Ob es nun um fehlende Halbleiter, teure und rare Schiffscontainer oder um den tagelang gesperrten Suezkanal geht – die Gründe für mögliche Lieferengpässen sind aktuell zahlreich. Wir beleuchten die unterschiedlichen Ursachen.
Engpass durch Halbleitermangel
Eric de Seynes, Präsident und CEO von Yamaha Motor Europe erklärte in einem im April 2021 veröffentlichten Video, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lieferketten doch nachhaltiger seien als zuvor angenommen. Nicht alle Produkte könnten deshalb in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden. Eine Ursache hat mit der Verfügbarkeit von Rohmaterialien für Halbleiter (Chips) und der Halbleiter-Herstellung zu tun. Diese Halbleiter sind beispielsweise unverzichtbar für Smart-Keys, ABS-Bremssysteme, Steuergeräte uws. Die aktuelle Nachfrage nach Halbleitern ist so hoch, dass viele Hersteller und Zulieferer in sämtlichen Branchen immer wieder Produktionspausen einlegen müssen, weil die Chips fehlen
- Hintergrund 1: Durch die Auswirkungen der Pandemie wurden und werden sehr viel mehr Produkte verkauft, die auf Halbleiter angewiesen sind (bspw. Laptops und Spielekonsolen).
- Hintergrund 2: Durch die angespannte und unbestimmte Lage im Jahr 2020 und der daraus resultierenden Angst vor zu hohen Lagerbeständen, kürzten Hersteller und Zulieferer die Bestellungen merklich und können deshalb heute nicht auf Lagerbestände zurückgreifen.
Logistik und Suezkanal
90 Prozent aller Industrie- und Konsumgüter werden per Seefracht transportiert. Auf den Weltmeeren sind Container derzeit extrem knapp, vor vielen großen Häfen ist die Zahl wartender Containerschiffe stark gestiegen. Der Hafen von Yantian in China, viertgrößter der Welt, wurde wegen eines Corona-Ausbruchs zeitweise komplett dichtgemacht. Sämtliche Frachter mussten bis zu 16 Tage warten, um überhaupt anlegen zu dürfen. Vor den Hafengewässern bildete sich zeitweise ein Stau von über 130 Container-Schiffen. Die Pandemie ist quasi zur Achillesferse für globale Lieferketten und Produktionen geworden.
Dabei schreibt die Container-Schifffahrt derzeit einige Rekorde: Die Pötte sind so groß und transportieren so viele Container wie nie zuvor. Und sind so verspätet wie nie zuvor. In Fachkreisen spricht man von einer Verdoppelung der Lieferzeiten – die Passage Shanghai – Chicago etwa, die in vorpandemischen Zeiten um die 35 Tage dauerte, beansprucht mittlerweile 74 Tage. Und die Frachtkosten für den Schiffstransport markieren ebenfalls ein Allzeithoch: Im Jahresvergleich sind sie für die wichtige Exportroute von Schanghai nach Rotterdam zum Beispiel um nahezu 600 Prozent gestiegen. Ein Container, der auf diesem Weg verschifft wird, kostet nun 12.000 Dollar. Noch vor einem Jahr hatte sein Transport von Asien nach Nordeuropa nicht einmal 2.000 Dollar gekostet.
Zur sowieso schon angespannten Container-Situation kam Ende März 2021 noch die havarierte Ever Given. Das Containerschiff blockierte tagelang den Suezkanal. Das verschärfte die Situation um die sowieso schon raren und aktuell sehr teuren Container-Plätze weiter. Das Schiff hatte auch mehrere tausend Teile von Yamaha an Bord, wie Eric de Seynes, Präsident und CEO von Yamaha Motor Europe in seinem Video-Statement erklärte.
Ausverkaufte Modelle und Gebrauchtmarkt
Bei vielen Marken sind Modelle für 2021 ausverkauft. Wer jetzt noch sein Traumbike kaufen will, muss auf jeden Fall Geduld mitbringen. Was an Nachschub kommt und wie schnell, ist zurzeit ziemlich ungewiss. Das bekommen Interessenten und Verkäufer auch auf dem Gebrauchtmarkt zu spüren, denn dort haben die Preise seit 2019 um satte 12 Prozent angezogen, wie Kollege Jens Kratschmar im September 2021 recherchierte.
Auswirkungen auf die Industrie
In der Automobilindustrie ist der Mangel an Chips inzwischen wirklich akut, aber auch die Motorradproduktion ist besorgt. Mehrere Hersteller erwarten, dass die Auslieferung neuer Motorräder im Jahr 2022 ungewiss ist. Darauf reagiert auch die Industrie. Der Automobilzulieferer Magneti Marelli beispielsweise entließ im September 1.500 Mitarbeiter, weil die derzeitige Knappheit an (hauptsächlich) Halbleitern dazu führt, dass keine Produkte mehr geliefert werden können. Marelli liefert Teile an fast alle Automobilhersteller weltweit, insbesondere elektronische Komponenten für Kraftstoffeinspritzung, Sensoren, Beleuchtung, elektrische Antriebe und Steuergeräte. Darüber hinaus vertreibt die Gruppe alle denkbaren Teile für Autos und Motorräder, von Bremsbelägen bis zu Aufhängungen und von Armaturenbrettern bis zu Kabelbäumen.
Der europäische Motorradhersteller-Verband ACEM forderte im September 2021 die Europäische Kommission auf, aktuelle und künftige Bemühungen zu unterstützen, um zusätzliche Halbleiterlieferungen für den gesamten Automobilsektor, einschließlich des Motorradsegments, zu erhalten. In diesem Zuge betonte der Verband auch, "dass die mittel- und langfristige Vision die aktuelle Dringlichkeit und das kurzfristige Versorgungsproblem, mit dem die Industrie heute konfrontiert ist, nicht lösen würde. Der ACEM ist zuversichtlich, dass die Europäische Kommission in den kommenden Wochen und Monaten weiter mit ihren regionalen Partnern zusammenarbeiten wird." Der ACEM macht also klar, dass er den Ausbau von regionaler Halbleiterproduktion befürwortet.
Yamaha macht Lieferproblem öffentlich
Nachdem sich Yamaha Motor Europe CEO Eric de Seynes bereits im April für die längeren Lieferzeiten von Yamaha-Produkten entschuldigt hatte, äußerte sich sein kanadischer Kollege Peter Smallman-Tew im Oktober 2021, ebenfalls per Videobotschaft. Darin entschuldigt er sich für die Wartezeiten für die Yamaha-Produkte. Dazu gehören nicht nur Motorräder, sondern auch Quads, ATVs, Außenborder und andere Produkte. Mit den Lieferproblemen, von denen Yamaha berichtet, haben alle Motorradmarken gleichermaßen zu kämpfen. Allerdings ist die japanische Marke, die einzige, die öffentlich darüber berichtet. Die persönliche Entschuldigung ist ein bekanntes Phänomen in der japanischen Tradition.
Peter Smallman-Tew weist auch darauf hin, dass es für Anfang 2022 noch die notwendigen Herausforderungen gebe, er sei aber "vorsichtig optimistisch", dass sich die Produktion langsam wieder normalisieren werde. Hoffentlich hat der nordamerikanische Yamaha-CEO recht, denn zeitgleich gibt es Berichte, dass beispielsweise Bosch möglicherweise seine Produktionsstätten für ABS-Einheiten in Asien wegen Lockdowns wieder schließen muss.
Fazit
Manchmal kommt eben alles zusammen. Als ob eine Pandemie und der durch die Auswirkungen rar gewordene Platz auf den Containerschiffen nicht schon logistische Herausforderung genug wären, blockierte dann auch noch ein Containerschiff tagelang den Suezkanal. Zu 100 Prozent keine Wartezeit haben aktuell nur die, die sich ein Modell rauspicken, das der Händler schon in den Hallen stehen hat.