Swank Rally Sardegna: 3-tägige Rallye über 1.200 km

Swank Rally di Sardegna Dreitägige Rallye über 1.200 Kilometer

Die Swank Rally di Sardegna ist eine der letzten Veranstaltungen in Europa, bei der man zu vertretbaren Kosten die romantische, analoge Navigationstechnik mit Papier noch zelebrieren kann. Eine dreitägige Rallye über 1.200 Kilometer, die Sportenduros, Youngtimer, 125er und stollenbereifte Vespa gleichermaßen anzieht.

Swank Rally Sardinien Bearoll
Swank Rally Sardinien
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Für unheilbar romantische Rallyefans, die schon in den Achtzigern von der Dakar träumten, gibt es bei der Swank Rally di Sardegna jetzt die Originalhelden von damals, in echt und zum Anfassen. Wie etwa Franco Picco. Dreimal stand er auf dem Treppchen am Lago Rosa im Senegal, nie als Sieger, aber mit 65 Jahren tut er immer noch das, was er wahrscheinlich am besten kann: mit einem Roadbook vor dem Lenker ganze Kontinente und Länder durchqueren.

Swank Rally di Sardegna mit Franco Picco

Bei der Swank 2020 konnte man mit ihm auf einer Gilera RC 600 um die Wette fahren. Oder mit der 1990er-Cagiva Elefant, der Siegermaschine von Edi Orioli und heute pilotiert von Filippo Bassoli, Ex-Chef von Deus Ex Machina und seit 2020 Marketingchef von MV Agusta. Nach dem Prolog auf der trockenen Piste war aber Schluss für die #92, dann kam das nationale Heiligtum wieder ins Museum.

Infos und Anmeldung zur Swank Rally unter adventureriding.it oder deutschsprachig bei motourismo.com

Italien, du hast es (manchmal) besser! Die Leichtigkeit des motorsportlichen Seins gibt es hier immer noch an jeder Ecke zum Anfassen und Mitmachen, neben weiteren Klassikern wie Yamaha Ténéré 600, Honda XL 600 LM und einer Aprilia Tuareg 250 sind auch Custombikes wie zum Beispiel eine Yamaha XSR 700 Scrambler von Deus dabei.

Teilnahme einer Vespa 125 Primavera

Komplettiert wird das Starterfeld von einigen Dakarpiloten der Neuzeit wie Alessandro Botturi. Den Vogel schießt aber der 25-jährige Italiener Henry Favre auf seiner Vespa 125 Primavera ab: Der junge Held scheitert mit der geringen Motorleistung beim Prolog an den Steilauffahrten der ehemaligen Motocross-WM-Strecke am gleichnamigen Mailänder Flughafen Malpensa. Kein Problem, es zählt der olympische Gedanke, und die italienischen Spielregeln würden nie jemanden aus dem Sandkasten verbannen, der mit so viel "Passione", also Leidenschaft, dabei ist. Der Junge ist leidensfähig, hat 2018 auf einem Ciao-50-Mofa den amerikanischen Kontinent durchquert!

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Henry Favre auf seiner Vespa 125 Primavera. Was zählt, ist der olympische Gedanke.

Sich selbst nicht immer so ernst nehmen und nur zum Spaß dabei sein – das sagen sie alle. Wenn aber das Bestaunen und Begrapschen der historischen Rallyebikes vorbei ist, die Roadbookseiten zusammengeklebt sind und schließlich in der Gebetsmühle vor dem Lenker eingelegt sind und endlich die erste Taste am Tripmaster gedrückt wird … spätestens dann wird das Rallyefieber getriggert, und der Virus lässt alle, die einmal Motorradrennen gefahren sind, nie mehr los.

Urlaubssaison vorbei, Corona-Panik macht Pause

Zum Warmfahren schickt Organisator und Dakar-Veteran Renato Zocchi die rund 80 Teilnehmer von Mailand aus über 280 Kilometer durch die Reisfelder der Provinzen Pavia und Alessandria und schließlich über die Berge des Apennin zum Hafen von Genua. Kurz vor dem Etappenziel gibt es noch die erste Sonderprüfung, steinig und anspruchsvoll über 13 Kilometer, dann folgt die nächtliche Fährpassage nach Porto Torres. Urlaubsfeeling stellt sich ein, Picco erzählt an der Bar von den ersten stürmischen Überfahrten von Sète nach Algier am ersten Januartag der Achtzigerjahre. Nach mehreren Regentagen empfängt uns die leere Ferieninsel mit herbstlicher Kühle. Die Urlaubssaison ist vorbei, die Corona-Panik macht gerade Pause, und auf der staubfreien Etappe in Richtung Südwesten betört die mediterrane Macchia mit Lavendel, Thymian, Myrte und Rosmarin die Sinne.

Die 294 Kilometer bis nach Arborea haben es in sich, besonders die rund 25 Kilometer lange Sonderprüfung in der "Foresta di Burgos", dem größten zusammenhängenden Waldgebiet auf der Insel. Zwischen den Korkeichen haben sich vor Jahren schon Aspiranten auf den Rallye-WM-Titel verfranzt, weil unzählige Wege das Gebiet kreuzen und man wie in einem Irrgarten mit dem klassischen Roadbook und Tripmaster auf zehn Meter genau navigieren muss. Im Rennfieber folgen die meisten Favoriten den Spuren der Vorausfahrenden, bis sie alle zusammen im Nirgendwo stehen und nichts mehr geht. Ein klassischer Anfängerfehler, vor dem auch Profis nicht gefeit sind. Das Adrenalin vernebelt die Sinne, die Emotionen kochen hoch, wenn jemand vorne fährt, und ruckzuck ist der Abzweig verpasst und man fährt – gemeinsam – immer tiefer ins Nichts.

Swank Rally ist keine mediterrane Motorrad-Ergotherapie

Um wieder auf die richtige Spur zu kommen, nehmen die Heißsporne eine Abkürzung, die bei der Auswertung am Abend durch die installierten Tracker ans Licht kommen wird. Durch die dreistündige Zeitstrafe für alle Beteiligten setzt sich eine kleine Vent-Baja-125er an die Spitze der Wertung, denn Alberto de Bernardi navigierte fehlerfrei durch das Labyrinth aus Korkeichen. Nach der Verbindungsetappe über 180 Kilometer sind die meisten Fahrer erst einmal platt, ganz besonders jene, welche die Swank Rally als mediterrane Motorrad-Ergotherapie nutzen. Genau der richtige Spielplatz, um aus der glitzernden Geschäftswelt Mailands mit lauter schönen und superchic gekleideten Menschen mal auszubrechen. In der Hauptstadt der Lombardei ist nichts cooler als eine besudelte Maschine, möglichst noch ein Klassiker mit Offroadreifen, am Montagmorgen vor dem Büro geparkt. In der Kaffeepause erstarren die geleckten Kollegen in Ehrfurcht, wenn der Startschuss zum "Benchracing" erfolgt: "Ihr wisst ja, ich hätte die Dakar locker fahren können, wenn ich wirklich gewollt hätte, aber die Karriere war mir wichtiger, die Maschine muss ja gelegentlich wieder bewegt werden …" Eben, die Leute müssen sich ja auch mal wieder spüren!

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Auf den Feuerschneisen in Sardinien zwischen dem mediterranen Gebüsch gibt es unglaublich viele Abzweigungen, die manchmal direkt in einer steilen Auf- oder Abfahrt münden

Und spüren kann man sich hier wirklich, die tagesfüllenden Etappen geben die Möglichkeit, mit der Maschine zu verschmelzen, mit dem Motorrad eins zu werden. Körper-Geist-Maschine auf der Suche nach dem richtigen Weg, dabei als Ruhepol immer das Meer im Blick. Denn das Fahren nach Roadbook kann extremer Stress werden: Auf den Feuerschneisen in Sardinien zwischen dem mediterranen Gebüsch gibt es unglaublich viele Abzweigungen, die manchmal direkt in einer steilen Auf- oder Abfahrt münden. Deshalb ist das konzentrierte Navigieren so wichtig, hier geht es nicht nur um Rechts-Links, sondern zusätzlich auch um Oben-Unten. Navigation in 3-D sozusagen.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich die Kilometerzahl des nächsten Bildes laut wiederhole, um bloß nicht den Abzweig zu verpassen. Wenn die Landschaft mit dem Roadbook wieder eine Schnittmenge bildet, stellt sich Erleichterung ein, aber dann kommt schon wieder das nächste Suchbild zur Schnitzeljagd! Erst am Ende der Etappe weitet sich der Tunnelblick, und ich bin völlig leer im Kopf, so, als hätte ich den ganzen Tag mit Kostenkalkulationen in Excel verbracht.

Kurzzeitgedächtnis im Overflow, Game over im Cockpit

Den anderen geht es ähnlich. Im Zeitalter von Google Maps haben viele Teilnehmer die manuelle Navigation völlig unterschätzt: Kaum einer der Rallye-Amateure hat noch die Geduld, sich lange auf die Instrumente zu konzentrieren, irgendwann steigt das Gehirn aus und kann die Indikationen des Tripmasters nicht mehr mit den Piktogrammen auf dem Roadbook verknüpfen. Rechts wird plötzlich zu Links und die Kommastellen fangen an zu wandern, das Kurzzeitgedächtnis im Overflow und Game over im Cockpit! Klassisches Rallyefahren ist eine antike Kunst geworden, die in der extrem kurzlebigen Zeit nur noch wenige wirklich beherrschen. Analoger Stress aus einer anderen Zeit, dabei sind die Sonderprüfungen so kurz, dass der elektrische Motor des Roadbooks kaum richtig warm wird.

Endlich entspannte Urlaubsstimmung auf der dritten Etappe im südwestlichen Iglesiente, der wilden und an Bodenschätzen reichen Region. Hier wurde seit der Römerzeit und noch bis in die Siebzigerjahre Bergbau betrieben. Heute sind fast alle Minen stillgelegt und prägen das Bild der schroffen Gebirgszüge und Steilküsten, die unvermittelt zum Meer abfallen. Nach der kurzen Sonderprüfung über zwölf Kilometer ist Zeit für nicht ganz ungefährliche Erkundungen in den einsturzgefährdeten alten Minen von Montevecchio und Ingurtosu. Die Schutzzäune um die Anlagen sind längst dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen und die postapokalyptische Atmosphäre übt auf viele Teilnehmer eine magische Anziehungskraft aus. Der lockere Zeitplan lässt endlich auch Muße zum letzten Mittagessen, direkt am Meer in einem der wenigen noch geöffneten Restaurants.

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Pene­tranter Dauerregen verwandelt die Pisten zum Teil in Rutschen.

Pene­tranter Dauerregen vermiest die Romantik auf den letzten 80 Kilometern bis in Ziel. Die Pisten haben sich zum Teil in Rutschpartien verwandelt, und vor allem die Fahrer der schweren Adventurebikes sind gefordert. Dafür sind die Pisten auf der Insel am letzten Rallyetag staubfrei und perfekter Grip lädt noch mal so richtig zum Gasgeben ein. Auch die letzte Sonderprüfung über sieben Kilometer durch die Dünen von Bosa Marina hat es in sich: Während die ersten Fahrer die außergewöhnliche Traktion auf dem durchnässten Sand für eine flotte Heizerei genießen können, finden die Nachzügler nur noch tiefe Spuren auf der achterbahnähnlichen Strecke vor, die besonders den Fahrern der großen Maschinen hart zusetzen.

Am Ende gewinnt eine 125er

Später, bei der Kaffeepause in Mailand, werden sich die Erzählungen anhören, als habe man gerade den libyschen Murzuk durchquert … Der wirkliche Held der Swank Rally 2020 ist aber Alberto de Bernardi, der die kleine 125er-Vent mit sieben Minuten Vorsprung als Erster ins Ziel gerettet hat. Beim Prolog in Malpensa hatten alle noch beschworen, dass sie kein Interesse an den Ergebnissen hätten, nur so zum Spaß gekommen seien. Am Ende von einer 125er geschlagen worden zu sein – das tut den meisten dann aber doch weh. Wie werden sie das nur den Kollegen in Mailand erklären?

Teilnahme an der Swank Rally Sardegna

Im Jahr 2017 organisiert die Cus­tom-Schmiede Deus ex Machina in Anlehnung an den "Distinguished Gentlemen’s Ride" die ersten Ausgaben der Swank Rally: kurze Enduroveranstaltungen im Herzen Mailands, mit ausgefallenen Klamotten und möglichst ungeeigneten Bikes auf Industriebrachen oder im Inneren des Highspeed-Ovals von Monza. Die erste Swank Rally di Sardegna wird 2019 zusammen mit Renato Zocchi gestartet, einem der ersten italienischen Dakar-Teilnehmer (1984) und Organisator der Rally di Sardegna (1984 bis 1993). "Swank" steht frei übersetzt übrigens für "chic", "protzen" oder "Angeber".

28. September bis 3. Oktober 2021

Gestartet wird entweder in der Disziplin "Swank Experience" (offen für alle Fahrer und Maschinen, ohne Wertung, Navigation mit GPS oder Roadbook) oder in den sportlichen Kategorien "Swank Rally R 1" sowie "Swank Rally R 2" für Maschinen, die vor res­pektive nach dem Jahr 2000 produziert wurden. Die "Rallye"-Kategorien erfordern eine Wettbewerbslizenz des nationalen Motorsportverbands und Roadbook-Navigation, die Zeitnahme erfolgt autonom, jeder Fahrer trägt die Start- und Zielzeit selber in seine Stempelkarte ein. Die nächste Rallye soll vom 28. September bis 3. Oktober 2021 stattfinden. Im Preis (für Frühbucher ab 890 Euro) sind mit eingeschlossen: Roadbook, GPS-Track, Fähre mit Kabine, Übernachtungen/Halbpension auf Sardinien sowie professionelle Assistenz unterwegs. Infos und Anmeldung gibt es unter adventureriding.it oder deutschsprachig bei motourismo.com, Kooperationspartner unseres MOTORRAD action teams.

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