PS-Leserfrage zur Motorrad-Technik
Übersetzung für die Rennstrecke

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PS-Leser Gerald Knitt möchte gern wissen, wie man die passende Übersetzung für die Rennstrecke findet. PS-Technik-Versteher Werner Koch gibt die Antwort.

Übersetzung für die Rennstrecke
Foto: Werner Koch

Hallo Gerald, rein theoretisch sollte die Endübersetzung so gewählt sein, dass Du auf der längsten Geraden den letzten Gang kurz vor dem Bremspunkt ausgedreht hast oder sogar für einen kurzen Moment im Begrenzer „anstehst“. Damit steht dir in der Beschleunigungsphase die höchstmögliche Zugkraft am Hinterrad zur Verfügung. Diese Zugkraft ist der entscheidende Faktor bei der Beschleunigung. Die Formel, wonach der letzte Gang in der schnellsten Sektion ausdrehen sollte, gilt allerdings nur noch für Bikes mit einer ­Leistung deutlich unter 100 PS. Deshalb nutzen die rund 55 PS starken Moto3-Maschinen auf fast allen Strecken sämtliche zur Ver­fügung stehenden sechs Gangstufen.

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Allerdings wird auch hier darauf geachtet, dass der Motor aus Kurven heraus mit der optimalen Drehzahl auf eine anschließende lange Gerade beschleunigen kann, um den Speed perfekt mitzunehmen. Bei dieser Feinabstimmung können die Fahrer der kleinsten Klasse nicht nur die Gesamt­über­setzung zwischen Ritzel und Hinterrad (Sekundärantrieb), sondern auch die jeweiligen Gangstufen im Getriebe anpassen. Zudem erlaubt das 2016er-Reglement die Verwendung von drei unterschiedlichen Primär-Übersetzungen, also die Zahnrad-Konfiguration zwischen der Kurbelwelle und dem Kupplungskorb (Primärantrieb).

Nicht zwingend alle Gangstufen genutzt?

Dieser Trick erlaubt es, den Sekundärantrieb aus Ritzel und Kettenblatt für viele Rennstrecken beizubehalten. Denn die Durchmesser von Ketten­ritzel/Kettenblatt haben einen entscheidenden Einfluss auf die Kräfte und ­Reaktionen des  Kettenzuges, das sogenannte „Anti-Squating“, und die möchte man nur ­ungern verändern. Mit diesem Anti-Squating wird verhindert, dass das Motorrad beim Beschleunigen ­hinten eintaucht und sich die Lenk­geometrie zum Nachteil verändert.

Bei den 600er-Supersport- und ­Moto2-Motorrädern hingegen sind die Primär- und Getrieberäder festgeschrieben, die Übersetzung darf also nur über den Sekundärantrieb ver­ändert werden. Im MotoGP ändern die Techniker nur in ganz wenigen Fällen die Kettenräder, sondern passen die einzelnen Getriebestufen und die Primärübersetzung der Strecke an. Wobei es der immense Leistungsüberschuss der rund 260 PS starken Maschinen erlaubt, dass die Fahrer nicht zwingend alle Gangstufen nutzen. So kommen beispielsweise auf dem engen GP-Kurs in Valencia nur vier Gänge zum Einsatz. In Brünn geht man davon aus, dass Rossi und Konsorten nur die drei oberen Gangstufen verwenden. Was natürlich nur deshalb möglich ist, weil die 1000er ein extrem breites nutzbares Drehzahlband aufweisen, bei dem ­jeder unnötige Schaltvorgang trotz Seamless-Getriebe den idealen Strich der Piloten stören könnte.

In komplizierten Streckenpassagen so wenig als möglich schalten

Für den Hobby-Racer mit einem kräftigen 1000er-Motor gilt diese Maßnahme genauso. Man sollte also bei der Wahl der Übersetzung darauf achten, dass man in komplizierten Streckenpassagen so wenig als möglich schalten muss. Dazu kann man auch ruhig die Sekundärübersetzung so wählen, dass man auf den sechsten Gang verzichtet und stattdessen die Sektionen rund und geschmeidig durchfährt.

Da die aktuellen 1000er serien­mäßig auf 300 km/h übersetzt sind, kann man für die Rennstrecke generell vorne einen Zahn kleiner (Radstand wird rund 8 mm länger), respektive hinten drei Zähne größer fahren (Radstand wird rund 24 mm kürzer bei ­gleicher Kettenlänge). Diese Änderung verbessert nicht nur subjektiv, sondern auch messbar die Beschleunigung, ohne die auf der Rennstrecke erreichbare Höchstgeschwindigkeit zu beschneiden.

Übersetzungstabelle anlegen

Wer das Spiel mit der Übersetzung ernst meint und damit seine Rundenzeiten verbessern möchte, sollte sich eine Übersetzungstabelle anlegen, um die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten (Ritzel/Kettenblätter) mit den einzelnen Gangstufen und der Drehzahl abzugleichen. Ganz wichtig zu beachten: der Abrollumfang am Hinterrad, der nach Dimension und Reifentyp stark variieren kann und damit natürlich die Endübersetzung beeinflusst.

Und nicht vergessen: Eine Über­setzung, die im Training auf das Rennstrecken-Layout perfekt passt, kann im Rennen – wenn es richtig zur Sache geht – dann schon mal einen Tick zu kurz sein.

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PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023