Die Bundesstraße 266 ist der Trichter. Er saugt dich und dein Motorrad ein und spuckt euch in den ersten Höhenzügen der Eifel wieder aus. Westlich dieser Asphalt-Trasse, die schnurgerade wie eine riesige Landebahn ganze Dörfer zerschneidet, ziehen sich sanft geschwungene Hügel bis an den Horizont, wie in der Toskana. Östlich davon sind die Täler schon enger, die Berge höher, das Klima rauer. Je weiter man nach Süden vordringt, desto ausdruckskräftiger wird die Topografie.
Gänsehaut, Verzweiflung und Neugier
Als ich vor 30 Jahren das erste Mal von der wilden Eifel verschluckt wurde, empfand ich direkt nach dem Verlassen der Autobahn eine Mischung aus Gänsehaut, Verzweiflung und Neugier. Meine Suzuki wirkte wie eine Zeitmaschine, die mich in ein Land verbannt hatte, in dem alles anders, alles wie früher war. Viel hat sich an diesem Gefühl bis heute nicht geändert. Halt, vielleicht doch: Genuss ist dazugekommen und Wohlfühlpotenzial. Geblieben ist der Respekt. Vor den Kurven, die gefährlich wirken, auch wenn sie es nicht sind. Vor denen, die sich dir verführerisch vor das Motorrad werfen und leicht erscheinen. Die abenteuerlich enden können, weil sie auch den Gegenverkehr verführen.
Nationalpark Eifel an den Rursee
Deswegen kann es sich lohnen, abzuwarten, bis der Strom kurvengieriger Motorrad-Horden aus den Niederlanden, aus Belgien und vor allem aus dem Ruhrgebiet abgeflossen und sich in die Täler und Höhen verteilt hat. Denn gleich am ersten Höhenzug der Eifel bedeutet warten ja, tatsächlich etwas zu erleben. Im Freilichtmuseum Kommern beispielsweise zwei, drei Stunden herumzuwandern, bringt Entspannung, aber auch das Abenteuer der Bildung, des Einblickes in die Eifel-Vergangenheit. Mental und durch leckere lukullische Lokalerzeugnisse gestärkt, setzt man sich wieder auf die Maschine und folgt kleinen Sträßchen durch den Nationalpark Eifel an den Rursee. Etliche Routen führen rund um die weitverzweigten Wasser diverser Staubecken. Und alle sind Achterbahnen. Steil geht es rauf und runter, temperamentvoll schwingt die Straße von rechts nach links, hin und wieder blitzen prächtige Panoramen auf. Alles potenzielle Bergrennstrecken, doch davon wollen die Behörden verständlicherweise nichts hören. Deswegen ersticken immer mal wieder Speedlimits aufkeimende Schräglagen-Orgien im Keim. Doch selbst innerhalb dieser Beschränkungen sind die Strecken noch unterhaltsam zu fahren, und Gelegenheiten zu würzigen Stopps gibt es immer. Die Erbsensuppe im Kloster Mariawald ist legendär. Danach könnte man rüberschwingen nach Südosten. Käme vielleicht durch Gmünd oder Schleiden. Spätestens jetzt lässt sich aber nicht länger leugnen, dass Mitte Juli des Jahres 2021 Bernd hier war. Und Bernd hat richtig Mist gebaut. Er war ein großes, fieses, infolge einer Trogwetterlage ortsfestes Tiefdruckgebiet, das sich unerlaubt aus dem Jetstream-System abgekoppelt hatte und Dinge tat, die sich andere Eifel-Tiefs in tausend Jahren nicht getraut hatten. Die Niederschlagsmengen, die Bernd absonderte, brachen alle Rekorde und sorgten für eine apokalyptische Wasserflut, die sich besonders im Nordosten der Eifel verheerend auswirkte.

Viele Ortschaften an der Ahr, am oberen Teil der Erft, an Nette und Nitzbach, an der Rur und an ihren Nebenflüssen Inde, Merzbach, Vichtbach und Wurm wurden vernichtend getroffen. Aus unschuldigen Bächlein wurden reißende, rheinbreite Ströme mit unfassbarer Gewalt, quasi horizontale Niagara-Fälle. Als Bernd sich ausgetobt hatte, waren 160 Menschen ertrunken, Hunderte Gebäude, darunter viele landschaftsprägende, uralte Fachwerkhäuser unterspült, von den Fluten mitgerissen oder beschädigt. Dazu kaputte Straßen, Brücken, Bahnlinien. Das Terror-Tief sorgte für die größte Zerstörung von Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg. Von der Jahrtausendflut sind Narben geblieben, die vielleicht für viele Jahre sichtbar bleiben, aber Bernd hat es trotz aller Bemühungen nicht geschafft, der Eifel ihre landschaftliche, streckentechnische Vielfalt und Schönheit zu nehmen, er hat es nicht geschafft, die Einheimischen zu entmutigen. Die machen weiter, bauen auf und sagen: "Jetzt erst recht." Deswegen kann man jetzt wieder fast überall hinfahren und bezeugen, dass Menschen sich freuen, wenn Motorräder vorbeikommen, mal anhalten und den Tourismus unterstützen.
Kurvensträßchen auf Eifelhöhen problemlos befahrbar
An den klassischen Motorrad-Treffs entlang des Ahrtals haben sie das schon immer getan. Im "Café Fahrtwind" in Hönningen beispielsweise, wo jetzt schon ganz viel wieder aufgebaut wurde. Mirko, der Betreiber des beliebten Treffs, konnte sich vor den Fluten auf das Dach des Gebäudes retten, weil die sonst so malerische Ahr, die sich in schicken Schleifen durch die Landschaft windet, unter dem Einfluss des bösen Bernd auch sein Haus überflutete. Ein Schicksal, mit dem Mirko nicht allein war. Einige Kilometer stromabwärts liegt das "Café-Bistro Ahrwind" in Ahrbrück. Sein Chef Jochen Retzmann berichtet, dass die Ahr in der Katastrophennacht sieben Meter Wasserpegel hatte und den Biker-Treff rücksichtslos umgestaltete. Nicht zuletzt dank der tatkräftigen Hilfe vieler Motorradfahrer erinnert optisch nur noch wenig an die Horrornacht. Die seelischen Schäden allerdings sind unsichtbar. Auch knapp anderthalb Kilometer westlich des völlig verwüsteten Ortskerns der Gemeinde Schuld hatte Bernd versucht, mit dem "Haus Waldfrieden" einen weiteren beliebten Motorrad-Treff auszulöschen. Das ist ihm nicht gelungen. Rita und Peter Schaffron, die den Laden schmeißen, haben große Teile des Gebäudes bereits saniert und damit sowohl Corona als auch Bernd die Stirn geboten.

Die zahllosen idyllischen Kurvensträßchen auf den Eifelhöhen entsprachen ohnehin nicht Bernds Beuteschema, sind alle ohne Kompromisse schön und problemlos wie immer befahrbar. Und sie sind ein echtes, unvergessenes Erlebnis. So wie die Ansammlung von Spaghetti-Asphalt links und rechts jener Strecke, die am "Haus Waldfrieden" startet, bei Superbikern einen legendären Ruf genießt, in Rheinland-Pfalz noch L 75, ab der Grenze zu Nordrhein-Westfalen dann L 165 heißt und in weiten, schnellen Bögen hoch zur Wasserscheide führt. Überhaupt ist das Grenzgebiet zwischen Rheinland-Pfalz und NRW Garant für gehobenen Motorrad-Genuss. Orte wie Wehrshofen, Fuchshofen, Reifferscheid, Harscheid und die möglichen Verbindungen zwischen ihnen, dynamische Haarnadelkurven wie zum Beispiel jene von Sierscheid runter nach Insul sind echte Asphalt-Kleinode, für die man selbstredend immer wieder zurückkommt in die wilde Eifel.
Auch das Nonnenbachtal und die Berglandschaften bis runter nach Stadtkyll mit so charmanten Mittelalter-Örtchen wie Kronenburg halten Straßen bereit, die alle so verschieden sind, dass man meint, permanent in ein anderes Land zu fahren. Oder auf einer Zeitmaschine zu sitzen. Eine solche wäre die ideale Waffe der Eifel im Kampf mit den Elementen. Ob es jetzt terrorisierende Tiefdruckgebiete sind oder einer der seit Langem quasi täglich erwarteten großen Vulkanausbrüche. Doch in Wahrheit braucht die Eifel keine Waffe, weil sie vielfach bewiesen hat, über welch ungeheure Vitalkräfte sie verfügt. Bernd konnte ihr letztlich nichts anhaben, auch mit ihren Narben erblüht sie schöner als je zuvor. Fahrt einfach hin, lasst euch einsaugen und überzeugt euch selbst!