Es faucht, wummert, röhrt, trompetet und brüllt, jeweils auf ganz eigene Art. Doch wie kommen Motorräder zu ihrem charakteristischen Sound? Bei vielen Herstellern kümmern sich inzwischen absolute Spezialisten um die richtige Klangkulisse.
Es faucht, wummert, röhrt, trompetet und brüllt, jeweils auf ganz eigene Art. Doch wie kommen Motorräder zu ihrem charakteristischen Sound? Bei vielen Herstellern kümmern sich inzwischen absolute Spezialisten um die richtige Klangkulisse.
Früher entstand der typische Motorradsound eher zufällig: Die Motorenleute holten so viel PS wie möglich heraus, der Klang ergab sich von selbst. Doch dann kamen die Geräuschnormen. Was vorher so kraftvoll aus kaum dämpfenden Auspufftöpfen tönte, wurde im Namen des Gesetzes zu einem erstickten Säuseln kastriert. Das nervte nicht nur die Fahrer, sondern auch die Hersteller: Der Ton, so ihre Erkenntnis, macht auch bei Motorrädern die Musik. Dumpfes Bollern, tiefes Grollen und heiseres Fauchen wecken Emotionen - wem nach dem Druck auf den Startknopf wohlige Schauer über den Rücken laufen, der kauft gleich viel bereitwilliger.
Den Vorreiter gab Harley-Davidson. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre kümmert sich die Firma intensiv um das richtige Blubbern ihrer Zweizylinder und versuchte 1994 sogar, sich das in Amerika als "potato, potato" bekannte Leerlaufbollern schützen zu lassen, wenn auch ohne Erfolg. Harleys Beispiel machte Schule. Inzwischen unterhalten fast alle Hersteller Abteilungen namens Sound-Design, Sound-Engineering oder Sound-Quality, alle mit dem gleichen Ziel: den Klang ihrer Motorräder eingängiger und gefälliger zu machen.
Grundvoraussetzung ist dabei wohl oder übel das Einhalten der Geräuschnormen. Daneben haben die auf Akustik spezialisierten Ingenieure zwei Aufgaben. Sie sollen zum einen unangenehme Eigengeräusche des Motorrads eliminieren oder zumindest dämpfen und zum anderen aus den Schalldämpfern einen harmonischen Klang hervorlocken. "Mach die Mechanik möglichst geräuschlos, aber lass den Auspuff so tief und laut klingen wie es irgendwie geht", fasst Gary Gray vom kleinen US-Hersteller Victory das Credo der Firma zusammen. Um das zu erreichen, unterwirft Victory seine V2-Riesen akribischen Frequenzanalysen, sowohl am Computer als auch im Labor. Sämtliche Fahrwerkskomponenten werden so ausgelegt, dass ihre Eigenfrequenzen durch die Motorvibrationen nicht etwa noch angeregt werden. Statt rasselnder Ketten verwendet Victory im Motor Zahnradtriebe, für den Endantrieb einen Zahnriemen und baut Gehäuse mit fingerdicken Wandungen - alles mit dem Ziel, die Bässe aus dem Auspuffanlage in den Mittelpunkt der Klanggeschehens zu rücken. "Für unsere Kunden ist der Klang genauso wichtig wie andere Attribute. Sie wollen auch hier maximalen Genuss", begründet Gray den Aufwand.
Dass die Kunden in Sachen Klang immer anspruchsvoller werden, weiß man natürlich auch bei BMW. Um unerwünschte Vibrationen oder Eigenfrequenzen zu eliminieren, bedienen sich die Bayern vieler raffinierter Hilfsmittel. Das aufwändigste ist der Akustikwindkanal. Der erzeugt geräuschfrei einen Luftstrom mit Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h. Was an Geräuschen entsteht, wird also vom getesteten Objekt verursacht. Auf dem Motorrad sitzt ein Dummy mit genormtem Kunstkopf, wie ihn Akustiker weltweit für Laborversuche verwenden. Sobald die Techniker die Turbine anwerfen, werden die Windgeräusche digital aufgenommen - und zwar so, wie der Fahrer sie hört. "Aus der Windgeschwindigkeit und den Frequenzen der Pfeifgeräusche können wir die Breite der Spalte errechnen, die sie erzeugt, und sie als Störgeräuschquelle gezielt eliminieren", erzählt Akustik-Ingenieur Michael Schmalenberger.
Selbst den Beifahrer bezieht BMW in die sogenannte "Soundfindung" ein, denn auch er soll nichts Unangenehmes auf die Ohren kriegen. Wobei der Aufwand hier vom Modell abhängt: Bei einem Supersportler wie der S 1000 RR, die meist im Solobetrieb gefahren wird, hält er sich in Grenzen, bei einem Tourendampfer wie der K 1300 GT erhöht sich der Stellenwert dieser Messungen beträchtlich. Die Kür für Schmalenberger kommt dann, wenn er und seine Kollegen sich als Soundkomponisten betätigen dürfen. Bei BMW tun sie das schon lange, wie das Beispiel des Cruisers R 1200 C beweist, der 1997 auf den Markt kam: "Wir haben damals spezielle Bleche im Auspuff angebracht, um die Bässe dumpfer und damit typisch für einen Cruiser zu machen", erinnert sich der Ingenieur.
Grundsätzlich beginnt die Konzeption des Klangs aber längst, bevor der erste Prototyp gebaut wird, nämlich mit der Berechnung eines neuen Modells am Computer. Berücksichtigt werden dabei im Wesentlichen die drei Komponenten, aus denen sich das Geräusch zusammensetzt: Das Ansaugen der Luft, die mechanischen Geräusche des Motors und die Auspuffanlage. Dreh- und Angelpunkt ist eine aufwändige dreidimensionale Software, wie Stefano Tarabusi von Ducati am Beispiel der neuen Multistrada erklärt. An deren Schalldämpfer fand er bereits per Computerberechnung eine Schwachstelle, an der es zu Vibrationen und damit zu unangenehmen Frequenzen kam.
Eine Überprüfung mit Sensoren und Beschleunigungsmessern bestätigte sein Ergebnis; die Stelle wurde verstärkt, die Vibrationen verschwanden. Allerdings bildet Ducati ansonsten eine Ausnahme im Chor der Motorradmarken, denn im Gegensatz zu anderen Herstellern versuchen die Italiener nicht, die mechanischen Geräusche zu unterdrücken: Das "Pompom" als typischer Rhythmus, das leichte Nageln der Desmodromik, das harte Klopfen des Kurbeltriebs sind den Ingenieuren genauso heilig wie der Kundschaft. Bei anderen Komponenten geben sich die Entwickler viel Mühe, mechanischen Lärm zu unterdrücken, stoßen aber nicht immer auf Gegenliebe, wie Tarabusi aus Erfahrung weiß: "Wir entwickeln immer besser dämpfende Gehäuse für die Trockenkupplung. Und was passiert? Viele Kunden tauschen das Teil sofort gegen einen offenen Deckel." Für manchen Ducatista stimmt die Soundkulisse eben erst, wenn die Kupplung vernehmlich rasselt.
Die kreative Arbeit der Akustik-Ingenieure, nämlich das Komponieren des Klangs und das Bestimmen seines Timbres, findet mit den Prototypen statt. Verschiedene Filter eliminieren mal höhere, mal niedrigere Frequenzen. Dann folgt der Soundcheck, in aller Regel mit Kollegen aus der Firma. Die Entscheidung bleibt immer dem Ohr überlassen: "Wir haben mal einen Motorradklang mit Hilfe vordefinierter Parameter allein im Labor entwickelt", erzählt Akustik-Ingenieur Pietro Vaccarini von Piaggio, dort nicht nur für Roller, sondern auch für Aprilia und Moto Guzzi zuständig. "Gefallen hat er uns dann aber nicht." Eine enorm wichtige Rolle für den Klang, den der Fahrer wahrnimmt, spielt neben dem Auspuff der Ansaugtrakt. So fand Yamaha bei der Vmax heraus, dass die beiden nahe am Fahrer positionierten Ansaugkanäle in Verbindung mit dem 1680er-V4-Motor die beste Kombination von Motorleistung und Klangerlebnis erbrachten. Tests mit noch mehr Hubraum verliefen enttäuschend: Sämtliche Versuchspersonen glaubten, den Klang eines Traktors zu hören.
Mit dem Sound-Engineering bearbeiten die Hersteller ein weites und komplexes Themengebiet. Anders als Autos mit ihren weitgehend glatten Oberflächen bieten Motorräder dem Wind zahllose Angriffspunkte, schon kleine Anbauteile verändern die Geräuschwahrnehmung des Fahrers, ganz zu schweigen von Koffern, einem Windschild oder flatternder Kleidung. Hier gibt es noch viel zu erforschen, und die nächste Herausforderung wartet schon: "Es gibt eine neue Norm, die Elektro- und Hybrid-Motorrädern sowie -Rollern ein Mindestmaß an Geräusch verordnet, weil sie sonst überhört werden", sagt Pietro Vaccarini von Piaggio. "Diese Fahrzeuge müssen wir also lauter statt leiser machen." Dann dürfen die Akustiker den Klang endlich einmal komplett selbst komponieren.