Purer Zufall, dass MOTORRAD während einer Recherche zum Thema Gebraucht-Motorräder auf die ehemalige Kawasaki Ninja ZX-10R von Hans Bader* aus Celle stieß. Dass genau diese top gepflegte Kawasaki, Baujahr 2008, mit dem LeoVince-Nachrüst-Schalldämpfer und der kleinen – aber auf den Fotos der Website eines niederländischen Gebrauchthändlers auch später noch klar erkennbaren – Macke in ebendiesem Schalldämpfer der Redaktion bestens bekannt war, kann als noch größerer Zufall gelten. Nur der Kilometerstand machte stutzig: 16095. Angeboten für 6950 Euro. Und erstaunlicherweise bereits mit einer neuen, jetzt niederländischen Zulassung versehen: gelbes Kennzeichen 05-MJ-FP.
Also griff MOTORRAD zum Telefon: „Hey Hans, hast du deine Kawa nach Holland verscherbelt und bei der Gelegenheit den Tacho zurückgedreht?“ Der gelernte Kfz-Mechaniker Bader aus Niedersachsen fiel aus allen Wolken. Zwar hatte er den Supersportler tatsächlich im Herbst verkauft. Doch da hatte der Kilometerstand, wie auch die unmittelbar vor dem Verkauf von Bader gemachten Fotos belegen, noch knapp 42000 betragen – für einen Freizeitfahrer und ein neun Jahre altes Motorrad absolut realistisch.
Ein Gebraucht-Motorradhändler aus den Niederlanden, berichtet Bader, habe sich bei ihm im Herbst auf seine Verkaufsanzeige in einem bekannten Online-Portal hin gemeldet und Interesse an der Kawa bekundet. Kurz darauf kam der Mann zur Besichtigung in Celle vorbei. „Das war ein Profi“, erzählt Bader. „Er war mit einem Transporter voller Motorräder unterwegs, kam eben von einer Einkaufstour aus Polen zurück und hat auf dem Heimweg in die Niederlande gleich noch meine Kawasaki mitgenommen. Ich kann mich aber nicht über den Mann beschweren, er hat sofort und anstandslos 4950 Euro bar bezahlt, Motorrad und Papiere mitgenommen – für mich war der Fall erledigt“, sagt Bader. Jedenfalls bis er durch MOTORRAD auf die niederländische Verkaufsanzeige aufmerksam wurde. Kein Zweifel, das war seine Kawa, angeboten für genau 2000 Euro mehr, aber mit gut 25000 Kilometern weniger auf der Uhr. Wer sollte hier nicht auf den Gedanken kommen, dass der Kilometerstand der grünen Tausender in den Niederlanden manipuliert worden war, zumal das Zurückdrehen eines digitalen Tachos mit den frei im Handel dafür erhältlichen Gerätschaften ein Kinderspiel darstellt, wie der ADAC bestätigt. Nach der erfolgten Zulassung auf einen Niederländer und ohne Serviceheft, das schließlich ganz einfach zu entsorgen ist, kann kein Käufer mehr nachvollziehen, dass die ZX-10R in Wahrheit beinahe das Dreifache der angepriesenen Laufleistung runter hat.
Das war auch dem Händler Jan Hunter* gleich klar, als ihn MOTORRAD mit diesen Fakten konfrontierte: Nein, nein, nicht dass ihr denkt, „dass wir das absichtlich gemacht haben, um einen Tacho-Vorteil zu haben“, ließ er die Redaktion per E-Mail wissen. Seine Erklärung für den falschen Kilometerstand in der Verkaufsanzeige auf www.huntermotoren.nl* war denkbar simpel: „Wir haben letztes Jahr elf oder zwölf ZX-10R gehabt. Davon waren acht, glaube ich, grün. Da hat mein Kollege wohl was durcheinandergebracht und ein falsches Bild hochgeladen.“ Also eine Verwechslung, ein Irrtum, bedauerlich …
Noch am selben Tag war Hans Baders Kawasaki dann auch schon aus dem rund 280 Motorräder verschiedener Marken umfassenden Gebrauchtangebot des Niederländers verschwunden. Angeblich, so der Händler, war sie zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft.
Eine Nachfrage von MOTORRAD bei der Polizei zu diesem Thema brachte wenig Erhellendes. Zumindest dem angefragten LKA Niedersachsen war nicht bekannt, dass das Thema Tachomanipulation bei Motorrädern, anders als im Autobereich, in Deutschland ein Problem darstelle, sagte eine Sprecherin. Handlungsbedarf im konkreten Fall? Keiner, schließlich gebe es keinen bekannten Geschädigten.
Bleibt noch anzumerken, wo man landet, wenn man das Wort „Tachojustage“ googelt. Bei Anbietern in Holland.
Interview - „Verbot wird wenig bringen“
Christian Buric, ADAC-Pressesprecher: Tachomanipulationen sind einfach. Wirksam verhindern könnten sie nach Ansicht des Verbands nur die Motorradhersteller.
ADAC-Experten haben an Autos ja gezeigt, wie leicht Kilometerstände von Digitaltachos manipulierbar sind. Ist dieses kriminelle Plug and Play bei Motorrädern genauso einfach?
Prinzipiell ja. Aber es wird nicht über die (meist noch nicht vorhandene) OBD-Buchse manipuliert, sondern oft direkt auf der Tacho-Platine. Dienstleister, die so etwas übernehmen, sind im Internet leicht zu finden.
Bei Gebrauchtwagen schätzt der ADAC den Anteil von Fahrzeugen mit manipuliertem Tachostand auf ein Drittel. Das wären bei rund 7,3 Millionen Halterumschreibungen 2017 rund 2,4 Millionen manipulierte Autos allein letztes Jahr. Schätzen Sie das Verhältnis bei Motorrädern auch so hoch ein?
Das genannte Drittel manipulierter Gebrauchtwagen basiert auf Ermittlungen der Polizei. Für Motorräder liegen uns keine Daten vor.
Geräte zur Tachomanipulation sind legal erhältlich. Sieht der ADAC hier Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers, um Käufer künftig wirksam vor Betrug zu schützen?
Ein Verbot der Geräte bringt in Zeiten internationalen Handels wenig. Wenn Autos und Motorräder nicht so schnell, meist spurenlos, leicht und günstig zu manipulieren wären wie heute, gäbe es keinen Markt. Da muss angesetzt werden.
Was bringen Kilometerstands-Datenbanken, wie es sie u. a. in Belgien und Holland gibt?
Sie täuschen eine Problemlösung nur vor: Niemand kann kontrollieren, ob die dort gespeicherten Kilometerstände auch wirklich stimmen. Der ADAC hat bereits vor drei Jahren den ersten Fall von Tachobetrug trotz Eintrag in eine Kilometerstands-Datenbank nachgewiesen.
Abschließend: Welche Tipps gibt der ADAC Motorrad-Gebrauchtkäufern, um sich vor manipulierten km-Ständen zu schützen?
Alle Unterlagen zum Motorrad genau prüfen: Serviceheft, HU-Prüfbescheinigungen, Reparatur- und Inspektionsrechnungen auf plausible Kilometerstände. Wenn ein Wartungsheft fehlt, dann lieber ein anderes Angebot nehmen. Und gegebenenfalls nachsehen, ob der Tacho schon einmal geöffnet wurde, das könnte ein Hinweis auf eine Manipulation sein. Ein technischer Nachweis einer Manipulation ist meist nicht oder nur sehr schwer möglich.