Richtig große Pötte bestimmen sein Leben, und diese Aussage bezieht sich nicht auf Karl Wiebesieks über 35-jährige Schwärmerei für die schwergewichtigen Dreizylinder von Laverda. Sondern auf seinen beruflichen Alltag in einer aufstrebenden ostfriesischen Reederei: Dort sorgt Karl als technischer Reedereiinspektor für die regelmäßige Wartung der Schiffe, organisiert Mechaniker, Teile, Liegeplätze oder Docks. Bei anstehenden Motorrevisionen muss er dann grundsätzlich auch einen Kran buchen, und dagegen machen es ihm seine Breganzer Drillinge eigentlich eher leicht.
Liebe auf den ersten Blick
Außerdem ist das nun mal so, dass er die Dinger mag. Nicht alle, nein, aber alle mit dem charakterstarken 180-Grad-Motor, bei dem die äußeren Kolben – anders als beim zuletzt angebotenen und etwas sanftmütigeren 120-Grad-Motor – parallel auf und ab rasen. Einen 1000er in dieser Konfiguration trägt auch seine erste Jota, 1982 auf der anderen Flussseite bei Yamaha- und Laverda-Händler Eddy Uden in Neukamperfehn gekauft, viel gefahren, nie hergegeben.

„War Liebe auf den ersten Blick“, zwinkert Karl, und er rätselt bis heute, warum seine Wahl damals nicht auf eine der großen Japanerinnen gefallen ist. Jedenfalls gedieh die Zuneigung so sehr, dass bald noch mehr Laverda-Triples in seiner Garage parkten. Was ihn jedoch nicht hinderte, den technischen Lauf der Welt zu verfolgen, und so geriet der passionierte Schnellfahrer alsbald auch noch in den Sog europäischer Spezialfahrwerke. 1990 zog die erste Egli bei ihm ein, dann eine zweite, bald folgten Bimota KB 1 bis 3, eine Martin mit BMW K 100-Motor und so weiter.
Die Jota war Liebe auf den ersten Blick
Manches dieser Schätzchen gab nur ein Gastspiel, denn Karl hat ja neben seiner Werkbank keinen Dukatenesel angekettet. Doch über die Jahre wahrte er stets eine sehr gute Balance aus Schraub-, Guck- und Fahrzeugen. Im Interesse dieser ausgewogenen Mischung konnte er denn auch nicht nein sagen, als er beim Auspuffbauer MAB in Itzehoe mal einen Bimota HB2-Rahmen rumliegen sah. In diese knapp gehaltene Gitterrohr-Konstruktion hatten die Riminesen zwischen 1981 und 1984 den Motor der legendären Honda CB 900 Bol d‘Or verbaut, und so was würde sich doch leicht irgendwo finden lassen. Dachte Karl, als er zugriff und dann einpackte. Auf der Heimfahrt jedoch keimte ein noch viel kühnerer Plan, und wer weiß, vielleicht trug daran jene Harris-Laverda – ebenfalls mit Giterrohrrahmen bestückt – eine Teilschuld, die er mal besessen und wieder abgegeben hatte. Als sein Heimathafen an der Emsmündung in Sicht kam, stand jedenfalls fest, dass Karl die erste Laverda-Bimota kreieren würde. Um endlich den Beweis zu liefern, dass die Herren Bianchi, Mori und Tamburini den norditalienischen Dreier zu Unrecht verschmäht hatten. BMW, Ducati, alle Japaner hatten sie verfeinert, nur Laverda nicht.

Natürlich wusste der Edelschrauber längst, dass die Motorblock-Maße des Triples aus Breganze und des Fours aus Hamamatsu gar nicht sooo weit auseinanderliegen. Trotzdem besorgte er sich erst mal einen leeren Motor. „Den kompletten Laverda-Dreier hebst du nicht eben so in ein Fahrgestell.“ Also doch wie bei den großen Pötten...? Egal, derart gerüstet, zeigte sich schnell, dass jene Aluminiumplatten, die den Bimota HB2-Rahmen nach hinten abschließen, die Schwingenachse aufnehmen und natürlich auch das Triebwerk mittragen, eine echte Herausforderung würden. Zu allem Überfluss münden in diesen Dingern auch noch die Rohre der vorn angemufften Rahmenunterzüge – ganz schön viele Funktionen für zwei Frästeile, ganz schön hohe Ansprüche an deren Perfektion. Karl Wiebesiek hat deshalb zunächst mit Holzmodellen gearbeitet, für das Endprodukt fanden sich zum Glück im Dunstkreis großer Pötte ein paar Leute, die auch Kleinkram können. Perfekt sogar, „aber fummelig war das schon“.
TÜV-Ingenieure wünschen alles Gute
Die Schwinge einer ziemlich aktuellen Benelli TNT wurde als Hinterradführung auserkoren, weil ihre Achsbreite perfekt zum Bimota-Layout passt. Schon die HB2 hatte ja weiland eine Zentralfederung mit Umlenkung besessen, jene der TNT-Schwinge ließ sich nach einigem Nachdenken und Umstricken einfach mit der unteren Motorhalterung verbinden. Fertig, das technische Gerüst dieses wahrlich gewagten Umbaus stand. „Da wusste ich: Es würde gehen“, berichtet Karl vom Ende dieser ersten Bauphase und atmet in Erinnerung noch mal tief durch. Alles Weitere würde sich ergeben. Aber auch Geld und Zeit kosten, weswegen er an diesem Punkt erstmals beim TÜV vorfuhr.

Dort zerschellte zwar der Plan, auch vorn eine moderne Radführung einzusetzen: „Mit einer Upside-down-Gabel war kein richtiger Lenkeinschlag drin.“ Aber grundsätzlich wünschten die TÜV-Ingenieure alles Gute. Vielleicht, weil sie historisch bewandert waren und sich erinnerten, dass Bimota just das Gitterrohr der HB2 damals als Universal-Rahmen konstruiert hatte, in den allein durch andere Halteplatten und Unterzüge jeder denkbare Vierzylinder einziehen konnte. So ja auch geschehen bei der fast parallel vorgestellten KB2 mit dem aufgebohrten 550er-Kawasaki-Motor. Auf möglichst geradem Weg, so die Philosophie des Hauses, sollten Lenkkopf und Schwingenlagerung verbunden werden, und das mit möglichst geraden Rohren. Folglich führen die Rohre außen um den Motor herum. Und damit sie vorn, vor dem Motor, nicht in rasantem Bogen zu einem konventionellen Lenkkopf streben müssen, integriert Bimota diesen. Was übrigens weniger Gewicht mit sich bringt als ein einseitig gehaltener Lenkkopf, der zur Stabilisierung jede Menge Knotenbleche benötigt. Den gewöhnungsbedürftigen Anblick mussten eh nur Mechaniker ertragen, denn im Normalfall dienten doch die nach vorn durchgesteckten Rahmenrohre gleich noch als Halter der allfälligen Vollverkleidung.
Der Bimota-Lenkkopf als Markenzeichen
Nur bei Karl nicht. Der ist nämlich bis heute derart überzeugt von dieser Konstruktion, dass er sie sehen wollte. Und zeigen. Also keine irgendwie angepasste Verkleidung. Nackt und unverfroren würde seine LB1 in die Welt gucken. Diese verwegene Idee bestimmte logischerweise alle weiteren Gestaltungsarbeiten: Wer vorne radikal technisch anfängt, darf hinten raus keinen schwülstigen Abgang hinlegen. Weswegen Karl durchaus stolz ist auf seine fast schwebende Höcker-Konstruktion, einfach oben auf den Bimota-Rahmen aufgeschraubt. Aber der Reihe nach. Die untaugliche Upside-down-Gabel ersetzt eine Marzocchi M1R mit kernigem Stabilisator oberhalb der Standrohre, die war auch in Ducatis Paso oder in Bimotas SB5 am Werk. Die Bimota HB2 hatte vor über 35 Jahren zwar zu den Pionieren der 16-Zoll-Welle gezählt, aber man muss ja nicht alle Dummheiten nachmachen. Bei Karl Wiebesiek drehen sich vorn wie hinten 17-Zoll-Räder. Ersteres entstammt einer Ducati Paul Smart Replica, Letzteres setzt sich aus Laverda-Trommel und Borrani-Hochschulterfelge zusammen. Beide sind mit modern dimensionierten, aber keineswegs überbreiten Reifen bestückt. Das Vorderrad verzögert eine Anlage aus gleich zwei Billet-Sechskolbenzangen, und die langt richtig hin, wenn die herrliche Brembo-Bremspumpe an der rechten Lenkerhälfte aktiviert wird.

Auf der anderen Seite trägt die LSL-Lenkerhälfte ebenfalls eine Brembo-Armatur, und zwar für die auf Hydraulik umgebaute, weil ansonsten kräftezehrend schwergängige Laverda-Mehrscheibenkupplung. Als zweite, ebenfalls weit verbreitete Änderung am innerlich serienmäßigen Motor wäre die elektronische Witt-Zündung zu nennen. Die Krümmer stammen aus dem Laverda-Zubehör und wurden auf eine Drei-in-zwei-Anlage umgeschweißt, bei den keck emporragenden Endtöpfen handelt es sich um gekürzte Exemplare einer Laverda Jota. Die neu gestrickte Elektrik wurde mit einer Moto Gadget-Box verknüpft. „Die spart“, so Karl, „manches Bauteil, muss man sich aber reindenken.“ Fehlt was? Klar fehlt was: Bei den filigranen Kunstwerken im Tankausschnitt handelt es sich um eine Batterie aus drei Mikuni-Flachschiebervergasern. Auf die setzt Karl in vollster Überzeugung, aber der Leichtmetalltank trägt nicht deshalb seine markante Kerbe, um diese Überzeugung sichtbar zu machen. Er lacht: „Der Laverda-Motor ist eben richtig hoch. Der guckt nach oben vier, fünf Zentimeter weiter über den Rahmen raus als der von Honda.“ Ein klassisches Arrangement hätte weit in den Himmel gebaut, und deshalb pflegt Karl nun, wenn er will, Knieschluss mit den Ansaugtrichtern. Elf Liter passen in diese selbst erdachte und schließlich von Tankbauer Friedhelm Lammers in Wietmarschen gefertigte Tankskulptur. „Reicht. Ich will da ja nicht mit in Urlaub fahren...“ Aber fahren, das schon.
Tauglich für Landstraßen
Die Sitzposition hat sich der groß gewachsene 57-Jährige lässig-versammelt entworfen. Tauglich für Landstraßen eben, und dort macht auch seine gesamte Maschine eine richtig gute Figur. „Man könnte sagen: Laverda fahren leicht gemacht.“ So hört sich das an, wenn Ostfriesen ins Schwärmen geraten. Oder wenn sie Eigenlob vermeiden möchten, aber Karl kann gar nicht anders, als das Handling seiner LB1 zu preisen. Klar spielen da 30 Kilo Gewichtsersparnis gegenüber einem mindestens 240 Kilo schweren Original eine Rolle. Aber auch die viel gelobte Geometrie des Bimota-Fahrwerks. Die lange Schwinge übrigens macht sich nicht negativ bemerkbar. „Wieso denn?“, fragt Karl, „hat doch heute jede.“ Stimmt, und der Radstand von 1.510 Millimetern fällt auch nicht aus dem Rahmen. „Das wirkt nur so, weil ich das Motorrad oben rum sehr kurz gemacht hab. Der kleine Tank, der kurze Höcker.“ Nee, nee, passt schon, und so bleibt als einziger Verbesserungswunsch ein Wilbers-Federbein. Die Dämpfung des mit der Benelli-Schwinge übernommenen Federbeins reicht nicht aus. Das lässt sich doch machen.

Zumal die TÜV-Prüfungen mittlerweile auf einem guten Weg sind. Bald darf Karl sein Werk ohne rote Nummer auf der Straße zeigen. Im Februar musste er sich auf eine Messehalle beschränken: Der Mann ist gut vernetzt und mit seinen Laverda-Klassikern auch den Machern der Bremen Classic Motorshow stets willkommen. Da hat er neben Jota und 3C dann einfach seine LB1 hingestellt. „Mal hören, was die Leute so sagen.“ Ob sich einer über den am äußersten Rahmenausleger verankerten Ölkühler aufregt oder über den Bosch-Scheinwerfer darüber. Vor allem die immer wiederkehrende verdutzte Frage genießen: Was ist das denn? Ebenso regelmäßig schlug die Ver- dann aber in Bewunderung um, weil zunächst mal die gefundenen technischen Lösungen überzeugen. Weil alles von tadelloser Handwerksarbeit kündet. Weil man diesem Motorrad ansieht, dass es nicht Kunst um der Kunst willen sein soll. Ein Aufreger, ja, aber im ganz und gar positiven Sinn und obendrein von jemandem gemacht, der doch offensichtlich auch klassisch kann und zu den Bewahrern zählt. Am Ende jedenfalls hat Karl seine Laverda-Flotte zufrieden wieder im Transporter verladen. Dazu benutzt er übrigens gern eine kleine Seilwinde. Denn es sind und bleiben eben doch ziemlich dicke Pötte, die Drillinge aus Breganze.