3000-Euro-Bikes Hyosung GT 650 S und Kawasaki ZL 900 Eliminator
Praxistest im Berufs- und Stadtverkehr

Nun ist es so weit: Vernunft und Wahnsinn, äh, Hyosung GT 650 S und Kawasaki ZL 900 Eliminator sind endlich fahrfertig und werden in die weite Welt geschickt. Ein Berufspendler und ein Stadtverkehr-Guerillero bekamen die beiden unterschiedlichen Maschinen mit nach Hause. Ob das gut ging?

Praxistest im Berufs- und Stadtverkehr
Foto: Dentges

Der Berufspendler und die Hyosung GT 650 S

Dentges
MOTORRAD- Fuhrparkleiter Rainer Froberg, 49, fährt mit wechselnden Maschinen täglich über 100 Kilometer. Auf die sportliche Hyosung lässt er sich mit Spannung ein.

Eine Harley Road King und ein seltener Youngtimer sind mein Eigen, doch für den täglichen Arbeitsweg eignen sich diese Stühle leider überhaupt nicht. Als Fuhrparkleiter habe ich aber die Freiheit, äh, ich meine natürlich die Pflicht, verschiedene Testmotorräder ausgiebig zu prüfen. 52 Kilometer einfacher Weg sind es von meiner Haustür in Ursenwang bei Göppingen bis nach Stuttgart-­City. Der Weg führt über ein paar kleine Käffer auf die Schnellstraße B10, ab Plochingen gibt es oft Stau, dann umfahre ich das Chaos über geheime Nebenstrecken.

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Übliches Tempo: von Schrittgeschwindigkeit bis etwa 130 km/h. Eigentlich gute Testbedingungen. Wenn mich ein Motorrad besonders interessiert oder emotional anmacht, nutze ich den Rückweg mit einigen Extraeinlagen über die Schwäbische Alb. Dann spule ich dreistellig runter und weiß sofort Bescheid: Sahnestück oder Gurke. Ich nehme die Schlüssel der Hyosung GT 650 S vom Brett, bin neugierig. So einen Hobel haben wir schließlich nicht alle Tage da. Kollege Luca Leicht, der die Maschine an Land zog, schwärmte vom jungen Baujahr und der geringen Laufleistung. Unter 5000 Kilometer! Von den Eckdaten her macht die Maschine auch einen guten Eindruck, die müsste mich also gut heimbringen.

"Im Normalbetrieb okay, auf Holperstraßen eher unschön"

Doch beim Anlassen benimmt sich die Beinahe-Neumaschine etwas merkwürdig. Ich drücke den Starterknopf, und: öddel, öddel, öddel – nichts. Noch mal: öddel, öddel – wieder nichts. Erst jetzt erkenne ich, dass dieses Motorrad, wohlgemerkt Baujahr 2009, Vergaser statt Einspritzung besitzt und dass mit Choke gestartet werden muss. Finde ich nicht mehr zeitgemäß, aber gut: Choke raus, öddel, öddel, hüstel, hüstel, sprotz, brumm – endlich läuft der Viertakter, wenn auch mit ein paar Verschluckern.

Die Klangkulisse des Zweizylinders ist allerdings nicht so der Hit, irgendwie klapperig, damit kann man aber leben. Raus aus der Stadt läuft zunächst alles prima. Die Maschine liegt auf der kurvigen Weinsteige stabil in Schräglage, und auf der Autobahn bei Highspeed zuckt sie nicht, wunderbar! Also: im Normalbetrieb alles okay.

An den Grenzen der Erträglichkeit

Aber rauf zu meinen Lieblingsstrecken auf der Alb gibt es Holperstraßen, auf denen die Hyosung sofort an die Grenzen des ­Erträglichen kommt: Deutliches Aufstell­moment, Druckpunkt der Vorderradbremse wandert, beim Herausbeschleunigen in Bergkehren müht sie sich ab, braucht zu häufig die Drehzahlpeitsche. Nicht schön. An den kommenden Wochentagen nehme ich jedenfalls keine freiwilligen Umwege mehr. Ich frage mich: So was kaufen? Klare Antwort: Nein. Für gut 2500 Euro fände ich für meinen Arbeitsweg einen passenderen Lastesel, wohl eher ein gepflegtes Japan-Moped. Vermutlich ein langweiligeres und wohl auch deutlich älteres als die Hyosung, aber der Korea-Exot wirkt auf mich sehr unausgereift und versprüht zu wenig Flair.

Der Stadtguerillero und die Kawasaki ZL 900 Eliminator

Dentges
Gerd Mayer, 38, leitender Grafiker, hat schon im Job genug Stress und will nicht auch noch im Berufsverkehr wertvolle Zeit liegen lassen. Die ZL 900 für ihn: eine echte Geduldsprobe.

Mein Scooter Kymco DJ 125 S ist ein hochpräzises Skalpell für die „Operation Stadtverkehr“. Bei roter Ampel auf die Pole Position vorfahren, bei Grün vorneweg düsen, und dort, wo ich mich nicht durchschlängeln kann, geht es selbst zu Fuß nicht weiter. Und nun soll ich eine Woche lang die Eliminator ausprobieren. Einen Ofen, der im vollgestopften Stadtverkehr völlig fehl am Platz ist. Ich bin mehr als skeptisch.

Erster Eindruck nach Probefahrt: bleischwer, übermotorisiert, unhandlich und wegen des ergonomisch fragwürdigen, weil komisch gekröpften Zubehör-Lenkers zudem noch unbequem. Die ersten Meter bergab durchs ruhige Wohnviertel verlaufen noch ganz gut, aber auf der als Durchfahrtstangente genutzten, viel befahrenen Stadtteilhauptstraße mit Straßenbahnschienen stelle ich fest, was für einen Klotz ich ans Bein gebunden bekommen habe. Unvermittelt auftauchende Ein- und Ausparker und alle naselang eine Fußgängerampel stressen mich schwer.

Der Stempel des notorischen Gesetzesbrechers

Die dank nachgerüsteter Ochsenaugenblinker übermäßige Fahrzeugbreite verhindert das Durchschlängeln an Ampelstaus effektiv. Nervige hochfrequente Vibrationen in jedem Drehzahlbereich, der Sound ein bloßes Geschepper. Der Fahrstuhleffekt des Kardans ruft das Baujahr wieder ins Gedächtnis. Zudem stinkt die Karre penetrant nach Sprit. Vor dem Wagenburgtunnel,
einem berüchtigten Nadelöhr im Stuttgarter Berufsverkehr, strande ich vollends. Null Durchkommen, ich muss mich hinter allen wartenden Autos anstellen, Mannomann, ich komme jetzt schon zu spät zur Arbeit!

Aber es gibt auch andere Erlebnisse. Mit meinem Taiwan-Scooter bin ich unauf­fällig unterwegs, mit der Eliminator? Unmöglich! Sie drückt einem den Stempel des notorischen Gesetzesbrechers auf. Die ZL polarisiert. Die einen runzeln die Stirn, finden sie total daneben. Die anderen finden sie cool. Das sind meist Leute, die bei der Kinopremiere von „Mad Max 1” im Jahre 1980 schon volljährig waren. Wie der Fahrer des Handwerker-Transporters, der mich an der Ampel mit Gasstößen und hochgereckten Daumen zum Dragsterstart überreden will. Ich tue ihm den Gefallen, denn für irgendwas muss dieser unzeitgemäße Dinosaurier auf zwei Rädern ja gemacht sein.

"Ich will meinen Roller zurück!"

Wenn die Bahn tatsächlich mal frei ist, dann macht die Kawa echt Spaß. Martialisch drauflosballern, mit Vollgas vorwärts, plötzlich verwandelt sich das Motorgeschepper zu Vierzylinder-Viertakt-Dolby-Surround. Und es stinkt nicht mehr, es duftet nach Benzin. Obwohl – ganz schön heftig, was da in die Nase steigt. Ich blicke zum Benzinhahn herunter. Der Sprit spröttert pulsierend in Richtung Motorblock, undichte Membran? Wohl besser in die Werkstatt, Ende der Dienstfahrt. Ich will meinen Roller zurück – zwar weniger Abenteuer, aber auch weniger Stress.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023