Grundsätzlich ist die Faserstruktur beim Känguruleder enger verwoben bzw. in sich verflochten und verzahnt. Das bleibt auch bei intensiver Beanspruchung so – wogegen sich die Faserstruktur von Rindsleder bei Gebrauch zunehmend lockert. So lassen sich bei geringerer Dicke (1,0 bis 1,1 mm) im Vergleich zum Rindsleder (1,3 bis 1,5 mm) bessere Abriebwerte bei gleichzeitig geringerem Gewicht erzielen. Gleichzeitig hat Känguruleder nicht die Eigenschaft wie die Rinderpelle, dass es durch die Einwirkung von Nässe und Schweiß hart und brüchig wird bzw. schrumpft. Aufgrund der künstlich aufgebrachten Prägung (ein mechanischer Prozess beim sogenannten Zurichten des Leders) fällt es aber selbst Fachleuten schwer, nach dem Finishing inklusive Lackierung Rinds- und Känguruleder sauber voneinander zu unterscheiden.
Textil: Rund drei Viertel aller in Deutschland verkauften Motorradanzüge bestehen inzwischen aus reinen Kunstfasern. Diese Basisbegriffe sollten Sie dazu kennen:
Polyamid wird in der Regel als Gewebe für die Außenhaut verwendet. Polyamid hat die Eigenschaft, kaum Wasser aufzunehmen, sowie scheuer- und reißfest zu sein. Eine weitere Form ist Nylon, das aus einer Polyamid-Endlosfaser hergestellt wird. Das Problem von Polyamid: Der vergleichsweise geringe Schmelzpunkt von 250 Grad Celsius kann durch die Reibungsenergie beim Motorradsturz schnell erreicht werden.
Cordura ist eine besondere Variante von Polyamid und wird unter diesem Markennamen von der Chemiefirma Invista (ursprünglich DuPont) vertrieben. Das Gewebe aus geschnittenen und versponnenen Fasern ist gegenüber herkömmlichem Polyamid oder Nylon nochmals deutlich abriebfester. Knackpunkt bleibt aber auch hier der weiterhin geringe Schmelzpunkt.
Polyester ist vom Einsatzzweck Polyamid sehr ähnlich, ist aber weniger reißfest und schwerer. Meist das Universalgewebe für die Innenausstattung (Thermo-/Futterstoffe).
Denier wird mit D abgekürzt und bezeichnet das Fadengewicht pro 9000 Meter Länge in Gramm. Im Motorradbereich gilt 500D als Standard, 1000D wird meist als Verstärkung eingesetzt (was übersetzt heißt, dass aus 500 bzw. 1000 Gramm Ausgangsmaterial ein 9000 Meter langer Faden hergestellt wurde).
Aramid ist schließlich die unverzichtbare Kunstfaser, um das Gewebe mit einem Schmelzpunkt von 370 Grad hochtemperaturbeständig zu machen. Problematisch ist aber die UV-Beständigkeit. Aramid ist die Basis für Markengarne/-gewebe wie Kevlar, Armacor oder Keprotec.
Protektoren
Leder und Textil sollen beim Sturz vor bösen Schürfverletzungen schützen, gegen Knochenbrüche können nur gut sitzende Protektoren helfen. Die Betonung liegt wohlgemerkt auf „gut sitzend“. Denn was nützt der beste Protektor, wenn er beim Aufprall auf dem Asphalt weiß Gott wo herumschlackert, nur halt das Gelenk nicht sauber umfasst und die Stoßenergie entsprechend wegdämpft.

Grundsätzlich sollte zunächst beim Einkauf darauf geachtet werden, dass überhaupt korrekt zertifizierte Protektoren in den entsprechenden Taschen stecken. Meist informiert ein Etikett darüber, ob die Sturzpolster auch der korrekten Norm (EN 1621-1 für Gelenke, EN 1621-2 für den Rücken) entsprechen. Unsere sieben Fallbeispiele zeigen nämlich, dass in den unteren Preislagen meist nur ein Basisschutz für Schulter, Ellbogen und Knie eingesetzt wird. Für Hüfte und Rücken verwenden viele Anbieter lediglich ein Alibipölsterchen, das im Sturzfall rein gar nichts ausrichtet. Den vollen Schutz gibt es natürlich schon – nur der kostet dann entsprechenden Aufpreis. Wer sich nicht sicher ist, kramt tatsächlich mal den Protektor aus der Tasche (was man zum Waschen der Ausrüstung ohnehin machen sollte) und schaut sich die Kennzeichnung an. Zertifizierte Teile müssen mit entsprechender Norm gekennzeichnet sein, dazu sollten aber auch die Schutzgrößen zur eigenen Konfektionsgröße passen. Faustregel: Bei Gelenkprotektoren passt der Buchstabe A meist für Kinder und (kleine) Damengrößen, ab Herrengröße M oder 50 sollte Buchstabe B zu sehen sein.
Die Größe von Rückenprotektoren wird über den Schulter-Hüft-Abstand angegeben. Wer auf einen passgenauen Sitz Wert legt, sollte sich die Zeit nehmen, vorm Kauf das eigene Maß zu bestimmen. Das ist auch gleichzeitig eine gute Übung, um zu sehen, ob der Verkäufer auf Zack ist und etwas von der Materie versteht.
Seit knapp 20 Jahren gilt der Grenzwert von 35 Kilonewton (kN) beim Falltest von Gelenkprotektoren. Mehr Restkraft ist im Mittel nicht erlaubt. Nach Überarbeitung der Europanorm EN 1621-1 gibt es nun ein zweites, schärferes Schutzlevel von 20 kN. Der Stand der Technik ist inzwischen sehr viel weiter.
Das ist die neue PSA-Richtlinie
Die wichtigste Info vorweg: Nein, es wird keinen Tragezwang normierter Motorradbekleidung geben. Die PSA-Richtlinie 89/868/EEC, die gerade in den europäischen Institutionen überarbeitet wird, dient in erster Linie dazu, Schutzbekleidung als solche erkennbar zu machen. Sprich: Verbraucher können klar erkennen (z. B. durch das Logo hier links), ob die Textil- oder Lederkombi, der Handschuh oder Stiefel auch den klar definierten Schutzanforderungen fürs Motorradfahren entspricht. Für professionelle Motorradfahrer besteht diese Norm schon lange, im Zuge der Überarbeitung soll sie nun auch für normale Kradler anwendbar sein.
Interview zur PSA-Verordnung
Mirjam Messerschmidt (41) ist bei Detlev Louis zuständig für die Zertifizierung der hauseigenen Motorradbekleidung.
Europa macht nun Ernst mit der Schutzkleidungsnorm für Motorradfahrer. Was steckt dahinter?
Richtig ist, dass die neue Version der Verordnung für die „Persönliche Schutzausrüstung“, kurz PSA, demnächst verabschiedet werden soll. Die Änderungen sind auch notwendig geworden, da es bei der Umsetzung einiger Punkte in der Praxis Schwierigkeiten gab. Außerdem sollen die Regelungen nun übersichtlicher und klarer gestaltet werden.
Fahren wir bald alle in einheitlicher Ritterrüstung herum?
Da Experten aus allen Bereichen, von der Industrie bis zum Verbraucherschutz, an der neuen Version gearbeitet haben, wird sie hoffentlich einfacher umsetzbar sein und uns Entwicklern den notwendigen Spielraum lassen. Denn letztendlich muss die Bekleidung sowohl im kalten, regnerischen Norden als auch im warmen, sonnigen Süden Europas getragen werden können. Und ausgestattet werden müssen ja alle Zweiradfahrer – vom Rollerfahrer bis hin zum Motorradsportler. Man darf nicht vergessen, dass eine „Ritterrüstung“, die im Falle eines Sturzes zwar rundherum vor Verletzungen schützen kann, unter Umständen aber auch inakzeptable Nachteile hat: Ich denke an die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die schnelle Ermüdung durch hohes Gewicht oder die Gefahr der Überhitzung.
Lässt sich auch eine lässige Retrojacke normgerecht gestalten?
Die Vielfalt der Motorradbekleidung wird meiner Meinung nach erhalten bleiben. Es wird jedoch einige Produkte geben, die verbessert bzw. nachgebessert werden müssen. Auch werden einige Materialien und Konstruktionen, die nicht stabil genug sind, vom Markt verschwinden.
Was sind die schwersten Brocken, die nun bei der Entwicklung neuer Bekleidungsteile gestemmt werden müssen?
Für die Produktentwicklung bedeutet das vor allem mehr Zeitaufwand und mehr Kosten. Die Materialien und Konstruktionen müssen von den Zertifizierungs-Instituten geprüft und bestätigt werden. Ebenso auch das gesamte Bekleidungsteil. Vorher kann keine Produktion anlaufen. Nach der Veröffentlichung des Standards wird es einige Zeit dauern, bis die Umstellung an die neuen Anforderungen umgesetzt ist.
Inzwischen sind der Rundumschutz durch Protektoren oder Airbags keine Zukunftsmusik mehr. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Motorradfahrer-Ausrüstung in zehn oder 15 Jahren aus?
Für die Zukunft erwarte ich neue, haltbarere, aber auch leichte Materialien, die Motorradbekleidung komfortabler und bequemer machen. So wie im Moment der Trend bei Protektoren zu leichten und flexibleren Materialien geht. Der Airbag wird sich fest etablieren und in vielen Bereichen Einzug halten. Auch weitere Formen, zum Beispiel in Form eines Bein-Airbags, sind meiner Ansicht nach denkbar.