Jutta und Lea, Mutter und Tochter, Harley und Buell, Däne und Mark: Ja, auf der Anreise vom Ruhrpott nach Tønder ist genügend Zeit für Pingpong-Wortspiele unterm Helm. Bis wir, Jutta auf ihrer Dyna Super Glide, Tochter Lea auf ihrer XB9R Firebolt und ich auf der Sport Glide, kurz hinter der deutsch-dänischen Grenze bei Flensburg zu einer gemeinsamen Tour auf landschaftlich schönen Nebenstrecken entlang der Margeritenroute starten. Durch Jütland, von einem Hotdog, Pardon: Hotspot zum nächsten.
"Man muss ein Gefühl für den Sand entwickeln"
Nach einer Nacht im Hotel Tønderhus ertönt als Morgenkonzert nicht wie zu Hause monoton-bräsiges Taubengegurre, sondern frisch-freches Möwengeschrei. Genau die richtige Einstimmung auf unsere erste Station heute, die über einen neun Kilometer langen Damm mit dem Festland verbundene Wattenmeerinsel Rømø. "Watten geiler Strand", finden die einen, "Was für ein Frevel", vielleicht die anderen. Der kilometerlange, mehrere hundert Meter breite Strand ist frei befahrbar, von Autos wie von Motorrädern.
"Man muss ein Gefühl für den Sand entwickeln, ich konnte nicht viel schneller fahren, sonst fing die Harley an, mit dem Arsch zu wackeln und hinten zu schwänzeln", lacht Jutta. Strahlend ergänzt Lea: "Am Anfang hatte ich Angst, ob das geht, aber dann, je schneller ich fuhr, desto ruhiger und besser lief es mit der Buell, so ab dem zweiten Gang war es dann megacool. Und wann hast du schon mal Gelegenheit, so am Strand und dicht am Wasser entlangzufahren? Ist echt lustig." Wir sitzen vorm Roland-Grill, einer rot-weißen Imbissbude am Dünengürtel. In der Hand leckere Fischbrötchen, über dem Meer die bunten Schirme der Kitesurfer. Extra für die Biker aus Tyskland spielt Denis, Fritteusen-Chef und zugleich Strand-DJ, "Highway to Hell" – und schmeißt dazu noch ’ne Runde doppelter Pommesschalen für die Seitenständer, um die Buell und Harleys vor einem unrühmlichen Touchdown im Sand zu bewahren. Tusind tak.
Hafenstadt Esbjerg
Nächster Aufschlag: Fanø. Diesmal per Fähre (70 DKK/ca. 9,50 Euro pro Motorrad hin und zurück) zur vor der Hafenstadt Esbjerg liegenden, aus einer Sandbank entstandenen Insel. Mitte Juni geht dort immer die (Luft-)Post ab beim weltweit größten Kiteflyer-Meeting mit rund 4.000 Drachenfliegern. Statt einen auf Hans Guck-in-die-Luft zu machen – es ist August und am Himmel kaum was los –, lassen wir beim Mopedtausch die Milwaukee-Eisen ein wenig fliegen. Danach Jutta zur Sport Glide: "Die hat ja gar keinen Sound, ist überhaupt keine Harley mehr." Na ja, brave 91 zu kernigeren 94 dB(A) der Super Glide, diese aber auch nur mit dB-Killern – damit ist die Sache für AC/DC- und andere Heavy-Metal-Fans längst klar.
Von Fanø schnell noch mal zurück nach Ribe zum bereits vorgebuchten Hotel Dagmar, der ältesten Herberge Dänemarks, erbaut 1581. Echt hyggelig, urgemütlich. Für 20 Uhr haben wir dort einen Tisch bestellt, sodass der traditionelle Rundgang mit Nachtwächter durch die kopfsteingepflasterten Altstadtgassen für uns ausfällt. Volle Dröhnung Geschichte aber anderntags in Ribes Wikingermuseum. Mannomann. Vom Totenschädel mit Spuren von Schwerthieben über das Runenalphabet und die Hexenverbrennung bis zur Sonderausstellung zur dänischen Flagge, dem Dannebrog, reicht der historische Stoff.
Margeritenroute durch eine wunderschöne Heidelandschaft
Moderne Klimamembranen sind auf unserem weiteren Weg nach Norden gefragt. Alternativ die schon fast antiquarische rot-weiß-türkisene Regenpelle von Vattern, die Lea nun übers schnieke Schwabenleder zieht. Fotostopp daher nur vor der Skulptur "Der Mensch am Meer", vier weiße Riesen aus Beton an der nördlichen Peripherie von Esbjerg. Danach führt die Margeritenroute durch eine wunderschöne Heidelandschaft nebst panzerkettendurchfurchtem Truppenübungsplatz und vorbei an dem Skelett eines gestrandeten Pottwals im Nymindegab Museum bis an den Ringkøbingfjord. Dieser 40 Kilometer lange Küstensee ist durch einen schmalen Landstreifen von der Nordsee getrennt und ein tippitoppi Surfrevier, auch und besonders für Anfänger, da selbst mehrere Hundert Meter vom Ufer entfernt das Wasser nur hüfttief ist. Als wären es tief ins Gesicht gezogene Mützen, lugen die reetgedeckten Dächer von Ferienhäuschen aus den welligen Dünen. Und als wäre es ein amerikanischer Highway, cruisen wir auf der 181 zwischen Fjord und Meer schnurstracks nach Ringkøbing zum Fjordgaarden, Wellnesstempel und Quartier für die Nacht.
Samstagmorgen. Wir hangeln uns nun an der Ostseite des Ringkøbingfjords entlang, verlassen dabei für eine Weile die Margeritenroute und queren Jütland mit Etappenziel Vejle. Auch jenseits der Route mit dem weiß-gelben Blütensymbol warten lohnende Ziele. Zunächst das Dänische Flugzeugmuseum auf dem kleinen Flugplatz von Stauning. Zu sehen sind beim Spaziergang durch luftig hohe Hallen über 60 Flieger, von der Ellehammer Replica, Nachbildung eines filigran-zerbrechlichen Apparates aus dem Jahr 1906, über eine Hornet Moth von 1935, ältestes flugfähiges Gerät Dänemarks, bis zur F-100 D Super Sabre, Jagdbomber aus dem Kalten Krieg.
Legoland, Bohrinsel, Installationsschiff für Windanlagen
Inzwischen ist es draußen muckelig warm und sonnig geworden, sodass wir voller Vorfreude wieder starten. Die Straße torkelt wie beschwipst von einer Kurve zur nächsten durch die Landschaft, als hätte sie zur Verkostung von Hochprozentigem Station in der nahen Whisky-Destillerie Stauning gemacht. Eine willkommene Einladung an die V2-Ballermänner zu zeigen, dass sie nicht nur zum Traben taugen. Endlich kann Lea der Firebolt mal die Sporen geben und wir bei Risbjerg ein Wiedersehen mit der Margeritenroute feiern. Ein Déjà-vu der besonderen Art dann im Legoland Billund. Das breite Eingangstor aus riesigen Legosteinen sieht aus, als seien die bunten Klötzchen zusammen mit uns im Laufe der Jahre gewachsen. Happig allerdings die Eintrittspreise der phantastischen Miniaturwelt: Für drei Personen inklusive Parkgebühr sind umgerechnet 170 Euro zu berappen. Schluck! Danach: Staun! Über "unser" vorgestern verlassenes Ribe, älteste Stadt Dänemarks, 704 gegründet und hier aufgebaut aus 553.000 Legosteinen. Was nichts ist im Vergleich zu den 2,1 Millionen für Amsterdam verwendeten Steinchen. Bewundernswert ist auch eine Bohrinsel sowie ein Installationsschiff für Offshore-Windanlagen. Und so weiter und so fort im bunten Labyrinth der Miniaturen und Erinnerungen. Zurück zu unseren Spielgeräten, weiter nach Vejle ins multifunktionale Torvehallerne, zugleich Hotel und Eventlocation. Beim Feierabendbier erzählt Jutta von ihrem ersten Motorradurlaub in Südfrankreich, als sie, damals 18, am Strand geschlafen hat "mit dem Arm um den Seitenständer", damit niemand ihre Yamaha XS 400 klauen konnte. Und Lea, von den Eltern schon früh mit dem Motorradbazillus infiziert, erklärt, dass sie die Firebolt ausgesucht hat, weil sie eben "ein Mädchen ist – und also die Maschine gut aussehen (und natürlich auch gut fahren) muss".
Endspurt. Von der durch Kattegat und Kleinen Belt begrenzten Ostküste Jütlands aus kann man, mit genug Muße im Gepäck, der Margeritenroute auch auf die Inseln Fünen, Ærø und Langeland folgen. Unser Trio bleibt dem Festland treu, schnuppert dabei aber immer wieder mal an der Küste. Zum Beispiel südlich von Kolding am Strand von Hejlsminde, wo Juttas Spürnase sogar nach Bernstein sucht, leider vergeblich. Oder östlich von Haderslev am winzigen Hafen von Årøsund: Dort bekommen Jutta und Lea fotogene Gesellschaft von Camilla, einem blau-weißen Fischkutter. Und schließlich auf der Nehrung Drejet, der schmalen Zufahrt zur Halbinsel Kegnæs, die das "Tahitian Teal" der Sport Glide mit dem Blau der Wasserflächen links und rechts der Straße um die Wette leuchten lässt. Und wer in Sønderborg wetten möchte, ob die Namensgeberin dieser Reise anwesend ist, muss wohl im Stadthafen am Als Sund Ausschau halten. Nach der vor Anker liegenden "Dannebrog", schwimmende Residenz von Königin Margrethe.