Motorradtour Bayerische Seen
Seen-Hopping zwischen 26 Seen

Vom Großen Alpsee bis zum Königssee durchziehen sie wie eine Kette aus blauen Perlen das sattgrüne bayerische Voralpenland. Autor Klaus H. Daams steuerte 26 dieser sehenswürdigen Seen an und verband sie zu einer schmucken Tour. Ein atemloses Hop-on/Hop-off auf Motorradsträßchen, die alles andere als schnurgerade aneinandergereiht sind.

Motorradtour Bayerische Seen
Foto: Klaus H. Daams

Holla, die Waldfee, so lässt man sich aus der niederrheinischen Tiefebene die bayerische Willkommenskultur gefallen! Übermütig wie die Dorfschöne in der Disco tanzt die Straße von Immenstadt nach Missen bergan. Wer kann da widerstehen? Während du dich am Großen Alpsee auf Deutschlands längster Ganzjahres-Rodelbahn noch geärgert hast, weil der vor dir in seinem Sommerschlitten vor den Kurven jedes Mal langweilig abbremste, haben wir jetzt, zurück auf den Motorrädern, endlich freie Fahrt durch die Allgäuer Bergwelt. Und noch 25 weitere Seen vor uns, sodass hier gar kein Platz ist, jeden See in epischer Breite zu beschreiben. Ganz zu schweigen von den kurvigen Strecken zwischendurch. Deshalb nur diese kurze Nummern-Nummer, ergänzt durch die Übersicht (in MOTORRAD 6/2021, Seite 124).

Unsere Highlights

Türkisblauer Niedersonthofener See

Natürlich hättest du schon gleich am Großen Alpsee oder an einem der anderen Seen unterwegs stranden und einen chilligen Badetag einlegen können. Außerdem wäre statt vier Tagen auch eine ganze Woche oder mehr für diese Tour angemessen. Wir sind hier aber eher als Chronisten und Appetitanreger unterwegs, sind rastlos und nicht in betulicher Ausflugslaune. Daher heißt es also jetzt: Avanti, avanti Ducati!

Bei Rieggies sturztrunken, nur vor Sekundenglück, hinab ins Panorama aus türkisblauem Niedersonthofener See, kurzes Intermezzo mit roten Ampeln in Kempten und vorbei am leicht zu übersehenden Öschle See zum Rottachsee, dem größten Badesee im Oberallgäu. Ein kurzer Sprung ins Wasser immerhin sitzt drin im goldenen Abendlicht, welches sogar noch bis zum nahen Grüntensee reicht, dann ist es dunkel. Und wir notorische Spät-zum-Abendessen-Bremser sehen vom Weißensee nur sein Abbild auf dem Navi, das uns schließlich ins Hotel nach Füssen lotst.

Hopfensee und Allgäuer Riviera

Frühstück ab 6.30 Uhr, da freut sich der frühe Vogel, der gerne das Morgenlicht einfängt – zuvor aber am Buffet noch in einen asiatischen Heuschreckenschwarm gerät. Bis die Kulturhungrigen per Bus weitereilen zu den Königsschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau. Nicht unser Ziel heute. Stattdessen: Im Frühtau zu Berge wir fahr’n, fallera! Jetzt um den Hopfensee. Auf der bäuerlichen Westseite sattgrüne Wiesen, durchschlängelt vom grauen Asphaltbändchen, am nobleren Nordufer der sogenannten Allgäuer Riviera sieht man Spätfrühstücker auf ihren Hotelterrassen "on the seaside". Wassertemperatur rund 15 Grad, Wagemutige hüpfen schnell noch mal ins kühle Nass. Worauf man am benachbarten Forggensee momentan verzichten sollte, wurde der vom Lech gespeiste See wegen Sanierungsarbeiten am Staudamm doch nicht wie sonst im Frühjahr geflutet. Gedanklich tief versenken kannst du dich in die fantastischen Fresken des Weltkulturerbes Wieskirche bei Steingaden.

Motorradtour Bayerische Seen
Klaus H. Daams
Staffelsee: Bademöglichkeiten und Bergblick – lässt sich hier beides gut miteinander zu verbinden.

Aber wer will sich dafür schon den Hals verrenken, wenn der liebe Gott – oder ist’s doch der Föhn? – den Himmel blitzblank geputzt hat. Unter dem zudem der unsterbliche Desmodue-V2 dir die Seele massiert. Boxenstopp am Bayersoiener See vorm Fischerhäusl, einem knuffigen Kiosk direkt am Ufer. Das Leben kann so schön einfach sein. Die Landschaft: inspirierend. So entstand hier bei Murnau vor gut hundert Jahren die lockere Künstlervereinigung Blaue Reiter um die Maler Wassily Kandinsky und Franz Marc. Deutlich älter noch, auf einem Hügel über dem Riegsee, steht die Mesnerhauskapelle Aidling, welche nach einer Sage eine Kultstätte der Frühlingsgöttin Ostara sein soll. Freizeitkultur dann an den Biertischgarnituren des Seerestaurants"Alpenblick" in Uffing am Staffelsee. Das Kaiserwetter dort füllt Gläser und Kassen, während anderswo Bauern aufgrund der Trockenheit große Ernteausfälle beklagen.

Ammersee, Pilsensee, Wörthsee, Starnberger See

Mit der Black Beauty aus Bologna geht es via Spatzenhausen und durch den Pfaffenwinkel zum Ammersee, einem der "Großen" unter den bayerischen Seen. Mit, logo, Segelschule und Strandbädern sowie Besucherlawinen aus Augsburg und München. Aber auch am Nordostufer mit dem Abzweig zum kleinen Pilsensee und dem Hotel "Alter Wirt", einer gemütlichen Oase in Seefeld-Hechendorf vis-à-vis dem Pfarramt St. Michael. Animiert von den Kirchenglocken, die auch nachts schlagen, denn "das ist Tradition", wie der Pastor sagt, läutet die Duc den neuen Tag ein.

Erst Aufwärmrunde um den Wörthsee, dessen Ufer, wie die vom Pilsensee, für die Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich sind. Dann Kaffeepause in Andechs, und zwar nicht im bierberühmten Kloster, sondern im "Paradies der Bohnenbrüher", einer Kaffeerösterei im Ortsteil Erling, immer der Nase nach. Hübsch hügelig über Traubing und Trutzing weiter zum Starnberger See, ein Star sozusagen unter den bayerischen Seen. Er ist der größte See der Region, in der angeblich die glücklichsten Menschen Deutschlands leben – und die meisten Millionäre. Nur zum Motorradfahren taugen die oftmals zugebauten Uferstraßen nicht wirklich. Das gilt auch für die Osterseen, zwanzig kleine Moorgewässer bei Iffeldorf, die erwandert werden wollen, zum Beispiel ab Iffeldorf mit Start am Cafè Vitus, einem französisch angehauchten Bistro.

Links Kochelsee, rechts Knieschleifer

Antdorf, Sindelsdorf, Schlehdorf: geradewegs – na ja, wohl eher kurvigwegs – auf den Alpenkamm zu. Und auf die Kesselbergstraße zwischen Kochelsee und Walchensee. Trotz Tempo 60, Überholverbot und Wochenendsperrung für Motorräder von Kochel Richtung Süden kesselt es dort noch immer gewaltig. Neben einem Parkplatz an der ehemaligen Bergrennstrecke findet sich sogar eine echte Schaukurve: links der Kochelsee tief unten im Wald, rechts Knieschleifer, auch ganz, ganz tief unten. Cool-down am Walchensee, etwa beim Eisessen oder einfach beim Scrambler-Surfen entlang des naturbelassenen Westufers. In Wallgau Halse danach weiter gen Osten und auf schmalem Mautsträßchen entlang des urwüchsigen Isartals zum Sylvenstein-Stausee. Sunset und"Seerotonin" pur.

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Klaus H. Daams
Nomen est omen, denn es "kesselt" auf der Kesselbergstraße, wenn auch inzwischen stark reglementiert.

Anschließend schräger Spaß am Achenpass, autofrei allerdings wohl abends nur, und wieder eine Odyssee durch die Dunkelheit – sorry, Tegernsee und Schliersee, wir hätten euch lieber bei Tageslicht bestaunt. "Hallo, wach!" aber dennoch am Spitzingsattel mit einigen Serpentinen als Betthupferl vorm Einchecken in der Gundl Alm am 1.100 Meter hoch gelegenen Spitzingsee. Die umliegenden Berge sind im Sommer ein Eldorado für Mountainbiker, im Winter für Snowboarder und Skifahrer.

Sudelfeldpass und Tatzelwurm

Da die Straße vom Spitzingsee weiter nach Valepp für den motorisierten Verkehr gesperrt ist, pilgern wir via Spitzingsattel und Bayrischzell gleich weiter zum kurvigen Mekka der hiesigen Szene: Sudelfeldpass und Tatzelwurm mit Motorradtreff Schnauferl Wirt 1123, ehemals Café Kotz. Aber Achtung unterwegs: Blitzer und Bitumen! Freiwillig also in den Blümchenpflück-Modus dann zwischen Tatzelwurmfällen und Oberaudorf, Nußdorf und Achenmühle. Die schnuckeligen Sträßchen durch Landschaft sind einfach zum Liebhaben und eigentlich viel zu schade für rastloses "Fast forward".

"Wie warm ist denn das Wasser?", fragt eine Badenixe ausgerechnet uns, die wir in vollem Motorradklamotten-Ornat am Ufer des winzigen Tinninger Sees stehen – und berichtet nach einer geschwommenen Runde: "Och, so 18 bis 19 Grad, da kann man noch wunderbar schwimmen." Was wohl ebenso für den benachbarten, deutlich größeren Simssee gilt; und selbst ohne Badezeug im Gepäck fühlst du dich dort nicht deplatziert: Am Südufer bei Ecking lockt gleich neben Badesteg und Bootsanleger der Biergarten vom Seewirt zum Päuschen. Sogar Zimmer wären frei. Wozu es heute um 17 Uhr natürlich wieder viel zu früh ist. Zumal wir ausnahmsweise vorgebucht haben, in Schönau am Königssee.

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Klaus H. Daams

Ein feines Fleckchen Erde, zweifellos. Der wie ein norwegischer Fjord von steilen Felswänden eingefasste Königssee zieht jährlich rund eine Million Besucher an mit dem weltberühmten Panorama der Wallfahrtskapelle St. Bartholomä am Fuße des Watzmanns. Und mag die deutsche Autoindustrie in Sachen E-Mobilität momentan auch etwas hinterherhinken: Bereits seit 1909 treiben Elektromotoren die Rundfahrtschiffe über den See an. Auch schon frühmorgens, aber herrgottsakra, da lauschen wir schon wieder den Auspufftrompeten der Scrambler beim Schlussspurt zurück gen Norden.

Auf dem Autobahnparkplatz an der A 8 mit Blick auf den Chiemsee ist Zeit für ein Resümee. So gerne manche Leute über Bayern, also speziell den FCB und das "Mia san mia", auch lästern mögen, muss man neidlos zugeben, dass es landschaftlich nix zu meckern gibt am Freistaat. Der seine wunderschönen Seen übrigens einer "Einwanderungswelle" verdankt, nämlich den Gletschern in der Würm-Eiszeit, die sich von den Alpen einst ins Land geschoben und die dabei entstandenen Mulden schließlich mit Schmelzwasser gefüllt haben.

Die komplette Tour, die Seen-Favoriten des Autors, Infos zur Anreise, Reisezeit, Unterkunft sowie zu Literatur und Karten stehen im Reisebericht in MOTORRAD 6/2021

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023