Die Lage ist ernst. Ebenso ernst wie typisch, denn Corinna Ehmann, 22 und als Produktionerin bei MOTORRAD tätig, will in den nächsten Wochen etliche Tausender in ihr erstes eigenes Bike investieren. Wer da aufs falsche Pferd setzt, geblendet und eingelullt von Prospekt- oder Verkäuferargumenten ... Ein Chopper könnte gefallen, aber was für einer? Oder doch nicht? Also gut, Corinna, bevor du uns allen Löcher in den Bauch fragst, stellen wir dir vier Variationen mit zwei Rädern hin, und du darfst sie alle probieren. Eine Honda SLR 650, leicht, preiswert und simpel, vertritt die Gattung Enduro. Die ER-5 von Kawasaki gibt den Normalo, und - klar - die ungemein populäre XVS 650 Drag Star von Yamaha repräsentiert alles, was unter Chopper oder Cruiser fällt. Dann noch »nen Sportler dazu, und damit wir den Preisrahmen nicht sprengen, rückt hier die altgediente, aber günstige Kawa GPX 600 R mal wieder ins Rampenlicht.
Just passend, daß dein Einser kürzlich geöffnet wurde, und nicht so schlimm, daß die Wochenendtrips von vor drei Jahren fast schon wieder vergessen sind. Das schaffst du, Corinna. Und außerdem haben wir einen idealen Partner für dich gefunden: Friedrich Lindner, 60 und seit kurzem Frühpensionär, treibt es nach 39jähriger Abstinenz zurück aufs Motorrad. NSU Maxi nannte sich sein letzter Untersatz, erst vor wenigen Tagen hat er sich seinen Jugendtraum verwirklicht, eine BMW. Tiptop gepflegt, die R 65, und jetzt will er wissen, ob diese Wahl denn nun die richtige war. Fahrpraxis mit der Gummikuh? 100 oder 200 Kilometer.
Puh, geschafft. Raus aus dem wuseligen Stuttgart, rauf auf einen Verkehrsübungsplatz im Grünen. Ungeniert und ungestört ein paar Kreise fahren. ER-5, SLR und Drag Star heißen die Favoriten, aber schon bei der nächsten Übung differenziert sich die Wahl: Während Herr Lindner sich zwischen den aufgereihten Pylonen mit der Yamaha sichtlich wohl fühlt, schimpft Corinna wie ein Rohrspatz. Er freut sich am weichen Motor, der selbst dann noch niedertouriges Zuckeln erlaubt, wenn er bei allen anderen längst mit der Kupplung zaubern muß. Sie ärgert sich über das zähe Lenkverhalten des schweren und mit langem Radstand ausstaffierten Cruisers. Die SLR paßt einfach besser zu einem tendenziell beherzten Fahrstil, soviel deutet sich jetzt schon an.
Aber Vorsicht, Corinna. Die GPX, obwohl mit einem gutmütigen Triebwerk gesegnet, ist anders, fordert mehr Respekt. Beim Brem...- quietsch, bleibt das Vorderrad stehen. Ganz kurz nur, noch mal gut gegangen. Nach diesem Schreck fliegen dem Fahrverhalten der ER-5 natürlich ungeteilte Sympathien zu. Alles sooo schön leicht hier. Seiner BMW gedenkend, mosert Vater Lindner gar, das hätte Sohn Gerhard (Testchef bei MOTORRAD) ihm ruhig früher erzählen können. Aber der hat ja nie Zeit. Bevor das Ganze in familiärem Zwist mündet, ruft die Landstraße.
Sanfte Kurven, kurze Zwischenstücke, glatter Belag - alles locker im vierten Gang zu schaffen. Herr Lindner wechselt schon wieder, weil man sich auf der Yamaha so nett die Gegend anschauen kann. Will sagen: Hier und jetzt paßt die Charakteristik von Motor und Fahrwerk. Wollen Sie denn nie schneller als 80, 90 fahren, Herr Lindner? Die Antwort fällt unentschieden aus, aber für den Heimweg über die Schnellstraße wählt er dann doch die ER-5.
Neuer Tag, neues Glück??? Autobahnfahrten zählen nicht unbedingt zu den Freuden des Bikerlebens. Gehört aber dazu. Bei Richtgeschwindigkeit zweifelt selbst Friedrich Lindner an der Drag Star, Corinna entwickelt eine einsatzbedingt heftige Zuneigung zur GPX. Könnte noch viel flotter fahren. Später erkennt sie messerscharf, daß Enduristen wohl nie zu den Schnellen im Lande zählen werden. Dieser Winddruck. Enduros gibt«s aber auch verkleidet, Corinna, und mit viiiel mehr Leistung. 39 PS hat die SLR, das reicht für exakt 150 km/h, und wer mehr will, sollte sich bei Freewind, Transalp und Co. umschauen. Die schaffen mit ihren 45 bis 50 PS über 160. Nein, Herr Lindner, verkleidete Cruiser sind uns bislang nicht bekannt, aber eine Scheibe lindert den Winddruck auch. Führt allerdings manchmal zu Pendeleien, so im Sog von Lastwagen oder bei starkem Wind.
Im Vertrauen auf ein gesundes Abstraktionsvermögen sollen 100 Kilometer reichen, je 25 genügen den Testern jedenfalls, um der Yamaha die rote Autobahn-Laterne zu verleihen. Herrn Lindner stört bei der sportiven GPX die Sitzposition, und Corinna referiert jetzt schon zum zweiten Mal über die Vorteile eines großen Leistungspotentials. Überholtechnisch. Das deutet eher auf eine gewisse Autobahnroutine als Autofahrerin hin denn auf Übermut. Beide Probanden verlieren nämlich nie den Respekt vor ihren neuen Verkehrsmitteln. Trotzdem können sie alte Hasen gehörig erschrecken: Die lenkt ja gar nicht richtig, meint Corinna zur GPX. Wie denn das? Wir finden die Kawa sogar ziemlich handlich. Dann stellt sich heraus, daß nur die in der Verkleidung fest verankerten Instrumente irritiert haben. Und Herr Lindner hat mittlerweile doch noch einen gravierenden Nachteil der ER-5 ausgemacht - viel zu kurze Spiegelausleger. Die haben ihn auf der Autobahn derart beschäftigt, daß er sich nur ungern von der rechten auf die linke Spur wagte. Praktizierte Entwicklungshilfe für Kawasaki.
So, jetzt wird«s wieder lustig, jetzt stehen Landstraßen jeder Ordnung auf dem Programm. Corinnas Vorwärtsdrang blüht zusehends auf, Herr Lindner genießt mit würdiger Souveränität. Sein gutes Recht, allerdings fällt auf, daß er auf der ER-5 immer schneller genießt. Fast so schnell wie Corinna auf der Honda. Längst hat sie vergessen, daß vor wenigen Tagen Chopper oder Cruiser noch ganz oben auf der Einkaufsliste standen. Learning by doing, heißt dieser Effekt. Die Angst vor der vergleichsweise hoch installierten Sitzbank? Wie weggeblasen. Statt dessen bricht sich die Freude am geringen Gewicht und spielend leichten Handling mit jedem Kilometer mehr Bahn. Ein echtes Moped, verkündet Corinna. Als wenn wir«s nicht immer gesagt hätten. Und wäre da nicht diese einengende Sitzmulde - auch mit der GPX käme sie sogar auf Dauer zurecht. Der schmale Lenker irritiert bei Schiebemanövern, aber unter kundiger Hilfestellung entlarven diese sich schnell als harmlos. Herr Lindner fühlt sich mit dem Sportler etwas overdressed, kann sich als Freund der Technik aber eines Zungenschnalzers über den Motor nicht enthalten. Das hat Kultur, und wer auf Kultur steht, muß auch solche Argumente beim Kauf erwägen.
Auf jeden Fall sollte er bei der Probefahrt ein ausreichend langes Stück schlechten Asphalts unter die Räder nehmen: Wohl selten während der zweitägigen Testtour lernen die beiden MOTORRAD-Schüler schneller als auf dem schmalen Schlängelstück im Welzheimer Wald. XVS, SLR, ER-5 und GPX - alle vier bewegen sie abwechselnd hin und her. Der Sportler darf endlich zeigen, wofür sein breites nutzbares Drehzahlband und die straffen, aber keineswegs unkomfortablen Federelemente taugen, macht sich mit ordentlichem Lenkverhalten und Spurtreue beliebt. Erstmals werden die in diesem Testfeld kräftigsten Bremsen gelobt. Auch die SLR, ebenfalls straff gefedert, überzeugt. Die Sitzposition paßt den Einsteigern in engen Kurven am allerbesten. Prima Überblick - richtig keck werden sie da. Die ER-5 schmeichelt sich mit viel Federungskomfort ein, noch sind die beiden weit davon entfernt, die vergleichsweise schlechte Dämpfung der Gabel zu registrieren. Und niemand maße sich an, ihnen da reinzureden. Weil sie in drei, vier Jahren selber drauf kommen.
Das trampelnde Heck der Drag Star jedoch, deren Empfindlichkeit auf Spurrillen und Unwilligkeit beim Einlenken fallen auch Corinna und Herrn Lindner auf. Die Frage, wer womit nach Hause fährt, wird - mitten im Welzheimer Wald - mit SLR und ER-5 beantwortet. Und die beiden routinierten Begleitpersonen streiten sich um die GPX.
Motorräder - gute Sitzgelegenheiten?
Die große Freiheit geht oft mit Zwang einher: Fast jeder ach so kommod wirkende Chopper oder Cruiser nämlich fordert seinen Reiter mittels weit vorn liegender Fußrasten und hohem, nach hinten gezogenem Lenker in eine Zwangshaltung. Darunter versteht der Mediziner alles, was der natürlichen Haltung widerspricht, im Falle dieser Bikes vorrangig die erzwungenermaßen falsche Krümmung (Hohlkreuz) im Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Diese zeitigt vermehrte Kompression im Zwischenwirbelraum, denn die Wirbel können nicht mehr im natürlichen Abstand zueinander stehen - eine echte Bedrohung für die Bandscheiben. Außerdem provoziert jede Fehlhaltung muskuläre Verspannungen. Seitliche Bewegungen, wie sie beim Kurvenfahren auftauchen, verstärken die genannten Symptome noch, und die meist knappen Federwege tragen auch nicht gerade zur Entspannung bei.Weil die oft extrem angeordneten Fußrasten verhindern, daß der Fahrer seinen Oberkörper mit den Beinmuskeln abstützen kann, werden die Fahrwerksschläge direkt zur Wirbelsäule weitergeleitet. Und schließlich: Nur wahre Kraftpakete trotzen länger als eine Stunde dem Winddruck, den die Haltung hinterm Geweihlenker ab 120/130 km/h mit sich bringt. Alle anderen verspannen auch im Oberarm- und Schulterbereich. Aus der Überraschungstour zur großen Liebe wird dann schnell eine Tortur, die nur gekonnte Massagen wieder lindern können...Doch auch Fahrer von Supersportlern sitzen ziemlich ungesund - nur andersrum gefaltet als die Chopperpiloten: Während deren Sitzposition eigentlich nur zum In-die-Sterne-Gucken taugt, eignet sich jene höchstens zum Minensuchen. Vor allem der deutliche Knick der unteren Lendenwirbelsäule und die starke Krümmung im Halswirbelbereich können Leiden schaffen. Die spitz angewinkelten Knie belasten obendrein die hinteren Meniskusteile sowie den allgemeinen Bandapparat, und die bisweilen extremen Sitzmulden führen oft genug zu schmerzvollem Mißempfinden im Skrotalbereich - unter Profis auch als Dead-Ball-Syndrom gefürchtet.Am besten berücksichtigen Reisemaschinen die Ergonomie: Leicht nach vorn gebeugter Oberkörper (die Wirbelsäule bleibt in der physiologischen S-Form, und die Rückenmuskeln arbeiten am effektivsten), 90-Grad-Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel (die Beinmuskeln können den Oberkörper mit abfedern) und die Hände in ergonomisch entspannter Position auf dem Lenker. Ob jemand die schmalere und härtere Sitzbank einer Enduro bevorzugt oder gleich zu einem Tourer greift, hängt von seiner Leidensfähigkeit ab. Unter medizinischen Gesichtspunkten spielt es keine Rolle.
Fazit Einsteigerin - "Die Freiheit nehm' ich mir"
»Warte mal ab, bis du Enduros kennenlernst, die machen Laune«, hatte mir die erfahrene Testredakteurin Monika Schulz vor meinen Wiedereinstieg prophezeit. Konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Chopperfahren stellte ich mir viel einfacher vor: Man oder frau sitzt tief, kommt deshalb mit den Beinen schnell auf den Boden, und außerdem sieht das Choppern ultrabequem aus insgesamt also ideal für Anfänger. Völlig falsch: Nach unserem Test ist für mich nicht etwa die schnieke Yamaha Drag Star, sondern Hondas SLR 650 das Maß aller Dinge. Volltreffer, Moni. Ansonsten kann ich nur jedem (Wieder-)Einsteiger raten: Selbst ausprobieren geht über das Wälzen von schönen Prospekten oder die noch so gut gemeinten Ratschläge von alten Hasen. Also rein zu den Händlern und einen Termin für eine möglichst ausführliche Probefahrt mit unterschiedlichen Motorrädern vereinbart. Und sich dabei ja nicht vom Verkäufer belehren lassen, was zu einem paßt, oder was in der Szene gerade ach so angesagt ist. Der erste eigene Eindruck war mir viel wichtiger, diese Freiheit nehm ich mir: draufsetzen, sich wohl fühlen, jeden Kilometer mit wachen Sinnen erleben, Kurven und gute sowie schlechte Straßen probieren.
Fazit Wiedereinsteiger - "Es geht nicht um Träume"
Wenn alte Hasen Neu- oder Wiedereinsteigern aufs passende Gefährt helfen möchten, können sie eigentlich nur alles falsch machen. Weil sie schon zu lange fahren: Wer weiß denn wirklich noch, welche Schrecken allein Schieben verursachen kann? Welchen Respekt hohes Gewicht verursacht? Das mag beim eigenen Motorrad längst keine Rolle mehr spielen, weil das Ding rennt wie Schmidts Katze oder locker bis zum Ende der Welt tourt. Aber um Traummaschinen geht es doch hier nicht. Die (Fast-)Neulinge brauchen ein Gerät, mit dem sie anständig durch die ersten Jahre kommen, das möglichst viele Freiheiten läßt und möglichst wenig Aufmerksamkeit verlangt. Und zwar nicht in 160-km/h-Kurven auf dem Nürburgring, sondern im normalen Leben. Angenehme Sitzhöhe, leicht kalkulierbare Leistungsentfaltung, gutmütige Bremsen oder leichte Wartung rangieren eindeutig vor Spitzenleistung und -technologie. Echte Hilfe gibt nur, wer die Frischlinge bei möglichst vielen Probefahrten begleitet und ihnen dabei aufmerksam zuschaut. Gemeinsam fällt die Wahl schon leichter: Was, die Spiegel sind blöd - da kaufen wir Zubehörteile. Die lenkt so komisch - das liegt am Reifen. Der Einzylinder ruckelt - fahr halt einen Gang tiefer. Ist so umkomfortabel - komm, wir stellen die Dämpfung besser ein.
Alternativen
AlternativenSLR 650BMW F 650Verkleidungs-Künstler mit 34 oder 48 PS, hohem oder tiefem Sitz. Leider 12410 Mark teuerKawasaki KLE 500Zweizylinder mit 34 oder 48 PS, gutem Fahrwerk und Halbverkleidung. Günstig: 10820 MarkMuZ BaghiraSächsischer Hochsitz mit 34 oder 50 PS, für Sportsfreunde. Einstandspreis: 10240 MarkSuzuki XF 650 FreewindReisepartner mit 34 oder 48 PS, sehr angenehmer Motor. Gut ausgestattet für 10290 MarkYamaha XT 600 ESpaßmobil mit 34 oder 40 PS, recht lahmer Motor, aber das Geld allemal wert: 8990 MarkKawasaki GPX 600RHonda CBR 600 FUltimativer Four mit 34, 98 oder 105 PS, super Fahrwerk. Lohnende Investition: 16270 MarkKawasaki GPZ 500 SHeißer Twin mit 34, 50 oder 60 PS. Wegen des guten Fahrwerks fast ein Schnäppchen: 9990 MarkSuzuki GSF 600 S BanditFlotter Ganove, halb verhüllt, mit 34 oder 78 PS aus vier Zylindern. Unter Freunden 11350 MarkSuzuki GSX 600 FVollverschalter Oldie but Goldie mit 34, 50 oder 86 PS. Ein sportiver Allrounder für 11890 MarkYamaha TRX 850Vorzeige-Twin mit 34 und 83 PS und leckerem Fahrwerk. Was für immer: 15690 MarkKawasaki ER-5Honda CB 500Musterschüler mit wassergekühltem Twin und 34, 50 oder 58 PS. Wertanlage: 8960 MarkKawasaki Zephyr 550Neoklassischer Vierer mit 34 oder 50 PS und Showtalenten. Viel Chrom für 10990 TalerMuZ Skorpion Tour 660Blanker Eintopf mit bewährtem Yamaha-Motor und 34 oder 48 PS für 10710 MarkSuzuki GS 500 EBewährtes und fahrstabiles Sparwunder mit 34 oder 45 PS. Jetzt noch billiger: 7390 MarkYamaha XJ 600 NSanfter Vervierer mit 34, 50 oder 61 PS. Weich gepolstert für lustfreundliche 9290 MarkYamaha XVS Drag StarHonda VT 750 C2Gewichtige Cruiser-Brumme mit hitverdächtigem Design und 46 PS für schlappe 13790 MarkHarley-Davidson 883 StandardKleines, aber originales Milwaukee-Eisen mit 32 oder 49 PS für anständige 13950 Mark Kawasaki VN 800 ClassicHighway-Suchgerät mit Prestigefaktor zehn und 34, 50 oder 55 PS. 15490 Dol..., äh, MarkSuzuki LS 650 SavageSchlanke Minimalisten-Karre mit Single und 31 PS. Viel Charakter für nur 8990 MarkYamaha XV 535 ViragoHandzahmer und robuster Topseller mit 34 oder 44 PS mit Image-Schwächen. 9990 Mark