PS-Leserfrage zur Motorrad-Technik
Welche Bremsbeläge sind sinnvoll?

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PS-Leser Julian Wolf ist bei der Suche nach passenden Bremsbelägen für seine CBR 600 RR auf die Unterscheidung zwischen organischen und Sintermetall-Belägen gestoßen und fragt, welche Beläge sinnvoll sind. PS-Technik-Versteher Werner Koch gibt die Antwort.

Welche Bremsbeläge sind sinnvoll?
Foto: Archiv

PS-Leserfrage von Julian Wolf: „Meine CBR 600 RR ohne ABS benötigt neue Bremsbeläge. Es sind Originalscheiben drauf, und ich bewege die Maschine nur abseits der Renne für sportliche Tourenfahrten und Hausstrecken-Turns. Bei der Suche nach passenden Bremsbelägen bin ich neben diversen Herstellern auch auf die Unterscheidung zwischen organischen und Sintermetall-Belägen aufmerksam geworden. Welche Beläge sind sinnvoll?“

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PS-Antwort: Grundsätzlich werden bei Bremsbelägen drei Belagmischungen verwendet. Die sogenannten organischen Beläge wurden bis vor etwa 25 Jahren verwendet. Aus Harnstoffen verpresst und verklebt, lag der Vorteil in einem sehr weichen, geschmeidigen Ansprechverhalten und dem schonenden Umgang mit den Bremsscheiben. Dies war auch der Grund, warum für die meisten Gussbremsscheiben organische Mischungen vorgeschrieben waren. Die Nachteile: lange Einlaufzeiten, eingeschränkte Hitzebeständigkeit und eine zum Teil gefährlich schlechte Bremswirkung bei Nässe, speziell in Verbindung mit Stahlscheiben. Heute finden sich organische Beläge nur noch bei kostengünstigen, um nicht zu sagen billigen Motorrädern und entsprechend simplen Bremsanlagen.

Semiorganischen Beläge im normalen Straßenbetrieb ausreichend

Deutlich besser funktionierte die Sache, als man den organischen Belägen mit der Beimischung von gesinterten Buntmetallen und Eisen ein besseres Heiß- und Nassbremsverhalten verschaffte. Diese sogenannten semiorganischen Beläge sind im normalen Straßenbetrieb absolut ausreichend, zudem ist der Verschleiß der Bremsscheiben gering, solange diese nicht durch rasante Fahrweise strapaziert und überhitzt werden. Nicht nur für sportliche Bikes haben sich Sintermetall-Bremsbeläge durchgesetzt und taugen ohne Einschränkung für den Straßeneinsatz. Dazu kommen noch Sinterbeläge mit Keramik- oder Karbon-Beimischungen, die im Rennsport verwendet werden.

Allerdings können die Sinterbeläge bei hoher Beanspruchung auf der Rennstrecke den gebräuchlichen, aus einer rostfreien Stahllegierung hergestellten Bremsscheiben zusetzen. Oftmals treten dabei Probleme mit rubbelnden Bremsen oder schwankender Verzögerung pro Radumdrehung auf. Die Ursache hierfür kann eine hitzebedingte Gefügeveränderung an der Bremsscheibenoberfläche sein, die sich in unterschiedlichen Reibwerten bemerkbar macht. Ähnlich wirkt sich, speziell beim Rennstreckenbetrieb, das Phänomen der „Belagverschweißung“ auf. Dabei überträgt sich durch die extreme Hitzeentwicklung ein hauchdünner Film des Sintermetalls auf die Bremsscheibe, mit dem Resultat, dass sich an diesen Stellen der Reibbeiwert drastisch verändert und die Bremse rubbelt. Diese Übertragung vom Belag auf die Scheibe kann auch dann vor sich gehen, wenn das Motorrad mit glühend heißen Bremsen abgestellt wird und der Sinterbelag auf einer Stelle der Scheibe anliegt. Deshalb ist es ratsam, die Bremsen nach maximaler Beanspruchung noch über ein paar Kilometer abkühlen zu lassen.

Werner Koch
Die Oberfläche an der linken Belagseite ist mittels Bandschleifer abgetragen, rechts ist der Belag spröde und verglast.

Laut Joachim Gern vom Zubehörspezialisten G&L Motorradtechnik tritt dieser Effekt vorrangig dann auf, wenn aggressive Rennbelag-Mischungen, meist ohne Straßenzulassung, mit den Serien-Bremsscheiben kombiniert werden. Denn diese sind in der Regel nur 4,5 Millimeter oder sogar weniger dick, während im Rennsport Bremsringe mit 5,5 oder 6 Millimeter Stärke gefahren werden. Nicht nur das größere Materialvolumen macht die Rennbremsen standfester, auch die Verwendung von bis zu zwölf Floatern sorgt hier für eine bessere Hitzeableitung an die Radnabe.

Die eigene Erfahrung aus der Fahrpraxis zeigt, dass rubbelnde Bremsscheiben nicht zwingend in die Mülltonne gehören. Durch ein sorgfältiges Abziehen der Bremsringe mit 100er- oder 150er- Läppleinen und die anschließende Verwendung wenig aggressiver oder gar semiorganischer Beläge besteht die Möglichkeit, die Scheiben zu regenerieren. Ist das Rubbeln jedoch auf einen Verzug wegen Überhitzung oder mechanischer Beschädigung zurückzuführen, müssen die Scheiben entsorgt werden.

Alle Bremsbeläge müssen eingebremst werden

Ein häufiger Grund für rubbelnde Bremsen sind auch Bremskolben, die sich nicht weit genug zurückziehen, weshalb die Beläge permanent an der Scheibe anliegen. Oft hilft die gründliche Reinigung der Bremskolben und Manschetten. Oder gleich Stahlkolben mit Titan-Nitrit- oder Kohlenstoff-Beschichtung einbauen, wie sie zum Beispiel von HH-Racetech oder Lohmann hergestellt und vertrieben werden.

Ein wichtiger Punkt für alle Bremsbeläge: Sie müssen eingebremst werden. Zum einen geschieht dies durch ein sanftes, dauerhaftes Anlegen der Bremse bei geringem Tempo, um die Belagoberfläche der Scheibe anzupassen. Nach diesem mechanischen Einfahren muss die Bremsanlage durch mehrere Vollbremsungen stark aufgeheizt werden. Danach abkühlen lassen! Dieses Abkühlen sollte aber nicht im Stand, sondern beim Fahren stattfinden, wobei der Fahrtwind und die Rotation der Bremsscheiben den Vorgang beschleunigen.

KBA-Nummer auf der Rückseite der Grundplatte ersichtlich

Je nach Belagmischung dauert das Einbremsen mehr (organisch/semiorganisch) oder weniger lang (Vollsinter- und Rennbremsbeläge). Durch die große Hitzentwicklung gasen dabei bestimmte Inhaltsstoffe der Beläge, meist die Klebstoffe, aus. Tritt dieses Ausgasen bei einer „echten“ Vollbremsung ein, kann die Bremswirkung drastisch nachlassen. Das fühlt sich an, als ob sich zwischen Scheibe und Belag ein Schmierfilm aufbaut. Man spricht dann vom sogenannten Initialfading.

Manche Beläge neigen beim Überhitzen zu einer glasig spröden Oberfläche und einer dadurch verringerten Bremswirkung, speziell, wenn der Belag schon stark verschlissen ist. Dann hilft das vorsichtige Abziehen der Oberfläche am Bandschleifer und das anschließende Reinigen mit der Drahtbürste und Druckluft, um mögliche Korundpartikel aus dem Schleifmaterial zu entfernen. Wenn keine maschinelle Bearbeitung möglich ist, wird die Oberfläche durch das Reiben der Beläge aneinander entfernt.

Ob der Bremsbelag eine Straßenzulassung hat, ist auf der Rückseite der Grundplatte ersichtlich. Dort ist neben der KBA-Nummer auch der Code für die Belagmischung oder den Belagtyp aufgeprägt. Für den reinen Straßenbetrieb ohne ABS sind straßenzugelassene Beläge aufgrund der weniger giftigen Wirkung den Rennbelägen auf ­eden Fall vorzuziehen.

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PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023