100 Jahre EICMA
Salongeschichten

Die wichtigsten Motorradmessen feiern Jubiläum: Die INTERMOT in Köln ist nun 50 Jahre alt, der Mailänder Salon EICMA begeht 2014 gar sein 100-jähriges Bestehen. Nicht nur die Modelle und die Besucher haben sich in dieser Zeit grundlegend verändert.

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Foto: Deiner

Lediglich eine amerikanische Rinderschau vermasselt der EICMA den Rekord als älteste jährliche Wirtschaftsausstellung der Welt. Das versichern zumindest die Veranstalter der Mailänder Motorradmesse, die dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag feiert und statt Messe lieber Mailänder Salon genannt werden möchte: Eine Messe sei ja eine Veranstaltung, bei der die ausgestellten Produkte auch verkauft würden; auf einem Salon dagegen treffe sich eine Branche, um ihre Weltneuheiten zu zeigen. Ein Salon also. Das klingt nach vornehmer Gesellschaft, salonfähigen Umgangsformen und wortgewandten Salonlöwen. Genau so dürfte sich die erste Ausgabe der EICMA abgespielt haben, fand sie doch vom 29. April bis 22. Mai 1914 im Salon des Hotels „Kursaal Diana“ statt, einem piekfeinen Jugendstilhaus mit Gourmet-Restaurant, Schlittschuhbahn und sogar elektrischem Licht.

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Kurz vorher hatte Ford in den USA die Fließbandproduktion und den Mindestlohn eingeführt, Bosch in Deutschland den ersten elektrischen Anlasser für Autos präsentiert. Im Januar 1914 hatte Alberto Garelli mit einer selbst gebauten 350er mit Zweitakt-Doppelkolbenmotor den tief verschneiten, fast 2000 Meter hohen Mont Cenis zwischen Frankreich und Italien bezwungen und damit international Furore gemacht. Die Zeit war reif für eine Ausstellung in Sachen Mobilität. Für die Zielgruppe, reiche junge Männer, legte der Veranstalter einen kleinen, feinen Ausstellungs­katalog auf. 26 Motorradbauer und -importeure finden sich in der Liste, darunter bereits Triumph aus England und als deutscher Vertreter NSU.

Auf dem Weg, das wichtigste Motorrad-Event der Welt zu werden

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stoppte die Ausstellung für mehrere Jahre, erst 1920 fand sie wieder statt, diesmal beim Mailänder Fahrradclub. Auch in der Folgezeit wechselte der Veranstaltungsort immer wieder. In den 30er-Jahren traf man sich bei der Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste, später im Kunstpalast, wo die EICMA bis 1952 blieb. Wegen des Booms in der Nachkriegszeit reichte der Platz dort aber nicht mehr aus, der Salon zog aufs Messegelände in der Mailänder Innenstadt um. Doch kurz darauf war es mit den fetten Jahren vorbei, Europa wollte fortan lieber Auto als Motorrad fahren. In der Folge fand der Mailänder Salon ab 1957 nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre statt, im Wechsel mit der Motorradausstellung in Köln (damals IFMA, heute INTERMOT).

Erst 1997 kehrte die EICMA zum jährlichen Rhythmus zurück, mit dem eindeutigen Ziel, zum wichtigsten Motorrad-Event der Welt zu werden und die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Seither gibt es in geraden Jahren zwei Großveranstaltungen für Motorradneuheiten: im Oktober die INTERMOT in Köln, im November die EICMA, inzwischen auf dem futuristischen neuen Messegelände in Rhó im Norden Mailands angesiedelt. Im Ringen um immer mehr Besucher und Aussteller hat sich der Mailänder Salon in hundert Jahren stark gewandelt, nämlich von der vornehmen Veranstaltung für wenige Auserwählte zum aufsehenerregenden Ereignis für die ganze Motorradszene – und darüber hinaus. „Wir wollen das volle Spektrum zeigen und auch ein Publikum anziehen, das bislang gar nicht an Motorrädern interessiert war“, sagt Messedirektor Pier Francesco Caliari (siehe Interview).

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Insgesamt rund 25 Millionen Besucher

Eine 360-Grad-Veranstaltung nennt er das, bei der Industrie und Publikum gleichermaßen auf ihre Kosten kommen sollen. So beherbergt die EICMA neben der eigentlichen Ausstellung heute den Bereich Green Planet zum Thema Elektromobilität, dazu eine Custombike-Show sowie die spektakuläre Außenveranstaltung „Motolive“ mit Supermoto- und Crossrennen, Freestyle- und Trial-Akrobatik-Shows. Ergänzend kommen Veranstaltungen außerhalb des Messegeländes hinzu, organisiert von Herstellern, Händlern, Restaurants und Bars. „Im letzten Jahr gab es 25 Feste rund um den Salon“, erzählt Caliari. „So steht für die ganze Stadt eine Woche lang das Thema Motorrad im Vordergrund.“ Für die vergangenen 100 Jahre vermeldet die EICMA beeindruckende Rekorde: insgesamt rund 25 Millionen Besucher, mehr als 5000 Weltneuheiten, eine Ausstellungsfläche von zwei Millionen Quadratmetern. Nur der Rekord als älteste jährliche Wirtschaftsausstellung der Welt bleibt wohl weiter der Rinderschau in den USA vorbehalten.

Interview Pier Francesco Caliari

„Das ist so ähnlich wie Sex im Internet“

Pier Francesco Caliari, 53, ist seit 2011 Generaldirektor der ANCMA (Verband der italienischen Zweiradhersteller) und der Mailänder Motorradausstellung EICMA, die jedes Jahr im November stattfindet.

Über Motorradneuheiten kann man sich heute bestens im Internet informieren. Hat da eine Motorradmesse überhaupt noch ihre Berechtigung?

Aber unbedingt! Im Internet kann man das Motorrad nur sehen, aber nicht anfassen, nicht Probe sitzen, seine Ausstrahlung nicht spüren. Das ist so ähnlich wie Sex im Internet – angeblich geht das ja auch, aber die Emotionen bleiben weitgehend auf der Strecke.

Sehen Sie das Internet als Konkurrenz?

Nein, überhaupt nicht. Ich persönlich halte es für die größte Erfindung seit der Schrift, es lässt uns kommunizieren, und Kommunikation ist die Basis des menschlichen Miteinanders. Wer nicht kommuniziert, führt Krieg, das war schon immer so.

Aber in Bezug auf die EICMA?

Da sehe ich das Internet als großartige Ergänzung. Es macht den Leuten ja erst richtig Lust, nach Mailand zu kommen, die Motorräder wirklich zu erleben. Und natürlich gibt es immer Menschen, die gern kommen würden, aber aus dem einen oder anderen Grund nicht können. Denen bieten wir im Internet alle Infos und natürlich auch Atmosphäre direkt von der EICMA. Wir als Mailänder Salon kämpfen nicht gegen das Internet, wir nutzen es vielmehr in vielfältiger Hinsicht.

Seit Sie EICMA-Chef sind, haben Sie ungewöhnliche Werbekampagnen gestartet, mit Rittern, Surfern, Mutter und Kind. Warum?

Ich weiß sehr wohl, dass manche Motorradfahrer diese Kampagnen merkwürdig finden. Aber wenn wir überleben wollen, müssen wir raus aus unserem Gärtchen und versuchen, für andere attraktiv zu werden. Daher wenden sich unsere Kampagnen ganz bewusst an junge Menschen, an Leute, die andere Sportarten betreiben, wie eben Surfen, oder an die vielen Frauen, denen Motorräder gefallen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Fahren zurückschrecken. Wir müssen unser Publikum erweitern, als Hersteller genau wie als Salon.

Sie haben auch früher schon in der Motorradbranche gearbeitet, waren unter anderem Pressechef von Ducati. Fahren Sie immer noch Motorrad?

Na klar. Ich habe eine Harley Fatboy Slim. Zum einen, weil sie mir wirklich gefällt, zum anderen, weil ich mit einem italienischen Motorrad garantiert bei den konkurrierenden Herstellern anecken würde. Und das möchte ich natürlich vermeiden.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023